Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Dezember 2002
Aktenzeichen: 15 W (pat) 5/02

(BPatG: Beschluss v. 09.12.2002, Az.: 15 W (pat) 5/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse B 32 B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. November 2001 aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Dreidimensional verformbarer, mehrlagiger Schichtstoff und Verarbeitung zu einem Schirmgehäuse Anmeldetag: 20. Januar 1998 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1-14, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2002 Beschreibung Seiten 1-25, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2002

Gründe

I.

Die am 20. Januar 1998 eingereichte Patentanmeldung 198 01 985.8-16 betrifft einen Dreidimensional verformbaren, mehrlagigen Schichtstoff und Verarbeitung zu einem Schirmgehäuse.

Sie wurde von der Prüfungsstelle für die Klasse B 32 B des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluß vom 19. November 2001 zurückgewiesen. Dem Beschluß lagen Patentansprüche 1 bis 17 vom 8. Februar 1999 zugrunde. Der Patentanspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:

"Dreidimensional verformbarer, mehrlagiger Schichtstoff, mit einer ersten Lage, bestehend aus einem 0,02 bis 0,5 mm dicken Metallgewebe, das mit einer Beschichtung aus einem elektrisch hoch- leitfähigen und hochelastischen Material versehen ist; und mit einer zweiten Lage, bestehend aus einer 0,01 bis 0,8 mm dicken Folie aus thermoplastischem Kunststoff, dadurch gekennzeichnet, daß

das elektrisch hochleitfähige und hochelastische Material ein mit Ruß und/oder Metallpulver gefülltes thermoplastisches Polyurethan ist."

Die Zurückweisung der Patentanmeldung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Entwicklung des beanspruchten Schichtstoffes und des Verfahrens zur Herstellung eines abschirmenden Schirmgehäuses aus diesen Schichtstoffen gegenüber dem Stand der Technik, wie er sich aus

(1) DE 42 29 689 A1

(2) EP 114 802 A2

(3) DE 42 17 717 A1

(4) Kunststoffe 74, 1984, Heft 10, Seiten 626/627

(5) EP 371 425 A2

(6) DE 43 33 756 A1 ergibt, auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluß der Prüfungsstelle hat die Patentanmelderin Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluß vom 19. November 2001 aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen, Patentansprüche 1 bis 14 und Beschreibung, Seite 1 bis 25.

Die geltenden, in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 14 lauten:

"1. Dreidimensional verformbarer, mehrlagiger Schichtstoff, der besteht auseiner ersten Lage, bestehend aus einem 0,02 bis 0,5 mm dicken Metallgewebe, das mit einer Beschichtung aus einem elektrisch hochleitfähigen und hochelastischen Material aus mit Ruß und/oder Metallpulver gefülltem thermoplastischen Polyurethan versehen ist, das - bezogen auf den Bindemittelgehalt - 5 bis 40 Gew.-% Ruß oder Metallpulver enthält; undeiner zweiten Lage, bestehend aus einer 0,01 bis 0,8 mm dicken Folie aus thermoplastischem Kunststoff, ausgewählt aus je thermoplastischen aromatischen Polycarbonaten, Polyarylsulfonen, Celluloseestern, Polyvinylchloriden, Styrol-Acrylnitril-Copolymerisaten, Polyphenylenoxiden, ABS-Pfropfmischpolymerisaten und Polymethylmethacrylaten; und gegebenenfalls eine haftvermittelnde Schicht zwischen dieser ersten Lage und dieser zweiten Lage vorhanden ist.

2. Schichtstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Metallgewebe aus Kupferdraht besteht.

3. Schichtstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Folie der zweiten Lage einseitig oder beidseitig mattiert oder strukturiert ist.

4. Schichtstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sich zwischen der ersten Lage und der zweiten Lage zusätzlich eine haftvermittelnde Schicht befindet.

5. Schichtstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das mit Ruß und/oder Metallpulver gefüllte thermoplastische Polyurethan in Form einer wässrigen Dispersion oder in Form einer Lösung in einem organischen Lösungsmittel auf dem Metallgewebe aufgebracht worden ist.

6. Schichtstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Metallgewebe beidseitig mit je einer geschlossenen Polyurethanschicht bedeckt ist, die je eine Schichtdicke von wenigstens 10 µm aufweist.

7. Verfahren zur Herstellung eines gegenüber hochfrequenten Radiowellen abschirmenden Schirmgehäuses oder Schirmgehäuseteiles, dadurch gekennzeichnet, dass ein Schichtstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 6 nach dem an sich bekannten Höchstdruckverfahren verformt wird.

8. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die erste Lage mit der zweiten Lage laminiert wird; und der so erhaltene Verbund nach dem Höchstdruckverfahren verformt wird.

9. Verfahren nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass das nach der Verformung erhaltene Formteil zur Erhöhung seiner Stabilität mit thermoplastischem Kunststoff hinterspritzt wird.

10. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass so hinterspritzt wird, dass sich die zweite Lage sandwichartig zwischen der ersten Lage und dem beim Hinterspritzen aufgebrachten Kunststoff befindet; und sich die erste Lage an der Innenseite des Schirmgehäuse (teile)s befindet und dort leicht kontaktierbar ist.

11. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass der zum Hinterspritzen verwendete thermoplastische Kunststoff ausgewählt wird aus je thermoplastischen aromatischen Polycarbonaten, Polyarylsulfonen, Celluloseestern, Polyvinylchloriden, Styrol-Acrylnitril-Copolymerisaten, Polyamiden, Polyestern, Polyphenylenoxiden, ABS-Propfmischpolymerisaten und Polymethylmethacrylaten.

12. Verfahren nach Anspruch 9 oder 11, dadurch gekennzeichnet, dass beim Hinterspritzen eine Schicht aus thermoplastischem Kunststoff mit einer Schichtdicke von 0,5 bis 5 mm aufgebracht wird.

13. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass auf der zu beschichtenden Seite des nach der Verformung erhaltenen Formteils eine haftvermittelnde Schicht aufgebracht wird, bevor mit thermoplastischem Kunststoff hinterspritzt wird.

14. Verfahren nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass eine haftvermittelnde Schicht aufgebracht wird, die zusätzlich eine dekorgebende Wirkung hat."

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (PatG § 73). Sie ist mit den nun geltenden Unterlagen auch erfolgreich.

2. Bezüglich der Offenbarung der Gegenstände der geltenden Patentansprüche bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale aus den ursprünglichen Unterlagen herleitbar sind. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 befinden sich in den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 3, 7 und 8. Die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 6, 5, 2, 9 und 10. Die Verfahrensansprüche 7 bis 9 weisen die gleichen Merkmale auf, wie die ursprünglichen Ansprüche 11 bis 13. Der Patentanspruch 10 ist herleitbar aus der Beschreibung Seite 7 Absatz 2 und den Beispielen. Die Patentansprüche 11 bis 14 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 14 bis 17.

3. Der beanspruchte Schichtstoff gemäß Patentanspruch 1 und das Verfahren zur Herstellung von abschirmenden Schirmgehäusen gemäß Patentanspruch 7 sind neu, da in keiner der entgegengehaltenen Druckschriften alle Merkmale des beanspruchten Schichtstoffes und des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung von abschirmenden Schirmgehäusen aus diesen Schichtstoffen insgesamt beschrieben sind.

Der beanspruchte Schichtstoff (Patentanspruch 1) umfaßt folgende Merkmale:

1. Dreidimensional verformbarer mehrlagiger Schichtstoff, wobei dieser Schichtstoff besteht aus:

2. einer ersten Lage, bestehend aus 2.1 0,02 bis 0,5 mm dicken Metallgewebe, 2.2 mit einer Beschichtung aus einem elektrisch hoch leitfähigem und hochelastischem Material, 2.3 wobei dieses Material aus einem mit Ruß und/oder Metallpulver gefülltem Polyurethan besteht, 2.4 das, bezogen auf den Bindemittelgehalt, 5 bis 40 Gew.-% Ruß oder Metallpulver enthält 3. und mit einer zweiten Lage 3.1 bestehend aus einer 0,01 bis 0,8 mm dicken Folie aus thermoplastischem Kunststoff 3.2 ausgewählt aus je thermoplastischen aromatischen Polycarbonaten, Polyarylsulfonen, Celluloseestern, Polyvinylchloriden, Styrol-Acrylnitril-Copolymerisaten, Polyphenylenoxiden, ABS-Propfmischpolimerisaten und Polymethylmethacrylaten und ggf einer haftvermittelnden Schicht zwischen der ersten und zweiten Lage.

In (1) DE 42 29 689 A1 ist die erste Lage eines Schichtstoffs zum Abschirmen von Strahlungen hergestellt aus Polyolefinen, bevorzugt Polyäthylen oder Polyester, wobei diese erste Lage auch leitend sein kann. Eine erste Lage aus mit Ruß und/oder Metallpulver gefülltem Polyurethan (Merkmal 2.3 und 2.4) ist in (1) nicht angesprochen.

Aus (2) EP 114 802 A2 erfährt der Fachmann, daß in einem über einen praktisch unbegrenzten Zeitraum nicht elektrostatisch aufladbaren Verbundmaterial wenigstens eine außen liegende elektrisch leitfähige Kunststoffschicht aus einer Matrix aus Polyolefin oder Polyurethan besteht, die 3 bis 35 Masseprozent leitfähigen Ruß und/oder Graphit enthält und thermisch verschweißbar ist. Diese bekannte Verbundfolie enthält weder ein Metallgewebe (Merkmal 2.1), noch eine weitere thermoplastische Folie aus einem der im Merkmal 3.2 genannten thermoplastischen Polymeren mit den im Merkmal 3.1 genannten Dimensionen.

Das Gleiche gilt auch für die (3) DE 42 17 717 A1, die ein mehrschichtiges Verbundmaterial mit einer elektrisch leitfähigen Schicht betrifft, wobei eine elektrisch leitfähige Polyurethanfolie verwendet wird. Darüber hinaus weist sie jedoch keine weiteren Merkmale des beanspruchten Schichtstoffes, insbesondere kein Metallgewebe auf.

