Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 19. Mai 2009
Aktenzeichen: I-24 W 13/09
(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 19.05.2009, Az.: I-24 W 13/09)
Tenor
Die Beschwerde der Verfahrensbeteiligten gegen den Beschluss der 16. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 05. August 2008 in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 12. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Parteien haben vor dem Amtsgericht um wechselseitig erhobene wohnungsmietrechtliche Ansprüche gestritten. Schluss der letzten mündlichen Verhandlung war der 01. August 2006 gewesen. Nachdem das Amtsgericht (nach mehrfachen Verlegungen) schließlich Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 18. Oktober 2007 anberaumt hatte, haben die Kläger (Vermieter) mit Schriftsatz vom 11. April 2008 fristwahrend Berufung eingelegt. Zu stellende Rechtsmittelanträge haben sie der Berufungsbegründung vorbehalten. Durch Beschluss vom 29. April 2008 hat das Amtsgericht sodann bekannt gegeben, am 18. Oktober 2007 sei kein Urteil verkündet worden, und hat neuen Verkündungstermin angesetzt. Die Kläger haben daraufhin ihre Berufung zurückgenommen.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Streitwert für das erledigte Berufungsverfahren auf 7.028,53 EUR festgesetzt. Es handelt sich dabei um den Betrag aus dem Zahlungsantrag des Schriftsatzes vom 17. Juni 2003 (GA 301), mit dem die Kläger zuletzt aber nicht mehr verhandelt hatten. Gegen diese Wertfestsetzung richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten (künftig: Beschwerdeführerin), die das Rechtsmittel aus eigenem Recht führt. Sie will die Heraufsetzung des Berufungsstreitwerts auf 29.925,34 EUR erreichen. Zur Begründung führt sie aus, der Berufungsstreitwert richte sich nach dem kumulierten Wert der zuletzt im ersten Rechtszug gestellten Anträge aus Klage (10.974,11 €) und Widerklage (18.951,23 €). Das Landgericht hat der Beschwerde nicht geholfen. Es hat von Amts wegen den Berufungsstreitwert auf bis zu 300 EUR herabgesetzt.
Die Kläger, die den angefochtenen Beschluss in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung für richtig halten, bitten um Zurückweisung der Beschwerde.
B.
I. Das Rechtsmittel, über das der Senat in seiner vollen Besetzung entscheidet (§ 122 Abs. 1 GVG), ist gemäß § 32 Abs. 2 RVG, §§ 63 Abs. 3 Satz 2, 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft. Der Senat hat entschieden (vgl. OLGR Düsseldorf 2007, 127 m. w. Nachw.), dass auch gegen Wertfestsetzungen des Landgerichts als Berufungsgericht der Weg der Streitwertbeschwerde eröffnet ist. Anders als die bis zum 30. Juni 2004 vor Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718 ff) anzuwendende Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F. enthält § 68 Abs. 1 GKG keinen Ausschluss der Beschwerde gegen die Wertfestsetzung des Rechtsmittelgerichts. Der Verzicht des Gesetzgebers auf die Übernahme der früheren Regelung in das neue Kostenrecht steht auch einer analogen Heranziehung der entsprechenden Rechtsmittelbeschränkung aus § 567 Abs. 1 ZPO entgegen (vgl. Senat aaO., vgl. auch BGH NJW-RR 2008, 151 m.w.Nachw.).
II. Das auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der vom Landgericht im Nichtabhilfeverfahren auf 300 EUR herabgesetzte Berufungsstreitwert ist richtig.
1. In formeller Hinsicht ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Nichtabhilfeverfahren die Position der Beschwerdeführerin im Verhältnis zu dem von ihr angefochtenen Beschluss noch einmal erheblich verschlechtert hat. Der im Zivilprozessrecht sonst fast ausnahmslos geltende Grundsatz des Verbots der "reformatio in peius" (vgl. BGH NJW 1983, 173, 172 sub II.B.2a - auch zu Ausnahmen) gilt im Streitwertrecht grundsätzlich nicht (vgl. OLG Rostock OLGR 2008, 223; OLG Saarbrücken OLGR 2007, 430; OLG Karlsruhe NJOZ 2005, 2052, 2053; OLG Brandenburg JurBüro 1998, 418; OLG Karlsruhe, JurBüro 1998, 419; OLG Düsseldorf (23. ZS) OLGR 1997, 136; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 3 Rn 13; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 68 GKG, Rn 19 m.w.N.; Meyer, GKG, 9. Aufl., § 68, Rn 14). Das beruht darauf, dass das Streitwertfestsetzungsverfahren im überwiegenden öffentlichen Interesse an einer jederzeit objektiv richtigen Bewertung der Verfahrensgegenstände gemäß §§ 63 ff GKG als amtliches Verfahren ausgestaltet ist (vgl. BGH NJW 2004, 3488, 3489 sub III.3). Die (Rechtsmittel-)Gerichte sind gemäß § 61 GKG nicht an die Schätzangaben der Parteien zum Wert gebunden und gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG befugt, in den zeitlichen Grenzen des Satzes 2 dieser Bestimmung den Streitwert jederzeit von Amts wegen festzusetzen und abzuändern. Die divergierenden und ohnehin je nach Parteirolle wechselnden privaten Interessen der Prozessbeteiligten, die Rechtsverfolgung für sich möglichst kostengünstig, für den Gegner aber möglichst kostspielig zu gestalten, sind nicht schutzwürdig und treten hier vollständig zurück.
