Bundespatentgericht:
Urteil vom 7. Juni 2005
Aktenzeichen: 3 Ni 11/01
(BPatG: Urteil v. 07.06.2005, Az.: 3 Ni 11/01)
Tenor
Das europäische Patent 0 291 194 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 26. April 1988 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Englisch erteilten europäischen Patents 0 291 194, das "Immunoassays and devices therefor" betrifft und vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 38 87 771 geführt wird. Für das Streitpatent wurden die Prioritäten der britischen Patentanmeldung 8709873 vom 27. April 1987 und der britischen Patentanmeldung 8725457 vom 30. Oktober 1987 in Anspruch genommen. Die im europäischen Einspruchsbeschwerdeverfahren aufrechterhaltene Fassung des Streitpatents (Streitpatentschrift 0 291 194 B2) umfasst 22 Patentansprüche. Die Patentansprüche 1 und 22 lauten in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt: "1. An analytical test device comprising a dry porous carrier (10), unlabelled specific binding reagent for an analyte which unlabelled reagent is permanently immobilised in a detection zone (14) on the porous carrier and is therefore not mobile in the moist state, and in the dry state in a zone (12) upstream from the detection zone a labelled specific binding reagent for the same analyte which labelled specific binding reagent is freely mobile within the porous carrier when in the moist state, such that liquid sample applied to the device can pick up labelled reagent and thereafter permeate into the detection zone, characterised in that the porous carrier and the labelled specific binding reagent are contained within a hollow casing
(30) constructed of moistureimpervious solid material, the porous carrier communicates directly or indirectly with the exterior of the casing such that liquid test sample can be applied to the porous carrier, the casing incorporates means (32) enabling the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detection zone to be observed, the label is a particulate direct label, the labelled reagent is contained in a first zone (12) of the dry porous carrier, and the unlabelled reagent is immobilised in a detection zone spatially distinct from the first zone, the two zones being arranged such that liquid sample applied to the porous carrier can permeate via the first zone into the detection zone.
22. An analytical method in which a test device according to any one of claims 1 to 21 is contacted with an aqueous liquid sample suspected of containing the analyte, such the sample permeates by capillary action through the porous carrier via the first zone into the detection zone and the labelled reagent migrates therewith from the first zone to the detection zone, the presence of analyte in the sample being determined by observing the extent (if any) to which the labelled reagent becomes bound in the detection zone."
In der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift lauten die Ansprüche 1 und 22 wie folgt:
1. Analytisches Testgerät, umfassend einen trockenen porösen Träger (10), unmarkiertes spezifisches Bindungsreagenz für einen Analyten, welches unmarkierte Reagenz auf dem porösen Träger in einer Nachweiszone (14) permanent immobilisiert und daher in feuchtem Zustand nicht beweglich ist, und in trockenem Zustand in einer Zone (12) stromaufwärts von der Nachweiszone ein markiertes spezifisches Bindungsreagenz für dieselbe Nachweissubstanz, welches markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb des porösen Trägers in feuchtem Zustand frei beweglich ist, so dass die Flüssigkeitsprobe, die dem Gerät zugeführt ist, das markierte Reagenz aufnehmen und danach in die Nachweiszone eindringen kann, dadurch gekennzeichnet, dass der poröse Träger und das markierte spezifische Bindungsreagenz innerhalb eines hohlen Gehäuses (30) enthalten sind, das aus feuchtigkeitsundurchlässigem, festem Material aufgebaut ist, der poröse Träger direkt oder indirekt mit dem Äußeren des Gehäuses derart in Verbindung steht, dass flüssige Testprobe auf den porösen Träger aufgebracht werden kann, das Gehäuse Mittel (32) zum Feststellen des Ausmaßes (sofern gegeben) beinhaltet, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist, der Markierungstoff ein teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff ist, das markierte Reagenz in einer ersten Zone (12) des trockenen porösen Trägers enthalten ist und das unmarkierte Reagenz in einer von der ersten Zone räumlich getrennten Nachweiszone immobilisiert ist, wobei die beiden Zonen derartig angeordnet sind, dass eine auf den porösen Träger aufgebrachte Flüssigkeitsprobe über die erste Zone in die Nachweiszone dringen kann.
22. Analysenverfahren, bei dem ein Testgerät nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 21 mit einer wäßrigen Flüssigkeitsprobe, die vermutlich die Nachweissubstanz enthält, derartig in Kontakt gebracht wird, dass die Probe durch Kapillarwirkung durch den porösen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt und das markierte Reagenz mit ihr aus der ersten Zone in die Nachweiszone wandert, wobei das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe durch Beobachten des Ausmaßes (sofern gegeben) bestimmt wird, bis zu dem das markierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden wird.
Wegen der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 21 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil der Gegenstand des Patents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ferner offenbare das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne und schließlich gehe der Gegenstand des Patentes über den Inhalt der europäischen Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Schließlich könne die Priorität der britischen Patentanmeldung 8709873 vom 27. April 1987 nicht wirksam beansprucht werden. Sie bezieht sich zur Begründung ua auf folgende Dokumente:
NK10: EP 149 168 A1, NK11: WO 86/3839 A1, NK12: EP 183 442 A2, NK13: EP 250 137 A2, NK14: EP 284 232 A1, NK15: EP 299 428 A2, NK16: EP 286 371 A2, NK19: EP 32 270 A1, NK23: US 4 552 839, NK28: US 3 888 629, NK29: US 4 235 601, NK30: US 4 361 537, NK32: EP 0 186 799 A1, NK38: WO 86/04683 A1.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 291 194 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung der Patentansprüche gemäß der mit Schriftsatz vom 29. April 2005 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 8 und beantragt insoweit Klageabweisung.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 spezifiziert gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag den porösen Träger dadurch näher, dass er einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag folgendes zusätzliches Merkmal:
"... und der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt."
