Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. März 2002
Aktenzeichen: 34 W (pat) 56/00

(BPatG: Beschluss v. 26.03.2002, Az.: 34 W (pat) 56/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderinnen wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 23 G des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. Juni 2000 aufgehoben und das Patent erteilt.

B e z e i c h n u n g : Verfahren zur stofflichen und energetischen Verwertung von Rest- und Abfallstoffen A n m e l d e t a g : 20. November 1998 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 und 2, Beschreibung Spalten 1 bis 3 mit Einschub, 2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 und 2, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2002.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse F 23 G des Deutschen Patent- und Markenamts hat durch Beschluss vom 30. Juni 2000 die am 20. November 1998 eingereichte Patentanmeldung 198 53 713.1-13 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur stofflichen und energetischen Verwertung von Rest- und Abfallstoffen"

gemäß § 48 PatG zurückgewiesen.

Die Zurückweisung erfolgte aus den Gründen des Prüfungsbescheides vom 3. August 1999, worin fehlende erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes nach Anspruch 1 gegenüber einem Stand der Technik nach

[1] DE 43 27 320 A1 festgestellt wurde.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss haben die Anmelderinnen Beschwerde eingelegt und in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2002 neue Patentansprüche 1 und 2 überreicht.

Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Verfahren zur Verwertung von Rest- und Abfallstoffen aus industriellem Aufkommen durch eine Aufbereitung und eine Vergasung zur Gewinnung von Brenngasmit folgenden Merkmalen:

- in einer Fraktionierung (2) werden die Industrieabfälle in eine Grobfraktion > 200 mm und eine Feinfraktion < 200 mm aufgeteilt,

- die Grobfraktion wird einer Sortierung (4) unterworfen, aus der direkt recycelbare Wertstoffe wie Papier (21), Kunststoff (22) und Textilien (23) abgeschieden werden und danach eine Zerkleinerung (5) erfolgt;

- die Feinfraktion wird einer Metall- und Mineralstoffabscheidung (3) und anschließend einer Sortierung (4) zur Gewinnung direkt recycelbarer Wertstoffe, wie Papier (21), Kunststoff (22) und Textilien (23) unterzogen,

- beide Fraktionen werden ggf. nach einer nochmaligen Metall- und Mineralstoffabscheidung (6) gemeinsam in einer Ballenpresse (7) zu heizwertreichen Brennstoffballen mit querschnittlichen Abmessungen größer 0,5 x 0,5 m verpresst und direkt ohne weitere Behandlung einem Vergasungssystem (10) zugeführt,

- die Brennstoffballen werden unter Verwendung von Sauerstoff oder Sauerstoff enthaltenden Oxidationsmitteln (15) in dem Vergasungssystem (10) in ein H2- und CO-reiches Brenngas bei Temperaturen von 1200¡C bis 1800¡C ungewandelt, so dass die Asche der Brennstoffballen im schmelzflüssigen Zustand aus dem Vergasungsraum in einen Kühlraum überführt wird,

- die schmelzflüssige Asche wird direkt mit Wasser gekühlt und als Schmelzgranulat gewonnen,

- das Brenngas wird nach Reinigung und Entschwefelung in einem Heizkraftwerk (11) zur Erzeugung von Elektroenergie (12), Dampf (13) und Fernwärme (14) eingesetzt.

Der hierzu nebengeordnete Patentanspruch 2 lautet:

Verfahren zur Verwertung von Rest- und Abfallstoffen aus kommunalem und gewerblichem Aufkommen durch eine Aufbereitung und eine Vergasung zur Gewinnung von Brenngasmit folgenden Merkmalen:

- die Haus- und Gewerbeabfälle werden nach einer Vorshredderung einer Sortierung (4) unterworfen, aus der direkt recycelbare Wertstoffe, wie Papier (21), Kunststoff (22) und Textilien (23) gewonnen werden,

- nach einer anschließenden Zerkleinerung (5) der Sortierreste erfolgt in einer Sichterstufe (16) eine Trennung in eine leichte und schwere Fraktion,

- die schwere Fraktion wird nach einer biologischen Trocknung (17) sowie einer Metall- und Mineralstoffabscheidung (3) gemeinsam mit der Leichtfraktion in einer Ballenpresse (7) zu heizwertreichen Brennstoffballen mit querschnittlichen Abmessungen größer 0,5 x 0,5 m verpresst und direkt ohne weitere Behandlung einem Vergasungssystem (10) zugeführt,

