Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 3. Januar 2011
Aktenzeichen: 6 W 2007/10

(OLG München: Beschluss v. 03.01.2011, Az.: 6 W 2007/10)

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 200.000,-- festgesetzt.

Gründe

I.

Wegen des Sachverhalts wird auf den Beschluss des Senats vom 15.4.2010 (veröffentlicht in InstGE 12, 192) unter I. Bezug genommen, mit dem die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Anordnung der Herausgabe des eingeholten Beweissicherungsgutachtens vom 5.12.2008 an die anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin zurückgewiesen wurde.

Mit Schriftsatz vom 28.4.2010 beantragte die Antragstellerin die Herausgabe des Gutachtens an die Antragstellerin und die Aufhebung der Verschwiegenheitsverpflichtung der anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin. Durch das Gutachten sei die wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents belegt, sodass nach der gefestigten Rechtsprechung das Gutachten an die Partei herauszugeben sei. Etwaige Geheimhaltungsinteressen der Gegenseite seien grundsätzlich nachrangig. Unter Heranziehung der Grundsätze der Entscheidung "Lichtbogenschnürung" seien berücksichtigungsfähige Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin in Bezug auf den Inhalt des Gutachtens ohnehin nicht gegeben.

Die Beklagten verweisen hinsichtlich der geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen auf ihren bisherigen Vortrag (Schriftsatz vom 2.2.2009) und führen hierzu mit Schriftsatz vom 22.6.2010 ergänzend aus. Sie sind weiter der Auffassung, dass eine Besichtigung nur dann angeordnet werden könne, wenn der Rechtsbestand des Klagepatents gesichert sei, was im Hinblick auf die mit Klageschrift vom 15.1.2010 eingereichte Nichtigkeitsklage (Anlage zu Bl. 104/106) nicht der Fall sei. Dies gelte jedenfalls in Bezug auf die Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung.

Zu den von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 2.2.2009 geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.5.2010 Stellung genommen, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die Erhebung der Nichtigkeitsklage im Rahmen des Besichtigungsverfahrens ohne Relevanz sei (Schriftsatz vom 26.5.2010).

Am 5.7.2010 erging folgender Beschluss des Landgerichts

I. Die Herausgabe des Gutachtens an die Antragstellerin mit der Maßgabe, dass nur die Übersichtszeichnungen 001, 064 sowie die Vergrößerung aus Zeichnung 064 in dem herauszugebenden Gutachten belassen werden, wird angeordnet. Im Umfang der in dem Gutachten enthaltenen Informationen werden Rechtsanwalt ... und Patentanwalt ... von der gerichtlich auferlegten Verschwiegenheitsverpflichtung befreit.

II. Das Besichtigungsprotokoll ist dem Gutachten beizufügen, wobei die von der Antragsgegnerin im Text markierten Textpassagen zu schwärzen oder abzudecken sind.

III. Die Herausgabe erfolgt erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses.

der mit Beschluss vom 16.7.2010 dahingehend ergänzt wurde, dass die Befreiung von der Verschwiegenheitsverpflichtung ebenfalls erst ab Rechtskraft des Beschlusses greift.

Zur Begründung führte das Landgericht aus: Die Herausgabe des Gutachtens und des Protokolls des Besichtigungstermins sei im Umfang der von der Antragstellerin selbst vorgenommenen Einschränkungen anzuordnen. Nach den Grundsätzen der Entscheidung "Lichtbogenschnürung" seien relevante Geheimhaltungsinteressen nicht gegeben, da beliebige Dritte im Wege des Re-Engineering zu dem im Gutachten offenbarten Erkenntnissen über Funktionsweisen und Innenleben der Vorrichtung gelangen könnten. Insoweit sei auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf InstGE 11, 296 € Kaffeemaschine zu verweisen. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Patentverletzung, auch wenn der Sachverständige teilweise eigene Wertungen in das Gutachten aufgenommen habe.

Dass der Sachverständige Ausführungen aus dem Softwarehandbuch zitiert oder verwertet habe, stehe der Herausgabe nicht entgegen. Das Handbuch sei Gegenstand der Besichtigung gewesen. Die Herausgabe des Softwarehandbuchs selbst werde nicht beantragt.

Die am 15.1.2010 erhobene Nichtigkeitsklage hindere die Herausgabe ebenfalls nicht. Denn die Antragsgegnerin habe bis zur Erhebung der Nichtigkeitsklage mehr als ein Jahr seit Kenntnis des Besichtigungs- und Verfügungsantrags zugewartet.

Gegen den ihr am 12.7.2010 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit der am 22.7.2010 eingelegten sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, das Landgericht habe sich nicht in hinreichendem Umfang mit den vorgebrachten Geheimhaltungsinteressen befasst. Dass Dritte auf die im Gutachten offenbarten Erkenntnisse, Funktionsweisen und Innenleben der Vorrichtung unschwer infolge einer substanzverletzenden Untersuchung gelangen könnten, sei im vorliegenden Fall eine nicht durch Tatsachen stützbare Annahme. Denn von einer offenkundigen Tatsache könne nur dann ausgegangen werden, wenn eine Untersuchung des in den Verkehr gebrachten Produkts einem Fachmann ohne größeren Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand möglich sei. Demgegenüber belegten das Besichtigungsprotokoll sowie das Sachverständigengutachten wie zeitaufwändig und arbeitsintensiv eine Untersuchung der streitgegenständlichen Flaschenförderungsanlage sei.