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 enthält gegenüber dem Hauptantrag das zusätzliche Merkmal:
"... und der poröse Träger stromabwärts von der Nachweiszone eine Kontrollzone umfasst".
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale:
"... worin der poröse Träger mit einem porösen Probeaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst."
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale:
"... worin der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, der als Reservoir dient, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst."
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale:
"... worin der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, der aus dem hohlen Gehäuse herausragt und auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst."
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale:
"... worin der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, der aus dem hohlen Gehäuse herausragt und als Reservoir dient, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst."
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 enthält gegenüber Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale:
"... worin der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, der aus dem hohlen Gehäuse herausragt und als Reservoir dient, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material enthält und stromabwärts von der Nachweiszone eine Kontrollzone umfasst."
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent in dem verteidigten Umfang für patentfähig. Sie bezieht sich zur Begründung ua auf folgende Dokumente:
B5 Auszug aus Stiftung Warentest, Heft Nr. 11, 1994, S 104-107 MBP3 Versuchsbericht Herrn B.Raj, Unipath Laboratories Bedford MBP7 BPatG 5 W (pat) 425/92, 10. November 1993 MBP10 Auszug aus Stiftung Warentest, Heft Nr. 11, 1994, entspricht B5 MBP11 Urteil Tribunale de Grande Instance de Rennes, 31. Januar 2005 MBP12 deutsche Übersetzung von MBP11 MBP13 Urteil British Patents Court, 15. Dezember 1994 MBP14 deutsche Übersetzung von MBP13.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigkeit des Streitpatents gemäß Art II § 6 Abs 1 Nr 1, Nr 2, Nr 4 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a), b), c), Art 52, 54, 56 EPÜ.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft nach der Übersetzung der geänderten Streitpatentschrift (DE 38 87 771 T3) Assays, die sich einer spezifischen Bindung bedienen, insbesondere Immunassays, und Geräte dafür. Danach betrifft die Erfindung insbesondere analytische Testgeräte, die zur Verwendung zu Hause, in der Klinik oder in der Arztpraxis geeignet sind und in kurzer Zeit ein Analysenergebnis liefern sollen, wobei nur ein Minimum an Geschicklichkeit und Arbeitsaufwand seitensdes Benutzers gefordert werde. Die Verwendung von Testgeräten im privaten Bereich zur Feststellung der Schwangerschaft oder der Empfängnisbereitschaft (Ovulation) sei inzwischen üblich, und es sei eine Vielzahl von Testgeräten und Testsätzen im Handel erhältlich. Ohne Ausnahme erforderten alle kommerziell erhältlichen Geräte, dass der Benutzer eine Folge von Arbeitsschritten durchführt, bevor das Testergebnis ablesbar ist. Diese Arbeitsschritte erforderten notwendigerweise Zeit und führten eine Fehlerquelle ein (Übersetzung der Streitpatentschrift DE 38 87 771 T3, Seite 2, 0001 und 0002).
2.
Nach den Angaben der Übersetzung der Streitpatentschrift DE 38 87 771 T3 ist Aufgabe des Streitpatents, ein Testgerät zur Verfügung zu stellen, das von einer ungeübten Person leicht benutzt werden kann und vorzugsweise nur erfordert, dass ein gewisser Teil des Gerätes mit der Probe (zB einem Urinstrahl im Fall eines Schwangerschaftsoder Ovulationstests) in Kontakt gebracht wird, worauf vor der Feststellung eines Analysenergebnisses keine weiteren Arbeitsschritte vom Benutzer mehr nötig sind. Idealerweise sollte das Analyseergebnis innerhalb von Minuten, zB 10 min oder weniger, nach Probenauftrag ablesbar sein (Übersetzung der Streitpatentschrift DE38 87 771 T3, Seite 2, 0003).
3.
Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der im europäischen Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Fassung in der deutschen Übersetzung einanalytisches Testgerät umfassend Zur Lösung beschreibt weiterhin Patentanspruch 22 ein Analysenverfahren mit folgenden Merkmalen:
(1) ein hohles Gehäuse (30)
(1.1) aufgebaut aus einem feuchtigkeitsundurchlässigen festen Material
(2) einen trockenen porösen Träger (10), der in dem hohlen Gehäuse enthalten ist,
(2.1) mit einem auf dem Träger dauerhaft fixierten unmarkierten, für einen Analyt spezifischen Bindungsreagenz
(2.1.1) in einer Nachweiszone (14) dauerhaft fixiert
(2.1.2) daher auch in feuchtem Zustand nicht beweglich
(2.2) mit einem für denselben Analyten spezifischen markierten Bindungsreagenz in trockenem Zustand in einer Zone (12) stromaufwärts von der Nachweiszone
(2.2.1) das markierte Reagenz ist innerhalb des porösen Trä
gers (10) frei beweglich, wenn dieser sich in feuchtem Zustand befindet
(2.2.2) so dass eine flüssige Testprobe, die dem Gerät zugeführt ist, markiertes Reagenz aufnehmen und danach indie Nachweiszone eindringen kann
(2.2.3) der Markierungsstoff ist ein teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff
(2.4) die Nachweiszone (14) ist räumlich getrennt von der ersten Zone (12)
(2.5) die beiden Zonen sind so angebracht, dass eine auf denporösen Träger aufgebrachte flüssige Testprobe über dieerste Zone in die Nachweiszone wandern kann
(3) der poröse Träger steht mit der Außenseite des Gehäuses in Verbindung, und zwar
(3.1) entweder direkt in der Form, dass die flüssige Testprobeauf den porösen Träger aufgebracht werden kann,
(3.2) oder indirekt in der Form, dass die flüssige Testprobe aufden porösen Träger aufgebracht werden kann,
(4) das Gehäuse beinhaltet Mittel (32), mit denen ggf das Ausmaß festgestellt werden kann, in dem das markierte Reagens in der Nachweiszone gebunden ist.
