Bundespatentgericht:
Urteil vom 16. Dezember 2010
Aktenzeichen: 4 Ni 43/09

(BPatG: Urteil v. 16.12.2010, Az.: 4 Ni 43/09)

Tenor

I. Das Patent wird im Umfang der Patentansprüche 2 bis 5 insoweit für nichtig erklärt, als es über folgende Fassung des Patentanspruchs 2 hinausgeht:

"2. Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, bestehend aus einer Struktur ausschließlich bestehend aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist, eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, die in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln, und die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden.", wobei sich die Patentansprüche 3 bis 5 in der Fassung der Patentschrift DE 195 49 520 C9 auf den geänderten Patentanspruch 2 zurückbeziehen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 195 49 520 (Streitpatent), das am 26. Juli 1995 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der US-Patentanmeldungen US 08/282181 vom 28. Juli 1994 und US 08/457354 vom 31. Mai 1995 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist durch Teilung aus der deutschen Patentanmeldung 195 81 503 entstanden, die wiederum aus der PCT-Anmeldung PCT/US95/08975, veröffentlicht als WO 96/03092 A1, hervorgegangen ist. Es wurde im Einspruchsverfahren vor dem Bundespatentgericht durch Beschluss vom 21. Februar 2008 (Az. 21 W (pat) 324/05) beschränkt aufrechterhalten und anschließend in berichtigter und im jetzigen Nichtigkeitsverfahren maßgeblicher Fassung neu veröffentlicht (Streitpatentschrift DE 195 49 520 C9). Das Streitpatent betrifft einen flexiblen ausdehnbaren Stent und umfasst nach der Beschränkung noch fünf Ansprüche, von denen der selbständige Anspruch 2 und die Ansprüche 3 bis 5, soweit sie auf den Anspruch 2 rückbezogen sind, angegriffen sind.

Patentanspruch 2 lautet wie folgt:

"2. Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit einer Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist, eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) erste und zweite Winkel definieren deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden."

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 3 bis 5 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Die Klägerinnen stützen ihre Nichtigkeitsklage darauf, in dem Patent sei die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne (mangelnde Ausführbarkeit), außerdem gehe der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (unzulässige Erweiterung); zudem sei er nicht patentfähig. Hierfür berufen sie sich u. a. auf folgende Druckschriften:

BR5 EP 540 290 A2 BR6 WO 95/31945 A1 BR7 EP 0 378 151 A2 BR8 US 5 104 404 BR14 WO 96/33671 A1 BR15 WO 95/26695 A2 KW1 US 4 733 665.

In diesem Zusammenhang bestreiten sie in ihren Schriftsätzen auch die Wirksamkeit der Prioritäts-Inanspruchnahme. Dieser Einwand wurde in der Verhandlung jedoch fallengelassen.

Die Klägerinnen beantragen, das deutsche Patent DE 195 49 520 im Umfang des Patentanspruchs 2 sowie der Ansprüche 3 bis 5, soweit diese auf Anspruch 2 rückbezogen sind, für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage unter Zugrundelegung einer geänderten Fassung des Patentanspruchs 2 gem. Hilfsantrag I, weiter hilfsweise gem. Hilfsantrag II, weiter hilfsweise gem. Hilfsantrag III, äußerst hilfsweise gem. Hilfsantrag IV, wobei die Patentansprüche 3 bis 5 in der Fassung der Streitpatentschrift DE 195 49 520 C9 jeweils auf die geänderte Fassung des Patentanspruchs 2 rückbezogen sein sollen, abzuweisen.

In den Fassungen der Hilfsanträge I, II und III hat der Patentanspruch 2 folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber der Fassung der Streitpatentschrift sind durch Streichung bzw. Unterstreichung jeweils kenntlich gemacht):

Hilfsantrag I

"2. Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit einer Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist, eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden."

Hilfsantrag II

"2. Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eineandere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit einer Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist, eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, die in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln, und die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden."

Hilfsantrag III

"2. Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit bestehend aus einer Struktur ausschließlich bestehend aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist, eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, die in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln, und die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden."

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Streitpatent in allen verteidigten Fassungen Bestand habe.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet, soweit das Streitpatent über die Fassung des Hilfsantrags III der Beklagten hinausgeht. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

Der Gegenstand des Patentanspruch 2 in der Fassung des Streitpatents ist nicht ausreichend offenbart i. S. v. § 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG und daher auch nicht ausführbar. Bereits aus diesem Grund kann der Patentanspruch 2 in dieser Fassung keinen Bestand haben.

Einer beschränkten Aufrechterhaltung des Patentanspruchs 2 in der Fassung des Hilfsantrags I steht der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) entgegen.

Auch in der Fassung des Hilfsantrags II kann das Streitpatent keinen Bestand haben. Sein Gegenstand wäre insoweit nicht patentfähig, weil ihm die Druckschrift WO 95/31945 A1 (BR6) neuheitsschädlich entgegenstünde (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 3 PatG).

In der Fassung des Hilfsantrags III erweist sich der Gegenstand des Patentanspruchs 2 hingegen als bestandsfähig, und mit ihm die Patentansprüche 3 bis 5, soweit sie unmittelbar oder mittelbar auf die somit beschränkte Fassung des Patentanspruchs 2 rückbezogen sind.

Maßgeblich für die Beurteilung der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe ist die Sichtweise des hier einschlägigen Durchschnittfachmanns. Bei diesem handelt es sich nach Ansicht des Senats um einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik, der in Zusammenarbeit mit Medizinern -insbesondere Gefäßchirurgen -Stents entwickelt und über mehrjährige berufliche Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt.