Gerade im Hinblick auf die "vollelektronische Anpassung", auf die im Sachverständigengutachten auf Seite 7 hingewiesen werde, bestehe das von der Antragsgegnerin mehrfach geltend gemachte Geheimhaltungsinteresse.

Die vom Landgericht getroffene Wertung, dass dem Sachverständigengutachten entsprechend mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Verletzung des Streitpatents auszugehen sei, sei nicht nachvollziehbar. Es fehle an einer Darlegung der eine solche Entscheidung tragenden Erwägungen. Im Übrigen stütze sich das Landgericht auf Passagen, die nach Ansicht der Antragsgegnerin rechtliche Erwägungen und Spekulationen des Sachverständigen enthielten, und mache sich diese zu Eigen. Nicht erkennbar sei, dass das Landgericht selbst € und zwar auf Grund allein der Sachangaben € zu der Annahme einer hohen Verletzungswahrscheinlichkeit gelangt sei.

Aufgrund der Nichtigkeitsklage bestehe kein ausreichendes Interesse der Antragstellerin an der Herausgabe. Soweit sich das Landgericht auf die Entscheidung OLG Düsseldorf Mitt. 1982, 230 € Warmhaltekanne stütze, sei die vorliegende Situation aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensarten eine ganz andere. Das mögliche Erheben einer Nichtigkeitsklage sei über einen langen Zeitraum ein zentraler Punkt in den Vergleichsgesprächen der Parteien gewesen. Das Abwarten bezüglich der Erhebung der Nichtigkeitsklage sei aus nachvollziehbaren Gründen erfolgt. Mit Blick auf die Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklage sei das Offenlegungsinteresse so gering einzuschätzen, dass es hinter dem Geheimhaltungsbedürfnis der Antragsgegnerin zurücktrete. Unabhängig hiervon dürfe ein Besichtigungsanspruch auf ein offensichtlich nicht rechtsbeständiges Patent nicht gestützt werden.

Die Antragsgegnerin beantragt:

Der Beschluss des Landgerichts München I vom 5.7.2010 (AZ: 21 OH 17829/08) wird aufgehoben und der Antrag auf Herausgabe des Gutachtens und Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht vom 28.4.2010 wird abgewiesen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 5.7.2010 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Der Vortrag zu einem angeblich unmöglichen Reverse-Engineering sei widersprüchlich. Die Maschine sei unstreitig nicht in besonderer Weise gegen eine Einsichtnahme oder Analyse gesichert. Es sei daher bereits nach der Lebenserfahrung jedem Fachmann unschwer möglich, sich von der Ausgestaltung und Funktionsweise der angegriffenen Maschine auch im Detail Kenntnis zu verschaffen. Dies werde auch dadurch belegt, dass die Besichtigung durch den Sachverständigen innerhalb weniger Stunden habe abgeschlossen werden können.

Bei der zitierten "vollelektronischen Anpassung" handele es sich nicht um einen geheimhaltungsbedürftigen Umstand. Zum einen sei für den Fachmann bereits bei der Betrachtung der Maschine ohne weiteres ersichtlich, dass eine derartige Anpassung geschehe, da bewegliche Teile fehlten. Zum anderen sei, wie dem Gutachten, Seite 7 zu entnehmen, Teil des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Vorrichtung, dass der Benutzer verschiedene Beleuchtungsvarianten prüfe und eine ihm geeignet erscheinende Kombination auswähle. Geheimhaltungsbedürftige Details hierzu enthalte das Gutachten gerade nicht.

Die Verletzung des Streitpatents sei auf der Grundlage des Gutachtens derart offensichtlich, dass detaillierte Ausführungen entbehrlich seien.

Auf die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents komme es bei der Entscheidung über die Freigabe eines Gutachtens im Besichtigungsverfahren nicht an. Unabhängig hiervon habe die Nichtigkeitsklage auch keine Aussicht auf Erfolg:

Soweit der Antrag auf (Teil-)Nichtigerklärung auf eine unzureichende Offenbarung gestützt werde, mache die Antragsgegnerin nur eine mangelnde Klarheit geltend. Mangelnde Klarheit stelle jedoch keinen Nichtigkeitsgrund dar. Darüber hinaus mache die Antragstellerin nur eine mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend. Darüber hinaus fehle es an einem schlüssigen Vortrag hierzu, denn die Antragsgegnerin führe als Stand der Technik nur gattungsfremde Vorrichtungen an.

Auf den weiteren Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 24.8.2010 (Bl. 159/165) wird Bezug genommen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 26.8.2010 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft (siehe Beschluss des Senats vom 14.4.2010 m. w. N.) und, da form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 2 und 3 ZPO), auch zulässig. In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Das Landgericht hat die (beschränkte) Herausgabe des Gutachtens und die Entbindung der anwaltlichen Vertreter von der Verschwiegenheitsverpflichtung zu Recht angeordnet.