(A) ein Testgerät wird mit einer wässrigen Flüssigkeitsprobe in Kontakt gebracht
(A.1) derart, dass die Probe durch Kapillarwirkung durch den porö
sen Träger über die erste Zone in die Nachweiszone dringt
(A.2) das markierte Reagenz wandert mit ihr aus der ersten Zonein die Nachweiszone
(B) das Vorliegen einer Nachweissubstanz in der Probe wirddurch Beobachten des Ausmaßes bestimmt, bis zu dem dasmarkierte Reagenz in der Nachweiszone gebunden ist.
II.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 22 in der im europäischen Einspruchsbeschwerdeverfahren aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hauptantrag sowie in den Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 8 erweist sich als nicht patentfähig, da er gegenüber der Lehre der NK10, alternativ der Lehre der NK32 oder der NK38, jeweils in Verbindung mit der Lehre der NK11 sowie der NK19 jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1.
Zu dem vorgebrachten Nichtigkeitsgrund der mangelnden Offenbarung bzw. der unzulässigen Erweiterung (vgl Schrifts v 15. September 2004 S 10 Punkt 1.3 c iVm S 18 bis 19 Punkt 3) ist Folgendes festzustellen. In formaler Hinsicht tendiert der Senat dazu, den in der ursprünglichen Offenbarung expressis verbis zusammenhängend nicht vorkommenden Begriff "teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff" (Merkmal 2.2.3) bzw. "particulate direct label" als unzulässige Änderung zu erachten, weil dieser Begriff in den ursprünglichen Unterlagen in dieser allgemeinen Form nicht vorkommt (vgl hierzu NK1 EP 291 194 A1). Vielmehr offenbaren die betreffenden Textpassagen wie "gold sols and dye sols" (vgl NK1 S 3 Z 22 bis 23) oder "minute coloured particles, such as dye sols, metallic sols (e.g. gold), and coloured latex particles" (vgl NK1 S 4 Z 42 bis 48) einen teilchenförmigen Direktmarkierungsstoff ausschließlich im Zusammenhang mit einer Farbmarkierung.
Für die Frage der Patentfähigkeit kommt es allerdings nicht darauf an und kann daher dahingestellt bleiben, ob der Begriff "teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff" eine zulässige Änderung darstellt, wie von der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (vgl NK9 S 1 II. bis 2 IV. iVm NK8 S 6 2.) ebenso wie vom Tribunal de Grande Instance de Rennes (vgl MBP 12 S 9 vorle Z bis S 12 Abs 2) und auch vom UK Patents Court (vgl MBP 14 S 39 Abs 3) angenommen, oder ob lediglich "particulate coloured direct label" bzw. ein entsprechend korrekt übersetzter Begriff als offenbart anzusehen ist (vgl hierzu NK37 S 10-11 Punkt 2.3, Entscheidung der Einspruchsabteilung des EPA in einer Teilanmeldung zu vorliegendem Streitpatent). Denn unabhängig von der Offenbarungsfrage handelt es sich dabei um ein für den Fachmann ohnehin geläufiges Merkmal, das keinen grundsätzlichen neuen technischen Beitrag zur Erfindung liefert (vgl hierzu auch MBP 12 S 11 vorle Abs; MBP 14 S 39 Abs 3), so dass es sich auch erübrigt hat, die von der Beklagten angebotenen alternativen Formulierungen (vgl hierzu Schrifts v 31. Mai 2005 S 4 unten bis S 5 oben), gegebenenfalls in weiteren Hilfsanträgen, zu berücksichtigen.
2.
Die Klägerin macht des weiteren mangelnde Ausführbarkeit geltend (vgl Schrifts v 15. September 2004 S 34 bis 43). Insbesondere offenbare das Streitpatent nicht, wie die freie Beweglichkeit des wanderfähigen markierten Bindungsreagenzes unterstützt bzw wodurch sie bewirkt werde, und auch die Ausführungsform mit einem glasierten Träger (vgl StreitPS Anspr 16 und 17) stelle die Ausführbarkeit jedenfalls nicht im beanspruchten Umfang sicher (vgl Schrifts v 15. September 2004 S 34 drittle Abs iVm S 42 le Abs bis S 43 Z 3).
Nach Ansicht des Senats kann in vorliegendem Fall unentschieden bleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen genauen Arbeitsbedingungen die seitens der Klägerin unter anderem gestützt auf Gutachten angegriffene Ausführungsform mit Nitrocellulose als Trägermaterial in Kombination mit Metallbzw. Goldsol als partikuläre gefärbte Farbdirektmarkierung (vgl insbes Schrifts v 7. Oktober 2004 S 1 bis 2) ausführbar bzw. zuverlässig reproduzierbar ist. Denn jedenfalls die Ausführungsform mit gefärbten Kunststoffbzw. Latexteilchen, die Gegenstand des Unteranspruchs 3 ist, wird von der Klägerin selbst als ausführbar und reproduzierbar erachtet (vgl Schrifts v 17. Januar 2001 S 8 Punkt 3.) und ist darüber hinaus weder Gegenstand der vorgelegten gutachtlichen Versuchsberichte noch gesondert angegriffen worden. Damit verbleibt als ausführbare Variante zumindest jene des Patentanspruchs 3 gemäß Hauptantrag sowie Hilfsanträgen 1 bis 8 und damit nach den Grundsätzen der "Taxol"-Entscheidung BGH GRUR 2001, 813 jedenfalls ein zum Ziel führender offenbarter Weg, so dass die Ausführbarkeit als gegeben zu erachten ist.
