Bundespatentgericht:
Urteil vom 15. Juni 2010
Aktenzeichen: 3 Ni 37/08
(BPatG: Urteil v. 15.06.2010, Az.: 3 Ni 37/08)
Tenor
1.
Das europäische Patent 0 593 656 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. Juli 1992 als internationale Patentanmeldung PCT/FR1992/000625 angemeldeten, die Priorität der französischen Patentanmeldung 9108527 vom 8. Juli 1991 in Anspruch nehmenden undu. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 593 656 B3 (Streitpatent), dessen Erteilung am 22. Januar 1997 und dessen Beschränkung am 7. Oktober 2009 veröffentlicht worden ist. Vom Deutschen Patentund Markenamt wird es unter der Nummer DE 692 17 056 geführt. Das Streitpatent betrifft "Taxan-Derivate enthaltende Arzneimittel" und umfasst in der beschränkten Fassung 3 Patentansprüche, die in der deutschen Übersetzung folgendermaßen lauten:
1.
Zusammensetzungen auf der Basis von Produkten der Klasse von Taxanen der Formel (I)
in der R ein Wasserstoffatom darstellt und R1 ein tert.-Butoxycarbonylaminorest ist, in Lösung in einer Mischung von Ethanol und Polysorbat.
2.
Zusammensetzungen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß sie zwischen 6 und 15 mg/ml Verbindung der Formel (I) in Lösung in einer Mischung von Ethanol und Polysorbat enthalten.
3.
Perfusionen, dadurch gekennzeichnet, daß sie etwa 1 mg/ml Verbindung der Formel (I), weniger als 35 mI/l Polysorbat und weniger als 35 mI/l Ethanol enthalten.
Die Klägerinnen zu 1 bis 3 stützen ihre Klagen darauf, dass der Gegenstand des Streitpatentes wegen mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei. Die Klägerin zu 3 macht darüber hinaus unzulässige Erweiterung und unzureichende Offenbarung geltend.
Zur Begründung ihres Vorbringens stützen sich die Klägerinnen auf folgende Dokumente, KK1 EP0593656B1 KK2 DE 692 17 056 T2 KK5 Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch, 7. Aufl., 1993, Walter de Gruyter Berlin New York, S. 377, Stichwort: "Cremophore¨"
KK7 Gueritte-Voegelein, F. et al., J. Med. Chem. 1991, 34(3), S. 992 bis 998 KK8 Tarr, B. D. and Yalkowsky, S. H., Journal of Parenteral Science and Technology 1987, 41(1), S. 31 bis 33 KK9 Rowinsky, E. K. et al., J. Natl. Cancer Inst. 1990, 82 (15), S. 1247 bis 1259 KK10 Dorr, R. T und Liddil, J. D., J. Drug Dev. 1988, 1(1), S. 31 bis 39 KK11 Tarr, B. D. et al., Pharm. Res. 1987, 4 (2), S. 162 bis 165 KK12 EP 0 253 738 B1 KK12a E 49 962 B KK28 Ostro, M. J. "Liposomes, 1st Ed., 1987, S. 348 bis 351 KK29 Voigt, R. "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie", 6. Aufl., VCH, 1987, S. 343 bis 345, 477, 480 KK30 Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch, 6. Aufl., 1986, Walter de Gruyter Berlin New York, S. 532/533, S. 833, 1018/1019 KK31 Dye, D. und Watkins, J., Brit. Med. J. 1980, S. 1353 KK34 Weiss, R. B. et al., J. Clin. Oncol. 1990, 8(7), S. 1263 bis 1268 KK35 Ringel, I. und Horwitz, S. B., J. Natl. Canc. Inst. 1991, 83 (4), S. 288 bis 291 KK36 "Dictionnaire Vidal¨" 1989: "Vehem-Sandoz¨" und "Vepeside-Sandoz¨"
KK37 o' Dwyer, P. J. und Weiss, R. B., Cancer Treat. Rep. 1984, 68(7-8), S. 959 bis 961 KK40 Bove, K. E. et al., JAMA 1985, 254 (17), S. 2422 bis 2430 KK41 Abschrift Anhörung vor dem District Court Wilmington, Delaware, vom 28.10.2009 - 07-721-GMS KK42 Friche, E. et al., Cancer Communications 1990, 2 (9), S. 297 bis 303 KK43 Gough, W. B. et al., Journal of Cardiovascular Pharmacology 1982, 4(3), S. 375 bis 380 Die Klägerinnen haben, soweit das Streitpatent mit Wirkung zum 7. Oktober 2009 beschränkt worden ist, hinsichtlich des über die beschränkte Anspruchsfassung hinausgehenden ursprünglich erteilten Patents die Erledigung der Hauptsache erklärt, und beantragen nunmehr, das europäische Patent EP 0 593 656 auch in der beschränkten Fassung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte, die sich der teilweisen Erledigterklärung der Klägerinnen angeschlossen hat, beantragt, die Klagen abzuweisen, insoweit das Patent mit den Ansprüchen des neuen Hauptantrags, eingereicht am 11. Juni 2010, verteidigt wird, hilfsweise, insoweit das Streitpatent mit den Ansprüchen der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit dem selben Schriftsatz verteidigt wird.
Die gemäß Hauptantrag verteidigten Patentansprüche 1 bis 3 lauten folgendermaßen 1.
Pharmazeutische Zusammensetzungen auf der Basis des Taxans der Formel (I)
in der R ein Wasserstoffatom darstellt und R1 ein tert.-Butoxycarbonylaminorest ist, in Lösung in einer Mischung von Ethanol und Polysorbat.
2.
Pharmazeutische Zusammensetzungen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie zwischen 6 und 15 mg/ml Verbindung der Formel (I) in Lösung in einer Mischung von Ethanol und Polysorbat enthalten.
3.
Perfusionen, enthaltend die Verbindung der Formel (I) nach Anspruch 1, in der R ein Wasserstoffatom darstellt und R1 ein tert.-Butoxycarbonylaminorest ist, Polysorbat und Ethanol, dadurch gekennzeichnet, dass sie etwa 1 mg/ml Verbindung der Formel (I), weniger als 35 mI/l Polysorbat und weniger als 35 mI/l Ethanol enthalten.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüche 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 1. Dieser unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag darin, dass die pharmazeutische Zusammensetzung "zur Behandlung von Tumoren" vorgesehen ist.