- die Brennstoffballen werden unter Verwendung von Sauerstoff oder Sauerstoff enthaltenden Oxidationsmitteln (15) in dem Vergasungssystem (10) in ein H2- und CO-reiches Brenngas bei Temperaturen von 1200¡C bis 1800¡C ungewandelt, so dass die Asche der Brennstoffballen im schmelzflüssigen Zustand aus dem Vergasungsraum in einen Kühlraum überführt wird,

- die schmelzflüssige Asche wird direkt mit Wasser gekühlt und als Schmelzgranulat gewonnen,

- das Brenngas wird nach Reinigung und Entschwefelung in einem Heizkraftwerk (11) zur Erzeugung von Elektroenergie (12), Dampf (13) und Fernwärme (14) eingesetzt.

Die Anmelderinnen begründen ihre Beschwerde im Wesentlichen damit, dass die Gegenstände der geltenden Ansprüche gegenüber dem Stand der Technik patentfähig seien.

Sie beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen zu erteilen.

In der Beschreibung sind als weiterer Stand der Technik bekannte Verfahren nach

[2] Kley M.: "Langer Marsch durch die Instanzen"

in DE-Z: Umweltmagazin, Okt 1993, S 82 f.

[3] EP 0 520 086 A2

[4] DE 41 39 512 A1

[5] EP 0 600 923 B1

[6] DE 41 23 406 A1 angeführt.

In der mündlichen Verhandlung wurde auf Nachfrage des Gerichts die Druckschrift

[7] EP 0 894 843 A1 als nachveröffentlichter Stand der Technik angegeben.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat auch Erfolg.

A.

Zu formalen Bedenken gegen die geltenden Unterlagen besteht kein Anlass.

Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 stützt sich in zulässiger Weise auf die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 iVm der ursprünglich offenbarten Beschreibungsstelle S 2, Z 22 bis 26. In entsprechender Weise geht der geltende Anspruch 2 auf die ursprünglichen Ansprüche 1 mit 3 iVm der og Beschreibungsstelle zurück.

Unter "biologischer Trocknung" (siehe Anspruch 2) ist - nach Aussage des Vertreters - eine natürliche Trocknung ohne künstliche Hilfsmittel zu verstehen, wie sie zB bei einer flächig ausgebreiteten Stoffschicht an der Luft ggf unter Sonneneinstrahlung stattfindet.

Die Beschreibung wurde den geltenden Anspruchsfassungen angepasst und redaktionell überarbeitet.

B.

1. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist neu, da im Stand der Technik die beanspruchte Kombinationen von stoffspezifischer Aufbereitung der Rest- und Abfallstoffe mit einem Verpressen zu heizwertreichen Brennstoffballen und daran direkt anschließendem Vergasen zu H2- und CO-reichem Brenngas aus dem Stand der Technik nicht bekannt ist.

So ist in der Druckschrift [7] (die als nachveröffentlichter Stand der Technik mit älterem Zeitrang nach § 3, Abs 2, Ziff 2 PatG nur im Rahmen der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen ist) ein Verfahren (und eine Vorrichtung) zur Vergasung kompaktierter und kompaktfähiger organischer Materialien beschrieben. Dort wird erläutert, dass die in der Industrie und Landwirtschaft vorbereiteten maßlich definierten Ballen aus Alttextilien und Halmprodukten mittels eines Stempels direkt (ohne weitere Behandlung) in einen Vergasungsraum gepresst werden und dort unter Verwendung von Sauerstoff oder sauerstoffhaltigen Oxidationsmitteln in ein H2- und CO-reiches Brenngas bei Temperaturen von 1200¡C bis 1800¡C umgewandelt werden, so dass die Schlacke der Brennstoffballen im schmelzflüssigen Zustand aus dem Vergasungsraum in einen Kühlraum (Quenchraum) überführt wird, und die schmelzflüssige Schlacke direkt mit Wasser gekühlt und als Schmelzgranulat gewonnen wird (aaO Sp 2, Z 1 bis 39 iVm Sp 4, Z 14 bis 45). Auch wird das Brenngas nach Reinigung und Entschwefelung mittels eines Gasmotors zur Energieerzeugung eingesetzt (aaO Sp 2, Z 57/58 iVm Sp 5, Z 1 bis 3). Über die Aufbereitung der genannten Industrieabfälle aus organischen Materialien vor dem Verpressen zu Ballen lehrt diese Druckschrift nichts.

