Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 6. April 2011
Aktenzeichen: I-26 W 2/06 (AktE)

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 06.04.2011, Az.: I-26 W 2/06 (AktE))

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsteller zu 1, 3, 4, 5, 8, 10-13 und 15-18 wird der am 26. August 1998 verkündete Beschluss der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 91 O 165/94 - abgeändert:

a) Die angemessene Ausgleichszahlung gem. § 304 Abs. 1 AktG aus dem zwischen den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 am 8. Juni 1994 geschlossenen Beherrschungsvertrag wird wie folgt festgesetzt:

für auf den Inhaber lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM auf 1.669,23 DM (= 853,46 €),

für auf den Inhaber lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM auf 166,92 DM (= 85,34 €),

für auf den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM auf 1.669,23 DM (= 853,46 €),

für auf den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM auf 166,92 DM (= 85,34 €),

für auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennbetrag von je 50 DM auf 83,80 DM (= 42,85 €).

b) Der angemessene Abfindungsbetrag gem. § 305 Abs. 1 AktG aus dem zwischen den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 am 8. Juni 1994 geschlossenen Beherrschungsvertrag wird wie folgt festgesetzt:

für auf den Inhaber lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM auf 36.607,20 DM (= 18.716,96 €),

für auf den Inhaber lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM auf 3.660,72 DM (= 1.871,70 €),

für auf den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM auf 36.607,20 DM (= 18.716,96 €),

für auf den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM auf 3.660,72 DM (= 1.871,70 €),

für auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennbetrag von je 50 DM auf 1.830,36 DM (= 935,85 €).

Die Beschwerde der Antragsgegnerinnen und die weitergehenden Beschwerden werden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerinnen tragen die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens, die den Antragstellern im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen sowie die Vergütung und Auslagen der gemeinsamen Vertreter der außenstehenden Aktionäre im Beschwerdeverfahren.

Der Geschäftswert für die Beschwerdeinstanz wird auf € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Antragsteller sind Aktionäre der Beteiligten zu 19), der C., früher: A..

Die Antragsgegnerinnen schlossen am 08. Juni 1994 einen Beherrschungsvertrag, mit dem sich die A. der Leitung der D. (heute: E.) unterstellte. Die Hauptversammlung der A. hat dem Vertrag am 15. Juni 1994 zugestimmt.

Gestützt auf Gutachten der F. sah § 3 des Vertrages für die außenstehenden Aktionäre der A. als angemessenen Ausgleich einen Gewinnanteil von mindestens 113,5% des Nennbetrages der Stammaktien und 115,5% des Nennbetrages der Vorzugsaktien für jedes Geschäftsjahr vor. Nach § 4 verpflichtete sich die D., auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine Barabfindung von 2.630% des Nennbetrages je Vorzugsaktie zu erwerben.

Die Antragsteller halten diese vertraglichen Leistungen für unzureichend und haben daher einen Antrag auf gerichtliche Bestimmung des angemessenen Ausgleichs und der angemessenen Abfindung gestellt.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht, den Ausführungen des Sachverständigen G. in vollem Umfang folgend, den Unternehmenswert der A. auf 1.885 Mio. DM mit Kosteneinsparungspotential im Wert von 166 Mio. DM und einem Wert ihrer Töchter von 949 Mio. DM geschätzt. Davon ausgehend hat es den angemessenen Ausgleich auf 1.256,14 DM je Aktie im Nennwert von 1.000 DM, auf 125,61 DM je Aktie zum Nennwert von 100 DM und auf 63,81 DM für die auf den Inhaber lautende Vorzugsaktie ohne Stimmrecht im Nennbetrag von 50 DM sowie die angemessene Barabfindung auf 28.457 DM je Aktie im Nennwert von 1.000 DM, 2.846 DM je Aktie im Nennwert von 100 DM und auf 1.423 DM je Vorzugsaktie ohne Stimmrecht im Nennbetrag von 50 DM festgesetzt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. GA) Bezug genommen.

Hiergegen richten sich die fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden der Beteiligten zu 1), 3), 4), 10), 11), 12), 15), 16) 17), 18), 19) und 20) sowie die unselbständigen Anschlussbeschwerden der Beteiligten zu 5), 8) und 13).

Die Beschwerden der Antragsteller haben sich, soweit sie ihre Beschwerden überhaupt näher begründet haben, gegen den von dem Sachverständigen angesetzten Kapitalisierungszinssatz gerichtet. Sie haben kritisiert, dass der Sachverständige bei der für die Zukunft zu erwartenden Zinshöhe auf den abgelaufenen Zehnjahreszeitraum abgestellt habe, nicht dagegen auf die Durchschnittswerte für festverzinsliche Wertpapiere am Stichtag. Auch ein Risikozuschlag sei nicht begründet. Die mit dem Versicherungsgeschäft verbundenen Risiken seien bereits durch die Anlage versicherungstechnischer und nicht versicherungstechnischer Rückstellungen abgedeckt. Ein Risikozuschlag bei einem Versicherungsunternehmen sei nicht angemessen, weil es seine Erträge im Wesentlichen aus Vermögensanlagen erziele.

Sie haben weiter beanstandet, das Landgericht sei - ebenso wie der Sachverständige - davon ausgegangen, dass eine gesonderte Bewertung stiller Reserven und nicht betriebsnotwendigem Vermögen nicht veranlasst gewesen sei. 50% der Rückstellungen stellten jedoch mehr oder minder unversteuerte Gewinne dar. Die Auflösung dieser Rücklagen sei ohne weiteres möglich. Der Sachverständige habe keine detaillierte Aufstellung über das umfangreiche Kapitalvermögen der A. vorgelegt. Er habe lediglich vier Beteiligungen einer Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse seien jedoch nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Beteiligungen kritisieren sie insbesondere die Bewertung der B.ischen Rückversicherungsgesellschaft, der H. und der I..

Da der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht die Unstimmigkeiten seines Gutachtens nicht habe ausräumen können, haben sie mehrheitlich beantragt,

ein neues Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Notwendigkeit der Neubewertung ergebe sich insbesondere vor dem Hintergrund der von der J. im Rahmen der Verschmelzung der Antragsgegnerinnen erstellten Stellungnahme. Diese komme zu dem Ergebnis, dass die Investments zum vollen Marktwert, incl. der stillen Reserven zu verzinsen seien. Ausgehend davon habe die Beteiligte zu 20) ein Barabfindungsangebot von 4.045,17 DM unterbreitet. Dieses komme dem tatsächlichen Wert der A. zum Stichtag 1994 deutlich näher.

Außerdem haben die außenstehenden Aktionäre bereits in erster Instanz beanstandet, dass das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen offenbar auf dem von den Antragsgegnerinnen eingeholten Privatgutachten aufbaue. Dieses aber hätten weder die übrigen Verfahrensbeteiligten noch das Gericht vollständig erhalten. Ein Großteil der Zahlen sei abgedeckt gewesen. Die Bewertung habe daher nicht nachvollzogen werden können. Dennoch habe das Gericht seine Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen gestützt.

Die Antragsgegnerinnen haben sich gegen den Beschluss insoweit gewandt, als das Landgericht dem Sachverständigen darin gefolgt ist, einen Inflationsabschlag von 0,5 % anzunehmen. Ein Inflationsabschlag sei nur gerechtfertigt, wenn sich das Inflationsrisiko bei einer Anlage in festverzinslichen Wertpapieren stärker auswirke als in der konkret zu bewertenden Unternehmensbeteiligung. Diese Voraussetzung sei bei Versicherungsunternehmen in der Regel nicht gegeben. Das positive Gesamtergebnis stamme nur aus dem nichtversicherungstechnischen Ergebnis. Ein Inflationsabschlag rechtfertige sich aber nicht aus der Struktur der Kapitalanlagen. Diese unterlägen in gleichem Umfang der Inflation wie die zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes herangezogenen öffentlichen Anleihen. Die Anteile an verbundenen Unternehmen seien gesondert bewertet worden. Grundstücke und Gebäude würden zu einem nicht unerheblichen Teil für eigene Zwecke genutzt.

Mit Beweisbeschluss vom 18. April 2001 sind die Sachverständigen K. und L. beauftragt worden, ein neues Gutachten über die Angemessenheit des zu gewährenden Ausgleichs und der Barabfindung zu erstellen. Unter dem 16. Dezember 2004 haben sie ihr (erstes) Gutachten vorgelegt, wobei sie zum Stichtag 15. Juni 1994 zu einem Unternehmenswert von 2.802,68 Mio. DM gelangt sind.

Im weiteren Verfahrensverlauf haben die Sachverständigen ihre in diesem Gutachten getroffenen gutachterlichen Beurteilungen und Berechnungen auf die Einwendungen der Antragsgegnerinnen in einigen Teilbereichen geändert und unter dem 28. Dezember 2005, 12. März 2007, 2. Januar und 20. Juni 2008 eingehend Stellung u.a. zu den Fragenkomplexen ‚Behandlung der Nachverrechnungsbeiträge der Transportversicherung‘, von ‚stillen Reserven in den eigengenutzten Grundstücken‘ sowie der ‚Steuerbelastung auf der Ebene der M.‘ genommen, zu denen die Antragsgegnerinnen mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2007 drei gutachterliche Stellungnahmen vorgelegt hatten. Zuletzt hat der Senat den Sachverständigen aufgegeben, ihr unter dem 2. Januar 2008 erstelltes Bewertungsgutachten vor dem Hintergrund der gutachterlichen Stellungnahme des weiter hinzugezogenen Versicherungswirtschaftlers N. noch in einzelnen Punkten zu korrigieren. Dieses Nachtragsgutachten haben sie unter dem 19. Februar 2010 eingereicht; über die neuerlichen Einwendungen der Antragsgegnerinnen hiergegen und alle weiteren offenen Fragestellungen hat der Senat am 9. März 2011 unter Anhörung der Gutachter verhandelt.

B.

Die sofortigen Beschwerden der Beteiligten zu 1), 3), 4), 10), 11), 12), 15), 16), 17), 18), 19) und 20) sind gemäß §§ 306 Abs.2, 99 Abs.3 Satz 2 und 4 AktG, 22 FGG a.F. zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt worden sind. Soweit die Beschwerden der Beteiligten zu 5), 8) und 13) erst nach Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 22 Abs.1 FGG a.F. eingelegt worden sind, sind sie als unselbständige Anschlussbeschwerden zulässig (BGHZ 71, 314).