I.

1. Die streitpatentgemäße Erfindung betrifft einen Stent zum Implantieren in einen lebenden Körper. Solche Stents, die aus einem körperkompatiblen Material bestehen und zum Aufweiten eines Blutgefäßes oder einer anderen Öffnung im Körper und zum Aufrechterhalten der resultierenden Größe des Lumens verwendet werden, seien im Stand der Technik bekannt. Typischerweise werde der Stent mit einem aufblasbaren Ballon an den gewünschten Ort im Körper zugeführt. Wenn der Ballon aufgeblasen werde, dehne sich der Stent aus, wodurch sich das Blutgefäß bzw. die Öffnung im Körper erweitere. Andere mechanische Vorrichtungen, welche eine Ausdehnung des Stents bewirken, würden ebenfalls angewendet werden (Streitpatentschrift, Absätze [0001] und [0002]).

Aus Draht gebildete Stents seien im Stand der Technik ebenso bekannt wie Stents, die aus geschnittenem handelsüblichen Metall gebildet seien. Zu letzteren zählten u. a. die in den Druckschriften US 4 733 665 (KW1 -Palmaz), US 4 762 128, US 5 102 417 (Palmaz/Schatz), US 5 195 984 (Schatz) und FR 2683449 A1 beschrieben Stents (Absatz [0003]). Bei dem Palmaz/Schatz-Stent gem. US 5 102 417 handele es sich um röhrenförmige Implantate mit flexiblen, schraubenförmigen Verbindern. Wenn sich diese Stents ausdehnten, würden sie in Längsrichtung schrumpfen und die Verbinder würden sich verdrehen, was für das Blutgefäß höchstwahrscheinlich schädlich sei (Absatz [0004]). Der SchatzStent gem. US 5 195 984 weise einen geraden, aber nicht sehr festen Verbinder auf (Absatz [0005]). Die Druckschrift EP 0 540 290 A2 (BR5) beschreibe einen Stent mit radial ausdehnbaren zylindrischen Elementen aus bandartigem Material, die durch gerade Verbindungsstege miteinander verbunden seien. Die US 4 994 071 schließlich beschreibe einen gabelförmigen Stent mit radial ausdehnbaren zylindrischen Elementen aus gewelltem Draht, die untereinander durch jeweils mindestens einen geraden Drahtabschnitt mit einem Knoten verbunden seien (Absätze [0006] und [0007]).

Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Patentschrift die Aufgabe, einen flexiblen Stent bereitzustellen, welcher während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft (Absatz [0008]).

2.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird in Patentanspruch 2 gem. Streitpatentschrift ein Stent mit folgenden Merkmalen beansprucht:

3.

Die Auslegung des Patentanspruchs 2 wirft eine Reihe von Schwierigkeiten auf. Diese rühren vor allem daher, dass sich die Beschreibung des Streitpatents und auch die Figuren 1 bis 8 an keiner Stelle explizit auf die in diesem Anspruch aufgeführten Merkmale beziehen.

2A Ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent, 2B welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oderin eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchemer ausdehnbar ist, mit 2C einer Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, 2D wobei jede Zelle aufweist, 2D1 eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge, 2D2 welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) abwechseln, 2D21 die eine feste Länge aufweisen und 2D22 in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, 2D23 wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist, und 2D24 wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20)

erste und zweite Winkel definieren 2D25 deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden.

a) Durch das Merkmal 2A, wonach es sich um einen ballonexpandierbaren und nicht selbstexpandierenden Stent handeln muss, werden solche Stents vom Schutz des Anspruchs 2 ausgenommen, die nach einer ersten Phase der Selbstexpansion mit Hilfe eines Ballons weiter expandiert werden und dadurch erst mit der nötigen Festigkeit an der Gefäßwand verankert werden. Ebenso ausgenommen sind Stents, die nur zum Zwecke des Transports durch die Blutgefäße zum Einsatzort auf einem Ballonkatheder befestigt, jedoch nicht mit Hilfe des Ballons expandierbar sind.

b) Das Merkmal 2C ("mit einer Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen") verlangt lediglich das Vorhandensein einer derartigen, aus Zellen mit den Merkmalen 2D bis 2D25 zusammengesetzten Struktur. Dies schließt nicht aus, dass der Stent neben dieser Struktur noch weitere Bereiche aufweist, die nicht aus solchen Zellen bestehen.

c) Unter den "geraden Abschnitten" i. S. d. Merkmals 2D1 sind diejenigen Abschnitte einer Zelle zu verstehen, die sich keiner Schlaufe zuordnen lassen [ebenso LG Düsseldorf, BR10, S. 20].

d) Das Erfordernis der festen Länge (Merkmale 2D1, 2D21) bedeutet, dass die betreffenden Abschnitte in jeder der zu der Struktur gehörenden Zellen gleich lang sind, und dass sich ihre Länge durch die Expansion des Stents nicht verändert.

e) Nach Merkmal 2D23 weist jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen auf. Bei dem Biegungsbereich handelt es sich demgemäß um den Bereich zwischen den Schenkeln einer Schlaufe.