3.
Die Klägerin stellt unter Bezugnahme auf Art 54 (3) EPÜ die Neuheit gegenüber den europäischen Anmeldungen mit früherem Zeitrang NK13 bis NK16 mit der Benennung Deutschland und außerdem die Wirksamkeit der Inanspruchnahme der Prioritäten des Streitpatentes in Abrede.
Die Auseinandersetzung darüber, ob und inwieweit für das beanspruchte analytische Testgerät die Prioritäten des Streitpatents wirksam in Anspruch genommen werden können, und damit auch eine Entscheidung über die Neuheit des Streitgegenstandes gegenüber den nach Art 54 (3) EPÜ zu berücksichtigenden Patentanmeldungen NK13 bis NK16 erübrigt sich, da es für den Fachmann unter Berücksichtigung der Aufgabe und in Kenntnis der Lehre der Druckschriften NK10, alternativ in Kenntnis der Lehre der NK32 oder der NK38, jeweils in Verbindung mit der Lehre der Druckschrift NK11 und gegebenenfalls der NK19, jedenfalls keines erfinderischen Zutuns bedurfte, um zu einer analytischen Testvorrichtung mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 oder zu einem Analysenverfahren mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 22, jeweils in der Fassung nach Hauptantrag, zu gelangen.
4.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe des Streitpatents auszugehen, die darin besteht, ein Testgerät zur Verfügung zu stellen, das von einer ungeübten Person leicht benutzt werden kann und vorzugsweise lediglich erfordert, dass ein gewisser Teil des Gerätes mit der Probe, beispielsweise einem Urinstrahl im Fall eines Schwangerschaftsoder Ovulationstests, in Kontaktgebracht wird, worauf vor der Feststellung eines Analysenergebnisses keine weiteren Arbeitsschritte vom Benutzer mehr nötig sind. Idealerweise sollte das Analysenergebnis innerhalb weniger Minuten nach Probenauftrag ablesbar sein (vgl StreitPS S 2 Z 11 bis 15).
a) Die Lösung dieser Aufgabe mit einer analytischen Testvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 mit den Merkmalen 1 bis 4 gemäß vorstehender Merkmalsanalyse war indessen für den Fachmann - hier einem mit der Entwicklung von Festphasentests zum Nachweis von Analyten, insbesondere von Immuntests, befassten und vertrauten Diplom-Chemiker oder -Biochemiker - ausgehend von der Druckschrift NK10 naheliegend.
Unter dem Gesichtspunkt der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe ist die Druckschrift NK10 schon deshalb als ein nächstkommender Stand der Technik und damit als ein Ausgangspunkt zu erachten, weil NK10, abgesehen dem Konzept eines Testgeräts mit einer Zone mit markiertem mobilem Bindungsreagenz und wenigstens einer nachfolgenden Zone mit immobilisiertem Bindungsreagenz (vgl NK10 zB S 2 Z 10 bis 20), auf eine einfache Handhabung durch bloßes Inkontaktbringen mit der Probenlösung durch Jedermann ohne geschultes Personal, ohne zusätzliche Hilfsmittel in kürzester Zeit und damit auf die gleichen Ziele wie das Streitpatent ausgerichtet ist (vgl NK10 S 3 Z 6 bis 19).
In NK10 ist ein Immuntest beschrieben, der in einem Kapillarröhrchen aus Glas oder aus einem transparenten Kunststoff und damit in einem Gehäuse aus feuchtigkeitsundurchlässigem festen Material gemäß Merkmalen 1 und 1.1 des streitpatentgemäßen analytischen Testgeräts durchgeführt wird (vgl NK10 S 1 Z 1 bis 6 iVm S 11 Z 28 bis 31). Das Kapillarröhrchen ist gefüllt mit einem trockenen porösen Träger (vgl NK10 Anspr 2 iVm S 7 Z 15 bis 33), auf dem in einer Zone ein markiertes Reagenz in trockenem Zustand aufgetragen und in feuchtem Zustand, dh unter Testbedingungen, frei beweglich ist und in eine weitere Zone wandern kann, in der ein dauerhaft immobilisiertes, in feuchtem Zustand nicht bewegliches Reagenz aufgetragen ist, wobei die eine Zone räumlich getrennt von der/den weiteren Zonen ist (vgl NK10 Anspr 2 iVm S 2 Z 10 bis 20) und weist damit auch die Merkmale 2 bis 2.2 sowie 2.4 und 2.5 des analytischen Testgeräts gemäß Streitpatent auf. Schließlich ermöglicht das Kapillarröhrchen aufgrund seiner Bauweise zum einen, die flüssige Testprobe auf den Träger dadurch aufzubringen, dass der poröse Träger über die offene Spitze des Kapillarröhrchens entweder direkt oder indirekt mit der Außenseite des Gehäuses in Verbindung