In der Sache haben indessen nur die Rechtsmittel der Antragsteller Erfolg und führen zur Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Sachverständigen K. und L. sowie des weiteren Sachverständigen N. hat der Senat auf der Grundlage der gutachterlichen Stellungnahmen, soweit diese für nachvollziehbar und überzeugend erachtet werden können, im Wege der Schätzung die angemessene Ausgleichszahlung nach § 304 Abs. 1 AktG und die angemessene Abfindungszahlung nach § 305 Abs. 1 AktG bestimmt. Sie liegen deutlich über den im Beherrschungsvertrag vom 8. Juni 1994 und im landgerichtlichen Beschluss festgesetzten Zahlungen.

I.

1. Gemäß § 305 Abs. 1 AktG muss ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag die Verpflichtung des anderen Vertragsteils enthalten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben. Die angemessene Barabfindung (§ 305 Abs. 2 Nr.3 AktG) muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen (§ 305 Absatz 3 Satz 2 AktG). Maßgeblicher Stichtag ist hier daher der 15. Juni 1994.

Angemessen ist eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist, die also dem "wirklichen" oder "wahren Wert" seiner Beteiligung an dem lebenden Unternehmen seiner Gesellschaft unter Einschluss namentlich der stillen Reserven entspricht (BVerfG NZG 2007, 587; WM 2007, 2114; 1520, 1521; AG 2007, 483; BVerfGE 14, 263, 284; 100, 289, 304; BGH BGHZ 153, 47, 54 ff.; AG 2003, 627, 628; Senat AG 2007, 128, 129; MünchKomm AktG/Paulsen, 3. A., 2010, Rdn. 7 ff. zu § 305; Hüffer, AktG, 9. A., Rdn. 8 zu § 305).

2. Die in zweiter Instanz vom Gericht bestellten Sachverständigen, deren gutachterliche Stellungnahmen, insbesondere die vom 2. Januar 2008 in der Fassung vom 19. Februar 2010, Grundlage für die Schätzung des Senats sind, sind bei der Bewertung der A. von der Ertragswertmethode ausgegangen und haben die fiktive Entwicklung des Unternehmens bei der Fortführung als selbständige Einheit erfasst.

Dies ist nicht zu beanstanden.

Eine bestimmte Methode zur Ermittlung der angemessenen Abfindung ist allerdings rechtlich nicht vorgeschrieben. In Rechtsprechung und Schrifttum ist die von den Sachverständigen verwandte Ertragswertmethode anerkannt (BVerfG ZIP 2007, 1600 f.; BVerfGE 100, 289, 307; BGHZ 156, 57 ff. = AG 2003, 627, 628; MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 80 f. zu § 305). Nach ihr bestimmt sich der Unternehmenswert primär nach dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens, ergänzt um die gesonderte Bewertung von Beteiligungen und des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, das zum Liquidationswert angesetzt wird. Der Ertragswert des Unternehmens ist der Unternehmenswert, der durch Diskontierung der den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse, die aus den künftigen handelsrechtlichen Erfolgen abgeleitet wird, gewonnen wird (vgl. IDW S1 Tz. 111). Die zu erwartenden Gewinne können naturgemäß nur aus einer ex ante-Betrachtung des maßgeblichen Stichtages, d.h. des Zeitpunkts der Beschlussfassung der Gesellschaft über den Unternehmensvertrag, geschätzt werden. Grundlage der Schätzung sind hierbei in der Regel die früheren Erträge der Gesellschaft in den vergangenen drei bis fünf Jahren. Diese werden in der Zukunft fortgeschrieben, wobei bei der Prognose der zukünftigen Erträge nur solche positiven und negativen Entwicklungen berücksichtigt werden dürfen, die in dem fraglichen Zeitraum zumindest in ihrem Kern, also "in der Wurzel", bereits angelegt und damit am Bewertungsstichtag absehbar waren (so gen. Wurzeltheorie, vgl. nur: MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 90 zu § 304; Rdn. 84 zu § 305). Für die Gerichte bedeutet dies in einem u.U. - wie hier - langjährigen Spruchverfahren, dass die Ertragsaussichten der abhängigen Gesellschaft rückblickend von einem längst vergangenem Zeitraum aus zu beurteilen und zwischenzeitliche Entwicklungen auszublenden sind, sofern sie nicht schon im Ansatz angelegt waren (BGH NZG 1998, 379, 380). Für eine expost-Betrachtung ist also kein Raum.

Bei der gerichtlichen Bewertung der den Unternehmenswert ermittelnden Gutachten ist zu berücksichtigen, dass sie nach ihren zugrunde liegenden Erkenntnismöglichkeiten nicht in der Lage sein können, einen mathematisch "exakten" oder "wahren" Unternehmenswert am Stichtag festzustellen, denn sie beruhen auf unsicheren Prognosen und Bewertungen, die durchaus auch anders ausfallen könnten. Aufgabe des Gerichts ist es daher, unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Methoden den Unternehmenswert, der Grundlage für die Abfindung ist, im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu bestimmen (BGHZ 147, 108, 116; OLG Stuttgart ZIP 2004, 712, 714; OLG München BB 2007, 2395 ff; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. A., Rdn. 53 zu § 305.). Da auch das gutachtliche Ergebnis letztlich nur eine Schätzung des Unternehmenswerts darstellt, müssen es die Verfahrensbeteiligten hinnehmen, dass es eine Bandbreite von unterschiedlichen Werten als angemessene Abfindung gibt und das erkennende Gericht unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände hieraus einen Wert festsetzt. Dabei muss das Gericht von seinem Schätzungsermessen auch Gebrauch machen, um eine verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbare extrem lange Verfahrensdauer zu vermeiden (OLG Stuttgart, ZIP 2004, 712, 717; BayObLG AG 2006, 41, 42; MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 78 zu § 305). Sinn und Zweck des § 287 Abs. 2 ZPO ist es gerade, einen unverhältnismäßig großen Prozessaufwand, der durch Einholung zeit- und kostenintensiver Sachverständigengutachten entstehen kann, zu vermeiden und so die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern (s. nur: Zöller, ZPO, 28. A., Rdn. 1 zu § 287). Vor diesem Hintergrund hält der Senat es in Anbetracht des Umstands, dass das vorliegende Verfahren bereits seit 1994 anhängig ist, nicht nur für vertretbar, sondern für geboten, von seinem richterlichen Schätzungsermessen in der Weise Gebrauch zu machen, dass er auf der Basis der vorhandenen Schätzungsgrundlagen entscheidet und von dem zeit- und kostenintensiven Versuch einer durchaus möglichen weiteren Klärung der betriebswirtschaftlichen Fragestellungen absieht.

3. Der Senat schätzt den Unternehmenswert der Gesellschaft A. zum Stichtag auf 2.425,19 Mio. DM.

Die Schätzung des Senats beruht auf der u.a. nach den Vorgaben des Senats korrigierten gutachterlichen Bewertung der in zweiter Instanz bestellten Gutachter, insbesondere ihres Ergänzungsgutachtens vom 2. Januar 2008 in seiner korrigierten Fassung vom 19. Februar 2010, das die gerichtlichen Sachverständigen nicht nur schriftlich, sondern den Beteiligten auch in der Senatssitzung vom 9. März 2011 ergänzend erläutert haben, wie schließlich auch auf den gutachterlichen Stellungnahmen des weiter hinzugezogenen Versicherungswirtschaftlers N., die ebenfalls in der Senatssitzung vom 9. März 2011 mit ihm noch erörtert worden sind. Auf dieser Basis ist der Senat in der Lage, über die entscheidungserheblichen Bewertungsfragen zu befinden und den Unternehmenswert zu schätzen. Der Senat sieht keinen Anlass, ein weiteres zeit- und kostenaufwändiges Bewertungsgutachten einzuholen. Insbesondere hat er keinen Anlass, an der fachlichen Eignung und der Neutralität der gerichtlichen Sachverständigen K. und L. zu zweifeln. Die insoweit von den Antragsgegnerinnen erhobenen Vorwürfe liegen neben der Sache. Die Sachverständigen haben sich durchweg bemüht, mit Hilfe der vorhandenen Unterlagen und der wissenschaftlich zur Verfügung stehenden Methoden möglichst präzise und detailliert einen objektivierten Unternehmenswert zu ermitteln, wobei sie sich eingehend mit den Einwendungen der sachverständig beratenen Antragsgegnerinnen auseinandergesetzt und diese auch zum Anlass genommen haben, ihre Bewertung in den von ihnen für berechtigt gehaltenen Punkten zu korrigieren. Ihre Vorgehensweise ist - wie der vom Senat weiter hinzugezogene Versicherungswirtschaftler N. bestätigt hat - plausibel und sehr wohl gut vertretbar.

Das so geschätzte Unternehmensergebnis hat der Senat mit den Sachverständigen aus den nachfolgenden Einzelwerten hergeleitet:

A.

(ohne Synergieeffekte) 1.218,15 Mio. DM

Barwert der Synergieeffekte 154,23 Mio. DM

1.372,38 Mio. DM

gesondert bewertete Unternehmen:

Versicherungsgesellschaften

O. (inkl. Bausparkasse) 402,58 Mio. DM

P. 290,07 Mio. DM

H. 23,00 Mio. DM

I. 318,73 Mio. DM

1.034,38 Mio. DM

Wertanpassungen für die übrigen

Unternehmensbeteiligungen

Q. 12,99 Mio. DM

R. 5,44 Mio. DM

18,34 Mio. DM

2.425,19 Mio. DM

4. Der Schätzung des Unternehmenswerts der A. (ohne gesondert bewertete Unternehmen) liegt die unter dem 19. Februar 2010 vorgelegte Schätzung der Sachverständigen gemäß Anlage zugrunde, die zu folgenden entziehbaren Ertragsüberschüssen gelangt:

. . .

Zu den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen der Sachverständigen und den letztlich dagegen noch vorgebrachten Einwendungen, insbesondere von Seiten der Antragsgegnerinnen, gilt Folgendes:

4.1. Hinsichtlich der Ertragsprognosen sieht der Senat die Annahmen der Gutachter, wie sie letztlich auf Vorgabe des Senats in dem Nachtragsgutachten Ausdruck gefunden haben, als taugliche Grundlage für seine Schätzung an. Dabei folgt der Senat den Sachverständigen insbesondere soweit sie die Planungsprämissen der bewerteten A. im Bruttoschadenaufwand des Jahres 1994 um einen Sockelbetrag an stillen Reserven in den Schadenrückstellungen und im Kapitalanlagenergebnis korrigiert haben.