2. In der Sache hat das Landgericht den Berufungsstreitwert mit bis zu 300 EUR zutreffend bewertet.
a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG nach der "Beschwer" des Rechtsmittelführers, wenn, wie das hier durch die Berufungsrücknahme vor deren Begründung geschehen ist, das Verfahren endet, ohne dass Sachanträge eingereicht worden sind. Unter dieser "Beschwer" ist die formelle Belastung des Rechtsmittelführers durch das vorinstanzliche Urteil zu verstehen (vgl. BGH NJW 1994, 1222 sub IV.2). Allerdings ist umstritten, wie die Beschwer zu bestimmen ist, wenn der Rechtsmittelführer, wie hier, durch das angefochtene Urteil gar nicht beschwert worden ist. Dazu werden im Wesentlichen zwei Meinungen vertreten.
aa) Nach der von einer Minderheit vertretenen Ansicht ist im Falle der Berufungseinlegung bei einer durch das angefochtene Urteil erlittenen Beschwer unterhalb der gesetzlichen Berufungssumme in Anlehnung an § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ein Wert von 600,01 EUR festzusetzen. Nur dieser Wert entspreche dem durch die Berufungseinlegung zum Ausdruck gebrachten Mindestinteresse des Rechtsmittelführers, nämlich das vorinstanzliche Urteil einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht zu unterziehen (OLG Celle OLGR 2004, 160; OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.01.1984, Az. 17 U 226/85, MDR 1984, 502 = AnwBl 1984, 448 = Rpfleger 1984, 284 = KostRsp § 14 GKG Nr. 22; ebs. wohl auch Göttlich/Mümmler, RVG, 1. Aufl., Stichw. "Berufung" Nr. 2.2; unklar Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., Anh § 3 Rn 28, Stichw. "Berufung" und Meyer, GKG, 9. Aufl., § 47, einerseits Rn 5, andererseits Rn 9).
bb) Nach der ganz herrschenden Ansicht, der auch das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss in der Fassung, die er durch die Nichtabhilfeentscheidung gewonnen hat, folgt, ist der Streitwert entsprechend der fehlenden Beschwer auf den Wert der geringsten Gebührenstufe nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) bzw. dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) festzusetzen, derzeit also entsprechend den niedrigsten Gebührenstufen der Gebührentabellen zu § 13 RVG und § 34 GKG auf den Wert bis zu 300 EUR (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.09.1983, Az. 5 U 57/83, MDR 1984, 237; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl. Rn 4537; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 47 Rn. 5, Anders/Gehle, Streitwert-Lexikon, Stichw. "Rechtsmittel" Rn 29; Hk-ZPO/Kayser, § 3 Stichw. "Berufung" aE; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 3, Stichw. "Gebührenstreitwert in der Rechtsmittelinstanz/Allgemeines" lit b aE; E. Schneider, Anm. 1 KostRsp § 14 GKG Nr. 22; Lappe, Anm 2 KostRsp § 14 GKG Nr. 22; ders. NJW 2005, 263, 265; Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwerts in Zivilsachen, 9. Aufl. S. 100).
cc) Der Senat folgt der herrschenden Ansicht. Nur sie entspricht den gesetzlichen Bewertungsregeln. Insbesondere findet der von der Beschwerdeführerin für richtig gehaltene Ansatz, den Berufungsstreitwert nach dem erstinstanzlichen Rechtsverfolgungsinteresse der Kläger zu bewerten, im Gesetz keine Grundlage. Eine solche Bewertung löst sich nicht nur vom Wortlaut, sondern auch vom Sinn und Zweck des Gesetzes. Der besteht darin, die wirtschaftliche Belastung des Rechtsmittelführers durch das angefochtene Urteil zu bewerten. Der Ansatz der Beschwerdeführerin, der (soweit ersichtlich) in Rechtsprechung und Literatur keine Unterstützung findet, knüpft nicht an die vom Rechtsmittelführer objektiv erlittene, sondern nur noch an eine mögliche Beschwer an, mit der der Rechtsmittelführer dann belastet wäre, wenn das vorinstanzliche Gericht vollständig zu seinem Nachteil entschieden hätte.
Die hier umstrittene Rechtslage ist auch nicht vergleichbar mit dem Fall, in dem der Rechtsmittelführer die Beseitigung einer formellen Scheinbeschwer verfolgt, die durch ein so genanntes Scheinurteil erzeugt wird (vgl. dazu MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 511 Rn 13 m. w. Nachw.). Zwar ist der Rechtsmittelführer auch in diesen Fällen tatsächlich nicht beschwert. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist aber die Beseitigung des nach außen erzeugten Scheins einer formellen Beschwer, dessen Wert sich, wie im Falle tatsächlicher Verurteilung, nach § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG an der scheinbaren Beschwer zu orientieren hätte. Im Streitfall ist ein solcher Schein aber gerade nicht erzeugt worden, worauf die Beschwerdeführerin als Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der Berufungserwiderung selbst richtig hingewiesen hat.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; das Verfahren ist gebührenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG.
IV. Es besteht auch kein Anlass, über die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 ZPO) zu entscheiden. Gemäß §§ 68 Abs. 2 Satz 6, 66 Abs. 3 Satz 1 GKG findet in Streitwertsachen eine Beschwerde zum Bundesgerichtshof nicht statt (vgl. BGH MDR 2004, 355; BGHReport 2002, 750 jeweils zu §§ 5 Abs. 2 Satz 3, 25 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbs. GKG a.F. und BGH BRAGOReport 2003, 163 zu § 14 Abs. 3 Satz 4 KostO in der bis 30.6.2004 geltenden Fassung = § 14 Abs. 4 Satz 3 KostO n.F.).
OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 19.05.2009
Az: I-24 W 13/09
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