Verwaltungsgericht Freiburg:
Urteil vom 29. Juli 2015
Aktenzeichen: 1 K 1414/13

(VG Freiburg: Urteil v. 29.07.2015, Az.: 1 K 1414/13)

1. Die 18-Monats-Frist in § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS stellt keine Ausschlussfrist dar. Für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente kommt es daher nicht darauf an, dass der Zulassungsverzicht zwingend innerhalb von 18 Monaten nach Beginn der Berufsunfähigkeit erfolgt.

2. Die 18-Monats-Frist hat lediglich Bedeutung für die Vertreterbestellung. Es ist dem Mitglied höchstens 18 Monate möglich, sich vertreten zu lassen.

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 10.05.2013 i.d.F. seines Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 verpflichtet, dem Kläger bereits ab 01.12.2011 eine Berufsunfähigkeitsrente in satzungsmäßiger Höhe zu gewähren und Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz aus dem Unterschiedsbetrag zur im Bescheid vom 10.05.2013 gewährten Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine höhere Berufsunfähigkeitsrente ab 01.12.2011.

Der am ... geborene Kläger ist seit ... Mitglied des Beklagten. Er war nach eigenen Angaben bis zum Jahr 2011 als Rechtsanwalt tätig und bezieht seit 2009 eine private Berufsunfähigkeitsrente der ...-Lebensversicherung.

Mit Schreiben vom 12.02.2011 stellte er beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente. Mit Schreiben vom 22.02.2011 übersandte der Beklagte dem Kläger daraufhin ein entsprechendes Antragsformular und führte u.a. aus: €Zudem muss nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 unserer Satzung der Nachweis geführt werden, dass Sie Ihre anwaltliche Tätigkeit eingestellt haben. Wegen der Frage des Zulassungsverzichts und der Vertreterbestellung wird auf § 21 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 unserer Satzung verwiesen. Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass nach § 22 Abs. 5 VwS die nach Vollendung des 60. Lebensjahres beginnende Berufsunfähigkeitsrente nicht höher sein darf als eine zum gleichen Zeitpunkt beginnende vorgezogene Altersrente (§ 20 Abs. 2 VwS).€

Unter dem 15.12.2011 füllte der Kläger das Antragsformular aus und teilte u.a. mit, dass eine Vertreterbestellung nach § 53 BRAO erfolgt sei.

Mit einem am 21.01.2012 beim Beklagten eingegangenen Schreiben legte der Kläger eine Bestätigung der Rechtsanwaltskammer Freiburg vom 13.01.2012 vor, wonach er dieser mit Schreiben vom 16.12.2011 seine Vertretung durch Rechtsanwältin ... angezeigt habe.

Im Auftrag des Beklagten wurde ein nervenfachärztliches Gutachten über die Berufsunfähigkeit des Klägers durch Prof. Dr. med. ... erstellt. Nach dem Gutachten vom 21.05.2012 ist der Kläger aufgrund psychischer Erkrankungen nicht mehr in der Lage, den Beruf eines Rechtsanwaltes auszuüben. Ein genauer Zeitpunkt des Beginns der Berufsunfähigkeit könne nicht benannt werden, zu denken wäre an die neurologische Untersuchung bei Dr. ... am 22.09.2008.

Mit Schreiben vom 20.07.2012 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass sein Antrag kurz vor Vollendung des 60. Lebensjahres gestellt worden sei und er daher auf Antrag auch vorgezogene Altersrente mit entsprechenden Abschlägen erhalten könne. Vorliegend komme die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente nur für die Zukunft ab Vertreterbestellung in Frage, mithin ab einem Zeitpunkt nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Nach § 22 Abs. 5 VwS dürfe daher die Berufsunfähigkeitsrente nicht höher sein als die vorgezogene Altersrente. Ein Festhalten am Berufsunfähigkeitsrentenantrag werde aus wirtschaftlichen Gründen nicht für sinnvoll gehalten, da noch weitere umfangreiche Untersuchungen und Ermittlungen erforderlich seien.