Die Sachverständigen haben bei ihrer Begutachtung den Besonderheiten der Versicherungswirtschaft angemessen Rechnung getragen. Bei der Bewertung eines Versicherungsunternehmens ist - wie die Sachverständigen nachvollziehbar ausgeführt haben - zu berücksichtigen, dass die Bereitstellung von Versicherungsschutz ein abstraktes kontinuierliches Schuldversprechen darstellt, wobei sich die Leistung bei Eintritt des Versicherungsfalles konkretisiert. Das Versicherungsgeschäft lässt sich gedanklich in Risiko-, Dienstleistungs- und Spar-/Entspargeschäfte unterteilen. Das Kapitalanlagegeschäft steht aufgrund der finanzwirtschaftlichen Besonderheiten (vorschlüssige Prämieneinzahlungen, nachschüssige Prämienauszahlungen) und der notwendigen Stellung von Sicherheitsmitteln in einem engen Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft, so dass daher auch von einer "Kuppelproduktion" gesprochen wird. Im Rahmen der Bewertung von Versicherungsunternehmen sind die verschiedenen Geschäftsbereiche und ihre Erfolgsquellen separat zu untersuchen. Bei der Analyse des Versicherungsgeschäfts sind die verschiedenen Versicherungszweige hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Risikostrukturen getrennt zu analysieren. Daher haben sie im Bereich der Schaden- und Unfallversicherungen die Vergangenheitsergebnisse und die Planungsrechnungen unter Berücksichtigung der Marktstellung, der Prognose der künftigen Prämien- und Schadenentwicklung sowie der Rückversicherungspolitik analysiert, wobei auch die Entwicklung der Kapitalanlagen eine bedeutende Rolle spielt.

4.2. Die Sachverständigen haben in die Ertragswertberechnung zunächst die nach ihrer Einschätzung bis zum 31.12.1993 in den Schadenrückstellungen vorhandenen stillen Reserven in einem Umfang von 50% als im Jahr 1994 ausschüttungsfähig mit einbezogen und im Übrigen die geplanten Schadenaufwendungen um eine von ihnen geschätzte Überdotierung der geplanten Schadenrückstellung, die zu weiteren Abwicklungsgewinnen führt, partiell vermindert. Diese ertragserhöhend wirkenden Korrekturen sind nicht zu beanstanden.

Besteht bei der zu bewertenden Gesellschaft eine Planungsrechnung, ist diese allerdings grundsätzlich der Zukunftsprognose der finanziellen Überschüsse in der Detailplanungsphase zu Grunde zu legen, denn in ihr kommen regelmäßig die Entwicklungen des Unternehmens zum Ausdruck, die am Stichtag schon "angelegt" sind. Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen müssen auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen und widerspruchsfreien Annahmen aufbauen (Senat, Beschluss vom 17.11.2008, I-26 W 6/08 AktE, S. 11f. BA; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.02.2008, 20 W 10/06; AG 2007, 596, 597; 705, 706; NZG 2007, 112, 114; AG 2006, 420, 425). Der sachverständige Bewerter muss daher die Plausibilität der Planungsrechnung beurteilen und sie dann, wenn sie sich als nicht plausibel erweist, durch eine sachgerechte Prognose ersetzen oder anpassen (Simon/Leverkus, SpruchG, Rdn. 76 ff., 81 zu Anh. § 11). Maßgeblich ist der Informationsstand, der bei angemessener Sorgfalt am Bewertungsstichtag bestanden haben könnte (so gen. Wurzeltheorie). Zum Bewertungsstichtag noch nicht eingeleitete Maßnahmen, nicht konkretisierte Investitionen, Ertragschancen oder Belastungen sind für die Prognose der erwarteten finanziellen Überschüsse unbeachtlich, sofern sie nicht bereits im Ansatz angelegt oder durch Dokumentation im Unternehmenskonzept hinreichend konkretisiert sind.

Bei Versicherungsunternehmen besteht indessen die Besonderheit, dass sich in der bilanziellen Position "Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle" (auch "Schadenrückstellung") - wie die Sachverständigen K. und L. ausgeführt haben und der Versicherungswirtschaftler N. bestätigt hat - stille Reserven auf unterschiedliche Weise bilden lassen. Ein zusätzliches Polster an stillen Reserven entsteht etwa, wenn die Reserven für noch aufzubringende Schadenregulierungsleistungen bei bekannten, aber noch nicht endgültig regulierten Schäden über den voraussichtlich auszuzahlenden Betrag hinaus angesetzt werden, was durchaus im Einklang mit dem im Versicherungsgeschäft geltenden Grundsatz der vorsichtigen Schätzung steht. Aus der Abwicklung der Rückstellungspositionen entstehen daher tendenziell in den folgenden Perioden Gewinne. Auch wenn diese zunächst nur Rückschlüsse auf die in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven zulassen, lassen sich - wie N. weiter bestätigt hat - auch Schlüsse über die aktuellen stillen Reserven treffen, soweit davon ausgegangen werden kann, dass die aktuelle Zuführung nach analogem Muster wie in der Vergangenheit erfolgt. So lasse sich im Ergebnis ein stetiger "Bodensatz" an stillen Reserven über die Perioden hinweg vorantragen.

Vor diesem Hintergrund haben die Sachverständigen zunächst mithilfe einer Vergangenheitsanalyse die zum 31.12.1993 vorhandenen stillen Reserven in den Schadenrückstellungen ermittelt und davon ausgehend, dass die aktuelle Zuführung zur Teilrückstellung nach analogem Muster erfolgt, auch die geplanten Rückstellungen korrigiert. In einem ersten Schritt haben sie die stillen Reserven in den Schadenrückstellungen der einzelnen Versicherungszweige in einem sehr komplexen und im Verlaufe des Verfahrens immer wieder von den Antragsgegnerinnen angegriffenen Verfahren näherungsweise wie folgt ermittelt:

4.2.1. Um die Schadenreserve und die darin enthaltenen stillen Reserven beurteilen zu können, haben sie zunächst - anhand der ihnen von Seiten der Antragsgegnerinnen zur Verfügung gestellten Unterlagen - die Abwicklungsergebnisse der Vergangenheit analysiert und sind zu dem für den Senat nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass ein erheblicher "Sockelbetrag" an stillen Reserven regelmäßig vorgetragen und kurzfristig nicht gewinnerhöhend realisiert wird. Die von ihnen dafür gewählte Vorgehensweise, der Vergleich der in den Geschäftsjahren 1991 - 1993 realisierten Abwicklungsgewinne aus der Vorjahres-Schadenrückstellung mit den Abwicklungsgewinnen aus den historischen Ursprungs- Schadenrückstellungen, ist - wie der von dem Senat hinzugezogene Versicherungswirtschaftler N. bestätigt hat - plausibel und lässt den Schluss darauf zu, dass im Rahmen der Neudotierung der Schadenrückstellungen stille Reserven gebildet wurden.

4.2.2. In einem weiteren Teilschritt haben sie sodann die stillen Reserven in den einzelnen Versicherungszweigen mittels eines statistischmathematischen Verfahrens, des "Chain-Ladder-Verfahrens" geschätzt. Wie N. in seiner gutachterlichen Stellungahme ausgeführt hat, lassen sich stille Reserven in Schadenrückstellungen schon prinzipiell nicht exakt quantifizieren, da die Schadenrückstellungen selbst auf Schätzungen zur Höhe der bereits eingetretenen, aber noch nicht regulierten Versicherungsfälle basieren. Grundlage dieser Schätzung sind zum einen die Schadenverläufe der Vergangenheit, zum anderen aber auch erwartete zukünftige Entwicklungen. Daher ist man auch bei der Ermittlung der in den Schadenrückstellungen enthaltenen stillen Reserven auf Schätzverfahren angewiesen. Das Anfang der 70-er Jahre entwickelte "Chain-Ladder-Verfahren" leitet aus der beobachteten Schadenabwicklung der Vergangenheit - den zu erstellenden Abwicklungsdreiecken, hier für die letzten acht Jahre - die Schadenreserve des Geschäftsjahres ab und unterstellt dabei ein konstant bleibendes Schadenverlaufsmuster. Ausgehend von den Schadenzahlungen haben sie so mit diesem Verfahren die zukünftig noch zu erwartenden Auszahlungen für die bis zum 31.12.1993 eingetretenen Versicherungsfälle (also die zu reservierende Soll-Reserve) prognostiziert und mit der tatsächlich bilanzierten Ist-Schadenreserve verglichen, der höhere Differenzbetrag stellt die nicht benötigte Schadenreserve, also die stille Reserve dar. Auch diese Vorgehensweise ist - wie der Versicherungswirtschaftler N. bestätigt hat - plausibel, da es sich bei dem "Chain-Ladder-Verfahren" um ein weit verbreitetes und anerkanntes Verfahren handelt. Zum 31.12.1993 waren danach stille Reserven in Höhe von geschätzt 574,408 Mio. DM vorhanden.

4.2.3. Dem Umstand, dass die Schätzung der stillen Reserven in den Schadenrückstellungen mit verschiedenen methoden- und umstandsinhärenten Unsicherheiten verbunden war, haben die Sachverständigen dadurch Rechnung getragen, dass sie von der von ihnen nachvollziehbar geschätzten Ist-Abweichung der anzupassenden Abwicklungsgewinne einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 50% vorgenommen und damit - nach Aufzinsung zum 31.12.1994 und Diskontierung zum Bewertungsstichtag - nur 312,33 Mio. DM zusätzlich als im Jahre 1994 entziehbaren Ertragsüberschuss in Ansatz gebracht haben.