Weiter hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 2. Gegenüber Hilfsantrag 1 wird die beanspruchte pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich durch das Merkmal "zur Herstellung von Perfusionen" charakterisiert.
Weiter hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 3. Im Unterschied zu Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist der Patentanspruch 1 auf die Verwendung der pharmazeutischen Zusammensetzungen zur Herstellung von Perfusionen gerichtet.
Weiter hilfsweise verfolgt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 4. Gegenüber Hilfsantrag 3 ist die Verwendung auf die Herstellung von Perfusionen zur Behandlung von Tumoren beschränkt.
Weiter hilfsweise verfolgt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 5. Gegenüber Hilfsantrag 3 sind die zur Verwendung vorgesehenen pharmazeutischen Zusammensetzungen zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass sie "weniger als 50 ml/l Polysorbat und weniger als 50 ml/l Ethanol enthalten".
Weiter hilfsweise verfolgt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 6. Gegenüber dem Hilfsantrag 5 ist die Verwendung des weiteren durch die Angabe der Indikation "zur Behandlung von Tumoren" definiert.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und verweist zur Stütze ihres Vorbringens auf folgende Dokumente:
B2 Lataste, H. et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 1984, 81, S. 4090 bis 4094 B3 EP 0 593 656 B3 B4 Huynh, L. et al., Pharm. Res. 2008, 25(1), S. 147 bis 157 B5 Datenblatt zu den Nebenwirkungen zu IXEMPRA¨, Revised:
00/200X (2 Seiten)
B6 Datenblatt BASF ExAct -No.9, October 2002, Seiten 7 und 8 B7 Internet-Ausdruck "Le medicament, definition" 1 Seite vom 23. Oktober 2009; http://www.leem.org/medicament/lemedicamentdefinition-376.htm B8 Masini, E. et al., Agents and Actions 1985, 16(6), S. 470 bis 477 B9 Lavelle, F. et al., Proc. Am. Assoc. Cancer Res. 1989, 30 S. 566, Abstract: 2254 -80th Annu. Meet. Of The Am. Assoc. For Cancer Res. (Aacr), San Francisco. 24-27/5/89 B10 Eidesstattliche Versicherung Prof. Dr. Jean-Christophe Leroux nebst Anlagen Exhibit C bis Exhibit P B10a Übersetzung von B10 B11 Eidesstattliche Versicherung Prof. Dr. Kinam Park nebst Anlagen Exhibit P1 bis Exhibit P30 B12 Eidesstattliche VersichErung Prof. Dr. Jean-Christophe Leroux vom 10. Juni 2010 B13 Eidesstattliche Erklärung Dr. Jean Louis Fabre vom 14. Mai 2010 B13a Übersetzung von B13 B14 Yalkowsky, S. H. et al., J. Pharm. Sci. 1983, 72 (9), S. 1014 bis 1017 B15 Verschreibungsinformation (prescribing information): "Taxotere¨" -3 Seiten -Internet-Ausdruck: http://products.sanofiaventis.us/Taxotere/taxotere.html vom 12. Juni 2010 B16 Moorhatch, P. et al., Amer. J. Hosp. Pharm. 1974, 31, S. 149 bis 152 B17 Rhne-Poulenc Sante, Informal report ,16. Februar 1990, Ç RP 56976 Ç -Quantitative Toxicology -9 Seiten B18 Turpin, F. et al., Sem. Hop. Paris 1982, 58(38), S. 2175 bis 2184 B19 Teilübersetzung von B18 Mit Beschlüssen vom 4. August 2009 und 21. September 2009 sind die Nichtigkeitsklagen 3 Ni 37/08 (EU), 3 Ni 9/09 (EU) und 3 Ni 15/09 (EU) miteinander verbunden worden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien sowie des Wortlauts der weiteren Patentansprüche wird auf die Akten verwiesen.
Gründe
Die Klagen sind zulässig und begründet.
Der von sämtlichen Klägerinnen geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in der nach Hauptantrag und den verteidigten Hilfsanträgen 1 bis 6 verteidigten Fassung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ).
I.
1. Das Streitpatent betrifft Zusammensetzungen auf der Basis von Taxotere in Lösung einer Mischung von Ethanol und Polysorbat sowie injizierbare Zubereitungen davon (vgl. Streitpatentschrift B3 Patentansprüche 1 und 3 i. V. m. Beschreibung S. 2 Abs. [0001] und [0002]).