Mit einem am 04.09.2012 beim Beklagten eingegangenen Schreiben hielt der Kläger an seinem Antrag fest. Er bat um Übersendung des Gutachtens und teilte mit, dass er seine Anwaltstätigkeit Ende 2011 vollständig aufgegeben habe.

Mit Schreiben vom 05.09.2012 übermittelte der Beklagte dem Kläger eine Kopie des Gutachtens und teilte mit, dass sich der Vorstand der Einschätzung des Gutachters anschließe. Der Kläger müsse aber noch auf seine Anwaltszulassung verzichten. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS sei Voraussetzung, dass er binnen 18 Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit auf seine Zulassung verzichten müsse. Da er dies noch nicht getan habe, komme derzeit eine Berufsunfähigkeitsrentengewährung nicht in Betracht. Sie werde aber in Aussicht gestellt ab dem Folgemonat des Widerrufs der Anwaltszulassung. Der Kläger verzichtete daher zum 18.09.2012 auf seine Anwaltszulassung.

Mit Bescheid vom 10.05.2013 gewährte der Beklagte dem Kläger ab 01.09.2012 eine Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. monatlich 2.575,62 €. Mit Schreiben vom 11.06.2013 legte der Kläger Widerspruch zur Höhe und Beginn der Berufsunfähigkeitsrente ein, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.06.2013 zurückgewiesen wurde.

Mit seiner am 30.07.2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es für den Beginn der Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente nicht darauf ankomme, ob er innerhalb von 18 Monaten nach Beginn der Berufsunfähigkeit auf seine Anwaltszulassung verzichtet habe. Er stütze seinen Anspruch auf § 21 Abs. 4 VwS und nicht auf § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS. Er habe am 12.02.2011 und 15.02.2011 einen entsprechenden Antrag gestellt und am 15.12.2011 mit Wirkung zum 16.12.2011 einen Vertreter bestellt. Auch der Beklagte habe u.a. im Schreiben vom 20.07.2012 darauf hingewiesen, dass die Berufsunfähigkeitsrente jedenfalls ab Vertreterbestellung im Dezember 2011 zu gewähren sei. Er habe auf diese verbindlichen Informationen des Beklagten vertrauen können und alles zur Wahrung seiner Ansprüche getan. Er könne jetzt auch keine Gründe für die überraschende Auffassungsänderung erkennen. Hätte der Beklagte ihm mitgeteilt, dass ein Zulassungsverzicht erforderlich sei, hätte er dies statt der Vertreterbestellung getan. Zudem übersehe der Beklagte, dass bei psychischen Erkrankungen nicht auf den Zeitpunkt der Ursache der Erkrankung, sondern auf den Zeitpunkt abzustellen sei, ab dem der Betroffene auch subjektiv im Sinne einer Belastungsstörung unfähig sei, seinen Beruf auszuüben. Kenntnis davon habe er aber erst seit Erhalt des Gutachtens der Versicherung am 17.11.2010. Hinzu komme, dass er mit weiteren Maßnahmen habe warten dürfen, bis die durch den Beklagten veranlasste medizinische Untersuchung abgeschlossen gewesen sei. Die Auffassung des Beklagten zur Vertreterbestellung nach § 53 BRAO gingen zudem fehl.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2013 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ihm ab dem 01.12.2011 eine unbefristete Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. monatlich 2.946,94 € zzgl. der jährlichen Anpassungen dauerhaft zu bewilligen sowie den Beklagten zu verurteilen, ihm 5 % Prozesszinsen über dem Basiszinssatz auf den zugesprochenen Differenzbetrag seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Berufsunfähigkeit im September 2008 vorgelegen habe. Eine Berufsunfähigkeitsrente sei jedoch nicht vor September 2012 zu gewähren, da der Kläger erst dann auf seine Zulassung verzichtet habe. Die Vertreterbestellung sei nicht geeignet, den Zeitpunkt der Gewährung nach vorn zu verlegen. Sie sei zum einen außerhalb der 18-Monatsfrist des § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS erfolgt. Zum anderen sei sie unwirksam. Die Vertreterbestellung sei nur für die Dauer eines Kalenderjahres oder für die restliche Dauer eines Kalenderjahres möglich. Vorliegend sei die Vertreterbestellung daher nur bis Ende 2011 wirksam gewesen. Es bestehe auch kein Anspruch aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Verwaltungsgerichtlich sei geklärt, dass diese Rechtsfigur nicht auf den Beklagten Anwendung finde. Zudem liege keine Pflichtverletzung vor. Man habe ausschließlich allgemeine Hinweise gegeben und könne im Übrigen annehmen, dass die rechtskundigen Mitglieder die Einzelheiten selbst prüfen oder prüfen lassen würden. Zudem fehle es an der Kausalität.

