Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 10. Oktober 2006
Aktenzeichen: XI ZB 1/06
(BGH: Beschluss v. 10.10.2006, Az.: XI ZB 1/06)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Dem in Oberbayern wohnhaften Kläger, der die Rückabwicklung eines Kreditvertrages zur Finanzierung einer Immobilienfondsbeteiligung begehrt, wurde Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt in Berlin zu den Kosten eines beim Prozessgericht, dem Landgericht München I, zugelassenen Anwalts beigeordnet. Nach dessen Ausscheiden hat das Landgericht auf Antrag Dr. G. (im Folgenden: Prozessbevollmächtigter) zu denselben Bedingungen als Rechtsanwalt beigeordnet.
Die gegen die Einschränkung der Beiordnung gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt: Nach § 121 Abs. 3 ZPO könne ein Anwalt, der zwar beim Prozessgericht postulationsfähig, aber nicht zugelassen sei, nur beigeordnet werden, wenn dadurch keine höheren Kosten entstünden. Der Fall biete keine Veranlassung, von dieser Regelung abzuweichen. Im Bezirk des Oberlandesgerichts München gebe es eine Vielzahl von Anwälten, die sich auf Anlegerseite mit kreditfinanzierten Fondsbeitritten befassten. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts halten rechtlicher Überprüfung stand.
1. Die Zulässigkeit der angefochtenen Einschränkung folgt aus § 121 Abs. 3 ZPO.
a) Bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO ist in der Regel ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt beizuordnen, weil dadurch wegen der Verpflichtung des Rechtsanwalts, seine Kanzlei am Ort des Gerichts zu betreiben (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BRAO), grundsätzlich sichergestellt ist, dass keine Reisekosten anfallen (BAG NJW 2005, 3083). Ein auswärtiger Rechtsanwalt kann grundsätzlich nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen (§ 121 Abs. 3 ZPO; BGHZ 159, 370, 372).
b) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob ein Gericht die genannte Einschränkung ohne Nachfrage bei dem betroffenen Rechtsanwalt anordnen darf. Während eine Mindermeinung ein ausdrücklich erklärtes Einverständnis des Rechtsanwalts für erforderlich hält (OLG Karlsruhe FamRZ 1991, 348; OLG Bremen NJW-RR 2001, 1229; OLG Oldenburg FamRZ 2003, 107; OLG Düsseldorf Rpfleger 2004, 709, 710; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 121 Rdn. 14; Zöller/Philippi, ZPO 25. Aufl. § 121 Rdn. 13), lehnt die herrschende Meinung dies mit unterschiedlicher Begründung ab. Ein Teil meint, eine Nachfrage sei nicht erforderlich, weil es seiner Einwilligung nicht bedürfe (OLG Hamm MDR 2001, 832 und FamRZ 2004, 708, 709; OLG Celle MDR 2000, 1038, 1039; OLG Nürnberg FamRZ 2002, 106 und NJW 2005, 687; OLG Naumburg OLGReport 2002, 310; KG NJW-RR 2005, 924; Hartung, in: Hartung/Römermann/Schons, RVG 2. Aufl. § 46 Rdn. 29; Musielak/ Fischer, ZPO 4. Aufl. § 121 Rdn. 18). Ein anderer Teil ist der Ansicht, die Einwilligung sei konkludent in dem Antrag auf Beiordnung enthalten (BAG NJW 2005, 3083 f.; OLG Schleswig JurBüro 1992, 486, 487; OLG Stuttgart OLGR 1999, 122, 123; OLG Brandenburg JurBüro 2000, 481, 482 und FamRZ 2005, 2005; OLG Hamburg FamRZ 2000, 1227, 1228; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 64. Aufl. § 121 Rdn. 62; MünchKommZPO/Wax 2. Aufl. § 121 Rdn. 11; Houben, in: Baumgärtel, RVG 9. Aufl. § 46 Anm. 5). Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Streitfrage bisher nicht näher befasst, die Beiordnung eines auswärtigen nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts aber für zulässig erachtet (vgl. BGHZ 159, 370, 373; BGH, Beschlüsse vom 23. März 2006 - IX ZB 130/05, WM 2006, 1298 und vom 6. April 2006 - IX ZB 169/05, NJW 2006, 1881). Der erkennende Senat hält die genannte Einschränkung ohne ein ausdrücklich erklärtes Einverständnis des betroffenen Rechtsanwalts für zulässig.