1. Aufgrund des vom Sachverständigen erstatteten Gutachtens ist die Beurteilung des Landgerichts, dass die angegriffenen Vorrichtungen € Glasinspektionsgeräte des Typs "M beinhaltend ein Modul zur Formnummernlesung mit der Funktion "bottom up picture acquisition" € von Anspruch 5 des Streitpatents mit hoher Wahrscheinlichkeit Gebrauch machen (Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1, § 9 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 PatG), nicht zu beanstanden.

a. Das Streitpatent (nachfolgend zitiert nach der Übersetzung der europäischen Patentschrift Anlage Ast 7 sofern nichts anderes angegeben) betrifft ein Verfahren (Anspruch 1) und eine Vorrichtung (Anspruch 5) zum optischen Lesen von Reliefmarkierungen in einem durchsichtigen oder durchscheinenden Behälter. Hiermit können die in den Reliefs enthaltenen Codes erkannt werden, etwa um die Herkunft einer Flasche aus einer bestimmten Form zu ermitteln um u. a. unerwünschte Flaschen auszusortieren (Abs. 0003). In der Beschreibung werden die im Stand der Technik hierfür bekannten Verfahren und Vorrichtungen abgehandelt (Abs. 0004 bis 0008). Eine bekannte Vorrichtung, die die Gesamtheit eines Teils der Flasche beleuchtet, um das erforderliche Drehen der Flasche zum Zwecke des Erkennens des Reliefs zu vermeiden, umfasst eine Lichtquelle. Diese besteht aus zwei Elementen, die auf beiden Seiten des Förderers an dem Kopf der Flasche angeordnet sind. Sie weist weiter zwei stumpfkegelige Spiegel auf, die auf beiden Seiten des Förderers am Körper der Flasche dazu ausgeführt sind, Licht zu empfangen, das von der Flasche reflektiert wird, und das Licht in eine Kamera zu übertragen, die über der Flasche angeordnet ist. Die Kamera gehört zu einem elektronischen Verarbeitungssystem, das ein komplettes Bild der Zone der Flaschen reproduzieren kann, welches die Formnummer umfasst. Als nachteilig hieran wird bemängelt, dass es zum Auftreten von Störreflexen kommen kann, was das Lesen des Reliefs erschwere.

Hiervon ausgehend befasst sich das Klagepatent mit dem technischen Problem (Aufgabe), diese Nachteile bei einem optischen Lesen von Reliefs an der Außenwand eines transparenten oder lichtdurchlässigen Behälters zu beheben und eine optimierte Lesewirksamkeit sicherzustellen ohne Handhabungsvorgänge an den Behältern durchzuführen (Abs. 0009).

Anspruch 5 bezieht sich auf eine Vorrichtung zum optischen Lesen von Reliefs mit folgenden Merkmalen:

1. die Reliefs werden von der Außenwand (3) eines Behälters (4) getragen

2. der Behälter ist transparent und lichtdurchlässig

Die Vorrichtung umfasst

3. ein Beleuchtungssystem (10)

3.1 das Beleuchtungssystem (10) ist geeignet, einen einfallenden Lichtstrahl zu liefern

3.1.1 Der Lichtstrahl beleuchtet die Außenwand des Behälters gemäß ihrem Umfang

4. ein Empfängersystem (23) der Lichtstrahlen, die durch den Behälter reflektiert werden

4.1 diese Lichtstrahlen werden wieder erhalten durch ein optisches Element (24)

4.1.1 das optische Element (24) ist zwischen den Behälter (4) und das Empfängersystem eingefügt

5. eine Einheit zur Analyse und Verarbeitung der Lichtstrahlen, die durch das Empfängersystem empfangen werden, um die Identifikation der Reliefs sicherzustellen

dadurch gekennzeichnet, dass

6. das Beleuchtungssystem (10)

6.1 unter dem Behälter angeordnet ist und

6.2 einen einfallenden Lichtkegel (11) bildet, der die Außenwand des Behälters beleuchtet

7. das optische Element (24)

7.1 unter dem Behälter angeordnet ist und

7.2 geeignet ist, ein ebenes Bild der beleuchteten Wand des Behälters auf dem Empfängersystem zu bilden

Anhand der Figuren wird die Funktionsweise der Vorrichtung anhand eines Ausführungsbeispiels erläutert (Abs. 0013 ff). In der nachfolgend (verkleinert) wieder gegebenen Figur 1

...