steht (vgl NK10 S 10 Z 4 bis 8), und zum anderen das Ausmaß der Bindungsreaktion in der weiteren Zone nachzuweisen, sei es durch Radioaktivitätsmessung bei einem Radioisotop-Markierungsstoff oder durch Farbmessung bei einem Enzymoder Fluoreszenzmarkierungsstoff (vgl NK10 S 17 Z 24 bis S 18 Z 3), so dass auch die Merkmale 3 bis 4 und damit bis auf das Merkmal 2.2.3 eines teilchenförmigen Direktmarkierungsstoffes alle Merkmale gemäß Anspruch 1 nach Hauptantrag des Streitpatents verwirklicht sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich unter die beiden Alternativmerkmale 3.1 und 3.2 alle beliebigen Aufbringungsmöglichkeiten subsumieren lassen, dadurch die Lehre des Patentanspruchs 1 auch nicht eingeschränkt wird und es sich demzufolge um Scheinmerkmale handelt, denen keine Unterscheidungskraft zukommt. Dem mit der Konzeption und Anwendung von analytischen Testgeräten, insbesondere zur Durchführung von trägergebundenen Immuntests, befassten und vertrauten Fachmann sind als Mittel zum Nachweis der Bindungsreaktion im Zuge des Festphasen-Diffusionstest am Prioritätstag des Streitpatents neben Radioisotop, Enzymoder Fluoreszenzmarkierungsstoffen auch die sogenannten Farbdirektmarkierungsstoffe, beispielsweise kolloidale Goldoder Silberpartikel bekannt gewesen, die den Vorteil einer visuellen Detektion aufweisen (vgl NK11 S 14 Z 13 bis S 15 Z 3 iVm S 29 bis 30 Example IX und Example X). Grundlage seines Fachwissens ist unter anderem die NK19, in der die Anwendung verschiedener Farbsole und deren Vorteile gegenüber Radioisotopoder Enzymmarkierung beschrieben sind (vgl NK19 insbes S 4 Z 5 bis 31). Damit wird der Fachmann ausgehend von NK10 gerade unter Berücksichtigung der Teilaufgabe, ein ohne weitere Hilfsmittel von ungeschulten Benutzern auch zu Hause anwendbares Testgerät bereitzustellen, die Gewichtung auf die ihm geläufigen partikulären gefärbten Direktmarkierungsstoffe legen und solche Farbpartikel als Direktmarkierungsstoffe im Festphasen-Diffusionstest einsetzen, zumal er weiß, dass sie mit bloßem Auge und damit direkt, dh ohne Amplifikation, detektierbar sind, und er wird auf diese Weise ohne weiteres zu einem analytischen Testgerät mit dem Merkmal 2.2.3 gelangen.
Sofern die Beklagte vorbringt, dass das analytische Testgerät gemäß NK10 wegen des Hinweises auf die Verwendung am Krankenbett im Hospital (vgl NK10 S 3 Z 20 bis 21) nicht so ohne weiteres von einer beliebigen Testperson benutzt werden könne, so handelt es sich dabei - ersichtlich an dem Hilfsverb "may" - nur um eine optionale Verwendungsform, die für diesen Fall verdeutlichen soll, dass auch die Probe eines stationären Patienten nicht in ein an das Krankenhaus angeschlossenes, speziell ausgestattetes Analysenlabor gebracht und erst dort analysiert werden kann. Entscheidend ist diesbezüglich der vorangehende Beschreibungsteil, aus dem hervorgeht, dass auch eine ungeschulte Person die Bestimmung des Analyten durchführen kann und zwar ohne zusätzliche Hilfsmittel und in extrem kurzer Zeit. Für einen Fachmann ohne weiteres erkennbar bezieht sich diese Aussage selbstverständlich auch nicht auf Radioaktivmarkierungen oder auf eine komplizierte spektrophotometrische Detektion. Vielmehr konnte der Fachmann insbesondere unter dem Gesichtpunkt dieser Teilaufgabe nicht umhin, die ihm aus dem Stand der Technik (vgl NK11 oder NK19) geläufige einfache Methode einer visuellen Detektion mittels partikulärer gefärbter Direktmarkierungsstoffe, beispielsweise Goldoder andere Metallsole, anzuwenden.
Der Fachmann gelangt aber auch ausgehend entweder von der Lehre der NK32 oder der NK38 ohne erfinderisches Zutun zum Streitgegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrags. Auch diese beiden Druckschriften stellen unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenstellung schon deshalb nächstkommenden gattungsgleichen Stand der Technik dar, weil beide Testverfahren innerhalb weniger Minuten ablaufen, visuell detektierbar sind und, was jedenfalls die Lehre der NK38 anbelangt, auf die Möglichkeit einer Nutzung im häuslichen Bereich abzielen (vgl NK32 S 15 Z 1 bis 22; NK38 S 1 Z24bis S 2Z 5 iVm S 11 Z 2 bis 12).