Diesen Sicherheitsabschlag hält auch der Senat für sachgerecht und erforderlich, aber auch ausreichend. Er erfasst nicht nur die systemimmanenten Schwächen eines mathematischstatistischen Schätzverfahrens, das ein konstant bleibendes Schadenverlaufsmuster und damit bezüglich der Zeit ein stabiles Abwicklungsverhalten unterstellt, so dass Veränderungen in der Struktur des Schadensverlaufs nicht erfasst werden. Dies gilt allerdings gleichermaßen für intensivierte Schadeneintritte, die zu unzulänglichen Schadenreserven führen, wie auch für eine nachlassende Intensität der Schadenereignisse, aus denen die Bildung weiterer stiller Reserven resultiert. Neben diesen Zufalls- und Schwankungsrisiken und dem Informationsrisiko, das die in Zukunft auszuzahlenden Versicherungsleistungen betrifft, werden auch andere Unzulänglichkeiten, wie etwa die mangelnde Nachvollziehbarkeit der in der Planung vorgenommenen Umgliederungen erfasst. Im Übrigen ist das unternehmerische Risiko zusätzlich auch durch etwaige neu gelegte Reserven in dem - bei der Ermittlung und Auflösung - nicht berücksichtigten Zeitraum vom 1. Januar bis zum 15. Juni 1994 wie auch durch den mit 1,75% angemessenen Risikozuschlag im Rahmen des Kapitalisierungszinsfuß abgedeckt.

4.2.4. Des weiteren haben sie auch die für die Jahre 1994 - 1996 geplanten Schadenaufwendungen um die in den einzelnen Versicherungszweigen aufgelösten stillen Reserven korrigiert. Dabei haben sie zum einen eine relative Veränderung der stillen Reserven entsprechend den Beitragssteigerungen berücksichtigt. Zum anderen haben sie als Basis für die Korrektur der zukünftigen Schadenaufwendungen 1994 bis 1996 entsprechend der Vorgabe des Senats nicht weiter den Jahreswert 1993, sondern den Durchschnittswert der Auflösung stiller Reserven aus den letzten zwei bzw. drei Geschäftsjahren genommen. Damit ist der von den Antragsgegnerinnen erhobene Einwand, der Wert nur eines Jahres sei nicht frei von Zufälligkeiten und Unsicherheiten, ausgeräumt worden. Der vom Senat hinzugezogene Versicherungswirtschaftler N. hatte die vom Senat und den Gutachtern umgesetzte Empfehlung ausgesprochen, diese Schätzungen anhand eines Durchschnittswerts der letzten zwei oder drei Geschäftsjahre durchzuführen und die zukünftigen Schadenaufwendungen anhand dieser Durchschnittswerte zu korrigieren. Den Wert für die ewige Rente haben die Gutachter auf der Basis des Jahres 1996 konstant fortgeschrieben.

Dass die von den Sachverständigen gewählte und von den Antragsgegnerinnen in der Methodik wiederholt kritisierte Vorgehensweise der Sachverständigen durchaus vertretbar ist, um zukünftige stille Reserven in den Neuzuführungen abzuschätzen, hat der vom Senat hinzugezogene Versicherungswirtschaftler N. in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 2. März 2011 wie auch im Rahmen des Senatstermins vom 9. März 2011 bestätigt. Die Sachverständigen haben die Vorgabe, Durchschnitte zu betrachten, in nicht zu beanstandender Weise auf ihre gesamten Berechnungsschritte bezogen, und damit nicht den von den Antragsgegnerinnen geforderten absoluten Durchschnittswert der in der Vergangenheit gelegten stillen Reserven der Jahre 1992 und 1993 zugrundegelegt. Des Weiteren haben sie die zukünftige Beitragsentwicklung berücksichtigt. Diese rein fiktive Berechnung der zukünftigen Abwicklungsgewinne für die Jahre 1994 - 1996 unterliegt zwar gewissen Inkonsistenzen, die auch die Sachverständigen einräumen ( ). N. hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass diese schon angesichts der beschränkten Datenlage einfach in Kauf genommen werden müssen und sich zum anderen die Frage stellt, inwieweit sie überhaupt bewertungstechnisch ins Gewicht fallen. Zur Ermittlung der in den Schadenrückstellungen enthaltenen stillen Reserven und der zukünftigen Abwicklungsgewinne sind Annahmen und Schätzungen erforderlich. Dabei besteht grundsätzlich die Gefahr, aufgrund eines übermäßigen Detailreichtums "im Korsett der Annahmen" Scheingenauigkeiten zu erzeugen. Letztlich lässt sich daher nicht ausschließen, dass manche Details in den Berechnungsschritten der Sachverständigen K. und L. insgesamt zu einer geringfügig zu hohen Korrektur der zukünftigen Schadenaufwendungen führen. Sie können ebenso aber auch eine zu niedrige Korrektur zur Folge haben. Die Gutachter hatten daher auch an verschiedenen Stellen plausibel darauf hingewiesen, dass sie tendenziell vorsichtig korrigiert haben und mutmaßlich weitere stille Reserven vorhanden sein können ( ).

Die damit erforderlichen Korrekturen der Schadenaufwendungen für den Prognosezeitraum 1994 ff., die in einer Bandbreite von lediglich 1,5% bis 1,65% der nach der Prognose verdienten Jahresbeiträge liegen, schätzt der Senat mit den Gutachtern wie folgt:

. . .

4.3. Kapitalanlagen

Nicht zu beanstanden sind weiter die von den Gutachtern K. und L. geschätzten Erträge des Kapitalanlagebestands, deren Prognose sie ebenfalls überzeugend korrigiert haben, wobei sie die Vorgaben des Senats berücksichtigt haben. Auch insoweit folgt der Senat ihren in der Senatssitzung näher erläuterten Ausführungen in ihren Gutachten und Stellungnahmen, insbesondere auch zur nur einfachen Korrektur des Anlagebestands um nicht gebildete stille Reserven und der Berücksichtigung stiller Reserven in eigengenutzten Grundstücken.

4.3.1. Die Kapitalerträge sind in der Regel der Bereich, durch den der Ertragswert eines Versicherungsunternehmens wesentlich bestimmt wird, weshalb ihre Prognose mit besonderer Sorgfalt durchzuführen ist. Die vom Unternehmen erzielten Erträge sind einmal abhängig von der Höhe der Zinsträger, zum anderen von der erzielbaren Durchschnittsrendite. Zinsträger sind die am Bewertungsstichtag vorhandenen Kapitalanlagen. Diese stammen im wesentlichen aus der Bedeckung der versicherungstechnischen Passiva oder - anders ausgedrückt - aus der Zwischenanlage von Beiträgen und Zinsen, die erst in späteren Perioden ausgabewirksam werden, den Eigenmitteln sowie den nicht versicherungstechnischen Rückstellungen. Für Bewertungszwecke sind die Zinsträger ggfs. um solche Passivposten zu korrigieren, die in der Zukunft nicht ausgabewirksam werden. Unter der Prämisse der Vollausschüttung ist das Wachstum der Zinsträger in der Zukunft bestimmt durch die absolute Veränderung der versicherungstechnischen Passiva (Richter, Die Bewertung von Versicherungsunternehmen, Festschrift für Moxter, 1994, S. 1457, 1471).

4.3.2. Die Sachverständigen haben den für ihre Schätzung des Kapitalanlageergebnisses maßgeblichen Kapitalanlagebestand auf der Grundlage der Strategieplanung bestimmt. Da die Planung Beträge aus der Thesaurierung von Gewinnen berücksichtigt, die Ertragswertmethode indessen von der Vollausschüttung solcher Gewinne ausgeht, müssen die Kapitalanlagebestände um diese bereinigt werden, da sie sonst weiterhin als Zinsträger berücksichtigt werden.

Dementsprechend haben die Sachverständigen die Kapitalanlagebestände per 31.12.1994, 31.12.1995 und 31.12.1996 (letztlich) gekürzt um den zusätzlichen jährlichen Abwicklungsgewinn (s.o.), die jährliche Zuführung zur Schwankungsrückstellung, um die geplanten Thesaurierungen, um Buchwerte der Depotforderungen sowie gesondert und nicht gesondert bewerteter Unternehmen und schließlich weiter die Auflösung des Sockelbetrags stiller Reserven in den Schadenrückstellungen (s.o.) berücksichtigt. Dabei haben sie eine kumulierte Korrektur nur bei den geplanten Thesaurierungen und Schwankungsrückstellungs-Zuführungen vorgenommen, die von ihnen ermittelten zusätzlichen Abwicklungsgewinne indessen nur einfach berücksichtigt.

Die zusätzlichen Abwicklungsgewinne sind dabei nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen allein im Jahr des Anfalls als den Kapitalanlagebestand mindernd zu berücksichtigen. Die Annahme der Antragsgegnerinnen, sie müssten kumuliert, also jeweils auch bei dem Ausgangsbestand der Folgejahre in Abzug gebracht werden, geht fehl.

Wie auch N. in seiner Stellungnahme vom 2. März 2011 und im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin bestätigt hat, ist eine einfache Berichtigung des Kapitalanlagenbestands um nicht gebildete stille Reserven in den Schadenrückstellungen zukünftiger Perioden nicht zu beanstanden. Die Sachverständigen sind davon ausgegangen, dass die in der jährlichen Neuzuführung zur Schadenrückstellung enthaltenen stillen Reserven unmittelbar wieder herausgerechnet würden, also eine geringere Zuführung erfolge. Dann aber ergibt sich ein zu korrigierender Betrag nicht - wie die Antragsgegnerinnen fordern - aus dem permanenten Aufaddieren des Korrekturbetrags. Ein solches Vorgehen ließe unberücksichtigt, dass auch in der regulären bilanziellen Fortführung (und Bilanzplanung) eine Auflösung stiller Reserven stattfindet. Die Korrektur dürfte in den Folgejahren allenfalls mit den Beträgen erfolgen, die sich als Differenz zwischen dem Kapitalanlagebestand bei nicht korrigierter bilanzieller Fortführung und dem bei Fortführung nach Korrektur ergäbe. Eine solchermaßen exakte Vorgehensweise scheitert indessen an der damit verbundenen Komplexität und den fehlenden Daten über die Planung der Rückstellungsabwicklung, insbesondere zum jährlichen Abwicklungsvolumen oder der Abwicklungsgeschwindigkeit. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Korrekturen im hiesigen Fall nicht in der Phase des kompletten Neuaufbaus der Schadenrückstellung stattfänden, sondern zu großen Anteilen aus dem "eingeschwungenen Zustand" heraus vorzunehmen wären. Insgesamt ist daher der Verzicht auf eine "Kumulierung" aus Vereinfachungsgründen vertretbar, zumal sie jedenfalls nicht in der von den Antragsgegnerinnen geforderten Weise vorzunehmen wäre und auch nicht zu großen Abweichungen führen würde.

