Kammergericht:
Beschluss vom 12. August 2011
Aktenzeichen: 5 U 71/11
(KG: Beschluss v. 12.08.2011, Az.: 5 U 71/11)
Streiten die Parteien bei einer erstinstanzlichen Verurteilung zur Unterlassung nicht über die Rechtsfrage der Unterlassungspflicht selbst, sondern über die Tatfrage, ob ein Verstoß gegen die Unterlassungspflicht erfolgt ist (hier: Vorwurf einer wettbewerbswidrig irreführenden telefonischen Äußerung), dann richtet sich die Beschwer des Verurteilten bei fehlendem Interesse, so zu handeln, wie es ihm verboten worden ist, (allenfalls) nach dem Aufwand und den Kosten, die ihm entstehen können, wenn er dem titulierten Unterlassungsanspruch nachkommt (Fortführung BGH NJW-RR 2009, 549; KG MMR 2007, 386). Der Beschwerdewert einer Berufung ist daher in diesem Fall häufig auf den Mindestwert von bis zu 300 € festzusetzen (Fortführung OLG Celle, Beschl. v. 13.04.2011, 11 U 236/10).
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Kammer für Handelssachen 103 des Landgerichts Berlin vom 11. Februar 2011 - 103 O 246/09 - wird (nicht zugelassen und) als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
3. Der Wert der Berufung wird auf bis zu 300 € festgesetzt.
Gründe
I.
Das Landgericht Berlin hat die Beklagte, die im Geschäftsverkehr und auch im Prozessverkehr vor den Gerichten entgegen ihrer - gerichtsbekannten - Eintragung im Handelsregister stets unter der Bezeichnung "p€ GmbH" (anstatt korrekt "p€ c€ GmbH") auftritt, gemäß Unterlassungs- und auf Zahlungsantrag (betreffend Abmahnkosten; insoweit unter € rechtskräftiger - Teilabweisung eines weiter gehenden Zahlungsbegehrens) der Klägerin verurteilt,
1. es bei Meidung ... (der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel) zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
im Rahmen der telefonischen Akquise von p€-Verträgen zu behaupten und/oder behaupten zu lassen,
a) der Anruf diene lediglich der Durchführung einer Umfrage
und/oder
b) für die Teilnahme an einer Umfrage erhalte der Kunde 100 Freiminuten, insbesondere wenn dies mit der weiteren Behauptung geschieht, dass diese Freiminuten von der T€ gewährt würden,
- wenn der Kunde in dem Telefonat tatsächlich einen p€-Vertrag abschließen soll,
2. an die Klägerin 1.580 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB seit dem 22. Dezember 2009 zu zahlen.
Gegen dieses ihr am 4. April 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese in der Sache ebenfalls form- und fristgerecht begründet.
Die Beklagte verfolgt ihr erstinstanzliches (vollumfängliches) Klageabweisungsbegehren weiter. Es bestünden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das erstinstanzliche Gericht. Die Würdigung des Landgerichts der (vor ihm getätigten) Zeugenaussagen sei fehlerhaft. Mangels Unterlassungsansprüchen bestünde auch kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten.
Nach einem Hinweis des Senats vom 1. Juli 2011 auf ein (mögliches) Nichtübersteigen des in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vorgesehenen Werts (Bd. I Bl. 204 d.A.) trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 21. Juli 2011 (Bd. II Bl. 3 ff. d.A.) zur Höhe der Beschwer (im Wesentlichen) vor: Der Aufwand und die Kosten der Beklagten zur Einhaltung der Unterlassungspflicht überstiegen um ein Vielfaches die Mindestbeschwer der besagten Vorschrift. Die Beklagte bediene sich zum Vertrieb ihrer Produkte ihrer Schwestergesellschaft, der v€ GmbH, mit ca. 500 Mitarbeitern. Weiterhin führe sie zahlreiche Pilotprojekte auch mit externen Vertriebspartnern durch. Neu titulierte Unterlassungsansprüche würden zunächst auf eine "No-Go" Liste gesetzt, welche jedem Mitarbeiter übergeben würden. Der Austausch dieser Listen müsse mit 100 € bewertet werden. Besprechungen wegen neu zu beachtender Unterlassungstitel mit 50 Teamleitern seien mit ca. 15 Minuten pro Teamleiter zu bemessen, also einem Insgesamt-Arbeitszeitverlust von 12,5 Stunden, was einem Bruttolohn von ca. 200 € entspreche. Die Teamleiter müssten bei etwaigen Unterlassungstiteln ihre Teams (zu je ca. 10 Personen) erneut 15 Minuten lang schulen, wofür weitere 200 € Bruttolohn für die Teamleiter und ca. 1.250 € für die Bezahlung der Call-Center-Agenten aufgewendet werden müssten. Ein weiterer Mitarbeiter müsse den Informationsprozess organisieren, da nicht alle Mitarbeiter immer an allen Tagen anwesend seien, wofür noch einmal ca. 600 € an Mitarbeiterkosten zu berechnen seien. Erforderliche Änderungen der Internetseite und der Werbung stellten einen erheblichen Kostenfaktor dar (Internetseite: durchschnittlich 50 €, Überarbeitung Textbaustein-Schreiben: 600 €, Druckkosten: um 100 €, extern-rechtsberatende Prüfung sämtlicher Werbung im Hinblick auf [kerngleiche] Verstöße: durchschnittlich 2.000 €). Nicht zu vernachlässigen sei schließlich der Imageschaden, der entstehen würde, wenn die Call-Center-Agenten und neue Mitarbeiter immer darauf hingewiesen werden müssten, inwiefern Unterlassungstitel gegen die Beklagte bestünden, die die Beklagte noch nicht einmal verschuldet habe.