f) Durch die Winkelbildung gem. den Merkmalen 2D24, 2D25 soll bewirkt werden, dass sich die ersten und zweiten Schlaufen bei der Expansion des Stents in verschiedene Richtungen bewegen. Dies wäre ausgeschlossen, wenn die durch die ersten bzw. zweiten Schlaufen definierten Winkel 0¼ bzw. 180¼ betragen würden, d. h. wenn die Schlaufen parallel zueinander angeordnet wären. Daher wird der Fachmann unter einem Winkel i. S. d. Merkmale keinen Winkel von 0¼ oder 180¼ verstehen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Schenkel der Schlaufen, die in den Figuren 1 und 2 dargestellt werden, durchweg parallel angeordnet sind, d. h. also in einem Winkel von 0¼ zueinander. Diese Figuren zeigen nämlich den Stent vor seiner Expansion, d. h. solange die in Umfangsbzw. Längsrichtung des Stents angeordneten Schlaufen noch nicht auseinandergezogen sind. An Hand der Figuren 3, 4 und 5 i. V. m. den Ergänzungen im Anspruch 2 in der Fassung der Hilfsanträge I bis III wird deutlich, dass zum einen die Schenkel der Schlaufen nach der Expansion des Stents einen Winkel zueinander bilden, und dass zum anderen auch die Winkelhalbierenden (d. h. die Symmetrieachsen) der ersten und zweiten Schlaufen zueinander in einem Winkel verlaufen, wobei dieser Winkel nicht 0¼ bzw. 180¼ betragen darf.

Die Heranziehung der Figur 4 zur Auslegung des Patentanspruchs 2 ist im Übrigen nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich diese Figur auf einen Stent in seinem expandierten Zustand bezieht, während der Anspruch nach seinem Wortlaut ("ausdehnbar") auf einen nicht expandierten Stent bezogen ist. Der Fachmann wird durch diese Anspruchsfassung nicht abgehalten, auch diese Figur als Hilfe zum Verständnis des Patentgegenstands heranzuziehen.

II.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 in der Fassung der Streitpatentschrift ist nicht ausführbar, weshalb diese Anspruchsfassung schon deshalb keinen Bestand haben kann.

Es ist vor allem unklar, welche Winkel das Merkmal 2D24 meint. Irgendwelche Anhaltspunkte hierfür sind weder den Figuren des Streitpatents noch der Beschreibung zu entnehmen. Auf welche Weise die ersten und zweiten Schlaufen erste und zweite Winkel definieren, liegt somit völlig im Belieben des Fachmanns, d. h. dieser gelangt -je nachdem wo und wie er die Winkel ansetzt -zu ganz unterschiedlichen Ausgestaltungen. Gemäß dem Merkmal 2D23 soll jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweisen. Die in den Figuren 2 und 4 abgebildeten Schlaufen bestehen aus jeweils zwei seitlichen Abschnitten (Schenkeln), die über einen mittleren Abschnitt, den Biegungsbereich, miteinander verbunden sind. Bei diesen Schlaufen bildet jeder seitliche Abschnitt (Schenkel) mit dem sich direkt anschließenden mittleren Abschnitt (Biegungsbereich) je einen Winkel, z. B. in Figur 2 einen rechten Winkel und in Figur 4 (im ausgedehnten Zustand) einen Winkel, der größer als 90¡ ist. Bei den in den Figuren 7 und 8 gezeigten Schlaufen ist der Biegungsbereich hingegen ein abgerundeter Abschnitt, der sich zwischen zwei seitlichen Abschnitten (Schenkeln) der Schlaufe befindet. Durch die abgerundete Form des Biegungsbereichs bildet dieser keinen unmittelbaren Winkel mit dem angrenzenden seitlichen Abschnitt (Schenkel). Hier könnten bspw. Winkel durch gedachte, an den seitlichen Abschnitten (Schenkeln) und dem Biegungsbereich anliegenden Tangenten gebildet werden. Bei diesem Ausführungsbeispiel stehen die seitlichen Abschnitte (Schenkel) jeder Schlaufe auch im nicht ausgedehnten Zustand in einem Winkel zueinander (Figur 7). Dadurch könnte ein Winkel auch durch gedachte, an den beiden seitlichen Abschnitten einer Schlaufe anliegenden, sich schneidenden Tangenten gebildet werden. Bei dem vom Wortlaut des Merkmals 2D23 auch umfassten Fall, dass die Schlaufen mehr als zwei Abschnitte ("zumindest zwei Abschnitte") aufweisen sollen, ergeben sich noch weitere Möglichkeiten zur Bildung eines Winkels, bspw. zwischen zwei benachbarten Abschnitten. Da das Streitpatents an keiner Stelle angibt, auf welche Weise die Schlaufen Winkel bilden sollen, kommt der Fachmann somit zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Eine nacharbeitbare Lehre ist daher nicht gegeben.

III.

1. Durch die von der Beklagten als Hilfsantrag I vorgelegte Fassung des Patentanspruchs 2 wird den Bedenken bzgl. der Ausführbarkeit Rechnung getragen.

Diese Fassung unterscheidet sich von der Fassung gem. Streitpatentschrift durch Weglassung des Wortes "zumindest" in Merkmal 2D23, d. h. durch Beschränkung jeder Schlaufe auf exakt zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen, sowie durch die in Merkmal 2D24 vorgenommene Präzisierung, wonach die ersten und zweiten Winkel der ersten und zweiten Schlaufen durch die beiden Schlaufenabschnitte definiert werden.