Dem Gericht liegt ein Band der Originalverwaltungsakten des Beklagten vor.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Kammer konnte gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erteilt haben.

Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente bereits ab 01.12.2011. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 10.05.2013 und der Widerspruchsbescheid vom 27.06.2013 sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten; § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Soweit der Kläger eine höhere Rente ohne Kürzung auf die Höhe einer vorgezogenen Altersrente begehrt, ist die Klage dagegen unbegründet.

1.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, wann die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente vorgelegen haben.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ist vorliegend § 21 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (VwS) i.d.F. vom 01.09.2012. Danach erhält das Mitglied Berufsunfähigkeitsrente, das

1. infolge körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung des Berufes eines Rechtsanwaltes, eines Patentanwaltes, eines selbständigen Notars oder eines Rechtsbeistandes auf nicht absehbare Zeit, mindestens 90 Tage, unfähig ist,

2. deshalb seine berufliche Tätigkeit und eine Tätigkeit, die mit dem Beruf eines Rechtsanwalts vereinbar ist, einstellt und innerhalb von 18 Monaten nach Eintritt der Berufsunfähigkeit auf seine berufliche Zulassung verzichtet,

3. das 63. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und

4. mindestens für drei Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit Beiträge geleistet hat; Beiträge aus Nachversicherungszeiten bleiben unberücksichtigt, falls die Nachversicherung nicht vor Eintritt des Versicherungsfalls beantragt worden ist.

Ferner ist in Absatz 3 geregelt, dass solange die Zulassung nach Abs. 1 Nr. 2 aufrecht erhalten werden kann, die Bestellung eines Vertreters (§ 53 BRAO) erforderlich ist. Die Bestellung eines Vertreters nach § 53 BRAO ist durch Vorlage der Anordnung der Bestellung des Vertreters durch die Rechtsanwaltskammer oder den Nachweis des Eingangs der Vertreterbestellung bei der für das Mitglied zuständigen Rechtsanwaltskammer zu belegen. Die Berufsunfähigkeitsrente wird frühestens ab Bestellung des Vertreters durch die Rechtsanwaltskammer oder den nachgewiesenen Eingang der Anzeige der Vertreterbestellung bei der Rechtsanwaltskammer gewährt, rückwirkend höchstens für 30 Tage, bevor obige Umstände gegenüber dem Versorgungswerk nachgewiesen sind.

Nach Absatz 4 wird die Berufsunfähigkeitsrente auf Antrag und ab Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen gezahlt, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres seit Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt wird, sonst ab dem Tag der Antragstellung.

Aus den genannten satzungsrechtlichen Vorschriften folgt, dass die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente - neben der zwingenden Voraussetzung einer schriftlichen Antragstellung (§ 39 Abs. 2 VwS) - nicht allein die Unfähigkeit, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben voraussetzt, sondern dass diese nur dann zu gewähren ist, wenn die Einstellung der beruflichen Tätigkeit (zunächst) durch die Bestellung eines Vertreters nach § 53 BRAO und zuletzt durch den Verzicht auf die berufliche Zulassung dokumentiert ist.