Die Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 11. Februar 2011 - 103 O 246/09, die Klage vollständig abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (einschließlich Weiterverweisungen) und auf die dort wiedergegebenen Anträge Bezug genommen, und wegen des weiteren Vorbringens auf die in zweiter Instanz von beiden Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 511 Abs. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
1.
Die Vorschrift des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO greift nicht, da der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteigt.
a)
Die Beschwer des zu einer Unterlassung verurteilten Beklagten bemisst sich nach seinem Interesse an einer Beseitigung dieser Verurteilung (BGH AfP 2011, 261, Tz. 2) und richtet sich mithin nach den Nachteilen, die aus der Erfüllung des Unterlassungsanspruchs entstehen (BGH NJW-RR 2009, 549, Tz. 4), etwa nach dem Interesse daran, das Unterlassungsgebot nicht befolgen zu müssen (BGH AfP 2011, 261, Tz. 4). Der Beschwerdewert einer Berufung gegen die Verurteilung zur Unterlassung ist daher häufig auf den Mindestwert von bis zu 300 € festzusetzen, wenn die Parteien sich nicht über die Unterlassungspflicht selbst, sondern nur über einen bereits erfolgten Verstoß gegen die Unterlassungspflicht streiten (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 13.04.2011, 11 U 236/10, juris-Rdn. 16). Denn in diesem Fall richtet sich die Beschwer (allenfalls) nach dem Aufwand und den Kosten des Unterlassungsschuldners, die diesem entstehen können, wenn er dem titulierten Unterlassungsanspruch nachkommt (vgl. KG MMR 2007, 386, 387; KG, Beschl. v. 11.12.2007 - 5 U 159/05, unveröff.).
b)
Nach vorstehenden Grundsätzen ist der Wert der Beschwer auf bis zu 300 € zu bemessen (wie auch - Beschlussformel zu 3; insoweit in Anwendung von §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG - nämlicher Betrag als Mindeststreitwert durch den Senat festgesetzt wird).
aa)
Die Parteien streiten sich nicht über die Existenz der (ausgeurteilten) Unterlassungspflichten selbst (welche gemäß §§ 8, 3, 5 UWG auch klar und eindeutig sind, denn die der Beklagten vorgehaltenen Behauptungen sind schlicht unwahr und damit irreführend), sondern über die Existenz bereits erfolgter Verstöße gegen die Unterlassungspflichten. Gegen die Verurteilung bringt die Beklagte vor, die streitgegenständlichen Behauptungen seien nicht aufgestellt worden. Ein Interesse der Beklagten, so zu handeln, wie es verboten worden ist, wird von der Berufung nicht behauptet oder gar aufgezeigt.
bb)
Im Streitfall ist für den Senat nicht ersichtlich oder dargelegt, dass Aufwand und Kosten der Beklagten zur Einhaltung der Unterlassungspflicht den festgesetzten Wert von 300 € übersteigen könnten.
(1)
Aus dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen geht nicht hervor, dass die Kommunikation gerade der hier titulierten Verbote (was sich auch mit einer schlichten, ggf. auch kurz erläuterten Rundmail erreichen lässt) konkret den hier festzusetzenden Wert von 300 € übersteigen würde, wobei die Beklagte selbst ohnehin im Wesentlichen nur ihre Vertriebsunternehmen (v€ GmbH u.a.) informieren müsste.