Somit unterscheidet sich das anmeldungsgemäße Verfahren demgegenüber neben dem weiteren Spektrum der Materialzusammensetzung im Wesentlichen durch die ersten vier Verfahrensmerkmale, wonach - die Industrieabfälle in einer Fraktionierung in eine Grobfraktion > 200 mm und eine Feinfraktion < 200 mm aufgeteilt werden,

- die Grobfraktion einer Sortierung unterworfen wird, aus der direkt recycelbare Wertstoffe wie Papier, Kunststoff und Textilien abgeschieden werden und danach eine Zerkleinerung erfolgt,

- die Feinfraktion einer Metall- und Mineralstoffabscheidung und anschließend einer Sortierung zur Gewinnung direkt recycelbarer Wertstoffe, wie Papier, Kunststoff und Textilien unterzogen wird, und - beide Fraktionen gemeinsam in einer Ballenpresse zu heizwertreichen Brennstoffballen mit querschnittlichen Abmessungen größer 0,5 x 0,5 m verpresst werden.

Bei den im vorveröffentlichten Stand der Technik nach [1] bis [6] offenbarten Verfahren findet - sofern überhaupt die Abfall- und Rohstoffe zu Ballen gepresst werden - stets zumindest eine thermische Behandlung vor der Hochtemperaturvergasung statt. Demgegenüber unterscheidet sich das anmeldungsgemäße Verfahren nach Anspruch 1, insbesondere durch das Merkmal, dass die heizwertreichen Brennstoffballen direkt ohne weitere Behandlung einem Vergasungssystem zugeführt werden, bei dem diese bei Temperaturen zwischen 1200¡C und 1800¡C in H2- und CO-reiches Brenngas umgewandelt werden.

2. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist offensichtlich gewerblich anwendbar und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Dem anmeldungsgemäßen Verfahren kommt als vorveröffentlichter Stand der Technik das aus der Druckschrift [1] bekannte Verfahren am nächsten.

Entsprechend dem dort weiterzubildenden Stand der Technik wird der Abfall ohne Vorbehandlung und Vorsortierung in einer Presse unter hohem Druck auf etwa ein Zehntel des ursprünglichen Volumens verdichtet (vgl dort Sp 1, Z 11 bis 15). Die so erhaltenen Ballen gelangen nach der Presse in einen beheizten Entgasungskanal, aus dem der Abfall als Feststoff und als Schwelgas ausgetragen wird. Erst dann wird der Feststoff einem Hochtemperaturreaktor zugeführt und unter Verwendung von Sauerstoff bei Temperaturen von etwa 1600¡C bis 2000¡C vergast. Die dabei entstehende Schlackenschmelze wird nach unter abgezogen (aaO Sp 2, Z 29 bis 51).

Somit ist hieraus weder eine Fraktionierung, noch eine Sortierung unter Aussonderung recycelbarer Wertstoffe noch eine Abscheidung von Metall- und Mineralstoffen entnehmbar. Auch findet sich darin kein Hinweis darauf, dass die gepressten Abfallballen direkt ohne weitere Behandlung dem Vergasungssystem zuzuführen sind.

Diese Merkmalsgesamtheit wird auch durch den weiteren Stand der Technik nicht nahegelegt.

Es mag zwar für den Fachmann - einem Diplomingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik, der sich langjährig mit der Planung und Entwicklung von Abfallentsorgungsanlagen befasst hat - noch im Bereich seiner fachüblichen Überlegungen gelegen haben, den Abfall, wie zum Anmeldezeitpunkt bei der kommunalen Abfallwirtschaft schon lange üblich, nach Wertstoffen zu sortieren und den Rest bei Bedarf zu zerkleinern. Für eine Behandlung dahingehend, zunächst eine Fraktionierung durchzuführen, um nur an der feineren Fraktion eine Metall- und Mineralstoffabscheidung durchzuführen, sodann aus der Fein- und der Grobfraktion Papier, Kunststoff und Textilien auszusortieren und erst dann die Grobfraktion zu zerkleinern, waren aus dem aufgezeigten Stand der Technik keine Hinweise zu entnehmen.