In der NK32 sind flächenförmige diagnostische Festphasensysteme beschrieben, die aus mehreren Funktionsfeldern bzw. Zonen auf beispielsweise einer Papiermatrix und damit einem porösen Träger bestehen und zur qualitativen und quantitativen Bestimmung von Analyten in biologischen Flüssigkeiten dienen, ein unmarkiertes, in einem Nachweisbereich dauerhaft gebundenes Bindungsreagenz und in einem vor diesem Nachweisbereich befindlichen Bereich ein markiertes, nicht gebundenes Bindungsreagenz aufweisen, wobei die beiden Bereiche räumlich voneinander getrennt sind, und damit die Merkmale 2 bis 2.2.2 sowie 2.4 und 2.5 des Streitgegenstands vorliegen (vgl NK32 S 1 Z 1 bis 4 iVm S 3 Z 6 bis 31 und S 13 Übersicht I). Es fehlen die Merkmale 1 bzw. 1.1 eines hohlen Gehäuses und die damit verbundenen Merkmale 3 bis 4. Was das Merkmal eines speziellen Direktmarkierungsstoffes 2.2.3. anbelangt, so wird diese Variante durch Verweis auf verschiedene bekannte Markierungsmöglichkeiten, unter anderem die Fluoreszenzmarkierung, einer Direktmarkierung ohne Zugabe eines weiteren Reagenzes, nicht ausgeschlossen (vgl NK32 S 7 Z1 bis 17). Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, geht die offenbarte Lehre der NK38 insofern über jene der NK32 hinaus, als zusätzlich die Merkmale 1 und 1.1 und 3 bis 4 beschrieben sind (vgl NK38 Anspr 12 iVm S 5 Z 17 bis 23, S 10 Z 21 bis 27, Anspr 22 sowie Fig 1 iVm S 8 Z 26 bis S 9 Z 4). Als Detektionsmethode wird lediglich ein Enzymimmunoassay und damit eine indirekte Methode, jedoch nicht die Variante einer Direktmarkierung und damit nicht das Merkmal 2.2.3 beschrieben. Ein Fachmann wird in der NK32, ähnlich wie in der NK38, nicht nur die Möglichkeit eines Gehäuses mit den Merkmalen 1.1 sowie 3 bis 4, sondern darüber hinaus auch eine partikelförmige gefärbte Direktmarkierung nach dem Vorbild des Standes der Technik (vgl zB NK11) ohne weiteres in Betracht ziehen, und damit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Streitpatents gelangen. Entsprechendes trifft nach Ansicht des Senats auch auf eine von der NK38 ausgehende Lehre zu.
Auch das Vorbringen der Beklagten, partikelförmige Direktmarkierungsstoffe seien dem Fachmann zwar bereits mehrere Jahre vor dem Anmeldetag bekannt gewesen, jedoch üblicherweise lediglich in Form radioaktivund enzymmarkierter und damit amplifizierender Markierungsstoffe, und es sei darüber hinaus aus technischer Sicht überraschend, dass ein unlöslicher teilchenförmiger Direktmarkierungsstoff durch eine auf das Testgerät aufgebrachte Probe aus dem trockenen Zustand resuspendiert werden könne (vgl Schrifts v 15. November 2004, S 6 Abs 2 und 3), führt zu keiner anderen Bewertung. Denn zum einen lässt die Beklagte dabei die dem Fachmann neben Radioaktivund Enzmymarkierung bereits auch bekannte Arbeitsweise einer Direktmarkierung mit Metallbzw. Goldsol-Partikeln und somit gefärbten Direktmarkierungspartikeln, wie beispielsweise aus der NK11 oder der NK19 zu entnehmen, völlig außer acht, und zum anderen ist aus Sicht der Beklagten, sofern es um die angegriffene Ausführbarkeit geht, die Frage der Resuspendierbarkeit der markierten beweglichen Bindemittel dem Fachwissen zuzuordnen und damit unproblematisch (vgl Schrifts v 15. November 2004 S 51 le Abs iVm Schrifts v 26. Juli 2001 S 12 vorle Abs bis S 13 Abs 1). Bei der Bewertung des Standes der Technik, hier die beispielsweise aus NK11 oder NK19 bekannte Direktmarkierung mit partikulären Farbstoffen, und der Bewertung des Offenbarungsgehalts des Streitpatents bzw der zugrunde liegenden Patentanmeldung ist jedoch regelmäßig ein einheitlicher Bewertungsmaßstab anzulegen.
Die von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Frage der Einfachheit eines solchen Testgeräts und eines mit dieser Vorrichtung durchzuführenden Tests für den häuslichen Bereich und damit die problemlose Nutzung für einen Laien darf nicht Anlass sein, das zugrunde liegende und daher maßgebliche Fachwissen bei der Bewertung des Standes der Technik gering anzusetzen. Denn die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit auf vorliegendem technischen Fachgebiet setzt erhebliche biochemische Kenntnisse voraus und erfordert, ebenso wie die Nacharbeitung der Lehre des Streitpatents bzw. der zugrundeliegenden Patentanmeldung, einen zum Teil fachübergreifend in Fragen der Biochemie und der Diagnostik erfahrenen Fachmann. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dürfen die Kenntnisse des zuständigen Fachmanns also nicht vermengt oder gar gleichgesetzt werden mit den Vorkenntnissen eines ungeübten Anwenders des beanspruchten Testgeräts zu dessen einfacher Handhabung.
Gegenüber dem Hinweis der Beklagten auf die Etablierung eines auf die Erfindung des Streitpatents zurückgehenden Schwangerschaftstests in der Praxis und dessen hervorragende Bewertung in vergleichenden Tests als Anzeichen für eine erfinderische Tätigkeit (vgl hierzu MBP10 = B5) ist zu berücksichtigen, dass bei der Beurteilung der Patentfähigkeit der Gegenstand des Streitpatents nicht auf eine Vorrichtung zur Durchführung eines Schwangerschaftstests reduziert und der relevante Stand der Technik lediglich unter diesem Aspekt betrachtet werden darf. Denn der Gegenstand des Streitpatents ist weder auf Vorrichtungen zur Durchführung von speziellen oder beliebigen Immuntests und damit weder auf eine ganz spezielle Form der Proteinanalytik noch auf die Bestimmung ganz bestimmter niedermolekularer oder polymerer Analyte beschränkt. Insofern hat auch die Entscheidung des Bundespatentgerichts in der parallelen Gebrauchsmustersache, auf welche die Beklagte Bezug genommen hat (vgl Schrifts v 15. November 2004 S 44 vorle Abs bis S 46 iVm MBP7), keinen Leitcharakter und gab für den Senat keinen Anlass zu einer anderen Bewertung, da der in dieser Entscheidung für bestandsfähig erachtete Gegenstand nicht nur auf einen Immuntest, sondern sogar auf humanes Choriongonadotropin (hCG) als zu bestimmender Analyt eingeschränkt worden war. Darüber hinaus lagen dieser Entscheidung nicht die NK10, die NK19 und auch nicht die NK38 zugrunde.