(2)
Über die Konsequenzen eines Verstoßes gegen einen Titel muss nicht jedes Mal neu belehrt werden, bzw. kann eine einmal verwendete Formulierung wieder verwendet werden. Es gibt - gerichtsbekannt - schon zahlreiche Unterlassungstitel gegen die Beklagte, so dass davon ausgegangen werden kann, dass eine solche Belehrung schon generell erfolgt ist, auf diese kann Bezug genommen werden und verursacht hier also keine Kosten mehr.
(3)
Dass - wie behauptet - sämtliche 50 Gruppenleiter über jeden neuen gerichtlichen Unterlassungstitel (und so auch hier) - umständlich - im Wege einer Besprechung informiert werden, wofür jeweils 15 Minuten anzusetzen seien, und diese Gruppenleiter ihre - jeweils rund 10 - Gruppenmitglieder in entsprechender Weise mit ebensolchem Zeitaufwand jeweils nachschulen, ist nach der Einschätzung des Senats nicht plausibel und jedenfalls - maßgebend für die Beschwerbemessung - objektiv in keiner Weise erforderlich. Im Übrigen würde es auch ohnehin keine 15 Minuten dauern, um den betreffenden Personen die banale Selbstverständlichkeit klarzumachen, dass Unwahres über den Zweck des Anrufs und daraus hergeleitete - gleichfalls (jedenfalls partiell) unwahre - Versprechungen, nicht gegenüber (potenziellen) Kunden behauptet werden dürfen.
(4)
Dass die hier bekämpfte Unterlassungsverurteilung eine Änderung von Internetseiten und (sonstigen) Werbemedien nebst Rechtsberatungskosten zwecks Ermittlung eventuell kerngleicher Werbeaussagen verursachen könnte, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Es geht um mündliche Behauptungen im Rahmen telefonischer Akquise, und die Berufung macht auch nicht geltend, die - eindeutig unzulässigen (s.o.) - Werbeaussagen, deren Bekundung am Telefon sie bestreitet, irgendwo schriftlich fixiert zu haben.
(5)
Einen durch die Kommunikation des Verbots zu befürchtenden und als Beschwer bewertbaren "Imageschaden" sieht der Senat nicht. Eine Unterlassungsverurteilung bedingt kein Verschulden und erzeugt - gerade bei einer Vielzahl eingeschalteter Verrichtungsgehilfen, worauf die Berufung abzustellen sucht - nicht ohne weiteres einen Makel. Außerdem ist die Beklagte nicht gezwungen, den Unterlassungstitel in den Geschäftsverkehr hinein zu kommunizieren, sondern muss nur ihre Verrichtungsgehilfen informieren. Insofern muss nichts "nach draußen" dringen, zumal die Beklagte den Adressaten vertraglich eine diesbezügliche Schweigepflicht auferlegen kann.
cc)
Nach der Einschätzung des Senats unter Berücksichtigung der von der Beklagten angegebenen Zahlen verursacht die Kommunikation des in Rede stehenden Verbots sonach keinen Aufwand von mehr als (allenfalls) 300 €.
dd)
Die als Nebenforderung geltend gemachten Rechtsanwaltskosten (Abmahnkosten) sind bei der Berechnung der Beschwer gemäß §§ 2, 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH MDR 2011, 811; OLG Celle a.a.O. juris-Rn. 18 m.w.N:). Auch die Berufung sucht darauf nicht abzustellen.
ee)
Soweit - worauf die Berufung ergänzend abzustellen sucht - in einigen früheren Sachentscheidungen des Senats in der dem Streitfall vergleichbaren Konstellationen eine nähere Prüfung des Werts der Beschwer unterblieben (bzw. auch ein - deutlich - höherer Streitwert festgesetzt worden) sein sollte, erzeugt dieses Vorgehen für den - nach aktueller Einschätzung der Sach- und Rechtslage zu beurteilenden - Streitfall keine Art von "Bindungswirkdung" zum Vorteil der Beklagten.
2.
Die Vorschrift des § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO greift ebenfalls nicht, da das Landgericht als das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung nicht im Urteil zugelassen hat.
a)
Allerdings hat der Senat eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, weil und soweit einiges dafür sprechen mag, dass das Landgericht von einer Beschwer der Beklagten ausgegangen ist, welche 600 € übersteige, und daher keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen (vgl. BGH MDR 2011, 623, Tz. 14 m.w.N.).
b)
Nach Auffassung des Senats wäre die Berufung aber nicht gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen gewesen (weshalb auch der Senat sie nicht im Wege der Nachholung zulässt und dies der Klarstellung halber in die Beschlussformel zu 1 mit aufnimmt). Denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
III.
Die Kostenentscheidung (Beschlussformel zu 2) beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
KG:
Beschluss v. 12.08.2011
Az: 5 U 71/11
Link zum Urteil:
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