Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 29. November 2006
Aktenzeichen: 2 Ws 173/05
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 29.11.2006, Az.: 2 Ws 173/05)
Bei der Beurkundung rechtsgeschäftlicher Erklärungen ist eine Urkunde dann abgeschlossen, wenn das in § 13 BeurkG vorgeschriebene Prozedere - Vorlesen, Genehmigen, Unterschreiben - stattgefunden hat.
Tenor
Die Erhebung der öffentlichen Klage wird angeordnet.
Der Beschuldigte ist hinreichend verdächtig, eine Urkunde, welche ihm nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, vernichtet zu haben, tatmehrheitlich als Amtsträger, der zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt ist, innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet zu haben.
Der Beschuldigte erstellte als Notar am 10. Juni 2003 gemäß § 130 AktG die notarielle Niederschrift über die ordentliche Jahreshauptversammlung der A AG. Hierzu fertigte der Beschuldigte vor der Hauptversammlung einen maschinellen Entwurf an, der die aus der Tagesordnung und aus dem Leitfaden des Vorsitzenden des Aufsichtsrates der A AG voraussichtlich sich ergebenden Elemente berücksichtigte. Diesen Entwurf ergänzte er während der Dauer der Hauptversammlung handschriftlich um alle Abweichungen vom erwarteten Verlauf sowie um alle €Variablen€, wie beispielsweise Wortmeldungen, Widersprüche und Abstimmungsergebnisse, und unterzeichnete ihn noch am Tage der Versammlung. Diese Niederschrift sollte nach seinem Willen nicht mit einer Urkunderollennummer versehen und zur Urkundensammlung genommen werden. Lediglich für den Fall seines Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit hatte er seine Notariatsangestellte zuvor angewiesen, für diese Niederschrift eine Urkundenrollennummer zu €reservieren€, sie als das Hauptversammlungsprotokoll einzutragen und zur Urkundensammlung zu nehmen. Zu einem nicht näher bekannten, nach der Hauptversammlung liegenden Tag ließ der Beschuldigte seine Notariatsangestellte eine vollständig maschinell erstellte Fassung fertigen, in der diese in Abstimmung mit ihm seine handschriftlichen Änderungen einarbeitete. Sodann übersandte er diese maschinell erstellte Fassung der A AG und traf sich €zur Abstimmung von Feinheiten€ mit zwei Mitarbeitern dieser Bank. Danach nahm er an dieser Fassung aufgrund der Ausführungen der Mitarbeiter verschiedene Änderungen und Berichtigungen vor, ohne diese als solche kenntlich zu machen. In der danach unter dem Datum €10. Juni 2003€ erstellten €Endfassung€ des Hauptversammlungsprotokolls erklärte der Beschuldigte am Ende Folgendes: €Nachdem weitere Wortmeldungen nicht mehr vorlagen, wurde die Versammlung um 21 Uhr 21 Minuten von dem Herrn Vorsitzenden geschlossen. Hierüber wurde diese in Urschrift bei mir verbleibende Niederschrift aufgenommen und von mir, dem amtierenden Notar, eigenhändig unterschrieben.€
Diese €Endfassung€ des Protokolls unterzeichnete der Beschuldigte, versah sie mit der €reservierten€ Urkundenrollennummer und nahm sie zur Urkundensammlung.
Die seine handschriftliche Ergänzungen enthaltende, von ihm unterzeichnete Fassung des Hauptversammlungsprotokolls ist von dem Beschuldigten nach Erstellung der €Endfassung€ vernichtet (€entsorgt€) worden.
Vergehen, strafbar nach §§ 274 Abs. 1 Ziff. 1, 348 Abs. 1, 53 StGB.
Gründe
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist, soweit der Antragsteller damit die Klageerhebung gegen den Beschuldigten wegen Urkundenvernichtung und Falschbeurkundung im Amt erstrebt, zulässig (§ 172 Abs. 2 und 3 StPO), insbesondere ist der Antragsteller als Inhaber von Aktien der A AG Verletzter i.S.d. § 172 Abs. 1 StPO.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat insoweit auch in der Sache Erfolg.