ist eine erfindungsgemäße Vorrichtung dargestellt, die geeignet ist, um Wülste der Reliefs (2), die von der Außenwand (3) eines transparenten oder lichtdurchlässigen hohlen Objekts oder Behälters (4) im allgemeinen getragen werden, zu lesen. Vorzugsweise handelt es sich bei dem Behälter (4) um eine Flasche, deren unterer Bereich (5) Reliefs oder Wülste umfasst, die einen Code bilden, der einer Formnummer entspricht, die zur Herstellung dieser Flasche verwendet wird ("... est une bouteille dont le jable 5 comporte de reliefs ou de perles 2 formant un code ..."). Die Flasche wird durch ein in der Figur nicht dargestelltes Fortbewegungssystem (i. d. R. ein Förderband) in Richtung des Pfeils f derart verschoben, dass die Flaschen durch ihren Boden eine untere Fortbewegungsebene P definieren, wobei jede Flasche zu einer Position mitgenommen wird, an der ihre vertikale Symmetrieachse x mit der Symmetrieachse X der Vorrichtung zum Lesen zusammenfällt. Das Beleuchtungssystem ist unter der Flasche angeordnet, d. h. unter der Fortbewegungsachse P. Das Beleuchtungssystem ist derart ausgestaltet, dass es einen Lichtstrahl liefert, der die Außenwand des Behälters gemäß ihrem Umfang beleuchtet. Das Beleuchtungssystem umfasst eine Lichtquelle (12) und einen kegelstumpfartigen Beleuchtungsspiegel 14, der über der Muffe 13 angeordnet ist, um die Lichtstrahlen zu sammeln, die von der Lichtquelle 12 ausgehen (Abs. 0018). Durch das Beleuchtungssystem wird ein einfallender Lichtkegel erzeugt, der das Beleuchten des gesamten unteren Bereichs einer Flasche gestattet ("... permettant d'éclairer toute la péripherie du jable 5 d'une bouteille...), wie dies in Abs. 0021 nochmals dargestellt ist. Die durch die Beleuchtung hervorgerufene Lichtreflexion wird gesammelt von dem optischen Element (24) ausgewertet. Das optische Element, das zwischen die Flasche und das Empfangssystem gesetzt ist, ist unter der Fortbewegungsebene P angeordnet und so ausgelegt, dass es ein ebenes Bild der ausgeleuchteten Umfangswand der Flasche bildet. Bei dem Empfangssystem kann es sich beispielsweise um eine CCD-Matrixkamera handeln (Abs. 0022). Die Lichtstrahlen, die von dem optischen Spiegel 24 gesammelt wurden, werden direkt oder wie in Figur 1 dargestellt mittels eines Rücksendespiegels 30 zurück auf die Kamera 23 übertragen. Die Kamera kann in der Ausrichtung der Achse X angeordnet werden, vorzugsweise unter der Fortbewegungsebene P (Abs. 0026). Die Kamera 23 ist mit einer Einheit verbunden, welche die erhaltenen Lichtstrahlen analysiert und verarbeitet.

b. Zu der Frage der behaupteten Patentverletzung hat die Antragstellerin in der Antragsschrift auf Seiten 11 ff zu der Ausgestaltung der angegriffenen Vorrichtungen vorgetragen € soweit ihr bekannt € und weiter ausgeführt, welche Umstände den Schluss auf eine Patentverletzung zulassen. Zu diesen Ausführungen hat die Antragsgegnerin nicht Stellung genommen. Sie hat allerdings mit Schriftsatz vom 2.2.2009 geltend gemacht, dass eine Vielzahl von Angaben im Gutachten des Sachverständigen nicht zu berücksichtigen seien, da hierdurch Geheimhaltungsinteressen betroffen seien (aaO Seite 3 ff). Zu den folgenden Passagen aus dem Sachverständigengutachten auf Seiten 11 ff € von der Antragsgegnerin in der Anlage zum Schriftsatz vom 17.5.2010 (Bl. 139 f) mit den Nummern 15 bis 21 gekennzeichnet €

...

rügt die Antragsgegnerin, dass es sich bei den Passagen Nr. 16 bis 18 um rechtliche Erwägungen des Sachverständigen handele, die von ihm im Gutachten nicht zu treffen seien. Bei Nr. 19 handele es sich um bloße Spekulationen des Sachverständigen. Hinsichtlich Nr. 20 handele es sich um den Versuch einer Auslegung des Klagepatents, wozu der Sachverständige nicht befragt worden sei. Auch hinsichtlich der Nr. 21 spekuliere der Sachverständige, ohne dass er nach einer Auslegung des Anspruchs gefragt worden sei.

c. Auf der Grundlage, dass nach allgemeiner Auffassung die tatsächliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform, d. h. das tatsächliche Vorbringen der Antragstellerin zur Verwirklichung der Merkmale des Streitpatents einem Geständnis zugänglich ist (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rn. 116 a mwN), die Auslegung des Streitpatents jedoch nicht dem Sachverständigen überlassen werden kann (BGH GRUR 2010, 314 € Kettenradanordnung II; GRUR 2010, 410 Tz. 40 € Insassenschutzsystemsteuereinheit), sondern vom Gericht vorzunehmen ist, gilt Folgendes:

aa. Der Vortrag der Antragstellerin zu der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform wird von der Antragsgegnerin nicht bestritten; er gilt damit als zugestanden. Dies gilt auch für die ergänzenden Feststellungen des Sachverständigen zu der Ausgestaltung der besichtigten Vorrichtung.

58bb. Der Sachverständige hat zum Merkmal 6 festgestellt, wie die als Beleuchtungssystem in Betracht kommenden LED-Ringe bzw. das Set aus den LED-Ringen und dem radial größeren Innenmantelspiegel bei der angegriffenen Ausführungsform angeordnet sind (Gutachten, Seite 11). Diese tatsächlichen Feststellungen werden von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Dass sich der Sachverständige unter Bezugnahme auf Abs. 0018 und das Ausführungsbeispiels des Streitpatents dazu geäußert hat, wie das Merkmal auszulegen ist, macht seine diesbezügliche Stellungnahme auch nicht "unverwertbar" mit der Folge, dass die entsprechende Passage unkenntlich zu machen wäre. Mit dem Beschluss vom 16.10.2008 war die Einholung eines Gutachtens dazu angeordnet worden, "wie die Glasinspektionsgeräte des Typs "M." ..., im Hinblick auf die Merkmale des Anspruchs 5 des deutschen Teils des Europäischen Patentes ... ausgestaltet sind, ...". Da dem Sachverständigen keine Vorgaben hinsichtlich der Auslegung des von ihm zugrunde zu legenden Anspruchs 5 des Streitpatents gemacht wurden, konnte sich der Sachverständige nicht auf die reine Tatsachenfeststellung beschränken, da er bei der Erstattung des Gutachtens Überlegungen dahingehend anstellen musste, wie die Merkmale des Streitpatents zu verstehen sind, da nur dann von ihm beurteilt werden konnte, ob bei den zu besichtigenden Anlagen von diesen Merkmalen Gebrauch gemacht wird (vgl. hierzu Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325, 330 f). Auch wenn nach der vorzitierten Rechtsprechung die Auslegung des Anspruchs als Rechtsanwendung dem Gericht vorbehalten ist, sind Äußerungen des Gutachters als "sprechendes Lexikon für die Gerichte" (Kather/Fitzner aaO) hierzu zu berücksichtigen, wie sich auch aus der Rechtsprechung des BGH ergibt.