4.3.3. Ansatz von stillen Reserven in eigengenutzten Grundstücken

Die Gutachter K. und L. haben in ihrem Bewertungsansatz - durchaus vertretbar - nicht nach betriebsnotwendigen und nicht betriebsnotwendigem - und daher gesondert zu bewertendem - Vermögen differenziert, sondern sind davon ausgegangen, dass grundsätzlich sämtliche Kapitalanlagen von Versicherungsunternehmen betriebsnotwendiges Vermögen darstellen.

Die Sachverständigen haben daher in nicht weiter beanstandeter Weise stille Reserven in den von den Antragsgegnerinnen eigengenutzten Grundstücken in Ansatz gebracht, was ihren Angaben zufolge zu einem um 35,5 Mio. DM höheren Unternehmenswert führt. Die Antragsgegnerinnen nehmen dies hin, nachdem auch der vom Senat herangezogene Versicherungswirtschaftler N. diese Verfahrensweise als sachgerecht angesehen hat. Andernfalls könnten die in einem - eigengenutzten - Objekt vorhandenen stillen Reserven nicht im Wege des Ertragswertverfahrens berücksichtigt werden und würden so den antragstellenden Aktionären vorenthalten. Da jedoch im Falle der Liquidation eines Versicherungsunternehmens zum Bewertungszeitpunkt die stillen Reserven in den eigengenutzten Grundstücken vollständig realisiert werden würden, ist die Vorgehensweise der Sachverständigen plausibel. Im Übrigen könnten auch bei laufendem Versicherungsbetrieb in der Praxis stille Reserven bei eigengenutzten Objekten realisiert werden, wie die Sachverständigen an dem Beispiel Grundstück S. konkret verdeutlicht haben. Dieses ist im Jahre 1994 aus der Kategorie der eigengenutzten Grundstücken in die der fremdgenutzten Grundstücke umgegliedert worden, was bei einem Buchwertzugang von rund 530 TDM zu einem Verkehrswertzuwachs von rund 6,03 Mio. DM geführt hat. ( ).

N. hat hierzu zu bedenken gegeben, dass methodisch einwandfrei zwar nur eine Vorgehensweise sei, die kalkulatorische Mieterträge auf die stillen Reserven der eigengenutzten Grundstücke erhebe, gleichzeitig aber auch zusätzliche kalkulatorische Kosten berücksichtige, die aus einer hypothetischen Umwidmung der Grundstücke hinsichtlich ihrer Nutzung resultieren. Bei Saleandleaseback-Transaktionen wären dies die nach einem Verkauf anfallenden regelmäßigen Leasingzahlungen. Werde hingegen ein mögliches Ausweichen auf günstigere Flächen unterstellt, müssten die entsprechenden Aufwendungen für beispielsweise eine Standortverlagerung an die Peripherie einbezogen werden. Dann erfolge die Beteiligung der Aktionäre an den stillen Reserven anhand der wertmäßigen Differenz zwischen den kalkulatorischen Mieterträgen und den zusätzlichen kalkulatorischen Kosten.

Er stimmt den Sachverständigen indessen insoweit zu, als ein vollständiges Außerachtlassen der stillen Reserven die Partizipation der außenstehenden Aktionäre tatsächlich verhindern würde. Auch sei nur schwer begründbar, warum bei den eigengenutzten Grundstücken stille Reserven nicht berücksichtigt werden dürften, bei allen anderen Kapitalanlagen hingegen schon. Im Gegenzug sei ein methodisch korrektes Vorgehen mit zahlreichen Unsicherheiten hinsichtlich möglicher Wertansätze für die zusätzlichen kalkulatorischen Kosten verbunden, so dass insgesamt ein Einbezug der stillen Reserven in die Berechnung der Mieterträge ohne Abzüge vertretbar ist.

4.3.4. Für eine weitere pauschale Anhebung des Bestands der Kapitalanlagen in den Jahren 1994 - 1996 um 150 Mio. DM, die die Gutachter zunächst befürwortet und mit dem Abgleich der Ist-Zahlen aus den Jahren 1997 und 1998 begründet hatten, ist nach dem Ergebnis ihrer Anhörung kein Raum.

Die Sachverständigen haben im Senatstermin vom 9. März 2011 einräumen müssen, dass ihre Vergleichsrechnung fehlerhaft war, so dass sich der pauschale Ansatz weiterer 150 Mio. DM als stille Reserve nicht aufrechterhalten lasse. Damit kommt es nicht weiter darauf an, dass der von ihnen ursprünglich errechnete Wert jedenfalls um den Aktienkursanstieg in den Jahren 1995 bis 1998 hätte korrigiert werden müssen, weil es sich insoweit um eine Entwicklung handelt, die aus der maßgeblichen Sicht des Bewertungsstichtags nicht vorhersehbar war.

4.3.5. Etwaige stille Reserven im Kunstbestand der Antragsgegnerin zu 1) am Bewertungsstichtag konnten die Sachverständigen trotz der Anregung des Vertreters der außenstehenden Aktionäre für den Antrag nach § 304 AktG T. nicht berücksichtigen. Aus dem Kunstsammlungsbestand des Jahres 2001 konnten die Sachverständigen keine Rückschlüsse auf die Zeitwerte eines Kunstbestands am Bewertungsstichtag ziehen, da sich sowohl der Bestand nach Art, Künstler und Anzahl der Kunstwerke wesentlich von dem des Jahres 2001 unterscheiden kann, als auch die Preisverhältnisse angesichts des starken Aufschwungs zeitgenössischer Kunst nicht vergleichbar sind. Von daher hätte es noch Feststellungen zu Art und Menge der Kunstgegenstände am Bewertungsstichtag und der Festsetzung ihres Zeitwerts durch einen Kunstsachverständigen bedurft. Von derartigen detaillierten, zeit- und kostenintensiven Untersuchungen hat der Senat abgesehen, weil mit ihnen eine weitere, nicht mehr hinnehmbare Verzögerung des ohnehin schon langjährigen Spruchverfahrens verbunden gewesen wäre.

4.4. Die von den Sachverständigen geschätzten Erträge sind mit dem Kapitalisierungszins zu diskontieren. Dabei hält der Senat einen Kapitalisierungszinssatz in Höhe von 8,75% für die Phase I und von 8% für die Phase der ewigen Rente für geeignet, um eine angemessene Abfindung zu ermitteln. Dieser setzt sich zusammen aus dem Basiszinssatz von 7% und einem Risikozuschlag von 1,75% sowie einem in der Phase der ewigen Rente berücksichtigten Wachstumsabschlag von 0,75%.

Mit Hilfe des Kapitalisierungszinssatzes soll die Beziehung zwischen dem bewerteten Unternehmen und anderen Kapitalanlagemöglichkeiten hergestellt werden. Die an den ausscheidenden Aktionär zu zahlende Abfindung soll es ihm ermöglichen, durch anderweitige Anlage dieses Betrages den Ertrag zu erwirtschaften, der seinem Anteil an dem zu erwartenden Unternehmensgewinn entspricht, von dem er in Zukunft ausgeschlossen wird. Er setzt sich aus dem Basiszinssatz und verschiedenen Zu- und Abschlägen zusammen. Die Erträge werden als Verzinsung des eingesetzten Kapitals betrachtet. Es wird geprüft, welches Kapital bei der Anlage in langfristigen festverzinslichen Wertpapieren vermutlich dieselben Erträge erbrächte.

4.4.1. Der von den Sachverständigen angesetzte Basiszinssatz von 7% ist eine taugliche Schätzungsgrundlage, um zu einer angemessenen Abfindung zu gelangen.

Der Basiszinssatz bezieht sich auf die aus der Sicht des Stichtages auf Dauer erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen. Die mit Spruchverfahren befassten Senate des Oberlandesgerichts Düsseldorf legen daher in ständiger Rechtsprechung und Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung als Basiszinssatz die durchschnittliche Rendite öffentlicher Anleihen zu Grunde. Abzustellen ist auf den Bewertungsstichtag und die darauf bezogenen Ertragserwartungen, nicht auf die Renditen künftiger Perioden (OLG Düsseldorf WM 1988, 1052, 1058; AG 1991, 196; WM 1992, 986, 991; BayObLG AG 1996, 127, 129; Seetzen WM 1994, 45, 48).

In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung haben die Sachverständigen den Zinssatz aus der Durchschnittsrendite der im Umlauf befindlichen, festverzinslichen Wertpapiere abgeleitet, die im Durchschnitt der Jahre 1985 - 1994 7,06% betrug. In Anbetracht des Umstands, dass die Prognosen über die Entwicklung der Umlaufrendite inländischer Anleihen zum damaligen Zeitpunkt von einer weiteren Absenkung auf 7% ausgegangen sind, haben sie - unbeanstandet - ebenfalls 7% zugrundegelegt.

4.4.2. Unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat einen Unternehmensrisikozuschlag von 1,75% für angemessen.

Der Risikozuschlag soll der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, dass die Anlage in Kapital in einem Unternehmen mit größeren Risiken behaftet ist als die Anlage in öffentliche Anleihen (OLG Düsseldorf ZIP 2004, 753, 759; AG 2003, 688, 693; NZG 2003, 588, 594 "Siemens/SNI"). Übereinstimmung besteht in Rechtsprechung und Schrifttum dahingehend, dass im Risikozuschlag grundsätzlich nur außergewöhnliche Ereignisse berücksichtigt werden können, da die spezifischen Unternehmensrisiken ebenso wie die entsprechenden Chancen bereits bei der Ermittlung des Unternehmensertrags zu berücksichtigen sind (OLG Düsseldorf a.a.O., WM 1990, 1282, 1288; BayObLG NZG 2001, 1033, 1035; AG 1996, 127, 129; OLG Stuttgart NZG 2000, 744, 747; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 176; Aha, AG 1997, 26, 33). Zu solchen Ereignissen zählen z.B. Betriebsstörungen durch höhere Gewalt, Substanzverluste durch Betriebsstilllegungen, Aufwendungen für Umstrukturierungsmaßnahmen, Insolvenzen wichtiger Abnehmer, Belegschaftsveränderungen und Ähnliches sowie das stets vorhandene Insolvenzrisiko (OLG Düsseldorf AG 2003, 329, 333 "Siemens/SNI"; AG 2004, 324, 329 "EVA"; MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 115 zu § 305). Für die Berechnung des Unternehmenswertes muss daher der Kapitalisierungszins höher liegen als die um den Geldentwertungsabschlag reduzierte Rendite öffentlicher Anleihen. Das Risiko, von einem der genannten Risiken betroffen zu werden, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Die Höhe des Zuschlags muss sich an den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens orientieren.