Die Entgegenhaltung (4) Kunststoffe 74, 1984, Heft 10, Seiten 626/627 befaßt sich mit Antistatika für Kunststoffe; (5) EP 371 425 A2 betrifft das im Verfahrensanspruch 7 genannte Höchstdruckverfahren und (6) DE 43 33 756 A1 geschützte Gehäusekonstruktionen für elektronische Bauteile. Keine dieser drei Druckschriften zeigt den Aufbau des beanspruchten Schichtstoffs. Demnach ist der beanspruchte Schichtstoff neu.

4. Die Entwicklung des beanspruchten Schichtstoffs beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Mit der Erfindung soll die Aufgabe gelöst werden, dreidimensional verformbare mehrlagige Schichtstoffe bereitzustellen, die nach dem bekannten Höchstdruckverfahren (5) (EP 371 425 A2) verformbar sind und die nach ihrer Verformung und ggf Verstärkung mit weiterem Kunststoff gegenüber hochfrequenten Radiowellen abschirmende Schirmgehäuse oder Schirmgehäuseteile liefern.

Der hier angesprochene Fachmann ist ein Polymerchemiker mit Erfahrungen auf dem Gebiet der leitfähigen (Verbund-)Folien.

Der nach Meinung des Senats nächstliegende Stand der Technik ist in (1) DE 42 29 689 A1 beschrieben. Denn auch dort wird eine mehrlagige formbare Folie beschrieben, die zur Abschirmung von Strahlungen, Strömungen und/oder elektrischen Feldern verwendet werden kann. Bei dieser bekannten Verbundfolie kann die erste Lage aus einem Metallgewebe bestehen, das zumindest auf einer Seite mit Polyester oder Polyolefin, insbesondere Polyäthylen beschichtet ist, welches auch leitend sein kann. Die zweite Lage ist bei dieser bekannten Folie ausgewählt aus Polyester oder Polyolefin, insbesondere Polyäthylen (vgl (1) Sp 4 Z 57 bis 65, Sp 8 Z 14 bis 27, Sp 9 Z 3 bis 7). Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents insbesondere durch die Auswahl der Kunststoffe der ersten und zweiten Lage. Für den Einsatz von mit Ruß und/oder Metallpulver gefülltem Polyurethan für die erste Lage und der im Patentanspruch 1 aufgezählten von (1) abweichenden thermoplastischen Kunststoffe gibt es in (1) keine Hinweise.

Auch wenn dem Fachmann aus (2) EP 114 802 A2 leitfähige Folien aus mit Ruß und/oder Metallpulver befülltem Polyurethan für den Zweck der Abschirmung bekannt sind (vgl (2) S 6 Z 12 bis 26), so gibt es in (2) keinen Hinweis, diese bekannten leitfähigen Polyurethanfolien in einem Verbund mit den im Patentanspruch 1 des Streitpatents genannten und für das Höchstdruckverfahren geeigneten thermoplastischen Kunststoffen zu verwenden. Auch aus (3) DE 42 17 717 A1, die auch die Herstellung und Verwendung von leitfähigen Polyurethanfolien betrifft, geht kein Merkmal hervor, das über das in (1) und (2) Offenbarte hinausgeht und in Zusammenschau von (1) bis (3) dem Beanspruchten patenthindernd entgegenstehen könnte.

Das Gleiche gilt für die Entgegenhaltungen (4) Kunststoffe aaO und (5) EP 37 14 25 A1, die von ihrem Inhalt her noch weiter entfernt liegen, da sie sich mit Elektrostatika für Kunststoffe (4) bzw nur dem Höchstdruckverfahren (5) befassen. Die Entgegenhaltung (6) DE 43 33 756 A1 befaßt sich zwar mit einem Abschirmgehäuse und nennt einige auch beim beanspruchten Schichtstoff verwendete thermoplastische Kunststoffe, die für das Höchstdruckverfahren geeignet sind (vgl (6) Sp 6 Z 12 bis 18). Aber auch dieser Druckschrift ist kein Hinweis auf den Aufbau einer Verbundfolie zu entnehmen, wie er patentgemäß beansprucht wird, so daß auch in der Zusammenschau aller entgegengehaltenen Druckschriften der beanspruchte Schichtstoff nicht nahegelegt wird.

Der in Patentanspruch 1 beschriebene mehrlagige Schichtstoff ist daher patentfähig. Die ihm nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 6 und die auf ihn zurückbezogenen Verfahrensansprüche 7 bis 14, die vorteilhafte Ausgestaltungen des Schichtstoffes gemäß Patentanspruch 1 betreffen bzw durch den erfinderischen Gegenstand des Patentanspruchs 1 getragen werden, sind damit ebenfalls gewährbar.

Kahr Jordan Klante Kellnerbr/Na






BPatG:
Beschluss v. 09.12.2002
Az: 15 W (pat) 5/02


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