(1) Der Sachverständige hat zu Merkmal 6 unter Bezugnahme auf seine Ausführungen zu den Merkmalen 3.1 und 3.1.1 festgestellt, dass das Beleuchtungssystem Licht abstrahlt, welches die Außenwand des Behälters beleuchtet. Zu dem Merkmal des einfallenden Lichtkegels im Sinne von Merkmal 7 hat der Sachverständige ausgeführt, dass aus der Abstrahlungscharakteristik der einzelnen LEDs bei der angegriffenen Ausführungsform deutlich werde, dass jeder LED-Ring eine Vielzahl Kegel, die bei der Spiegelung gewissermaßen im Querschnitt gefaltet werden, liefert (Seite 11 f). Soweit die Antragsgegnerin die von ihr mit Nr. 16 und 17 gekennzeichneten weiteren Ausführungen des Sachverständigen als von diesem nicht zu treffende rechtliche Erwägungen qualifiziert, ist diese Einordnung bereits fraglich, da der Sachverständige (auch) zu der Wirkung der im Streitpatent vorgesehenen Lichtquellen Stellung nimmt (Nr. 16). Wenn der Sachverständige bei der angegriffenen Ausführungsform die Überlagerung einer größeren Anzahl von Kegeln als einen einfallenden Lichtkegel im Sinne des Streitpatents angesehen hat (Seite 12, 2. Abs.), macht dies seine diesbezüglichen Ausführungen nicht "unverwertbar" (siehe oben). Sie entsprechen dem maßgeblichen Verständnis des Merkmals 7 aus fachmännischer Sicht, zumal auch die Antragsgegnerin nicht aufzuzeigen vermag, warum die Lehre des Klagepatents auf einen (einzigen) einfallenden Lichtkegel zu beschränken ist, wovon auch das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss zu Recht nicht ausgegangen ist.

(2) Der Sachverständige ist zu Merkmal 7.1 davon ausgegangen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform die beiden Spiegel, die das reflektierte Licht zur Kamera lenken, im Sinne der zum Merkmal 6.1 erörterten rein vertikalen Betrachtung ebenfalls unter dem Behälter angeordnet sind (Seite 12). Unabhängig davon, dass diese Ausführungen eine (unstreitige) tatsächliche Feststellung zu der Anordnung der beiden Spiegel enthalten, ist die unter Bezugnahme auf die Beschreibung unter Abs. 0022 vom Sachverständigen getroffene Wertung zutreffend und macht seine Ausführungen nicht "unverwertbar".

(3) Hinsichtlich des Merkmals 7.2 ist das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss unter Heranziehung der Figur 1 zutreffend zu der Beurteilung gelangt, dass auch ein Kameraobjektiv als optisches Element im Sinne der Lehre des Streitpatents zu verstehen ist. Dass der Sachverständige sich zu der Wirkungsweise des Kameraobjektivs und dem Verständnis des Begriffs des optischen Elements geäußert hat, führt nach den vorstehenden Ausführungen nicht dazu, dass diese Ausführungen "unverwertbar" wären.

2. Wurde vom Landgericht somit zu Recht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Patentverletzung bejaht, kann die Antragsgegnerin sich im Umfang der vom Landgericht angeordneten Herausgabe des Gutachtens nebst Besichtigungsprotokoll auf keine vorrangigen Geheimhaltungsinteressen berufen. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass die angegriffene Ausführungsform von der Antragsgegnerin ohne vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung an Kunden veräußert wird, kann dahinstehen, ob nach den Grundsätzen der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung des OLG Düsseldorf das Bestehen von Geheimhaltungsinteressen im Sinne der Rechtsprechung des BGH (aaO Lichtbogenschnürung) generell verneint werden könnte. Denn die vom Landgericht angeordneten Maßnahmen tragen den Interessen der Antragsgegnerin hinreichend Rechnung (§ 140 c Abs. 1 Satz 3 PatG):

€ Hinsichtlich der Fertigungszeichnungen wurde die Herausgabe auf die Zeichnungen 001, 064 und der Vergrößerung aus 064 beschränkt.

€ Soweit die Antragsgegnerin mit der Beschwerde weiterhin die "vollelektronische Anpassung" als geheimhaltungsbedürftig geltend macht, da auf Seite 7 des Gutachtens eindeutig hierauf hingewiesen werde, kann dem nicht gefolgt werden. Denn hierzu finden sich auf Seite 7 im 2. Absatz nur sehr allgemeine Ausführungen zu dieser Eigenschaft ohne die Darlegung technischer Einzelheiten.