Die Verbindung Taxotere (=Docetaxel) zählt zur gleichen Wirkstoffklasse, der Familie der Taxane, wie das als antitumoraler Wirkstoff bekannte Taxol. Im Gegensatz zu dem nur schwer zugänglichen Naturstoff Taxol, kann dieses Derivat jedoch ausgehend vom besser zugänglichen Baccatine III semisynthetisch nicht nur in größeren Mengen zur Verfügung gestellt werden, es weist überdies auch eine im Vergleich zu Taxol bessere antitumorale Wirksamkeit und Wasserlöslichkeit auf (vgl. z. B. KK9 S. 1257 li. Sp. Abs. 2 und 3 sowie KK35 S. 288 Abstract, S.289 li./mi. Sp. übergreifender Absatz, S. 289 re. Sp. Abs. 3 bis S. 290 re. Sp. Abs. 1 i. V. m. Tabelle 1). Darüber hinaus wird in der Beschreibung des Streitpatents einleitend ausgeführt, dass auf Grund der bemerkenswerten in vivo-Wirkung der Verbindung Taxotere gegenüber malignen Tumoren die Möglichkeit bestehe, sie auch in Verbindung mit der Behandlung von Erkrankungen zu untersuchen, die sich gegenüber allen anderen Krebstherapien als resistent erwiesen hätten. Ein Nachteil dieses Wirkstoffes liege jedoch in der weiterhin geringen Wasserlöslichkeit, was zur Folge habe, dass die Herstellung von diesen Wirkstoff aufweisenden injizierbaren Zubereitungen auf der Basis von oberflächenaktiven Mitteln und Ethanol, in dem sich Taxotere am besten löse, erfolgen müsse, so wie es auchi. V. m. dem sehr schlecht wasserlöslichen Taxol bekannt sei. Zur Herstellung entsprechender Formulierungen werde mit Taxotere zunächst eine sogenannte "Mutterlösung" von 6 mg/ml dieser Substanz in einer Lösungsmittel-Mischung von 50 Vol.-% Ethanol mit 50 Vol.-% des oberflächenaktiven Mittels Cremophor EL¨ als erste Lösung bereitgestellt, die sodann für Injektionszwecke mit einer Natriumchlorid oder Dextrose enthaltenden Infusionslösung verdünnt werde. Solche Lösungen wiesen jedoch den Nachteil auf, nur dann physikalisch wie chemisch stabil zu sein, wenn die Wirkstoffkonzentration in einem Bereich von 0,03 bis 0,6 mg/ml liege. Zur Verabreichung ausreichender Wirkstoff-Dosen seien jedoch Konzentrationen von 0,3 bis 1 mg/ml wünschenswert. Bei höheren Dosen müsse aber mit dem Auftreten eines durch Cremophor verursachten, nur schwer beherrschbaren anaphylaktischen Schocks gerechnet werden. Nachdem die Therapie zudem häufig steigende Dosierungen des Wirkprinzips erfordere, müssten wegen der relativ geringen Wirkstoff-Konzentration in diesen Infusionslösungen große Volumina verabreicht werden, was zur Folge habe, dass im Laufe der Behandlung zusätzlich zum Auftreten eines anaphylaktischen Schocks auch mit einer Alkoholvergiftung gerechnet werden müsse (vgl. Streitpatent B3 S. 2 Abs. [0003] bis [0008]).
2.
Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende objektive technische Aufgabe darin zu sehen, eine Lösung bereitzustellen, die für die Zubereitung einer Infusion verwendet werden kann, wobei mit der Infusion hohe Konzentrationen an Docetaxel verabreicht werden können und wobei das Risiko an Nebenwirkungen reduziert wird (vgl. Streitpatent B3 S. 2 Abs. [0007]).
3.
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1, durch 1.
pharmazeutische Zusammensetzungen auf der Basis von 2.
Taxotere (Docetaxel)
3.
gelöst in einer Mischung von 3.a. Ethanol und 3.b. Polysorbat.
Gelöst wird diese Aufgabe im weiteren gemäß Patentanspruch 3 durch Perfusionen, die etwa 1 mg/ml des Wirkstoffs Taxotere sowie weniger als 35 mI/l Polysorbat und weniger als 35 mI/l Ethanol enthalten.
4. Der zuständige Fachmann ist ein Team (vgl. BGH GRUR 2010, 607, 611, Tz. 70 -Fettsäurezusammensetzung; GRUR 2010, 123, 125, Tz. 27 -Escitalopram; BGH GRUR 2007, 404, 406, Tz. 26 -Carvedilol II), dem jedenfalls ein Galeniker, d. h. ein Pharmazeut oder Diplom-Chemiker, der sich nach dem Studienabschluss auf dem Gebiet der Galenik spezialisiert hat, mit langjähriger Erfahrung bei der Entwicklung von parenteralen Zubereitungen, insbesondere auch von Infusionslösungen, sowie ein Onkologe angehören.
II.
1. Sowohl die nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag als auch die nach Patentanspruch 3 gemäß Hauptantrag beanspruchte Perfusion erweisen sich als nicht patentfähig, weil ihre Bereitstellung jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Es kann im Ergebnis dahin gestellt bleiben, inwiefern die von Seiten der Klägerinnen geltend gemachte unzulässige Erweiterung hinsichtlich der Beschränkung des Merkmals "oberflächenaktives Mittel" durch die konkrete Nennung von "Polysorbat" überhaupt vorliegt. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann der Einwand, die beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzungen bzw. Perfusionen seien unzureichend offenbart, weil die Patentansprüche keine Angaben hinsichtlich weiterer Hilfsstoffe enthielten und auch die Mengenbereiche nicht definiert seien.
Es ist zudem nicht entscheidungswesentlich, inwiefern die Neuheit im Hinblick auf die wissenschaftliche Veröffentlichung KK7 der Autoren F. Gueritte-Vögelein et al. gegeben ist, denn zu den von der Beklagten verteidigten Patentansprüchen 1 und 3 gemäß Hauptantrag konnte der Fachmann ohne erfinderisches Zutun gelangen.
1.1. Am Prioritätstag des Streitpatentes war es -wie vorstehend unter I.1. dargelegt und auch aus der europäischen Patentschrift EP 0 253 738 (= KK12) ersichtlich ist -bekannt, dass Taxotere (vgl. KK12, Patentanspruch 1, allgemeine Formel I: Taxotere/Docetaxel = R1: OH, R2: tert. Butoxycarbonylaminorest) eine vielversprechende Alternative zu dem strukturverwandten Wirkstoff Taxol darstellt, einem bereits zur Behandlung von Krebserkrankungen als sehr vorteilhaft erkannten, jedoch nur eingeschränkt verfügbaren Naturstoff (vgl. auch KK12 S. 2 Z. 23 bis 49, S. 3 Z. 62 bis S. 4 Z. 5). Es war dem Fachmann aus dem Dokument KK12 überdies bekannt, dass die parenterale, dabei insbesondere die intravenöse Verabreichung von Taxotere -ebenso wie im Fall von Taxol -als besonders geeignet erachtet wird. Dabei könnten zur Herstellung entsprechender Formulierungen - so wird dort weiter ausgeführt -als Lösungsoder Trägermittel injizierbare organische Ester verwendet werden, auch könnten Netz-, Emulgieroder Dispergiermittel eingesetzt werden (vgl. S. 8 Z. 7 bis 16). Als einzige pharmazeutische Formulierung wird in dieser Druckschrift sodann eine Lösung von Taxotere in einer Mischung aus jeweils gleichen Teilen Ethanol und Emulphor EL 620¨ -einem Polyoxyethylenrizinoleat wie Cremophor EL¨ (vgl. KK 10 S. 32 li. Sp. 2. Abs. 2. Satz sowie KK32 S. 338 li. Sp. Abs. 1) -beschrieben, die sodann verdünnt mit einem Serum als Infusion verabreicht wird (vgl. S. 8 Z. 25 bis 31). Somit wird in der europäischen Patentschrift KK12 eine Stamm-Lösung von Taxotere angegeben, die für die Zubereitung einer Infusion verwendet wird. Ausgangspunkt für Überlegungen zum Auffinden einer Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, eine Stamm-Lösung für die Zubereitung einer Infusion bereitzustellen, mit der sodann hohe Konzentrationen an Taxotere verabreicht werden können und gleichzeitig das Risiko an Nebenwirkungen reduziert wird, stellt daher dieses Dokument dar. Denn der Fachmann wird sich zunächst mit der den in Rede stehenden Wirkstoff Taxotere enthaltenden, bereits bekannten Zusammensetzung und der sie beschreibenden Druckschrift befassen und auf Optimierungsmöglichkeiten überprüfen (BGH GRUR 2010, 607, 711 Tz. 70 -Fettsäurezusammensetzung).