Allerdings kommt es für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente nicht darauf an, dass der Zulassungsverzicht zwingend innerhalb von 18 Monaten nach Beginn der Berufsunfähigkeit erfolgt. Zwar mag dies der Wortlaut des § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS zunächst nahelegen. Unabhängig davon, dass eine solche satzungsmäßige Bestimmung unter dem Gesichtspunkt von Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich problematisch sein dürfte (zum Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG bzgl. Ansprüchen und Anwartschaften aus dem berufsständischen Versorgungsrecht vgl. nur OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.06.2015 - 8 LA 16/15 - zit. in Juris m.w.N.), geht aber auch der Beklagte nicht davon aus. Dass es sich hierbei nicht um eine Ausschlussfrist handeln kann, wird besonders deutlich, wenn die Feststellung des Beginns der Berufsunfähigkeit rückwirkend erfolgt. Wie auch hier im Falle des Klägers kann die 18-Monats-Frist bereits in dem Zeitpunkt abgelaufen sein, in dem die Feststellung der Berufsunfähigkeit erfolgte. Bei einem Verständnis als Ausschlussfrist würde in solchen Fällen der Anspruch rückwirkend entfallen. Dies entspricht aber auch nicht dem Willen des Satzungsgebers. Denn ausweislich der Begründung zur insoweit erfolgten Satzungsänderung zum 01.01.1999 steht diese Änderung €in direktem Zusammenhang mit der weiteren Änderung in [€] § 21 Absatz 3€ (Jahresinformation des Beklagten INFO 14 vom Oktober 1999, S. 16). Daraus folgt, dass sich die 18-Monats-Regelung allein auf die Möglichkeit der Vertreterbestellung beziehen soll.

Daran gemessen ist dem Kläger bereits ab 01.12.2011 eine Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist für den Beginn der Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente auf den Zeitpunkt der Bestellung von Frau Rechtsanwältin ... als Vertreterin des Klägers abzustellen.

Die Kammer hat keine Veranlassung an der Wirksamkeit der Bestellung nach § 53 BRAO zu zweifeln. Insbesondere gehen die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 18.10.2013 fehl, wonach die Bestellung nur für ein Kalenderjahr bzw. für den Rest eines Kalenderjahres wirksam sei. Wie der Kläger zu Recht geltend macht, ist vorliegend keine Vertreterbestellung nach § 53 Abs. 2 Satz 2 BRAO, sondern nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO erfolgt. Für diese gilt die zeitliche Beschränkung ausweislich des Wortlauts und der systematischen Stellung des § 53 Abs. 2 Satz 2 BRAO nicht.

Aus § 21 Abs. 3 Satz 3 VwS folgt eindeutig, dass die Vertreterbestellung den Zeitpunkt des Rentenbeginns nach vorn verlagern kann. Hintergrund dieser Regelung ist ausweislich der Begründung zur Neufassung zum 01.01.1999, dass es den Mitgliedern im Einzelfall nicht zuzumuten sei, sofort bei den ersten Anzeichen einer Berufsunfähigkeit auf ihre Zulassung zu verzichten. Den Mitgliedern soll vielmehr die Möglichkeit eingeräumt werden, für die Dauer von 18 Monaten ihre Zulassung beizubehalten. Stellt sich heraus, dass das betroffene Mitglied berufsunfähig ist und liegen die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere der Zulassungsverzicht, vor, ist die Berufsunfähigkeitsrente ab Vertreterbestellung zu gewähren (zum Ganzen Jahresinformation des Beklagten INFO 14 vom Oktober 1999, S. 17).

Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es nicht darauf an, dass die Vertreterbestellung innerhalb von 18 Monaten nach Beginn der Berufsunfähigkeit erfolgt. Zwar verweist § 21 Abs. 3 VwS durch die Formulierung €solange die Zulassung nach Abs. 1 Ziff. 2 VwS aufrecht erhalten werden kann€ auf § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwS. Wie jedoch bereits ausgeführt wurde, ist diese Satzungsbestimmung nicht so zu verstehen, dass innerhalb einer Frist von 18 Monaten nach Eintritt der Berufsunfähigkeit der Zulassungsverzicht zu erfolgen hat. Auch aus der Begründung zur Satzungsänderung folgt vielmehr, dass die 18-Monats-Regelung keine Ausschlussfrist darstellen soll. Vielmehr soll mit der Vertreterbestellung dem Mitglied die Möglichkeit eröffnet werden, Unsicherheiten bei der Frage, ob eine Berufsunfähigkeit nur vorübergehend oder von Dauer ist, vermeiden zu können. Mit der neuen Regelung soll den Mitgliedern ermöglicht werden, unabhängig von der zeitlichen Dauer und Absehbarkeit der Berufsunfähigkeit die Zulassung zunächst auf die Dauer von 18 Monaten beizubehalten (so ausdrücklich die Begründung zur Satzungsänderung in der Jahresinformation des Beklagten INFO 14 vom Oktober 1999, S. 17). Im Hinblick darauf kann § 21 Abs. 3 Satz 1 VwS nur so verstanden werden, dass es dem Mitglied höchstens 18 Monate möglich ist, sich vertreten zu lassen. Begehrt das Mitglied dann eine Berufsunfähigkeitsrente, muss es auf die Zulassung verzichten.

Vorliegend hat der Kläger mit Schreiben vom 16.12.2011 bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer seine Vertretung durch Rechtsanwältin ... angezeigt. Somit ist der Rentengewährungsbeginn auf Dezember 2011 vorzuverlegen.

2.

Die Höhe der zu gewährenden Berufsunfähigkeit bestimmt sich nach § 22 VwS bezogen auf einen Rentenbeginn zum 01.12.2011.

Der Kläger hat dabei keinen Anspruch auf die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ohne die nach § 22 Abs. 5 Satz 1 VwS vorzunehmenden Abschläge. § 22 Abs. 5 Satz 1 VwS bestimmt unmissverständlich, dass die nach Vollendung des 60. Lebensjahres beginnende Berufsunfähigkeitsrente nicht höher sein darf als eine zum gleichen Zeitpunkt beginnende vorgezogene Altersrente nach § 20 Abs. 2 VwS. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser satzungsrechtlichen Regelung bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen. Die Auffassung des Klägers, dass der Anspruch bereits mit der Antragstellung entstehe und die sonstigen Voraussetzungen nur die Fälligkeit regelten, steht im Widerspruch zum Wortlaut und Regelungssystematik des § 21 VwS. Vorliegend hat der Kläger am 19.02.2011 das 60. Lebensjahr vollendet. Damit war die Kürzung vorzunehmen.

Ob die frühere Rentengewährung insgesamt zu einem niedrigeren monatlichen Rentenbetrag führt, da nur Beitragszahlungen bis November 2011 zu berücksichtigen sein dürften, hat der Beklagte zu berechnen. Ebenso ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, ob und in welcher Höhe durch die Vorverlagerung des Beginns der Berufsunfähigkeitsrentengewährung Rückzahlungsansprüche bestehen.

3.

Der Beklagte ist auch verpflichtet, den Nachzahlungsbetrag für die Monate Dezember 2011 bis August 2012 zu verzinsen. Der Kläger hat insoweit Anspruch auf Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit gem. §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Nach § 291 BGB hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an eine Geldschuld zu verzinsen, und zwar auch dann, wenn er nicht in Verzug ist. § 291 BGB ist sinngemäß auch auf öffentlich-rechtliche Geldforderungen anwendbar, wenn das einschlägige Fachrecht - wie hier das berufsständische Versorgungsrecht - keine abweichende Regelung trifft (BVerwG, Urt. v. 18.05.2000 - 5 C 27.99 -, zit. in Juris; Urt. v. 22.02.2001 - 5 C 34.00 -, zit. in Juris; OVG Münster, Beschl. v. 08.05.2000 - 22 A 1123/98 -, zit. in Juris). Der Beginn der Verzinsung beginnt mit Klageerhebung bei Gericht - hier also dem 30.07.2013 -, der Zinssatz für Prozesszinsen beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, § 291 Satz 2 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Nach alledem war der Klage teilweise stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO.






VG Freiburg:
Urteil v. 29.07.2015
Az: 1 K 1414/13


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