Die Anordnung der öffentlichen Klage ist geboten, weil der Beschuldigte zum einen einer Urkundenunterdrückung in Form der Urkundenvernichtung (274 Abs. 1 Ziff 1 StGB) hinreichend verdächtig ist, indem er die von ihm am Abend des 10. Juni 2003 unterzeichnete Niederschrift über den Verlauf der Hauptversammlung €entsorgte€.
Bei dieser Niederschrift handelte es sich um eine Urkunde im Sinne von §§ 267 Abs. 1, 274 Abs. 1 Ziff. 1 StGB. Zwar ist in der neuesten Literatur streitig, wann die von einem Notar gemäß § 130 Abs. 1 AktG über die Hauptversammlung aufgenommene Niederschrift als notarielle Urkunde abgeschlossen ist, sie mithin Urkundsqualität erreicht. Während nach einer erst nach der in Rede stehenden Hauptversammlung vertretenen Auffassung dies erst dann der Fall ist, wenn der Notar die Niederschrift insbesondere durch Erteilung von Ausfertigungen oder beglaubigten Abschriften in den Rechtsverkehr gegeben hat (so Maaß ZNotP 2005, 50 ff und 377 ff; ebenso Wolfsteiner ZNotP 2005, 376 f), liegt nach anderer schon lange vertretenen Ansicht bereits mit der Unterzeichnung der Niederschrift durch den Notar eine Urkunde vor (so Eylmann zuletzt in ZNotP 2005, 300 ff und 458 ff).Letzterer Auffassung ist zu folgen. Bei der Beurkundung rechtsgeschäftlicher Erklärungen ist eine Urkunde dann abgeschlossen, wenn das in § 13 BeurkG vorgeschriebene Prozedere € Vorlesen, Genehmigen, Unterschreiben € stattgefunden hat. Davon, dass etwas anderes für sonstige Beurkundungen i.S.v. §§ 36 ff BeurkG gelten soll, abgesehen davon, dass bei solchen Urkunden ein Vorlesen nicht erforderlich ist und nur der Notar durch seine Unterschrift die von ihm gemachten Wahrnehmungen bestätigt, kann nicht ausgegangen werden (vgl. Eylmann ZNotP 2005, 302). Vielmehr ist aus dem Umstand, dass in § 44a BeurkG zwischen der Beurkundung von Willenserklärungen und sonstigen Beurkundungen nicht unterschieden wird, zu folgern, dass der Gesetzgeber eine solche Differenzierung nicht wollte (vgl. Eylmann a.a.O.).Den Schluss, dass es sich bei der am Hauptversammlungstag unterzeichneten Niederschrift nicht lediglich um einen Entwurf, sondern um das wirksam zustande gekommene Protokoll handelte, lässt sich auch aus der Einlassung des Beschuldigten selbst ziehen. Die Intention des Beschuldigten war, dass dieses Schriftstück im Falle seines Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit die wenn auch gegebenenfalls unvollständige Niederschrift der Jahreshauptversammlung darstellen sollte. Die Frage des Vorliegens einer Urkunde kann indes nicht von dem Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht werden, insbesondere kann die Urkundeneigenschaft nicht dadurch verloren gehen, dass die Bedingung (Tod oder Handlungsunfähigkeit) nicht eintritt.