Zum allgemeinen Fachwissen des mit der Entwicklung von injizierbaren Zubereitungen befassten Fachmannes zählte gleichzeitig, wie im Übrigen auch im einleitenden Teil des Streitpatentes ausgeführt wird und aus dem Lehrbuch "Pharmazeutische Technologie" des Autors R. Voigt aus dem Jahr 1987 (= KK29) zu ersehen ist, dass die Verwendung von Polyoxyethylenrizinoleaten, wie Cremophor EL¨, bei der Herstellung solcher Formulierungen zu Überempfindlichkeitsreaktionen und gegebenenfalls lebensbedrohlichen Zuständen führen kann (vgl. Streitpatentschrift B3 S. 2 Abs. [0007] sowie KK29 S. 345 Tabelle 40 -Fußnote). Eine Reaktion, die - aufgrund der Zugehörigkeit zur gleichen Substanzklasse wie Cremophor EL¨ -erwartungsgemäß so auch mit Emulphor EL 620¨ beobachtet werden konnte (vgl. KK10 S. 32 li. Sp. 2. vollständiger Satz von unten übergreifender Absatz sowie S. 38 li. Sp. Abs. 2).
Vor die Aufgabe gestellt, eine Taxotere aufweisende, zur Herstellung von Infusionslösungen geeignete pharmazeutische Zubereitung bereitzustellen, bei der die Gefahr des Auftretens von Nebenreaktionen dieser Art geringer ist als bei der aus dem Stand der Technik bekannten Formulierung und mit der dennoch eine sehr gute Löslichkeit des Wirkstoffes gewährleistet ist, wird der Fachmann als erstes sein Fachwissen heranziehen bevor er sich einer aufwändigen Literatur-Recherche zuwendet. Zur Lösung dieser Aufgabe zog er daher am Prioritätstag den bereits auf Grund dieses Fachwissens -wie es z. B. mit dem Lehrbuch KK29 repräsentiert wird -nahe gelegten Ersatz des gemäß dem Dokument KK12 als Co-Solvens fungierenden Polyoxyethylenrizinoleats durch ein ihm als Alternative bekanntes oberflächenaktives Mittel, nämlich Polysorbat, in Erwägung. Den Hinweis, dass es sich bei dem in Rede stehenden Rizinoleat nicht um das einzige für Taxotere geeignete Co-Solvens handelt, vermittelte ihm bereits die Druckschrift KK12 selbst. Denn im Zusammenhang mit den für die dort beschriebenen Infusionen in Betracht zu ziehenden Formulierungshilfsmitteln wird ausgeführt, dass die Substanzgruppe der injizierbaren organischen Ester an sich als Löseoder Trägermittel, somit als Co-Solventien, für die Herstellung der dort genannten Formulierungen als geeignet erachtet werden. Im Zuge dessen boten sich dem Fachmann sodann direkt, ohne eine Auswahl treffen zu müssen, Substanzen aus der Verbindungsklasse der Polysorbate, d. h. der Fettsäureester von Polyoxyethylensorbitan, an. Denn diese werden im Lehrbuch KK29 hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Solubilisierung schlecht wasserlöslicher bzw. wasserunlöslicher Arzneistoffe als einzige gleichwertige Alternative zu den Tensiden der Chremophor¨-Gruppe beschrieben, ohne dass jedoch -wie im Fall der Polyoxyethylenrizinoleate -vor deren Verwendung bei Injektionsund Infusionspräparaten gewarnt würde. So wird dort in diesem Zusammenhang zum einen ausgeführt, dass sich in der pharmazeutischen Technologie vor allem nichtionogene Tenside wie Chremophor¨ oder Tween¨ -Verbindungen, bei denen es sich um die Fettsäureester Polyoxyethylensobitanoleate handelt (vgl. S. 343 Tabelle 38) -gegenüber chemischen Einflüssen als weitgehend indifferent erwiesen hätten (vgl. S. 477 Abs. 1 und 2). Zum anderen wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass es unter den nichtionogenen Tensiden vor allem die Tween¨-Substanzen sind, die zur Solubilisierung zahlreicher Arzneistoffe -u. a. auch für parenterale Applikationen -herangezogen würden (vgl. S. 480 "23.3.8.2.1. Arzneimittel"). Angesichts dieser Sachlage, bedurfte es lediglich der Überprüfung, inwiefern diese Substanzgruppe tatsächlich dazu geeignet ist, als Co-Solvens zur Herstellung einer Taxatere aufweisenden Stamm-Lösung für Infusions-Lösungen eingesetzt zu werden und diese Infusions-Lösungen sowohl die gewünschten hohen Wirkstoff-Konzentrationen, als auch eine Reduzierung des Risikos an Nebenwirkungen gegenüber der aus dem Dokument KK12 bekannten Zubereitung aufweisen. Zur Überprüfung, inwiefern diese Zielsetzungen mit diesem Co-Solvens erreichbar sind, waren lediglich orientierende Versuche erforderlich, die der Fachmann angesichts des vorstehend dargelegten Sachstandes so anlegen konnte, dass sie den Rahmen reiner Routinetätigkeit nicht überschritten. Eine erfinderische Leistung ist damit nicht verbunden.