Diese Weglassung bzw. Hinzufügung ist zulässig, weil sie den Gegenstand des Patentanspruchs 2 gegenüber der ursprünglichen Offenbarung bzw. gegenüber den Fassungen gem. erteiltem Patent und gem. Streitpatentschrift nicht erweitert. Insbesondere geht aus der Figur 4, die in den ursprünglichen Unterlagen ebenso wie im erteilten Patent und in der Streitpatentschrift identisch enthalten ist, hervor, dass die beiden seitlichen Abschnitte jeder Schlaufe in einem bestimmten Winkel zueinander stehen, so dass deren gedachte Verlängerungen sich unter diesem Winkel schneiden.

In der Fassung des Hilfsantrags I ist der Anspruchsgegenstand in ausführbarer Weise offenbart. Durch die Streichung des Wortes "zumindest" im Merkmal 2D23 ist nun festgelegt, dass jede Schlaufe genau zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist. Wie den Figuren des Streitpatents zu entnehmen ist, entsprechen diese Abschnitte den beiden Schenkeln einer Schlaufe. Die zwei Abschnitte einer jeden Schlaufe stehen beim Ausführungsbeispiel gemäß der Figur 2 im ausgedehnten Zustand des Stents (Figur 4) in einem bestimmten Winkel zueinander; ebenso beim Ausführungsbeispiel nach den Figuren 7 (ungedehnter Zustand) und 8 (ausgedehnter Zustand). Für den Fachmann ist daher klar erkennbar, auf welche Weise die ersten und zweiten Winkel durch die Schlaufen gebildet werden. Dem steht nicht entgegen, dass die beiden Abschnitte (Schenkel) der Schlaufen, die in den Figuren 1 und 2 dargestellt werden, parallel angeordnet sind, d. h. in einem Winkel von 0¼ zueinander. Denn maßgeblich für die Lösung der im Streitpatent angegebenen Aufgabe (Absatz [0008]) ist das Merkmal 2D25, wonach die Winkelhalbierenden der ersten und zweiten Winkel, d. h. die Symmetrieachsen der ersten und zweiten Schlaufen, einen Winkel zueinander bilden. Dadurch werden die ersten und zweiten Schlaufen bei der Ausdehnung des Stents in unterschiedlichen Richtungen auseinandergezogen, wodurch der Stent nur minimal in der Längsrichtung schrumpft.

2. Eine Aufrechterhaltung des Patentanspruchs 2 nach Maßgabe des Hilfsantrags I kommt dennoch nicht in Betracht, weil der anspruchsgemäße Gegenstand gegenüber der ursprünglichen Offenbarung in den Anmeldungsunterlagen des Streitpatents (WO 96/03092 A1) unzulässig erweitert wäre.

Der Anspruch 2 gem. Hilfsantrag I (und gem. Streitpatentschrift) geht zurück auf den Anspruch 14 der ursprünglichen Anmeldung. Dessen Text hat -in englischer Originalsprache -folgenden Wortlaut:

"14. A stent comprising a mesh of adjacent, connected cells, each cell comprising: an even number of fixed length, alternating, first and second loops, connected together in a closed cell, each loop having at least two portions with an area of inflection there between, said first and second loops defining first and second angles whose bisecting lines are at angles one to another."

Gegenüber diesem Text sind im jetzigen Patentanspruch 2 einzelne Merkmale hinzugefügt und andere weggelassen worden.

a) Hinzugefügt wurde zum einen das Merkmal "ballonexpandierbarer und nicht selbstexpandierender Stent". Aus der Beschreibungseinleitung der ursprünglichen Unterlagen geht zwar ein Stent hervor, der mit einem aufblasbaren Ballon verabreicht wird und dessen Maschen sich gem. Figur 4 aufweiten lassen (vgl. Seite 1, Zeilen 11 bis 19). Die Klägerinnen weisen aber zu Recht darauf hin, dass es nicht nur ausschließlich ballonexpandierbare bzw. ausschließlich selbstexpandierende Stents gibt, sondern auch Mischformen, bei denen der Stent nach der selbständigen Expansion noch zusätzlich durch einen Ballon erweitert wird

(s. WO 95/31945 A1 (BR6), Anspruch 1). Aus der ursprünglichen Anmeldung geht nicht eindeutig hervor, auf welche Art von Stents diese sich bezieht. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, der Fachmann entnehme der Figur 5 der ursprünglichen Anmeldung und der darauf bezogenen Beschreibung, dass von der Anmeldung ausschließlich ballonexpandierbare und nicht selbstexpandierende Stents erfasst seien, kann dem nicht zugestimmt werden. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, die in der genannten Figur mit "d2" bezeichnete Kompensation könne es bei selbstexpandierenden Stents nicht geben. Dem widerspricht aber der in der Druckschrift BR6 beschriebene Stent, welcher aus einer selbstexpandierenden und einer plastisch verformbaren Komponente besteht (Seite 2, Zeilen 1 bis 13). Dieser Stent wird mit einem Ballon-Katheter verabreicht und nach erfolgter Freisetzung und teilweiser Selbstexpansion durch den Ballon auf seine Endgröße aufgeweitet (Seite 4, Zeilen 14 bis 27). Beim Ausführungsbeispiel nach der Figur 11 werden die Schlaufen dabei sowohl in Umfangsrichtung als auch in Längsrichtung des Stents auseinandergezogen, so dass ebenfalls eine Kompensation eintritt und der Stent nur minimal in der Längsrichtung schrumpft (Figur 11b).