Nach den Erkenntnissen des Senats werden Risikozuschläge entweder aus Erfahrungswerten gegriffen oder - wie es inzwischen in der Unternehmensbewertung allgemeine Praxis ist - aus Kapitalmarktdaten abgeleitet, wobei sich dann der Risikozuschlag aus dem Produkt der Marktrisikoprämie sowie dem Beta-Faktor ergibt. Hier hat der Senat keine Bedenken, auf empirische Werte zurückzugreifen. Die versicherungswirtschaftliche Literatur steht der Ableitung eines Risikozuschlags aus Kapitalmarktdaten ablehnend gegenüber, weil es bei Versicherungsunternehmen an dem für eine Schätzung von Beta-Faktoren unerlässlichen Zugang zu regelmäßig beobachtbaren Marktpreisen fehlt. Zum einen ist die Zahl der börsennotierten deutschen Versicherungsunternehmen im Verhältnis zur Gesamtzahl aller zugelassenen Versicherungsunternehmen gering (im Jahr 2000: 23 zu 725) und zum anderen werden wegen der geringen Streubesitzquoten nur für wenige von ihnen die Handelsvolumina erzielt, die zur hinreichend genauen Schätzung von Betafaktoren erforderlich sind (vgl. nur: Hartung, Kritische Betrachtung marktorientierter Kapitalkostenbestimmung bei der Bewertung von Versicherungsunternehmen, ZVersWiss 2001, 635, 637 ff.).

Die Sachverständigen K. und L. haben im Rahmen ihrer Gutachten darauf hingewiesen, dass im Rahmen neuerer Bewertungen von Versicherungsunternehmen regelmäßig Risikozuschläge inzwischen 1% und 4% zur Anwendung kommen und im fraglichen Zeitraum empirisch nachvollziehbar Risikozuschläge zwischen 1,25% und 2% verwendet worden sind. Branchenspezifisch ist zu berücksichtigen, dass das Unternehmensrisiko in der Versicherungsbranche über das einer Anlage in festverzinsliche Wertpapiere hinausgeht, wobei das unternehmerische Risiko allerdings nicht allein im Anlagegeschäft liegt. Das in der Regel relativ stabile und ertragssichere Versicherungsgeschäft war hier zum Bewertungsstichtag mit dem von den Sachverständigen erster und zweiter Instanz angeführten - allerdings geringen - Risiko der zum 1. Juli 1994 anstehenden Deregulierung und der damit einhergehenden Wettbewerbsintensität belastet. Aufgrund der Deregulierung und der steigenden Wettbewerbsintensität haben die Sachverständigen einen Zuschlag in einer Bandbreite von jedenfalls 1,5% bis 2% für sachgerecht gehalten, der damit erheblich über dem Zuschlag des Vorgutachters und der Erstbewerter liegt. Abhängig davon, ob sie den Sockelbetrag der von ihnen geschätzten stillen Reserven lediglich mit 50% oder in vollem Umfang aufgelöst haben, hatten sie den Risikozuschlag alternativ mit 1,5% und 2% angesetzt ( ). Zur weiteren Plausibilisierung haben sie den Risikozuschlag nach den Grundsätzen des CAPM bemessen. Anhand der im Jahre 1999 berechneten normalisierten Betafaktoren für Versicherungsgesellschaften ergab sich für die C. bzw. die D. ein Betafaktor von 0,58 bzw. 0,87 und damit ein Risikozuschlag in einer Bandbreite von 1,206% bzw. 1,810% ( ).

Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände hält der Senat einen Risikozuschlag von 1,75% für angemessen, der insbesondere auch den vorliegenden bewertungsspezifischen Besonderheiten und allen darin liegenden Unsicherheitsmomenten Rechnung trägt. Soweit die Sachverständigen insoweit eine Reduzierung des Risikozuschlags mit Blick auf erhebliche, nicht in die Bewertung einbezogene stille Reserven sowohl in den Schadenrückstellungen als auch in den Kapitalanlagen für sachgerecht gehalten haben, teilt der Senat diese Einschätzung unter Berücksichtigung aller insoweit maßgeblichen Umstände nicht. N. hat zutreffend angeführt, dass dieser Verweis zu kurz greife, um einen niedrigeren Risikozuschlag als üblich zu rechtfertigen. Die pauschal dotierten Spätschadenrückstellungen können ganz offenkundig nicht als eigenes Reservepolster anerkannt werden, da sie im Datenmaterial, das für die Berechnung der stillen Reserven des Sockelbetrags herangezogen wurde, bereits enthalten waren. Zwar verbleiben durch die ertragserhöhende Auflösung von nur 50% der errechneten stillen Reserven des Sockelbetrags immer noch deutliche Reservepolster, aber auch dieser Ansatz ist - wie schon ausgeführt - nicht nur in seiner Berechnung durch verschiedene Unsicherheitsmomente belastet. Für die in den Kapitalanlagebeständen etwaig zusätzlich enthaltenen, nicht berücksichtigten stillen Reserven ist nicht eindeutig feststellbar, welche Beträge bereits in den Jahren 1993 bzw. 1994 Bestand gehabt hätten, und welcher Anteil erst im Rahmen späterer erheblicher Aktienkurssteigerungen generiert worden ist (s.o.4.3.4.). Somit sind auch hier erkennbare Unsicherheitsmomente enthalten. Demgemäß ist es sachgerecht, einen Risikozuschlag von 1,75% zugrundezulegen.

4.4.3. Der Senat geht weiter mit den Sachverständigen von einem Wachstumsabschlag von 0,75% für die Phase der ewigen Rente aus.

Mit dem Wachstumsabschlag soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine Geldentwertung bei der Anlage in einem Unternehmen nicht in gleichem Umfang eintritt wie bei Kapitalanlagen in festverzinslichen Wertpapieren, bei denen der Zins eine Geldentwertungsprämie enthält (Senat, Beschluss vom 23.01.2008, AG 2008, 822, Beschluss vom 31.03.2006, Az. I-26 W 5/06 AktE; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.1988, WM 1988, 1052; Hirte/Hasselbach in Großkommentar zum AktG, 4. Auflage, Rdn. 206 zu § 305). Die Höhe des Abschlags hängt davon ab, in welchem Umfang erwartet werden kann, dass Unternehmen die Fähigkeit besitzen, die laufende Geldentwertung aufzufangen und ggfs. an Kunden weiterzugeben, so dass die Kapitalanlage in einem Unternehmen insoweit einer Geldentwertung entzogen werden kann (Senat, Beschluss vom 23.01.2008, AG 2008, 822; Beschluss vom 31.03.2006, Az. I-26 W 5/06 AktE, m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2007, Az. 20 W 6/06, Rdn. 41; Hirte/Hasselbach in Großkommentar zum AktG, 4. Auflage, Rdn. 206 zu § 305). Dabei ist davon auszugehen, dass jedes Unternehmen in gewissem Umfang die Inflationsrate ausgleichen kann. Der Wachstumsabschlag ist umso höher, je mehr das Unternehmen in der Lage ist, der Geldentwertung entgegenzuwirken. Nur wenn nach den Besonderheiten des Einzelfalles abzusehen ist, dass der Unternehmer in gleichem Umfang wie der Geldtitelbesitzer durch die Inflation beeinträchtigt wird, muss der Abschlag entfallen. Er ist ebenso nicht anzusetzen, soweit es sich bei den geplanten Erträgen um Größen handelt, die unter Einbeziehung von Preissteigerungen und Wachstumserwartungen ermittelt wurden, wie dies regelmäßig bei den Erträgen der Phase I der Fall ist. In der Praxis liegen Wachstumsabschläge zwischen 1 und 3% (vgl. nur: Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 5. A., S. 149 f.; Riegger in: B.er Kommentar zum SpruchG, Rdn. 23 zu Anh. § 11). Auch im Rahmen der Bewertung von Versicherungsgesellschaften sind sie üblich, da sich die Annahme eines Nullwachstums nicht findet. Da es bei Versicherungsunternehmen überwiegend um nominelle Geldwerte geht, die nominell weitergeführt werden, sind sie - wenn überhaupt - nur geringfügig zu kürzen (Großfeld, a.a.O., S. 150 unter Hinweis auf Richter in: Festschrift Moxter, S. 1457, 1475). In veröffentlichten Beispielen im heutigen Zeitrahmen werden etwa Abschläge von 0,5% beim Squeezeout der E. oder 1,5% bei der Verschmelzung des U. Teilkonzerns V. auf die W. angesetzt (s.a. Großfeld, a.a.O., Rdn. 931).

Die Sachverständigen K. und L. haben in ihren Gutachten einen Wachstumsabschlag von 0,75% für die Phase der ewigen Rente als angemessen angesehen ( ). Sie haben dabei nicht nur auf die Inflationskomponente, sondern ganz maßgeblich darauf abgestellt, dass Versicherungsunternehmen unabhängig davon durch Mengen- und Strukturveränderungen langfristig in der Lage sind, ein Wachstum der zu kapitalisierenden finanziellen Überschüsse herbeizuführen. Dabei sind sie weiter davon ausgegangen, dass bei Versicherungsunternehmen das Wachstum neben den externen Marktbedingungen im wesentlichen durch die Vertriebsorganisation bestimmt wird, so dass die Wachstumsrate von der Fähigkeit des Vertriebs abhängig ist, das Geschäftsvolumen durch Vertragsanpassungen und/oder neue Verträge zu erweitern. Um diese Vertriebskomponente im Rahmen des Gesamtwerts des Unternehmens angemessen zu berücksichtigen, haben sie für die Phase der ewigen Rente einen Abschlag vom Kalkulationszinssatz als sachgerecht angesehen. Da ihnen empirische Untersuchungen über die Höhe und Komponenten des Wachstums (Inflation, Absatzausweitung, Profitabilität) von Versicherungsunternehmen nicht vorlagen, sind sie vor dem Hintergrund eines durchschnittlichen Beitragswachstums in Höhe von 6% in den Jahren 1991 bis 1994 von einem - inflationsbereinigten - Wachstum in einer Bandbreite von 1 bis 3% ausgegangen. Zusammen mit dem inflationsbedingten Anteil haben sie einen Abschlag von 0,75% als angemessen angesehen. Auf die Einwendungen der Antragsgegnerinnen haben die Sachverständigen ergänzend noch auf das durchschnittliche Mengenwachstum des Vertragsbestands über alle Versicherungszweige in den Jahren von 1990 bis 1993 von rd. 2,25% und die statistischen Daten des GdV verwiesen, nach denen sich der Versicherungsbestand deutscher Sachversicherungen in den Jahren 1993 bis 2002 um durchschnittlich rund 1,6% erhöht hat ( ).