Dieses trifft insbesondere auch deshalb zu, weil dem Fachmann aus der wissenschaftlichen Veröffentlichung der Autoren F. Gueritte-Vögelein et al. im "Journal of Medicinal Chemistry" (= KK7) nicht nur bekannt war, dass die Fachwelt das Lösungsmittel-System Ethanol/Polysorbat für Taxotere am Prioritätstag bereits als geeignet in Betracht gezogen hat, sondern auch, dass dieser Wirkstoff in diesem Lösungsmittel-System besser löslich ist als Taxol (vgl. S. 996 re. Sp. Abs. 3). Damit aber war mit der Verwendung von Taxotere statt dem weniger verfügbaren Naturstoff Taxol zusammen mit dem in Rede stehenden Lösungsmittel-System zur Herstellung einer Stamm-Lösung von vornherein zu erwarten gewesen, dass sich in der Folge eine, im Vergleich zu Taxol höhere Wirkstoff-Konzentration auch in der Infusions-Lösung ohne weiteres Zutun ergeben wird. Mit diesem Ergebnis konnte der Fachmann im Übrigen umso mehr rechnen, als er -wie z. B. anhand der Veröffentlichung KK35 zu ersehen ist, die Studien zu Taxotere betrifft -bereits bei einem Vergleich der Strukturen beider Verbindungen erkennen konnte, dass Taxotere eine höhere Hydrophilität als Taxol besitzt. Dabei handelt es sich um eine Eigenschaft, die -und dies ist den Grundkenntnissen des Fachmannes zuzurechnen -auch eine höhere Löslichkeit in der zweiten Komponente des vorliegend in Rede stehenden Lösungsmittel-Systems, dem Ethanol, zur Folge hat. Zurückzuführen ist dies auf die unterschiedlichen Substituenten in der C-10 und C-13-Position, bei denen es sich im Falle von Taxatere um eine "-OH"-bzw. "OC(CH33)"-Gruppe handelt, bei Taxol dagegen um einen Acetylbzw. einen Phenyl-Rest. Bestätigung erfährt diese theoretische Erwägung in diesem Artikel sodann auch durch experimentelle Ergebnisse, wonach Taxatere eine um nahezu 25 % höhere Löslichkeit in Wasser aufweist als der Wirkstoff Taxol (vgl. KK35 S. 289 re. Sp. Fig. 1 i. V. m. S. 289 re. Sp. le. Abs. bis S. 290 re. Sp. übergreifender Absatz).
Der Fachmann war um so mehr dazu veranlasst, zur Lösung der vorliegenden Aufgabe Polysorbat anstelle von Emulphor EL 620¨ in einer Taxotere enthaltenden Stamm-Lösung für Infusions-Lösungen in Betracht zu ziehen, als zum maßgeblichen Zeitpunkt auch i. V. m. anderen schwer wasserlöslichen Arzneistoffen wie beispielsweise aus der Veröffentlichung KK10 zu ersehen ist -dieser Austausch unter dem Gesichtspunkt der Verringerung von mit der Verwendung von Polyoxyethylenrizinoleaten zu beobachtenden Nebenwirkungen vorgeschlagen worden ist (vgl. KK10 S. 31 Abstract, S. 32 li./re. Sp. übergreifender Absatz, S. 33 li. Sp. Abs. 2 und S. 38 li./re. Sp. übergreifender Absatz). In diesem Zusammenhang war ihm zudem bekannt, dass ein Polysorbat und Ethanol enthaltendes, im Handel befindliches Lösungsmittelsystem nicht nur bereits gut untersucht war und als klinisch verträglich erachtet worden war (vgl. KK10 S. 32 li./re. Sp. übergreifender Absatz sowie S. 38 li. Sp. Abs. 2), sondern jedenfalls zwei mit diesem Lösungsmittelsystem formulierte, injizierbare Arzneimittel zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits zugelassen und im Handel waren und es sich neben Ampillicin in einem Fall um den in dieser Studie beschriebenen Wirkstoff Etoposid handelt (vgl. B10/Exhibit K S. 287/288 "Etoposide" i. V. m. KK10 S. 38 li. Sp. Abs. 2 sowie KK28 S. 350, Tabelle 2: "Polysorbat 40 -Ampillicin" und "Polysorbat 80 -Etoposid").
Dem Argument der Beklagten, weder KK7 noch KK10 wären vom Fachmann beachtet worden, da sie sich nicht an einen Galeniker richteten, kann sich der Senat nicht anschließen. KK7 enthält grundlegende Angaben zur Struktur von Taxotere und somit auch zu seinem Löslichkeitsverhalten. Dieses sind jedoch wesentliche Informationen, die ein Galeniker zu berücksichtigen hat, wenn er vor der Aufgabe steht, diesen Wirkstoff in eine Formulierung einzuarbeiten. Die in dieser Veröffentlichung gegebenen Hinweise zu den chemischen und physikalischen Eigenschaften sowie zur biologischen Aktivität der Verbindung wird er daher bei der Auswahl eines geeigneten Lösungsmittel-Systems mit einbeziehen, insbesondere unter dem Aspekt, die Aktivität des Wirkstoffes nicht zu beeinträchtigen. Der Fachmann wird auch den wissenschaftlichen Artikel KK10 bei seinen Überlegungen berücksichtigen, weil dieser ebenfalls die Entwicklung einer parenteral zu verabreichenden Formulierung betrifft, die einen sehr schwer wasserlöslichen Wirkstoff mit antitumoraler Aktivität enthält, zumal vorliegend ein Team von Fachleuten angesprochen ist.
Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage kann das Argument der Beklagten führen, der Fachmann habe keine Veranlassung gehabt, von Cremophor EL¨ als Co-Solvens abzugehen, weil -wie aus dem Dokument KK34 zu ersehen sei -es zum einen am Prioritätstag keineswegs sicher gewesen sei, welche der Substanzen, Cremophor EL¨ oder Taxol, für die Nebenwirkungen verantwortlich sei, es im Schrifttum aber Hinweise gegeben habe, dass Cremophor EL¨ gut verträglich sei und die Wirkung des Arzneistoffes verstärken könne.