Die Hinzufügung des Merkmals bewirkt zwar eine unzulässige Erweiterung, weil es in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Dem auf dem Gebiet der Stent-Entwicklung tätigen Fachmann sind jedoch die verschiedenen Arten von Stents geläufig, weshalb er sie bei der Lektüre der Anmeldungsunterlagen auch ohne ausdrücklichen Hinweis automatisch mit einbezieht. Patentanspruch 2 in der Fassung des Streitpatents vermittelt somit dem Fachmann keinen Gegenstand, der nicht auch schon vom Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen umfasst wäre. Vielmehr versteht er das zusätzliche Merkmal als bloße Einschränkung gegenüber den Anmeldungsunterlagen. Dieses Merkmal kann deshalb im Patentanspruch verbleiben, ist jedoch bei Prüfung auf Patentfähigkeit außer Betracht zu lassen (BGH GRUR 2011, 40 -Winkelmesseinrichtung).

b) Eine weitere Hinzufügung betrifft die Aufnahme der "geraden Anzahl von geraden Abschnitten fester Länge" in Merkmal 2D1. Eine ausdrückliche Offenbarung hierfür findet sich in der ursprünglichen Anmeldung nicht, weder in der Beschreibung noch in den Patentansprüchen. Zwar sind in den Figuren 1 und 2 und in der Beschreibung (Seite 4, Zeilen 30 bis 33) gerade Abschnitte 22 ("extended straight section labeled 22") gezeigt bzw. beschrieben, die zwischen den Schlaufen 18, 20 des in Längsrichtung des Stents verlaufenden Mäandermusters 12 angeordnet sind. Angaben über ihre Anzahl und ihre Länge innerhalb einer geschlossenen Zelle finden sich jedoch in der ursprünglichen Anmeldung nicht. Allerdings kann zur Offenbarung eines Merkmals als zur Erfindung gehörend die Darstellung in einer Zeichnung genügen, sofern die merkmalsgemäße Ausgestaltung nach der Gesamtoffenbarung aus fachmännischer Sicht als mögliche Ausführungsform der zum Patent angemeldeten Erfindung erscheint (BGH GRUR 2010, 599 -Formteil).

In den Figurenzeichnungen 1 bis 6 der ursprünglichen Unterlagen ist deutlich zu erkennen, dass jede geschlossene Zelle eine gerade Anzahl, nämlich vier, dieser geraden Abschnitte 22 aufweist und dass diese Abschnitte eine feste Länge aufweisen, also gleich lang sind. Dagegen sind in den Figuren 7 und 8 keine Abschnitte einer geschlossenen Zelle zu erkennen, die sich nicht einer Schlaufe zuordnen lassen.

Sofern sich die Figuren 7 und 8 speziell auf die Ausgestaltung des Stents gem. dem ursprünglichen Anspruch 14 beziehen würde, wäre in den ursprünglichen Unterlagen eine Ausgestaltung mit geraden Abschnitten nicht offenbart. Jedoch beziehen sich die Figuren 7 und 8 erkennbar nicht speziell auf Anspruch 14. Dies zeigen schon die Bemerkungen auf Seite 8 der ursprünglichen Anmeldung (Zeilen 2 bis 5). Diesen zufolge sind die Muster gemäß Figuren 7 und 8 ähnlich denen der in Figur 2 gezeigten, außer dass sie über mehr horizontale Mäandermuster verfügen. Dementsprechend bezieht sich Anspruch 14 der ursprünglichen Anmeldung nicht ausschließlich auf die Figuren 7 und 8, weshalb der Fachmann zum Verständnis des in diesem Anspruch beanspruchten Gegenstands auch die übrigen Figuren samt der dazugehörigen Beschreibung heranziehen wird. Dies wiederum impliziert, dass er der ursprünglichen Anmeldung auch eine Ausgestaltung mit geraden Abschnitten entnimmt. Die Ergänzung in Merkmal 2D1 stellt somit keine unzulässige Erweiterung dar.

c) Eine unzulässige Erweiterung ist hingegen durch das Merkmal 2D2 i. V. m. dem Merkmal 2D1 gegeben, wonach die geraden Abschnitte mit ersten und zweiten Schlaufen abwechseln. In Anspruch 14 der ursprünglichen Anmeldung sollte ein Stent mit einer geraden Anzahl sich abwechselnder erster und zweiter Schlaufen geschützt werden. Nach Anspruch 2 gem. Hilfsantrag I (und gem. Streitpatentschrift) wechseln sich gem. den Merkmalen 2D1 und 2D2 die geraden Abschnitte mit ersten und zweiten Schlaufen ab.

Zudem verzichtet Patentanspruch 2 auf das im ursprünglichen Anspruch 14 enthaltene Merkmal "eine gerade Anzahl erster und zweiter Schlaufen" ("an even number of ... first and second loops"). Die nunmehrige Formulierung lässt jede beliebige Anzahl der ersten und zweiten Schlaufen innerhalb einer Zelle zu. Gefordert wird lediglich, dass sich an den Enden der geraden Abschnitte erste bzw. zweite Schlaufen befinden. Wieviele dieser ersten bzw. zweiten Schlaufen jeweils vorhanden sein müssen, ist nicht gesagt. In den gesamten Anmeldungsunterlagen ist dagegen nur eine gerade Anzahl von ersten und zweiten Schlaufen innerhalb einer Zelle ursprünglich offenbart.

Durch diese Änderungen gegenüber der ursprünglichen Offenbarung werden nunmehr Gegenstände beansprucht, die von der Anmeldung nicht erfasst waren. So kann eine Zelle nun auch eine ungerade Anzahl von ersten und zweiten Schlaufen enthalten und ein gerader Abschnitt zwischen mehreren ersten oder zweiten Schlaufen angeordnet sein, da sich die ersten und zweiten Schlaufen nicht notwendigerweise abwechseln müssen.