Die Einbeziehung eines Wachstumsabschlags in Höhe von 0,75% ist für den Senat überzeugend und nachvollziehbar. Zwar ist den Antragsgegnerinnen zu konstatieren, dass die Wettbewerbssituation aufgrund der Deregulierung ab dem Jahre 1994 Veränderungen unterworfen war. Insoweit ist - wie der vom Senat hinzugezogene Versicherungswirtschaftler N. ausgeführt hat - antizipiert worden, dass durch das Eindringen ausländischer Versicherer auf den deutschen Versicherungsmarkt Druck auf das Prämienniveau ausgeübt werden könnte. Auch wenn es keine einheitliche Meinung dazu gegeben habe, in welchen Versicherungszweigen dieser Druck in welcher Intensität spürbar sein werde, habe man den stärksten Druck im Bereich der Kraftfahrtversicherung vermutet. Zugleich habe es aber auch Hoffnungen auf nachhaltiges Prämienwachstum in anderen Versicherungszweigen gegeben. Zudem habe man Bemühungen unternommen, um die Aufwandsseite zu beeinflussen und geringere Schadensquoten zu erreichen, so dass auch bei gleich bleibenden oder leicht rückläufigen Prämien Ertragssteigerungen erzielbar gewesen wären. Vor diesem Hintergrund greift der Verweis der Antragsgegnerinnen auf die veränderten Marktbedingungen auf dem Versicherungsmarkt nach 1994 zu kurz, um einen vollständigen Verzicht auf einen Wachstumsabschlag in der Phase der ewigen Rente zu rechtfertigen.

5. Hinsichtlich des auf die A. entfallenden Unternehmenswerts der gesondert bewerteten Unternehmen folgt der Senat ebenfalls den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, die die von den Vorgutachtern ermittelten Unternehmenswerte auf ihre Plausibilität überprüft haben und so zu einem geschätzten Wert von insgesamt 1.034,38 Mio. DM gelangen. Von diesem entfallen auf

O. (inkl. Bausparkasse) 402,58 Mio. DM

P. 290,07 Mio. DM

H. 23,00 Mio. DM

I. 318,73 Mio. DM.

Konkrete Einwände gegen diese für jede Beteiligung dargestellte Wertermittlung wurden von Seiten der Antragsgegnerinnen lediglich noch hinsichtlich der Bewertung der I. erhoben, die deutlich über dem von den Vorgutachtern mit 243 Mio. DM zugrundegelegten Unternehmenswert liegt. Nach Auffassung des Senats ist es jedoch insoweit nicht zu beanstanden, dass die Sachverständigen K. und L. für die Bewertung der I. den Bewertungsansatz der F. X. übernommen haben, der bei der Abzinsung eine X.ische Kapitalgesellschaft als typischen Investor unterstellt. Dass die Gewinne bei Ausschüttung an die Aktionäre der A. mit einer 34%igen X.ischen Körperschaftssteuer belastet würden, kann vor dem Hintergrund der davon abweichenden Planungsannahmen wie auch der tatsächlichen Handhabung außer Betracht bleiben.

N. stützt zwar die von den Antragsgegnerinnen vertretene Auffassung, dass die Definitivbelastung der X.ischen Tochtergesellschaft mit 34% X.ischer Körperschaftssteuer hier zu berücksichtigen ist. Es komme entscheidend darauf an, welche zukünftigen Erträge bei der A. aufgrund des (ausländischen) Beteiligungsbesitzes der Aktionäre für sie realisiert werden. Gewinne, die eine Auslandstochter an ihre Mutter ausschüttet, bleiben nur im Falle ihrer Thesaurierung im Regelfall steuerfrei und werden auf dem Eigenkapitalkonto "EK-01" verbucht. Im Falle einer späteren Verwendung dieser EK-01-Bestandteile für Dividendenausschüttungen sind diese beim Aktionär zu versteuern, eine Anrechnung der Körperschaftssteuer findet nicht statt. Auslandserträge werden daher im Falle ihrer Ausschüttung sowohl mit ausländischer Körperschafts- und Quellensteuer als auch mit der persönlichen Einkommensteuer des deutschen Aktionärs der Mutter belastet.

Die Sachverständigen haben indessen in ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2008 überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, warum sie es in diesem speziellen Fall als sachgerecht ansehen, ihrer Bewertung der I. die Vollausschüttungsannahme nicht zu Grunde zu legen. Vollausschüttung wurde nach den seinerzeit gültigen Grundsätzen zu Unternehmensbewertung (HFA 2/83) nur deshalb angenommen, weil aufgrund des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens die Körperschaftsteuer als Vorauszahlung auf die persönliche Einkommensteuer anzusehen und damit eine Vollausschüttung die betriebswirtschaftlich sinnvollste Gewinnverwendung (wegen der Realisierung von Körperschaftsteueranrechnungsguthaben) war. Soweit jedoch andere Gewinnverwendungen wahrscheinlich bzw. geplant (weil betriebswirtschaftlich sinnvoll) waren, musste auch eine Thesaurierung angenommen werden.

Die Vollausschüttungsannahme ist in der Unternehmensbewertungstheorie und Praxis immer dann anzuwenden, wenn dies auch der betriebswirtschaftlich sinnvollsten Gewinnverwendung entspricht. Dies war in der Regel bei dem damaligen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren der Fall. Im besonderen Fall konnte es aber ökonomisch sinnvoller sein, Gewinne zu thesaurieren. In diesen Fällen soll die Vollausschüttungsannahme nicht der Bewertung zu Grunde gelegt werden. So heißt es im WP-Handbuch 1998, 11. Auflage, Band II, Abschnitt A., Tz. 104: "Darüberhinaus kann es im Einzelfall auch sachgerecht sein, zum Zweck der Steigerung des Barwerts der Nettoeinnahmen der Unternehmen weitere Überschüsse zu thesaurieren, die allein im Fall einer Ausschüttung von den Unternehmenseignern, nicht jedoch bei Thesaurierung (wegen steuerlicher Verlustvorträge oder im Ausland erzielter Gewinne) zu versteuern wären.". Da die von den Antragsgegnerinnen geforderte Annahme einer Vollausschüttung der Gewinne sowohl den Planungsannahmen der A. als auch der tatsächlichen Handhabung widerspricht, haben die Sachverständigen diesen Bewertungsansatz nachvollziehbar abgelehnt. Eine Korrektur muss daher insoweit nicht erfolgen.

6. Wertanpassungen für die übrigen Unternehmensbeteiligungen

Der Senat folgt den Sachverständigen K. und L. schließlich auch, soweit sie den Anteilswert für die Unternehmensbeteiligungen der A. an der Q. um 12,99 Mio. DM und an der R. um 5,44 Mio. DM plausibel und nachvollziehbar korrigiert haben. Die Sachverständigen haben die bei der Bewertung der A. schon im Rahmen ihres Kapitalanlageergebnisses berücksichtigten Anteilswerte mit Hilfe einer in der Versicherungswirtschaft verwandten "Faustformel" zur Preisfindung plausibilisiert. Diese knüpft an die Bruttobeitragseinnahmen des Unternehmens an und legt als Kaufpreis 90 - 120% der Jahresbruttoprämieneinnahme zugrunde. Da die in Ansatz gebrachten Buchwerte der Q. und der R. weit unter dem so geschätzten Marktwert lagen, haben die Sachverständigen nach Abzug eines Sicherheitsabschlags von 50 % die von den Beteiligten nicht weiter beanstandeten Korrekturen vorgenommen.

7. Höhe der Abfindung

Ausgehend von dem geschätzten Unternehmenswert in Höhe von 2.425,19 Mio. DM und einem Grundkapital von 66,25 Mio. DM setzt der Senat die angemessene Abfindung auf

36.607,20 DM (= 18.716,96 €) für auf den Inhaber/Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM,

3.660,72 DM (= 1.871,70 €) für auf den Inhaber/Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM und

1.830,36 DM (= 935,85 €) für auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennbetrag von je 50 DM fest.

Eine Anpassung der Höhe der Abfindung ergibt sich nicht aufgrund des Börsenkurses der Antragsgegnerin zu 1. zum damaligen Zeitpunkt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf allerdings eine Unternehmensbewertung nicht ohne Berücksichtigung des Börsenkurses erfolgen; dieser bildet im Regelfall die Untergrenze der Entschädigung (BVerfG, Beschluss vom 27.04.1999, BVerfGE 100, 289; vgl. hierzu weiter MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 83ff. zu § 305). Daher ist auf den Ertragswert abzustellen, wenn dieser - wie auch hier - höher als der Börsenwert ist (BGH BGHZ 147, 108,117 = AG 2001, 417, 419 "DAT/Altana IV"; Senat AG 2008, 822; OLG Düsseldorf NZG 2004, 622, 624 = AG 2004, 212, 214 "Krupp/Hoesch-Krupp"; NZG 2003, 588, 592 = AG 2003, 329, 332 "Siemens/SNI"; AG 2003, 688, 691 "Veba"; BayObLG NZG 2001, 1137, "Ytong"; OLG Stuttgart AG 2004, 43, 44 "Vereinigte Filzfabriken"; BayObLG Az. 3Z BR 071/00; MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 83 zu § 305; Hirte/Hasselbach in Großkommentar zum AktG, Rdn. 137 f. zu § 305; Emmerich/Habersack, Rdn. 42 ff zu § 305; Koppensteiner in B.er Kommentar, Rdn. 100, 112 zu § 305; Hüffer, Festschrift Hadding, S. 461, 468 f.; Hüttemann ZGR 2001, 454, 456 ff.). Der Börsenkurs kann gegebenenfalls als Indiz für den Unternehmenswert dienen (OLG Stuttgart AG 2007, 128; AG 2004, 43; LG Nürnberg-Fürth AG 2000, 89).