Der Artikel KK34 der Autoren R. B. Weiss et al. in "Journal of Clinical Oncology" betrifft Untersuchungen zu den i. V. m. der Verabreichung von Taxol und Cremophor EL¨ enthaltenden Formulierungen zu beobachtenden Überempfindlichkeitsreaktionen. Die Autoren kommen dabei zu dem Ergebnis, dass keiner dieser beiden Substanzen die Verantwortung für diese unerwünschte Reaktion eindeutig zugeordnet werden könne und zur Klärung weitere Versuche erforderlich seien (vgl. S. 1266 re. Sp. Abs. 2 bis S. 1267 li. Sp. Abs. 1 sowie S. 1268 li. Sp. Abs. 1.). Dieses Dokument vermag daher den Fachmann nicht davon abzuhalten, Polyoxyethylenrizinoleate wie Cremophor EL¨ als Auslöser der unerwünschten Nebenwirkungen in Betracht zu ziehen. Vielmehr wird er mit diesem Artikel sogar dazu angehalten, dessen Rolle im Zusammenhang mit diesen höchst unerwünschten Reaktionen weiter zu untersuchen. Der Hinweis in der Veröffentlichung B11 Exhibit P17, Cremophor EL¨ werde gemäß den dortigen Studien gut vertragen und scheine sogar als Wirkungsverstärker zu agieren, wird den Fachmann gleichfalls nicht davon abhalten, sich zur Herstellung der von ihm ins Auge gefassten injizierbaren Formulierungen nach einem Ersatz für das Co-Solvent aus der Substanzgruppe der Polyoxyethylenrizinoleate umzusehen. Selbst wenn, wovon auch der Senat ausgeht, die im Stand der Technik beobachteten Überempfindlichkeitsreaktionen nicht generell bei jedem Patienten zu beobachten sein werden, können diese doch im Fall eines anaphylaktischen Schocks zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Der Fachmann wird aber stets bestrebt sein, das Auftreten solcher Nebenwirkungen zu minimieren (vgl. Streitpatentschrift B3 S. 2 Abs. [0007], KK10 S. 32 li. Sp. Abs. 2, KK11 S. 162 li. Sp. Abs. 2, KK31 S. 1353 li. Sp. Abs. 1 le. Satz, re. Sp. Abs. 2). Zudem war die Gefahr für das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen mit diesen Substanzen augenscheinlich so konkret gegeben, dass auf Grund dessen im Schrifttum nicht nur auf bestehende Bedenken hingewiesen worden ist (vgl. z. B. KK28 S. 351 1. Abs. le. Satz), sondern sogar -dem Lehrbuch KK29 folgend -vor der Verwendung dieser Substanzgruppe bei der Herstellung von Injektionen und Infusionen im Allgemeinen gewarnt worden ist (vgl. S. 345 Tabelle 40 -Fußnote und S. 480 Abs. 4). Zum anderen wird eine Wirkungsverstärkung nicht nur i. V. m. Cremophor EL¨ beschrieben, sondern, wie aus dem in der mündlichen Verhandlung von den Klägerinnen überreichten wissenschaftlichen Artikel von E. Friche et al. in "Cancer Communications" aus dem Jahr 1990 (= KK 42) ersichtlich ist, auch für das Polysorbat "Tween 80¨" (vgl.
S. 301 re. Sp. Abs. 4 bis S. 302 li. Sp. Abs. 1). Diese Eigenschaft wird der Fachmann daher nicht als einen insbesondere mit Cremophor EL¨ verbundenen Vorteil assoziieren.
Dem Einwand der Beklagten, auch Polysorbat verursache gemäß den Veröffentlichungen B8, B10 -Exhibit I und Exhibit J, B11 -Exhibit P18 bzw. dem Dokument KK37 sowie dem in der mündlichen Verhandlung überreichten wissenschaftlichen Artikel von F. Turpin et al. in "Sem. Hop. Paris" aus dem Jahr 1982 (= B18) unerwünschte Nebenwirkungen bis hin zum Auftreten eines anaphylaktischen Schocks, weshalb der Fachmann in den Polysorbaten keine geeignete Alternative zu den Polyoxyethylenrizinoleaten gesehen habe, kann sich der Senat ebenfalls nicht anschließen. Es ist richtig, dass im Schrifttum i. V. m. Polysorbat ebenfalls auf eine mögliche Beteiligung dieses Co-Solvents an den mit der Gabe entsprechend formulierter Arzneimittel zu beobachtenden Nebenreaktionen hingewiesen worden war. Dabei handelt es sich, wie in dem im Artikel der Autoren F. Turpin et al., jedoch um Vermutungen (vgl. S. 2184 re. Sp. Abs. 6), die widerlegt worden sind. Ersichtlich ist dies aus der späteren Veröffentlichung KK10 (1998), die sich noch vor dem Prioritätstag u. a. ebenfalls mit Polysorbat und Podophyllotoxin-Derivaten, hier dem Etoposid, befasst und in diesem Zusammenhang ausführt, dass das dort angegebene Polysorbat enthaltende Lösungsmittel-System nicht zu übermäßigen bzw. generell auftretenden Nebenwirkungen geführt habe (vgl. S. 38 li. Sp. Abs. 2). Im Zusammenhang mit Patienten wird ferner auch über degenerative Veränderungen der Leber berichtet (vgl. B10 -Exhibit I S. 2445 mi. Sp.). Darüber hinaus gehende Beschreibungen von konkret auftretenden, zu lebensbedrohlichen Zuständen führenden Nebenwirkungen bei erwachsenen Patienten bzw. eine generelle Warnung vor der Verwendung dieser Substanz zur Herstellung von injizierbaren Zubereitungen liegen dagegen nicht vor. Vielmehr werden Polysorbate im Gegensatz zu den Polyoxyethylenrizinoleaten im Stand der Technik nicht nur expressis verbis als gut verträglich, praktisch reizlos und wenig toxisch beschrieben (vgl. KK30 S. 833 "Polysorbate" sowie KK5 S. 377 "Cremophore¨"), sondern bis zu einer Dosis von 1 ml/kg sogar auch als sicherer Hilfsstoff angegeben (vgl. B10 -Exhibit I S. 804 "Zusammenfassung" le. Satz). Dies