Aus diesem Grund kann die Fassung des Patentanspruchs 2 gem. Hilfsantrag I keine Grundlage für eine Klageabweisung bieten.

IV.

1. In der Fassung des Patentanspruchs 2 gem. Hilfsantrag II wird den genannten Bedenken bzgl. der unzulässigen Erweiterung dadurch Rechnung getragen, dass zusätzlich zu den bereits durch Hilfsantrag I vorgenommenen Änderungen -festgelegt wird, dass die ersten und zweiten Schlaufen, mit denen sich gem. Merkmalen 2D1 und 2D2 die geraden Abschnitte abwechseln, in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln. Die dadurch bewirkte Präzisierung stellt eine bloße Beschränkung gegenüber dem Anspruch gem. erteiltem Patent bzw. gem. Streitpatentschrift dar, die auch durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt und daher zulässig ist. So ist im Anspruch 14 der ursprünglichen Unterlagen angegeben, dass jede Zelle eine gerade Anzahl sich abwechselnder erster und zweiter Schlaufen aufweist.

Unschädlich ist, dass es nach der Formulierung des Hilfsantrags II nicht ausgeschlossen ist, dass die mit geraden Abschnitten abwechselnd vorhandenen ersten und zweiten Schlaufen nicht nur einzeln, sondern auch mehrfach vorhanden sein können. Entscheidend ist also nicht, dass sich nach einer Schlaufe stets wieder ein gerader Abschnitt befindet, sondern dass sich auch eine weitere Schlaufe anschließen kann, sofern es nur eine Schlaufe derselben (ersten bzw. zweiten) Art ist. Dies steht im Einklang mit der Formulierung des Anspruchs 14 der ursprünglichen Anmeldung und auch den in den Figuren gezeigten Ausführungsbeispielen und stellt somit keine unzulässige Erweiterung dar.

2. Dennoch kann Patentanspruch 2 auch in der Fassung des Hilfsantrags II nicht aufrechterhalten werden, weil sein Gegenstand durch die nachveröffentlichte und gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 PatG zu berücksichtigende Druckschrift (BR6) neuheitsschädlich vorweggenommen wird. Die zu einer unzulässigen Erweiterung führende Einschränkung im Merkmal 2A, wonach der Gegenstand des Anspruchs 2 auf nicht selbstexpandierende Stents beschränkt werden soll, bleibt bei der Prüfung auf Patentfähigkeit außer Betracht (vgl. die Ausführungen unter III. 2. a) zum Hilfsantrag 1).

Die genannte Schrift zeigt einen ballonexpandierbaren, rohrförmigen Stent, der in ein Blutgefäß im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist (vgl. die Figuren 11a und 11b und die Beschreibung auf Seite 4, Zeilen 14 bis 24 und Seite 12, Zeilen 11 bis 16) [= Merkmale 2A und 2B], mit einer Struktur aus geschlossenen Zellen. In Figur 11a ist eine solche Zelle durch schraffierte und dunkel gefärbte Bereiche gekennzeichnet. Die Struktur des Stents weist eine Vielzahl dieser Zellen auf, die aneinander grenzen und somit benachbart und verbunden sind [= Merkmal 2C]. Jede dieser Zellen weist in Umfangsrichtung des Stents verlaufende Schlaufen (= erste Schlaufen) und in Längsrichtung angeordnete Schlaufen (= zweite Schlaufen) auf. In einer geschlossenen Zelle befinden sich jeweils zehn in Umfangsrichtung und zwei in Längsrichtung angeordnete Schlaufen (= gerade Anzahl von ersten und zweiten Schlaufen) fester Länge.

Figur 11a aus WO 95/31945 A1 (Schraffierung und dunkel gefärbte Bereiche hinzugefügt)

Wie in der Figur 11a zu erkennen ist, sind die in Form eines Ringes in Umfangsrichtung des Stents verlaufenden Schlaufen beabstandet zu den zwischen jeweils benachbarten Ringen in Längsrichtung angeordneten Schlaufen. Dieser Abstand ist auch notwendig, da sonst die in Umfangsrichtung und die in Längsrichtung angeordneten Schlaufen aneinanderstoßen würden, wodurch die für den Transport auf einem Ballonkatheter nötige Flexibilität des Stents nicht gegeben wäre. Durch diese Beabstandung ergibt sich jeweils ein (wenn auch sehr kurzer, gerader Abschnitt fester Länge (dunkel gefärbte Streifen in Fig. 11a) zwischen den in Umfangsrichtung und den in Längsrichtung angeordneten Schlaufen, der keiner der Schlaufen zugeordnet werden kann. Jede geschlossene Zelle weist dabei eine gerade Anzahl dieser Abschnitte auf [= Merkmale 2D bis 2D22]. Der Figur 11a ist auch zu entnehmen, dass jede Schlaufe aus genau zwei Schenkeln (= seitliche Abschnitte) besteht, die durch einen mittleren Abschnitt (= Biegungsbereich) verbunden sind [= Merkmal 2D23]. Die Schenkel jeder Schlaufe stehen im ausgedehnten Zustand des Stents (Figur 11b) in einem bestimmten Winkel zueinander und definieren somit für die in Umfangsrichtung verlaufenden Schlaufen (= erste Schlaufen) erste Winkel und für die in Längsrichtung angeordneten Schlaufen (= zweite Schlaufen) zweite Winkel [= Merkmal 2D24], deren Symmetrieachsen (= Winkelhalbierende) einen Winkel zueinander bilden [= Merkmal 2D25]. Somit sind alle Merkmale des Stents nach Anspruch 2 in der Fassung des Hilfsantrags II aus der Druckschrift BR6 bekannt. Keine Rolle spielt dabei, dass der in der Druckschrift BR6 beschriebene Stent auch Bereiche aufweist, die nicht der Zellenstruktur gem. den Merkmalen 2D bis 2D25 entsprechen.