Ein Beiordnungsantrag enthält regelmäßig ein konkludentes Einverständnis des Prozessbevollmächtigten mit einer dem Mehrkostenverbot des § 121 Abs. 3 ZPO entsprechenden Einschränkung der Beiordnung. Bei einem Rechtsanwalt ist die Kenntnis des Mehrkostenverbots des § 121 Abs. 3 ZPO vorauszusetzen. Wenn ein auswärtiger Rechtsanwalt gleichwohl seine Beiordnung beantragt, muss er davon ausgehen, dass seinem Antrag nur im gesetzlich zulässigen Umfang stattgegeben wird (BAG NJW 2005, 3083, 3084; OLG Celle FamRZ 1991, 962 und MDR 2000, 1038, 1039; OLG Brandenburg JurBüro 2000, 481, 482; OLG Hamburg FamRZ 2000, 1227, 1228; OLG Nürnberg FamRZ 2002, 106; KG NJW-RR 2005, 924). Der Einwand, es gebe auch Fälle, in denen die Beiordnung eines auswärtigen Anwalts das Mehrkostenverbot nicht berühre (OLG Düsseldorf Rpfleger 2004, 709, 710), greift nicht. In diesen Fällen hat die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts unbeschränkt zu erfolgen. Geschieht dies nicht, steht dem betroffenen Anwalt ein eigenes Beschwerderecht zu (BAG NJW 2005, 3083; OLG Hamburg FamRZ 2000, 1227; OLG Oldenburg FamRZ 2003, 107; OLG Köln FamRZ 2005, 2008 f.; OLG Karlsruhe NJW 2005, 2718).
2. Ein solcher Fall ist hier auch unter der gebotenen (vgl. BGHZ 159, 370, 373; BAG NJW 2005, 3083, 3084) Berücksichtigung der Rechtsprechung zur zusätzlichen Beiordnung eines Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO nicht gegeben.
a) Danach ist bei Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes am Sitz des Gerichts regelmäßig auch die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwaltes als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (BGHZ 159, 370, 374 m.w.Nachw.). Hier würden die Kosten eines solchen Verkehrsanwalts durch die einschränkungslose Beiordnung des in Berlin ansässigen Prozessbevollmächtigten des Klägers aber nicht erspart. Der nicht am Gerichtsort, sondern ca. 100 km entfernt wohnende Kläger begehrt die Beiordnung seines auswärtigen Prozessbevollmächtigten nicht zur Vermeidung einer Informationsreise an den Gerichtsort.
b) Dass einem am Gerichtsort ortsansässigen beigeordneten Rechtsanwalt die Kosten einer Reise an den Wohnort der Partei zu erstatten sind, wenn die Prozessführung ein Informationsgespräch erfordert und die auswärtige Partei nicht in der Lage ist, die Kosten einer Reise zu ihm aufzubringen, vermag entgegen der Ansicht des Klägers eine einschränkungslose Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Die Kosten für eine oder mehrere Reisen des Prozessbevollmächtigten von Berlin zum Landgericht München I oder in den ca. 100 km südlich gelegenen Wohnort des Klägers übersteigen die fiktiven Reisekosten des Klägers für eine gleiche Anzahl von Fahrten von seinem Wohnort in den ca. 100 Kilometer entfernten Gerichtsort München deutlich.
c) Die einschränkungslose Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt sich schließlich auch nicht damit begründen, dass nur er besondere Kenntnisse in einer Spezialmaterie besitze (vgl. dazu Fischer MDR 2002, 729, 733). Insoweit hat das Oberlandesgericht unangegriffen festgestellt, in seinem Gerichtsbezirk gebe es eine Vielzahl von Rechtsanwälten, die sich auf Anlegerseite mit kreditfinanzierten Fondsbeitritten befassten.
Nobbe Müller Ellenberger Schmitt Grüneberg Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 21.10.2005 - 4 O 5558/05 -
OLG München, Entscheidung vom 09.12.2005 - 19 W 2933/05 -
BGH:
Beschluss v. 10.10.2006
Az: XI ZB 1/06
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