€ Das Softwarehandbuch ist nicht Gegenstand des an die Antragstellerin herauszugebenden Gutachtens. Soweit im Gutachten Angaben aus dem Software-Handbuch herangezogen werden, ist nicht dargetan, inwiefern hierdurch Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin derart betroffen wären, dass dem Geheimhaltungsinteresse gegenüber den Interessen der Antragstellerin der Vorrang einzuräumen wäre.

€ Inwiefern durch die Kenntnisnahme der vom Sachverständigen erstellten Fotos der angegriffenen Vorrichtung vorrangige Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin betroffen sein sollen, ist nicht dargetan.

€ Hinsichtlich des Protokolls des Besichtigungstermins wurde die Herausgabe nur in eingeschränktem Umfang entsprechend den von der Antragsgegnerin geforderten Streichungen angeordnet.

3. Die von der Antragsgegnerin erhobene Nichtigkeitsklage steht der Herausgabe des Gutachtens und der Befreiung von der Verschwiegenheitsverpflichtung nicht entgegen, selbst wenn zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt wird, dass die Klageeinreichung erst im Januar 2010 nicht auf "taktischen", auf Verzögerung abzielende Überlegungen beruht, sondern auf den geführten Vergleichsgesprächen. Dabei kann auch der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung, die Einreichung einer Nichtigkeitsklage sei für das Verfahren gemäß § 140 c PatG grundsätzlich ohne Bedeutung, nicht gefolgt werden.

69a. Nach allgemeiner Auffassung kann eine Verletzungsklage gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werden, wenn eine erhobene Nichtigkeitsklage voraussichtlich zur Vernichtung des Schutzrechts führen wird. Ebenso können im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchgreifende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents dazu führen, dass einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Erfolg zu versagen ist mit der Begründung, es fehle an dem erforderlichen Verfügungsgrund. Da der Besichtigungsanspruch gemäß § 140 c PatG keinem Selbstzweck dient, sondern ein Verletzungsverfahren vorbereiten soll (vgl. BGH GRUR 2002, 1046, 1047 unter II. 1 € Faxkarte; Schulte/Kühnen, § 140 c Rn. 1), sind bei der gebotenen Interessenabwägung (vgl. Müller-Stoy, Nachweis und Besichtigung des Verletzungsgegenstandes im deutschen Patentrecht, Rn. 142 f) auch etwaige Zweifel am Bestand des Schutzrechtes zu berücksichtigen (Kühnen, Mitt. 2009, 211, 213; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Aufl., Rn. 210; Schramm/Oldekop, Der Patentverletzungsprozess, 6. Aufl., Kap. 9 Rn. 122). Auch wenn es in vorliegendem Verfahrensstadium, d. h. nach erfolgter Besichtigung, nicht mehr um die Sicherung der Beweise geht, ist dabei in Rechnung zu stellen, dass der Inhaber eines zeitlich befristeten Schutzrechts ein zeitgebundenes Interesse an der Durchsetzung seines Verbietungsrechts hat. Folglich können bei einer vom Landgericht zu Recht angenommenen hohen Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung nur erhebliche Zweifel an der Schutzfähigkeit des Streitpatents dazu führen, die Herausgabe des Gutachtens, als Bestandteil des Besichtigungsanspruchs, als unverhältnismäßig im Sinne von § 140 c Abs. 2 PatG zu qualifizieren, weil die durch die Herausgabe des Gutachtens auf Seiten des Antragsgegners damit verbundenen Nachteile das Rechtsverfolgungsinteresse des Schutzrechtsinhabers dann derart überwiegen, dass ein Beharren auf der Herausgabe des Gutachtens als missbräuchlich erscheint (vgl. Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 140 c Rn. 25). Hierfür müsste der Erfolg der Nichtigkeitsklage hinreichend sicher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

b. Die Nichtigkeitsklage (Anlage zum Schriftsatz vom 21.1.2010, Bl. 104/106; Erwiderung der Antragstellerin vom 22.7.2010 in Anlage Ast 17) richtet sich gegen die Ansprüche 5, 6, 8, 11 und 12.

aa. Unter 3.1 der Nichtigkeitsklage (Seiten 6/9) wird geltend gemacht, dass die Erfindung so undeutlich und unvollständig ist, dass ein Fachmann die Erfindung nicht ausführen kann, wobei dies daraus hergeleitet wird, dass das Streitpatent Unklarheiten enthalte nämlich:

(1) Die Benutzung von Masken 18 und 19 werde zur Vermeidung von Störreflexen vorgeschlagen. Dieses Merkmal sei jedoch beim Anspruch 5 nicht enthalten, sodass unklar sei, in welcher Weise die Störreflexe verhindert würden.

(2) In Abs. 0017 sei angegeben, dass der Kopf einer Flasche jeweilige Reliefs aufweise, wohingegen aus den Figuren 1 bis 3 ersichtlich sei, dass anscheinend Reliefs oder Wülste benachbart zu einem Flaschenboden beleuchtet würden.

(3) Ebenso sei die Offenbarung undeutlich im Hinblick auf den Spiegel 24. Es würden verschiedene Begriffe für das Element mit dem Bezugszeichen 24 verwendet: optisches Element, optischer Rotationsspiegel, optischer Spiegel, optischer Kegel.