V.

In der Fassung des Hilfsantrags III erweist sich der Gegenstand des Patentanspruchs 2 als patentfähig.

In dieser Fassung wurde -zusätzlich zu den in den Hilfsanträgen I und II vorgenommenen Änderungen -in den Merkmalen 2B und 2C präzisiert, dass der Stent aus einer Struktur "besteht" (d. h. nicht nur "mit" einer Struktur "versehen" ist), die ausschließlich aus den anspruchsgemäßen Zellen besteht. Somit ist ausgeschlossen, dass es in dem Stent neben diesen Zellen noch weitere Bereiche gibt.

Aus diesem Grund ist die Druckschrift BR6 nunmehr nicht mehr neuheitsschädlich, da diese einen Stent zeigt, der außer dem in der Figur 11a durch schraffierte und dunkel gefärbte Bereiche gekennzeichneten Zelltyp weitere geschlossene, nicht anspruchsgemäße Zellen aufweist. Diese weiteren Zellen werden durch die in Umfangsrichtung verlaufende Ringstruktur aus geschlossenen Schlaufen (= Zellen) gebildet.

Auch der übrige von den Klägerinnen genannte Stand der Technik ist nicht geeignet, die Patentfähigkeit des Anspruchsgegenstands gem. Hilfsantrag III in Frage zu stellen.

1.

Die Druckschrift BR5 zeigt einen Stent der aus Stentringen (cylindrical elements 12) besteht, die mittels gerader Stücke (interconnecting elements 13) miteinander verbunden sind (vgl. die Figur 4 mit Beschreibung ab Spalte 5, Zeile 57 bis Spalte 6, Zeile 23). Wie bspw. in der Figur 5 erkennbar ist, ergibt sich dadurch eine Struktur aus benachbarten, verbundenen, geschlossenen Zellen. Diese Zellen weisen jedoch entsprechend dem in Umfangsrichtung verlaufenden Mäandermuster ("undulating pattern, e.g. serpentine"; Spalte 2, Zeilen 28 bis 31) der Stentringe (12) nur erste Schlaufen mit der selben Orientierung auf, und keine zweiten Schlaufen mit einer anderen Orientierung der Symmetrieachsen. Zumindest die Merkmale 2D2, 2D24 und 2D25 des anspruchsgemäßen Stents sind somit nicht gegeben.

2.

Die nachveröffentlichte Druckschrift BR14 wäre auf Grund ihres Zeitrangs

(26. April 1995) lediglich im Falle einer unwirksamen Inanspruchnahme der Prioritäten der US-Patentanmeldung US 282181 vom 28. Juli 1994 durch das Streitpatent gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 PatG zu berücksichtigen. Der in dieser Druckschrift gezeigte Stent besitzt eine Struktur aus geschlossenen Zellen, die zwar in Umfangsrichtung (segments 102) und in Längsrichtung (connectors 124, kinks 128) angeordnete erste und zweite Schlaufen aufweisen (vgl. die Figuren 3A bis 3C mit Beschreibung ab Seite 9, Zeile 12 bis Seite 10, Zeile 7). Es sind aber keine geraden Abschnitte erkennbar, die nicht den Schlaufen zuzuordnen wären. So ist zumindest das Merkmal 2D1 des anspruchsgemäßen Stents nicht erfüllt. Außerdem besteht dieser Stent nicht ausschließlich aus solchen geschlossenen Zellen mit ersten und zweiten Schlaufen, wie in den Merkmalen 2B und 2C des Anspruchs 2 nach Hilfsantrag III gefordert, sondern er weist darüber hinaus weitere geschlossene Zellen ohne Schlaufen auf (diamond shaped cells 108), die durch die Netzstruktur (diamond mesh) der ringförmigen Stentsegmente (segments 102) gebildet sind (vgl. Seite 6, Zeilen 15 bis 19).

3.

Die ebenfalls nachveröffentlichte Druckschrift BR15 ist aufgrund ihres älteren Zeitrangs (Priorität der US-Anmeldung 222263 vom 1. April 1994) gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 PatG zu berücksichtigen. Aber auch der in dieser Druckschrift beschriebene Stent zeigt nicht alle Merkmale des anspruchsgemäßen Stents. So weist die in Figur 19 gezeigte Struktur zwar geschlossene Zellen mit durch ringförmige Segmente (ring portion 322) gebildeten ersten Schlaufen auf. Diese sind jedoch durchgerade Stücke (tie members 324) verbunden (vgl. Seite 39, Zeilen 10 bis 23). Auch die in den Figuren 23 und 24 dargestellten Strukturen bestehen aus ringförmigen Stentsegmenten (ring section 332, ring member 346) die durch gerade Abschnitte (tie members 334) miteinander verbunden sind. Geschlossene Zellen mit ersten und zweiten Schlaufen gemäß den Merkmalen 2D2, 2D24 und 2D25 sind nicht erkennbar.

4.