ist im Einklang mit den Angaben im Dokument KK10, wonach sich diese Substanz zwar unverdünnt nicht aber in Verdünnung als letal erwiesen habe und in klinischen Studien keine generelle Hypersensitivität gezeigt habe (vgl. KK30 S. 833 re. Sp. "Polysorbate", KK10 S. 35 re. Sp. Abs. 2 i. V. m. S. 36 li. Sp. Tab. 4 sowie S. 38 li. Sp. Abs. 2 Mitte). Davon ausgehend, konnte der Fachmann im Prioritätszeitpunkt von vornherein erwarten, dass die gefürchteten Nebenwirkungen nicht mit der gleichen Häufigkeit auftreten werden wie bei den i. V. m. dem Auftreten eines anaphylaktischen Schocks vielfach diskutierten Polyoxyethylenrizinoleaten. Zu keiner anderen Bewertung von Polysorbat können die von der Beklagten zitierten Literaturstellen B8, B10 -Exhibit I, B11 -Exhibit P18 führen. Sie beziehen sich stets auf Versuche, die an Hunden durchgeführt worden sind. Polysorbat scheint aber speziesspezifisch zu reagieren, weshalb Hunde in diesem Fall kein geeignetes Test-System zur Überprüfung der für den Menschen möglicherweise verbundenen Gefahren bei Verabreichung solcher Lösungsmittelsysteme darstellen. In diesen Dokumenten wird im Zusammenhang mit den dabei beobachteten zum Teil schweren Nebenwirkungen nämlich explizit darauf hingewiesen, dass die mit den dort beschriebenen Versuchen erhaltenen Ergebnisse nicht auf Menschen übertragbar seien (vgl. B8 S. 475 re. Sp. le. Abs., B10 -Exhibit I S. 804 "Zusammenfassung" le. Satz sowie "1. Introductioo", B11 -Exhibit P18 S. 475 re. Sp. le. Abs.). Damit aber konnte die in diesen wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschriebenen Ergebnisse den Fachmann nicht davon abhalten, das in Rede stehende Lösungsmittelsystem an anderen Spezies zu untersuchen, die diese Probleme nicht bzw. zumindest in geringerem Ausmaß aufweisen.
Der Hinweis der Beklagten auf die Veröffentlichung der Autoren Bove, K. E. et al in JAMA (=KK40) in der über toxische Reaktionen bei niedrig gewichtigen Frühgeborenen nach der Gabe von Polysorbat enthaltenden Vitamin E-Zubereitungen berichtet wird (vgl. S. 2422 Abstract sowie S. 2429 re. Sp. Abs. 4), ist vorliegend ebenfalls nicht dazu geeignet, zu einer anderen Beurteilung der Sachlage zu führen. Handelt es sich dabei doch um eine sehr spezielle und mit Erwachsenen in keiner Weise vergleichbare Patientengruppe, mit einem höchst empfindlichen, noch nicht ausgereiften Organismus. So wird auch in diesem Dokument nicht nur darauf hingewiesen, dass das dort eingesetzte Präparat bis dato klinisch noch nicht untersucht war, sondern insbesondere auch darauf, dass Polysorbat explizit bei Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht toxisch sein kann (vgl. S. 2427 re. Sp.
S. 2430 mi. Sp. vorletzter und letzter Satz). Rückschlüsse auf die Wirkung von Polysorbat bei Erwachsenen können mit diesen Angaben jedoch nicht gezogen werden, weshalb der Fachmann auch in Kenntnis dieses Beitrags nicht davon abgehalten wurde, der mit KK29 vermittelten Lehre zu folgen und Polysorbate als Ersatz für Polyoxyethylenrizinoleate zur Herstellung von injizierbaren Zubereitungen in Betracht zu ziehen (vgl. dazu auch B10 -Exhibit J S. 2445 mi. Sp. Abs. 2 le. Satz).
Die Beklagte hat ferner vorgetragen, der Fachmann sei auch deshalb davon abgehalten gewesen, Polysorbat als Co-Solvens in Betracht zu ziehen, weil mit dem vorliegenden Stand der Technik kein Hinweis dahingehend vermittelt werde, er könne so zu stabilen Infusionslösungen (d. h. zu Infusionslösungen, aus der der Wirkstoff während der Verabreichung nicht ausfällt) gelangen. Vielmehr habe er davon ausgehen müssen, dass dieses mit Polysorbat nicht erzielbar sei, nachdem im Artikel von Tarr, B. D. and Yalkowsky, S. H. im "Journal of Parenteral Science and Technology" aus dem Jahr 1987 (= KK8), S. 32 li. Sp. unter "Evaluation of Vehicle" -"B. Injection into i. v. bag" beschrieben werde, dass Taxol in Polysorbat aufweisenden Lösungen nicht stabil sei. Dieser Argumentation kann sich der Senat schon deshalb nicht anschließen, weil die in KK8 beschriebenen Lösungen nicht nur als stabil beschrieben werden; Polysorbat sogar deshalb zu der wässrigen Lösungen gegeben wird, um das Auskristallisieren von Taxol zu verlangsamen (vgl. S. 32 li. Sp. Abs. 4 sowie re. Sp. "Conclusion"). Da der Fachmann -wie vorstehend bereits dargelegt -auf Grund der Veröffentlichungen KK7 und KK35 wusste, dass sich Taxotere in dem System Ethanol/Polysorbat nicht nur besser löst, als Taxol, sondern auch eine bessere Wasserlöslichkeit aufweist als dieser Wirkstoff, konnte er -entgegen der Auffassung der Beklagten -für den Fall, er ziehe dieses System zur Lösung seiner Aufgabe in Erwägung, gleichzeitig auch von vornherein damit rechnen, dass eine aus der in Rede stehenden Stamm-Lösung hergestellte Taxotere enthaltende Infusionslösung eine bessere Stabilität aufweisen sollte. Inwiefern sich dies sodann auch verwirklicht, ersieht der Fachmann anhand entsprechender Verdünnungsversuche, die seiner Routinetätigkeit zuzurechnen sind.