b) Auch die Unteransprüche 2 bis 21 gemäß Hauptantrag sind mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
Betreffend das Farbsol oder Gold-Sol gemäß Anspruch 2 wird auf die Ausführungen betreffend Patentanspruch 1 des Hauptantrags zum übergeordneten Merkmal 2.2.3 partikelförmiger Direktmarkierungsstoff und die Dokumente NK11 und NK19 verwiesen.
Gefärbte Latexteilchen eines maximalen Durchmessers von nicht mehr als etwa 0,5 µm gemäß Anspruch 3 sind dem Fachmann als partikelförmige Direktmarkierungsstoffe für Immuntests ebenfalls geläufig (vgl zB NK19 S 7 Z 1 bis 7, insbes Z 4 bis 5, iVm S 7 Z19bis 24). Die Merkmale der Ansprüche 4 und 5 ergeben sich bereits aus dem Dokument NK38 (vgl aaO Anspr 22 iVm S 6 Z 2 bis 4), wobei sich Kunststoff als Material zwangsläufig aufdrängt.
Dass der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfassen kann (Anspruch 6), ergibt sich für den Fachmann, obwohl es sich dabei ohnehin schon um eine selbstverständliche Ausgestaltung handelt, beispielsweise aus der NK32 (vgl aaO S 6 Z 1 bis 13 iVm S 13 Übersicht I oben). Die Möglichkeit einer weiteren Ausgestaltung durch die Merkmale der Ansprüche 7 und 8 ergeben sich ebenfalls aus dem Aufbau eines Teststreifens gemäß der NK32 (vgl S 4 Z 1 bis 5 und S 6 Z 1 bis 13 iVm S 13 Übersicht I und S 18 Z 9 bis 12). Dass die Anordnung eines porösen Trägerstreifens in einem Gehäuse eine bis auf die erforderlichen Zugänge flüssigflüssigkeitsdichte Ausbildung und in den Beobachtungszonen eine Transparenz der verwendeten Werkstoffe erfordert, versteht sich von selbst.
Nitrocellulose als poröses Trägermaterial (Anspruch 9) in den verschiedenen Porengrößen der Ansprüche 10 bis 12 ergibt sich für den Festphasen-Diffusionstest mit Farboder Gold-Solen aus dem Dokument NK11 (vgl NK11 S 16 Z 4 iVm S 16 Z 24 bis 26) in Abhängigkeit von den beteiligten Partikeln und Proteinen und der Porengröße handelsüblicher Nitrocellulose-Papiere, sodass auch hierin keinerlei erfinderisches Zutun erkennbar ist.
Eine Kontrollzone nach der Nachweiszone (Anspruch 13) ist für einen praktisch durchzuführenden Nachweis obligatorisch. Ausführungsformen einer solchen Kontrollzone finden sich in der NK10 (vgl aaO S 15 Z 22 bis 27, S 15 Z 34 bis S 16 Z 6) oder in der NK32 (vgl aaO S 11 Z 15 bis 26, insbes Z 23 bis 26). Die Saugzone der NK32 (vgl aaO S 11 Z 23 bis 26) vermag die Funktion der Absorptionsmittelfalle des Anspruchs 14 erfüllen, sodass auch Anspruch 14 nicht gewährbar ist.
Platt selbstverständlich ist auch die Variante des Aufbringens des markierten Reagenzes gemäß Anspruch 15 für den Fall der Ausbildung des Trägers als poröser Nitrocellulose-Streifen. Entsprechendes gilt für die Variante der Auftragung von Reagenzien gemäß Anspruch 18.
Was die Möglichkeit einer Glasur des porösen Trägers im Bereich des markierten Reagenzes, speziell mit einem Zucker, anbelangt, so findet der Fachmann hierzu in der gattungsgemäßen Literatur ausreichend Anregung bzw. Anleitung. So ist gemäß der Lehre des Immunchromatographs der NK12, der ebenfalls nach dem Prinzip des Streitpatents, der NK10 oder der NK32 oder NK38 funktioniert, vorgesehen, den porösen Träger (cellulosisches Material, verschiedene Papiere) zur Verbesserung der Eigenschaften beispielsweise auch mit Zuckern oder mit Polysacchariden zu beschichten (vgl NK12 S 20 Z 9 bis 17 iVm Z 32 bis 35). Der Fachmann erkennt ohne weiteres und es ist ihm aus seinem Fachwissen geläufig, dass er, insbesondere bei Nitrocellulose als Träger, gegebenenfalls durch Blockierung und/oder durch Glasierung die Mobilität des markierten Bindungsreagenzes, welches im Fall eines Immuntests ein markiertes Protein ist, steuern und dadurch gewährleisten kann, wozu letztlich auch die NK12, wie vorstehend ausgeführt, Anregung und Anleitung gibt.
Die Anwendung auf den speziellen Testfall des humanen Choriongonadotropin (hCG) gemäß Anspruch 19 sowie den speziellen Testfall des luteinisierenden Hormons (LH) gemäß Anspruch 20 lag im Blickfeld des Fachmanns (vgl zB NK38 S 7 Z 29 bis 30), sodass auch hierin nichts Erfinderisches zu erkennen ist.