Aus der Druckschrift BR7 ist ein aus Draht gebildeter Stent bekannt (vgl. die Figur 2A mit Beschreibung in Spalte 4, Zeilen 15 bis 29). Dieser Stent ist aus einem in kleinen Schlaufen (bends, convolutions) verlaufenden Draht (tantalum wire) gefertigt (vgl. die Figur 4 mit Beschreibung in Spalte 4, Zeilen 29 bis 34). Dazu wird der Draht zu Schlingen (loops 50) gebogen, die mit axialen Drahtabschnitten (transverse runs 54) durch einen halben Schlag Drahtabschnitte (54) des Stentdrahtes verbunden sind. Die Schlingen (50) und die mit ihnen verbundenen axialen Drahtabschnitte (54) bilden zwar eine Struktur aus geschlossenen Zellen mit in Umfangsrichtung (= erste Schlaufen) und in Längsrichtung (= zweite Schlaufen) des Stents verlaufenden Schlaufen (bends, convolutions). Aber diese Zellen weisen keine geraden Abschnitte auf, welche mit ersten und zweiten Schlaufen abwechseln und die keiner der Schlaufen zuzuordnen sind (Merkmale 2D1 und 2D2), denn der Stent ist aus einem durchgehend in runden Schlaufen gebogenen Draht gefertigt (vgl. Figur 4). Die weitere in der Druckschrift BR7 in Spalte 4, Zeilen 9 bis 14 genannte Druckschrift US 5 019 090 (BR11) zeigt zwar, dass für solche Stents auch ein Draht mit eckig gebogenen Schlaufen verwendet werden kann (vgl. Figur 7). Aber auch ein solcher Draht mit eckigen Schlaufen weist ebenfalls keine geraden Stücke auf, die keiner der Schlaufen zuzuordnen sind. Darüber hinaus ist der in der Druckschrift BR7 gezeigte Stent mit einem in eckigen Schlaufen gebogenen Draht schwieriger zu fertigen als mit einem Draht mit runden Schlaufen. Denn die dort gezeigte Verbindung der Schlingen (50) mit den axialen Drahtabschnitten (54) durch einen halben Schlag kann in einfacher Weise durch eine einzelne runde Schlaufe gebildet werden. Ein Verrutschen des Stentdrahtes an dieser Verbindungsstelle wird dadurch eher vermieden als es bei einem in eckigen Schlaufen gebogenen Stentdraht der Fall wäre. Der Fachmann wird daher keinen in eckigen Schlaufen gebogenen Stentdraht für die Fertigung des in der BR7 gezeigten Stents in Betracht ziehen.

5.

Auch eine Zusammenschau der vorveröffentlichten Druckschriften BR5 und BR7 (BR11) führt den Fachmann nicht zum anspruchsgemäßen Stent. Für den Fachmann besteht kein Anlass, bei dem in der BR5 gezeigten Stent die die Stentringe (cylindrical elements 12) verbindenden geraden Stücke (interconecting elements 13) durch Schlaufen zu ersetzen. Diese geraden Stücke (13) sollen vorzugsweise benachbarte Stentringe (12) verbinden, bei denen die Schlaufen des Mäandermusters ("undulating pattern, e.g. serpentine"; Spalte 2, Zeilen 28 bis 31) gleichphasig zueinander angeordnet sind (Figur 5). Dadurch soll eine Verkürzung des Stents bei radialer Ausdehnung vermieden werden (Spalte 3, Zeilen 10 bis 15). Es besteht daher gar keine Notwendigkeit, benachbarte Stentringe (12) durch Schlaufen zu verbinden.

Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen weiter ab und können weder einzeln noch in Zusammenschau mit den anderen Druckschriften die Patentfähigkeit des Patentanspruch 2 in der Fassung des Hilfsantrags III in Frage stellen.

VI.

Patentanspruch 2 erweist sich somit in der Fassung des Hilfsantrags III als bestandsfähig. Die Patentansprüche 3 bis 5 werden von ihm mit getragen.

Die Nichtigkeitsklage war somit abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der Fassung gem. Hilfsantrag III richtet.

Unberührt von der durch dieses Urteil vorgenommenen Beschränkung des Streitpatents bleiben dessen nicht angegriffener Patentanspruch 1 sowie die Patentansprüche 3 bis 5, soweit diese unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind.

VII.

Der in der mündlichen Verhandlung verkündete Urteilstenor ist insoweit fehlerhaft, als danach das Streitpatent nicht in der Fassung des Hilfsantrags III, sondern in der Fassung des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ebenfalls überreichten Hilfsantrags IV zu Grunde gelegt wurde. Dieser Fehler wurde von den Senatsmitgliedern und -weil er im Widerspruch zu den vorangegangenen verfahrensleitenden Hinweisen des Vorsitzenden stand -auch von den Parteivertretern sogleich bemerkt. Es handelt sich insoweit um eine offenbare Unrichtigkeiti. S. d. § 95 Abs. 1 PatG, die gemäß dieser Vorschrift zu berichtigen ist (vgl. Busse/Keukenschrijver/Schuster, PatG, 6. Aufl., § 95 Rdnr. 4). Das Gleiche gilt für die Bezugnahme in der Urteilsformel auf die Patentansprüche 3 bis 5 in der Fassung des erteilten Patents. Weil sich die Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent in der Fassung der Streitpatentschrift DE 195 49 520 C9 richtet, handelt es sich auch insoweit um eine offensichtliche Unrichtigkeit.

VIII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Rauch Friehe Bernhart Maile Veit Pr






BPatG:
Urteil v. 16.12.2010
Az: 4 Ni 43/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/391355df47f1/BPatG_Urteil_vom_16-Dezember-2010_Az_4-Ni-43-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share