(4) Weiterhin sei undeutlich, in welcher Weise ein Feldwinkel "y" einem Sichtfeld entspreche, wie dieser Feldwinkel gegebenenfalls zu verstehen sei oder wie der optische Spiegel angepasst sei, "um ein Sichtfeld zu geben". Außerdem werde in Abs. 0025 auch festgestellt, dass das "Sichtfeld der Kamera von der Größe der CCD und der Zoom-Linse anhängt, die so das Verhältnis des Bildes, aber auch des Durchmessers d und der Höhe h des Beobachtungskegels 24 dieser zwei letzten Parameter fixiert, welche das Ausmaß des Bildes, das von dem Kopf aus genommen wurde, definiert". Die Offenbarung sei auch hier so undeutlich und unvollständig, dass ein Fachmann Zweifel an der Ausführbarkeit habe, da nicht deutlich werde, ob nun die Größe der CCD oder der Zoom-Linse das Verhältnis des Bildes oder des Durchmessers d bzw. der Höhe h fixiere. Zudem sei auch hier wieder von dem Kopf die Rede, von dem das Ausmaß des Bildes aus genommen werde.

(5) In Abs. 0029 sei davon die Rede, dass eine untere Ebene P des Rollens der Flaschen vorgegeben sei, während sich aus der Abhandlung des Standes der Technik und der Kurzdarstellung der Erfindung in der Beschreibung ergebe, dass gerade keine Bewegung der Flaschen während des optischen Lesens der Reliefs erfolgen solle. Zudem seien die Flaschen nach den Fig. 1 bis 3 in einer aufrechten Position.

(6) Weiterhin unklar und undeutlich sei ebenfalls, in welcher Weise "in Abhängigkeit der Dimensionen der zu kontrollierenden Flaschen" die Breite des Beleuchtungskegels bestimmt werde.

(7) Es fänden Begriffe Verwendung, von denen weder die Definition klar sei, noch ob gegebenenfalls Unterschiede zwischen diesen Begriffen bestünden und was diese Unterschiede sein könnten.

€ Das Beleuchtungssystem sei geeignet, einen einfallenden Lichtstrahl zu liefern, obwohl ein Lichtstrahl, als kleinstes Teil eines Lichtbündels, die Außenwand des Behälters gemäß ihrem Umfang ohne Drehung des Behälters beleuchten könne, da ein solcher Lichtstrahl im Wesentlichen einer punktförmigen Quelle entspricht.

€ Es werde von einem Empfängersystem der Lichtstrahlen gesprochen. Es sei undeutlich, auf welche Weise gegebenenfalls ein Zusammenhang zwischen den Lichtstrahlen und dem Lichtstrahl bestehe.

€ Es werde weiterhin auf einen einfallenden Lichtkegel verwiesen, während das Beleuchtungssystem zuerst einen im Wesentlichen punktförmigen Lichtstrahl liefere.

Auch unter Zuhilfenahme der Beschreibung würden die entsprechenden Begriffe nicht deutlicher.

bb. Diese Beanstandungen vermögen dem Senat nicht die Überzeugung zu vermitteln, dass in dem Vorrichtungsanspruch 5 des Streitpatents keine ausführbare Erfindung offenbart ist und das Streitpatent deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit für nichtig erklärt werden wird (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG).

Eine Erfindung ist ausführbar offenbart, wenn die in der Patentschrift enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Es ist nicht erforderlich, dass mindestens eine praktisch brauchbare Ausführungsform als solche unmittelbar und eindeutig offenbart ist (BGH GRUR 2010, 916 € Klammernahtgerät; GRUR 2010, 414 € Thermoplastische Zusammensetzung). Die Antragsgegnerin trägt die Beweislast dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (GRUR 2010, 901 € Polymerisierbare Zementmischung). Folglich reicht es nicht aus, wenn € wie die Antragsgegnerin zum Teil geltend macht € der Fachmann Zweifel hat, wie in der Patentschrift verwendete Begriffe zu verstehen seien. Denn die fehlende Ausführbarkeit kann nur dann bejaht werden, wenn "Unklarheiten" nicht im Wege der Auslegung beseitigt werden können und deshalb der Fachmann keine hinreichenden Informationen enthält, um zumindest eine Ausführungsform nach der Lehre des Patents zu fertigen (vgl. BGH GRUR 2009, 653 € Straßenbaumaschine, zur Patentauslegung im Verletzungsverfahren).

(1) Dass dem Patentanspruch 5 in Verbindung mit der Beschreibung und den Zeichnungen keine ausführbare Lehre entnommen werden kann, weil darin nicht die Benutzung von Masken zur Beseitigung von Störreflexen durch Einengung eines Lichtkegels vorgesehen ist, ergibt sich aus den Ausführungen in der Nichtigkeitsklage nicht. Denn bei der Verwendung von Masken handelt es sich € worauf die Antragstellerin zutreffend hinweist € handelt es sich um eine mögliche Ausführungsform (Abs. 0029: "... In dieser Hinsicht ist das Beleuchtungssystem 10 mit einer inneren 19 und/oder äußeren Maskierungsring ausgestaltet oder nicht ...").