Die Ausführungsform des Anspruchs 21 stellt eine übliche Immunreaktion dar, für die sich ein gesonderter druckschriftlicher Nachweis ohnehin erübrigt.
Im Übrigen wurde mit Ausnahme der Merkmale der Ansprüche 6 und 13 keines der in den übrigen Ansprüchen enthaltenen Merkmale einem Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 8 zugrunde gelegt, so dass selbst die Beklagte offenbar davon ausgeht, dass darin nichts patentbegründendes liegt.
c) Nicht patentfähig ist auch der nebengeordnete Patentanspruch 22, der auf ein Analysenverfahren unter Einsatz einer Vorrichtung gemäß den Patentansprüchen 1 bis 21 gerichtet ist. Gegenüber den Patentansprüchen 1 bis 21 weist das darin beanspruchte Verfahren keine darüber hinausgehenden Merkmale und damit auch keinen eigenen erfinderischen Gehalt auf.
5. Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen der Patentansprüche erweisen sich mangels erfinderischer Tätigkeit ebenfalls als nicht bestandsfähig.
Die Zusatzmerkmale in den Hilfsanträgen 1 und 3 sind aus den Unteransprüchen 6 und 13 gemäß Hauptantrag entnommen, sodass diesbezüglich vollumfänglich auf die betreffenden vorstehenden Ausführungen in 4b) verwiesen wird.
Die Patentansprüche 1 in den Hilfsanträgen 2 sowie 4 bis 8 unterscheiden sich vom Hauptantrag in dem zusätzlichen Merkmal
"... und der poröse Träger mit einem porösen Probenaufnehmer verbunden ist und indirekt mit dem Äußeren des hohlen Gehäuses über den porösen Probenaufnehmer in Verbindung steht, auf den die Flüssigkeitsprobe aufgebracht wird und von dem die aufgebrachte Flüssigkeitsprobe in den porösen Träger dringt."
sowie den weiteren zusätzlichen Merkmalen, entweder einzeln oder Kombination
"der (gemeint ist der poröse Probennehmer) als Reservoir dient,"
"der (gemeint ist der poröse Probennehmer) aus dem hohlen Gehäuse herausragt"
"und der poröse Träger einen Streifen oder eine Folie von porösem Material umfasst."
"und stromabwärts von der Nachweiszone eine Kontrollzone umfasst."
In den Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 sowie 4 bis 8 bezieht sich die indirekte Verbindung des porösen Trägers mit dem Äußeren des Gehäuses über einen porösen Probenaufnehmer sowie die weitere Ausgestaltung des Probennehmers lediglich auf das alternative Merkmal 3.2 zu 3 neben dem weiterhin enthaltenen alternativen Merkmal der direkten Verbindung mit dem Äußeren des Gehäuses gemäß Merkmal 3.1 zu 3, sodass diesbezüglich sowie betreffend die weiteren Zusatzmerkmale die Gründe des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 und 3 gelten und vollumfänglich auf die betreffenden Ausführungen unter den vorstehenden Punkten II.4a bis II.4c verwiesen wird. Entsprechendes gilt für die in der Nummerierung, soweit erforderlich, jeweils angepassten Unteransprüche und für den jeweils abschließenden Verfahrensanspruch.
6. Bei dieser Sachlage brauchte auf die übrigen, von der Klägerin eingeführten Druckschriften ebenso wenig eingegangen zu werden wie auf weitere seitens der Beklagten vorgebrachten Dokumente, aus denen sich keine Anhaltspunkte ergeben, die den Senat hätten zu einem anderen Ergebnis gelangen lassen können. Unberücksichtigt bleiben können auch die verschiedenen Versuchsberichte der Verfahrensbeteiligten zur Frage der Ausführbarkeit.
Ausschlaggebend ist nach Ansicht des Senats vielmehr, dass ein Fachmann ausgehend von einer der Druckschriften NK10, NK32 oder NK38 mit Blick auf die Aufgabenstellung zwanglos auch partikelförmige gefärbte Direktmarkierungsstoffe, insbesondere Metallund speziell Goldsole, in seine Überlegungen miteinbeziehen musste und unter Zuhilfenahme seines Fachwissens zwangsläufig zum Gegenstand des Streitpatents gelangen konnte. Diesem Fachwissen ist auch die besondere Ausführungsform der Blockierung und Glasierung von Nitrocellulose als Träger zuzurechnen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs 2 PatG iVm §§ 91 Abs 1, 97 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO. Die Kostenfolge hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens ergibt sich aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 97 Abs 1 ZPO. Zwar liegt im Falle einer Zurückverweisung durch das Berufungsgericht zum Zeitpunkt der Zurückverweisung weder ein Obsiegen noch ein Unterliegen vor, denn es entscheidet erst der endgültige Ausgang des Rechtsstreits über den Erfolg (vgl Baumbach/Lauterbach, ZPO, 62. Aufl, § 97 Rdn 75). Danach ist die Klägerin mit ihrer Berufung jedoch letztlich erfolgreich gewesen, denn das vorliegende Urteil hat zur vollen Nichtigerklärung des Streitpatents geführt.
Dr. Schermer Dr. Niklas Brandt Dr. Egerer Dr. Schuster Pr
BPatG:
Urteil v. 07.06.2005
Az: 3 Ni 11/01
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/3cd8b04fb82d/BPatG_Urteil_vom_7-Juni-2005_Az_3-Ni-11-01