Die Börsenkurs-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll sicherstellen, dass ein außenstehender Aktionär den "vollen" Wert seiner Beteiligung erhält. Es geht nicht um eine grundsätzliche Maßgeblichkeit des Börsenkurses für die Unternehmensbewertung, sondern darum, außenstehenden Aktionären den Börsenwert im Regelfall als Minimum zu sichern. Börsenkurse können auf vielfältige Weise und durch Sondereffekte beeinflusst werden. So kann der Markt den Unternehmenswert etwa wegen Informationsdefiziten falsch einschätzen. Stellt man nur auf den Börsenkurs ab, könnte der Börsenkurs durch negative Unternehmensnachrichten bewusst "gedrückt" werden, um so eine geringere Abfindung und Ausgleich an die außenstehenden Aktionäre zahlen zu müssen. Auch die Empfehlungen IDW S 1 2008, Tz. 15, sehen daher lediglich vor, Börsenkurse zur Plausibilisierung heranzuziehen.

Im vorliegenden Fall lag der Börsenkurs nach den Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen K. und L., die sie in der Senatssitzung anhand der ihnen vorliegenden Börsenwerte erläutert haben, zu allen relevanten Zeitpunkten deutlich unterhalb der hier festgesetzten Abfindung. Insbesondere in dem nunmehr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen 3-Monats-Zeitraum vor Bekanntgabe der Maßnahme blieb der relevante Börsenkurs deutlich unterhalb der nach der Ertragswertmethode ermittelten Abfindung (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt des relevanten Börsenkurses: BGH, BGHZ 186, 229 ff. "Stollwerck"; Senat, Vorlagebeschluss, ZIP 2009, 2055 = AG 2010, 35). Da die Einladung der Aktionäre zur ordentlichen Hauptversammlung am 21. April 1994 erfolgte und die dabei bekannt gegebene Tagesordnung den Tagesordnungspunkt "Zustimmung zu einem Beherrschungsvertrag" enthielt, haben sie den dreimonatigen Referenzzeitraum - von den Beteiligten unbeanstandet - auf den Zeitraum vom 21. Januar 1994 bis zum 20. April 1994 angesetzt. In diesem Zeitraum belief sich der Unternehmenswert unter Zugrundelegung der Börsenkapitalisierung lediglich auf 1.498,349 Mio. DM. Wie die Sachverständigen erläutert haben, würde sich dieses Ergebnis auch nicht wesentlich verändern, wenn man den Referenzzeitraum vor- oder zurückverlegen würde.

II.

Gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG muss ein Gewinnabführungsvertrag für die außenstehenden Aktionäre eine angemessene Ausgleichszahlung durch eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung vorsehen. Für die Bemessung des festen Ausgleichs ist nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG der durchschnittliche, auf die einzelnen Aktionäre zu verteilende Gewinnanteil zu ermitteln, der sich nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten ergibt, die sie als unabhängiges, durch einen Beherrschungsvertrag nicht gebundenes Unternehmen hätte (BGHZ 138, 136, 140; 156, 57, 60). Der Ausgleichsanspruch tritt an die Stelle der notwendig ausfallenden Dividende.

Bei der Berechnung des angemessenen Ausgleichs ist auf den aus dem Ertragswert herzuleitenden Bruttogewinnanteil je Aktie abzustellen (BGHZ 156, 57, 61, 63). Von ihm ist die Körperschaftssteuerbelastung in der jeweils gesetzlich angegebenen Höhe abzusetzen, persönliche Steuern sind nicht zu berücksichtigen. (MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 62 zu § 304)

Bei der Berechnung des angemessenen Ausgleichs haben die Sachverständigen K. und L. entsprechend der Vorgabe des Senats im Zeitraum der ewigen Rente, also ab dem Planjahr 1997, keine Zuführung zur Schwankungsrückstellung mehr angesetzt. Dies wird von den Antragsgegnerinnen nicht weiter beanstandet.

Für die Berechnung des Ausgleichs ergibt sich danach Folgendes:

Ausschüttung des Vorjahresüberschuss

. . .

Bei der Berechnung des angemessenen Ausgleichs haben die Sachverständigen des weiteren berücksichtigt, dass die Inhaber von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gem. § 20 Abs. 2 der Satzung aus dem jährlichen Jahresüberschuss/Bilanzgewinn einen um 2% der Aktiennennbeträge höheren Gewinnanteil als die Stammaktien erhalten.

Aus der Summe der Barwerte - 1.380,386 Mio. DM - ergibt sich bei einer Summe der Barwertfaktoren von 12,4569089798 ein dabei zu berücksichtigender Durchschnittsgewinn von 110,811 Mio. DM.

Angemessen ist - davon ausgehend - ein Ausgleich von

1.669,23 DM (= 853,46 €) für auf den Inhaber oder den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 1.000 DM ,

166,92 DM (= 85,34 €) für auf den Inhaber oder den Namen lautende Aktien im Nennbetrag von je 100 DM und

83,80 DM (= 42,85 €) für auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennbetrag von je 50 DM.

III.

Hinsichtlich der festgesetzten Abfindung ist entgegen der Anregung der Antragsgegnerin zu 12) eine Verzinsung nicht zu tenorieren.

Gegenstand des Spruchverfahrens ist grundsätzlich nur die Überprüfung der Angemessenheit von vertraglich vereinbartem Ausgleich und Abfindung. Der im Spruchverfahren ergehende Beschluss ist kein Vollstreckungstitel. Über die Verzinsung als Teil des konkreten Zahlungsanspruchs hat daher im Streitfall erst das nach § 16 SpruchG für die Leistungsklage zuständige Gericht zu entscheiden, mit der der Anteilsinhaber einen Vollstreckungstitel erlangen kann (vgl. MünchKomm AktG/Paulsen, Rdn. 194 zu § 304).

Die gesetzliche Verzinsung des § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG mag klarstellend aufgenommen werden können, sie muss es aber nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 21.07.2003, WM 2003, 1859; OLG München, Beschluss 19.10.2006, AG 2007, 287; Hüffer, Rdn. 26a zu § 305; Koppensteiner in B.er Kommentar, Rdn. 148 zu § 305). Der Senat sieht daher in ständiger Rechtsprechung davon ab.

IV.

Für die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Geschäftswerts findet das Spruchverfahrensgesetz auch in zweiter Instanz grundsätzlich keine Anwendung (§ 17 SpruchG).

1. Hinsichtlich der Gerichtskosten beruht die für das Beschwerdeverfahren zu treffende Kostenentscheidung daher auf § 306 Abs. 7 Satz 7 AktG a.F.. Der Senat sieht keinen Anlass, die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus Billigkeitsgründen anderen Beteiligten aufzuerlegen. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten gelten § 306 Abs. 2 AktG a.F., § 99 Abs. 1 AktG, § 13a Abs. 1 FGG a.F.. Die danach zu treffende Billigkeitsentscheidung führt wie im Regelfall des § 306 Abs. 7 Satz 7 AktG a.F. zur Kostenbelastung der Vertragsteile (s. nur Hüffer, AktG, 5. A., Rdn. 22 zu § 306). Auch insoweit besteht kein Anlass, andere Verfahrensbeteiligte mit den Kosten zu belasten.

2. Der Geschäftswert ist in einem aktienrechtlichen Spruchverfahren nach alter Rechtslage nach § 306 Abs. 7 Satz 5, 6 AktG a.F., § 30 Abs. 1 KostO festzusetzen. Maßgeblich für die Ausübung des danach eingeräumten Ermessens ist grundsätzlich der Beziehungswert und damit die Differenz zwischen der unternehmensvertraglich angebotenen und der angemessenen Abfindung vervielfältigt mit der Anzahl der außenstehenden Aktionäre.

Allerdings dient der auf diese Weise rechnerisch ermittelte Betrag nur als Ausgangspunkt und Maßstab für die Festsetzung, denn der den Anträgen stattgebende Beschluss spricht keine unmittelbare Verpflichtung zu einer Zahlung aus, sondern den Unternehmensvertrag gestaltet nur rückwirkend um. Im Übrigen können daher auch sämtliche weitere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden (so schon OLG München AG 2007, 411; BayObLG AG 1996, 275,276; 1999, 273; 2003, 633,634). Bei der nach § 30 Abs. 1 KostO zu treffenden Ermessensentscheidung kann daher nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Gesetzgeber zwischenzeitlich nähere Vorgaben für die Konkretisierung der Ermessensentscheidung getroffen hat. § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG sieht etwa vor, dass der Geschäftswert in Spruchverfahren der Betrag ist, der von allen Antragsberechtigten nach der Entscheidung des Gerichts zusätzlich zu dem ursprünglich angebotenen Betrag insgesamt gefordert werden kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts ist nach § 15 Abs. 1 Satz 3 SpruchG der Tag nach Ablauf der Antragsfrist. Schließlich ist für den Geschäftswert in § 15 Abs. 1 Satz 3 SpruchG ein Höchstbetrag von 7,5 Mio. € vorgesehen. Von daher erscheint es auch dem Senat sachgerecht, die Leitlinien des Gesetzgebers für die Bemessung des Geschäftswerts in Spruchverfahren nach dem 1.09.2003 für die Festsetzung des Geschäftswerts in Altverfahren nutzbar zu machen (s.a. OLG Frankfurt AG 2005, 658; OLG München AG 2007, 411). Da der Gesetzgeber es für sachgerecht gehalten hat, eine Deckelung des Geschäftswerts in Spruchverfahren vorzusehen, ist es nicht unbillig, diesen Gesichtspunkt bei der Ausübung des gerichtlichen Ermessens in § 30 Abs. 1 KostO einzustellen.

Der Höchstbetrag von 7,5 Mio. € ist hier einschlägig, da er bei der vom Landgericht zugrunde gelegten Zahl von freien Aktien in einem Nennwert von 4.567.550 DM und dem Differenzbetrag von 1.230,72 DM pro Aktie im Nennwert von 100 DM überschritten würde.

Der Geschäftswert gilt auch für die Bemessung der Vergütung der Vertreter der außenstehenden Aktionäre.






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 06.04.2011
Az: I-26 W 2/06 (AktE)


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/39369c82001b/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_6-April-2011_Az_I-26-W-2-06-AktE




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