(2) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung eines Patentanspruch nicht maßgeblich auf den Wortlaut darin verwendeter Begriffe abzustellen, sondern es ist der Wortsinn zu ermitteln (z. B. BGH GRUR 2010, 859 € Crimpwerkzeug III). Unter Berücksichtigung der Beschreibung (Abs. 0017) und der Figuren 1 bis 3 ist mit "le jable" = Falz, Kimme (Anlage Ast 6, Abs. 0014 und Abs. 0018) € die deutsche Übersetzung "Kopf" ist für die Auslegung nicht maßgeblich, Art. 70 EPÜ € jeweils der Bereich bezeichnet, in dem sich die in der Beschreibung genannten und in den Zeichnungen gezeigten Reliefs befinden, nämlich der untere Bereich des Behälters bzw. der Flasche (so auch Abs. 0019, wo "partie de jable" richtig als "Teil des Bodens" übersetzt wurde).

(3) Auch in Bezug auf die geltend gemachte Unklarheit der Verwendung unterschiedlicher Begriffe vermag der Senat nicht zu erkennen, dass sich dem Fachmann die Bedeutung der Begriffe nicht erschließe € siehe die Ausführungen der Antragstellerin in der Erwiderung auf die Nichtigkeitsklage, S. 9/11 € und deshalb dem Streitpatent keine ausführbare Vorrichtung entnommen werden könne.

(4) Gleiches gilt auch in Bezug auf die behauptete Unklarheit hinsichtlich des Feldwinkels "€".

(5) Wie sich aus den Ausführungen der Antragstellerin (aaO Seite 11 f) ergibt, wird der Fachmann den Begriff "défilement des bouteilles" in der Anlage Ast 6, Abs. 0025 (Art. 70 Abs. 1 EPÜ) nicht im Sinne eines Rotierens der Flasche um die Längsachse verstehen, da eine solche Bewegung nach der Lehre des Streitpatents gerade vermieden werden soll, sondern als translatorische Bewegung, wie bei der Beförderung der Flasche auf einem Förderband (défiler = vorbeimarschieren).

(6) Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass es dem Fachmann aufgrund der Angaben in der Beschreibung (Abs. 0021, 0029) und den Zeichnungen nicht möglich sein sollte, die Breite des Lichtkegels in Abhängigkeit von der Form und der Dimension einer Flasche zu bestimmen.

(7) Gleiches gilt in Bezug auf die behaupteten weiteren Unklarheiten (ein Lichtstrahl; Lichtstrahlen; Lichtkegel)

cc. Die fehlende Neuheit des Streitpatents wird nicht geltend gemacht. Gestützt auf sechs Entgegenhaltungen

D1: EP ...

D2: JP ...

D3: JP ...

D4: JP ...

D5: JP ...

D6: JP ...

(die D2 bis D6 liegen als Anlage zur Nichtigkeitsklage neben einem englischen Abstract nur in Japanisch vor; von D 6 wurde von der Antragstellerin in der Anlage zur Erwiderung eine englische Übersetzung vorgelegt, von D 4 und D 5 Teilübersetzungen in englischer Sprache) wird der Nichtigkeitsgrund der fehlenden erfinderischen Tätigkeit erhoben. In der D 1 seien alle Merkmale des Streitpatents offenbart mit Ausnahme der Merkmale 5.1 und 6.1 (gemäß der Merkmalsanalyse zur Nichtigkeitsklage = Merkmale 6.1 und 7.1 der obigen Merkmalsanalyse), da die Anordnung von Beleuchtungssystem und optischem Element nicht unter dem Behälter, sondern über dem Behälter erfolge. Wenn dagegen eine Oberflächenstruktur beispielsweise im Bereich des Bodens oder einem unteren Abschnitt der Seitenwand des Behälters abgetastet werden solle, erfolge ohne jegliche erfinderische Tätigkeit eine entsprechende Anordnung der Vorrichtung unterhalb des Behälters oder der Flasche. Gleiches gelte in Bezug auf die Druckschriften D2 bis D5.

bb. Dass das Streitpatent im Umfang der angegriffenen Ansprüche wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit für nichtig erklärt werden wird, ergibt sich daraus nicht.

D1 offenbart ein Verfahren und eine Anordnung zur optisch-elektronischen Erfassung von Oberflächenstrukturen von rotationssymmetrischen Körpern. Es wird zur Erfassung von Beschädigungen am Flaschenmund von Flaschen aus Glas, Porzellan oder Steingut eingesetzt (Seite 2, Zeilen 10 ff). Hiervon ausgehend musste der Fachmann sich nicht nur veranlasst sehen, die Lage des Beleuchtungssystems und des optischen Elements anders vorzusehen, sondern er musste weiterhin eine Einheit zur Analyse und Verarbeitung der Lichtstrahlen, die durch das Empfängersystem empfangen werden, vorsehen, um die Identifikation der Reliefs zu ermöglichen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass das in der D1 offenbarte System zur Erkennung von Defekten am Flaschenhals ohne weiteres auch dafür geeignet ist, die Identifizierung eines Reliefs bzw. einer Codierung im Sinne der Lehre des Streitpatents zu gewährleisten. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, was den Fachmann ausgehend von der D1 bzw. den weiteren genannten Druckschriften D2 veranlassen konnten, zu der Lösung nach dem Streitpatent zu gelangen (vgl. BGH GRUR 2009, 746 € Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; GRUR 2010, 407 € einteilige Öse; GRUR 2010, 814 € Fugenglätter; Meier-Beck, GRUR 2010, 1041, 1043 f).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.

6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 ZPO) liegen nicht vor.






OLG München:
Beschluss v. 03.01.2011
Az: 6 W 2007/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/3bd08c7ac75e/OLG-Muenchen_Beschluss_vom_3-Januar-2011_Az_6-W-2007-10




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