Von tragender Bedeutung für eine erfinderische Tätigkeit bei dem anmeldungsgemäßen Verfahren ist zudem der Verfahrensschritt, die heizwertreichen Brennstoffballen direkt ohne weitere Behandlung dem Hochtemperaturvergasungssystem zuzuführen. Ein derartiger Hinweis war auch unter Berücksichtigung der gestellten Aufgabe - ein Verfahren zur Verwertung von Rest- und Abfallstoffen zu entwickeln, das unter ökologischen Gesichtspunkten möglichst wirtschaftlich durchzuführen ist - auch dem weiteren Stand der Technik nach [2] bis [6] nicht zu entnehmen.

So wird bei dem in [2] vorgestellten Siemens-Schwelbrennverfahren der Abfall vor der Verbrennung bei 1200¡C erst entgast (vgl dort re Sp, Z 12/13).

Bei dem sog. Thermoselect-Verfahren nach [3] wird der Abfall unter Beibehaltung seiner ursprünglichen Misch- und Verbundstruktur zu Paketen komprimiert. In einem über 100¡C beheizten Kanal werden hieraus die anfangs vorhandenen Flüssigkeiten verdampft und die Pakete thermisch teilweise entgast, bevor das entstandene brockige Feststoffkonglomerat in einen auf wenigstens 1000¡C gehaltenen Hochtemperaturreaktor eingebracht wird (vgl dort Abstract und Anspruch 1).

Noch weiter ab liegen das in der Beschreibungseinleitung weiterhin zitierte sog. Noell-Konversionsverfahren nach [4], die sog. VTA-Flugstromvergasung nach [5] oder die Festbettvergasung nach [6], da dort keine Kompaktierung vorgesehen ist, sondern dem Vergasungsprozess jeweils eine Pyrolyse vorgeschaltet ist (bei [4] bis 800¡C, vgl dort Anspruch 1; bei [5] bei 300 bis 650¡C, vgl dort Sp 6, Z 10 bis 14, und bei [6] bis 550¡C, vgl dort Sp 5, Z 7), aus der jeweils Feinanteile, gemahlene Feststoffanteile bzw Pyrolysekoks der Vergasung zugeführt werden.

Somit war dem Stand der Technik nicht zu entnehmen, dass durch ein den Rest- und Abfallstoffen angepasstes Aufbereitungsverfahren vor dem Verpressen zu Ballen eine Behandlung vor der Zuführung zu dem Vergasungssystem entbehrlich ist und die heizwertreichen Brennstoffballen direkt ohne weitere Behandlung dem Vergasungssystem zugeführt werden können.

Somit beruht das Verfahren nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit.

Anspruch 1 ist daher gewährbar.

C.

Analoge Gründe treffen auch für das im nebengeordneten Anspruch 2 beanspruchte Verfahren zu, bei dem lediglich entsprechend der anderen Art der Rest- und Abfallstoffe, nämlich Haus- und Gewerbeabfälle, die Aufbereitungsschritte vor dem Ballenpressen vom Verfahren nach Anspruch 1 abweichen.

1. So ist auch das Verfahren nach Anspruch 2 neu, da in [7], wie oben dargelegt, die ersten drei Verfahrensmerkmale (Aufbereitungsschritte) vor dem Ballenpressen nicht genannt sind.

In genannter Weise findet bei dem im vorveröffentlichten Stand der Technik nach [1] bis [6] offenbarten Verfahren, - sofern überhaupt die Abfall- und Rohstoffe zu Ballen gepresst werden - stets zumindest eine thermische Behandlung vor der Hochtemperaturvergasung statt. Demgegenüber unterscheidet sich auch das anmeldungsgemäße Verfahren nach Anspruch 2 insbesondere durch das Merkmal, dass die heizwertreichen Brennstoffballen direkt ohne weitere Behandlung einem Vergasungssystem zugeführt werden, bei dem diese bei Temperaturen zwischen 1200¡C und 1800¡C in H2- und CO-reiches Brenngas umgewandelt werden.

2. Für das fehlende Naheliegen dieses Merkmals treffen die gleichen Gründe zu, wie sie unter Abschnitt B Ziff 2 ausgeführt sind. Somit beruht auch das Verfahren nach Anspruch 2 auf erfinderischer Tätigkeit, weswegen dieser Anspruch ebenfalls gewährbar ist.

Ch. Ulrich Hövelmann Dr. Barton Dr. W. Maier Hu






BPatG:
Beschluss v. 26.03.2002
Az: 34 W (pat) 56/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/395165fc0dcc/BPatG_Beschluss_vom_26-Maerz-2002_Az_34-W-pat-56-00




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share