Der Patentanspruch 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.
1.2. Der nebengeordnete Patentanspruch 3 gemäß Hauptantrag, der auf eine Perfusion gerichtet ist, fällt gleichfalls mit dem Patentanspruch 1 der Nichtigkeit anheim.
Für die Bereitstellung der mit diesem Patentanspruch angegebenen Perfusionslösungen gelten die vorstehend dargelegten Gründe sinngemäß. Es bedarf nämlich keines erfinderischen Zutuns, zu den in diesem Patentanspruch genannten Konzentrationen der einzelnen Komponenten zu kommen. Diese ergeben sich als Folge der Löslichkeit des Wirkstoffes im Lösungsmittelsystem i. V. m. der klinisch angestrebten Konzentration. Ausgehend von dieser von der Klinik als wünschenswert vorgegebenen Dosis von 1 mg/ml (vgl. Streitpatent B3 S. 2 Abs. [0007]) und dem Bestreben des Fachmannes, den Anteil von Hilfsstoffen zumal in zur Infusion vorgesehenen Lösungen -aufgrund der steten Gefahr von Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, konnte der Fachmann unter Berücksichtigung der für Polysorbat von der Fachwelt als maximal geeignet erachteten Konzentrationen von 5 % (vgl. KK28 S. 351 Abs. 1) (vgl. auch BGH GRUR 2010, 607, 611, Tz. 70 -Fettsäurezusammensetzung) diese Werte anhand routinemäßig durchführbare Dosisfindungsstudien ermitteln. Weder zur Planung noch zur Durchführung solcher Studien sind aber Maßnahmen erforderlich, die auf Überlegungen erfinderischer Tätigkeit beruhen. Auch die Streitpatentschrift selbst enthält keine entsprechenden Ausführungen.
1.3.
Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch nicht in dem rückbezogenen Patentanspruch 2 zu erkennen.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung und diesen auch nicht isoliert verteidigt und für diesen keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt mehr geltend gemacht. Dieser ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Der in diesem Patentanspruch angegebene Dosisbereich ergibt sich für den Fachmann ebenfalls anhand von routinemäßig durchführbaren Dosisfindungsstudien. Ausgangspunkt dafür ist die für eine erfolgreiche Behandlung bereits im Zusammenhang mit der Bereitstellung eines Wirkstoffes üblicherweise ermittelte wirksame Dosis (vgl. z. B. KK12 S. 8 Z. 21 bis 23) und dessen Löslichkeit in dem zur Formulierung vorgesehenen System. Überlegungen erfinderischer Art sind zur Ermittlung der im Patentanspruch 2 angegebenen Konzentrationen jedoch ebenfalls nicht erforderlich.
2.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 6 erweisen sich ebenfalls als nicht bestandsfähig.
2.1. Die Patentansprüche 1 bis 3 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 entsprechen den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hauptantrag, mit der Ausnahme, dass die pharmazeutischen Zusammensetzungen ausschließlich zur Behandlung von Tumoren vorgesehen sind bzw. zusätzlich zur Herstellung von Perfusionen verwendet werden bzw. die Patentansprüche 1 und 2 gemäß den Hilfsanträgen 3 und 4 nunmehr auf eine entsprechende Verwendung der pharmazeutischen Zusammensetzungen gerichtet sind. Damit mag der beanspruchte Gegenstand jeweils beschränkt worden sein. Nachdem Taxotere aber explizit zur Behandlung solcher Erkrankungen bereitgestellt worden ist (vgl. KK35 S. 288/289 re./li. Sp. Abstract) und die Verabreichung des Wirkstoffes über Infusionen die übliche Applikationsweise darstellt (vgl. KK12 S. 4 Z. 6 bis 9 und S. 8 Z. 25 bis 31), treffen die zu den entsprechenden Patentansprüchen gemäß Hauptantrag jeweils dargelegten Nichtigkeitsgründe hier ebenso zu.
2.2. Die Patentansprüche 1 bis 3 gemäß den Hilfsanträgen 5 und 6 unterscheiden sich von den Patentansprüchen 1 bis 3 der Hilfsanträge 3 und 4 insofern, als die im jeweiligen Patentanspruch 1 zur Verwendung vorgesehenen pharmazeutischen Zusammensetzungen nunmehr zu Perfusionen führen "..,welche weniger als 50 ml/l Polysorbat und weniger als 50 ml/l Ethanol enthalten". Mit dieser Beschränkung hat sich gegenüber den Gegenständen gemäß den Patentansprüchen 1 bis 3 nach Hauptantrag kein anderer Sachverhalt ergeben. Wie bereits vorstehend unter II.1.2 ausgeführt, bedarf es zur Einstellung der für das System Polysorbat/Ethanol angegebenen Konzentrationen keines erfinderischen Zutuns. Dies trifft um so mehr zu, als von der Fachwelt für Polysorbat ein Gehalt von 5 % als maximal geeignete Dosis erachtet werden (vgl. KK28 S. 351 Abs. 1). Dieses entspricht aber der in den in Rede stehenden Patentansprüchen für Polysorbat angegebenen Obergrenze von 50 ml/l. Die sodann geeignete Konzentration für Ethanol zu ermitteln, um das Ausfallen des Wirkstoffes in der Perfusion während der Applikationszeit zu verhindern, bedarf auch hier lediglich Verdünnungsund Stabilitätsstudien, die der naheliegenden Optimierung und Routinetätigkeit zu zuordnen sind. Dies trifft um so mehr zu, nachdem der Fachmann aus der Veröffentlichung KK7 bereits wusste, dass die Löslichkeit von Taxotere in einem Lösungsmittelsystem, das aus gleichen Teilen Polysorbat und Ethanol bestand, als geeignet erachtet worden war (vgl. S. 996 re. Sp. Abs. 3).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91, 91a ZPO, wonach auch unter Berücksichtigung der teilweisen Erledigung der Hauptsache eine Gesamtkostenentscheidung zu treffen war, wonach die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten aufzuerlegen waren, Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Engels Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Prietzel-Funk Dr. Münzberg Pr
BPatG:
Urteil v. 15.06.2010
Az: 3 Ni 37/08
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