Der Beschuldigte hat diese Niederschrift nicht unter der dafür vorgesehenen Urkundennummer zur Urkundensammlung genommen, sie vielmehr nach seiner Einlassung €entsorgt€, also €vernichtet€ i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Deshalb kann im jetzigen Zeitpunkt hinreichender Tatverdacht des Beschuldigten im Hinblick auf eine vorsätzliche Urkundenvernichtung nicht verneint werden. Es ist bei einem Notar davon auszugehen, dass diesem die einschlägigen Bestimmungen des Beurkundungsgesetzes in Bezug auf die Errichtung von Urkunden geläufig sind, insbesondere dass er weiß, in welchem Zeitpunkt eine Urkunde abgeschlossen und damit seiner uneingeschränkten Verfügungsgewalt entzogen ist. Ein Berufen auf einen mangelnden Vorsatz unter Hinweis auf die oben genannten Aufsätze von Maaß und Wolfsteiner, nach denen die Urkundsqualität der am Hauptversammlungstag unterzeichneten Niederschrift zu verneinen wäre, ist dem Beschuldigten bereits deswegen verwehrt, weil diese zeitlich erst nach der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat veröffentlicht wurden, sie sein Handeln im Tatzeitpunkt mithin nicht beeinflusst haben konnten.
Der Beschuldigte ist zudem hinreichend verdächtig, die am Hauptversammlungstag unterzeichnete Niederschrift in der Absicht vernichtet zu haben, einem anderen Nachteil zuzufügen. Ausreichend ist insoweit das Bewusstsein, dass der Nachteil die notwendige Folge der Tat ist, das heißt, dass das Benutzen des gedanklichen Inhalts der Urkunde in einer aktuellen Beweissituation vereitelt wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 274 Rdn. 6 m.w.N.). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Dem Beschuldigten war bewusst, dass er durch das €Entsorgen€ der Niederschrift die Beweisführungsmöglichkeit der Aktionäre im Hinblick auf die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse hindert.
Der Beschuldigte ist zudem einer Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1 StGB) hinreichend verdächtig ist, indem er in der von ihm unterzeichneten €Endfassung" der Niederschrift vorgab, diese am €10. Juni 2003€ errichtet zu haben, obwohl dies tatsächlich zu einem unbekannten Zeitpunkt deutlich nach diesem Tag geschehen ist.
Als Notar war der Beschuldigte ein zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugter Amtsträger (§ 1 BeurkG, §1 BNotO). Die Errichtung der notariellen Niederschrift nach § 130 AktG nahm er auch innerhalb seiner Zuständigkeit im Sinne des § 348 StGB vor. Mit der Beurkundung des unzutreffenden Zeitpunkts der Errichtung der Niederschrift hat der Beschuldigte eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet. Falsch beurkundet im Sinne des § 348 StGB sind diejenigen rechtlich erheblichen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube der Urkunde, das heißt die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann erstreckt (vgl. BGHSt 22, 201 (203)). Das ist hier der Fall. Die Niederschrift über eine Hauptversammlung, die unmittelbar nach deren Beendigung unter dem Vorbehalt einer € späteren € sorgfältigen Prüfung unterzeichnet wird, dann aber später verschwindet und geraume Zeit € gegebenenfalls Wochen - danach durch eine neu gefasste Niederschrift ersetzt wird, verliert an Beweiswert, weil nicht erkennbar ist, an welchen Punkten eine Veränderung oder Berichtigung vorgenommen worden ist. Mit der Angabe des unzutreffenden Zeitpunkts der Errichtung des neu gefassten Protokolls hat der Beschuldigte vorgetäuscht, dieses aufgrund frischer Erinnerung niedergeschrieben zu haben. Damit wird aber der Anschein einer Authentizität erregt, die tatsächlich höchst fraglich ist.
Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt der Anklagebehörde (§ 175 S. 2 StPO).
Soweit der Antragsteller die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten (auch) wegen Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug (§§ 263, 22, 27 Abs. 1 StGB) erreichen möchte, ist jedenfalls sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig. Insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen hinreichenden Sachverhaltsschilderung im Hinblick auf das Vorliegen einer Haupttat (versuchter Prozessbetrug). Es ist schon nicht ersichtlich, wer, durch welche Täuschungshandlung einen Irrtum erregen wollte, der zu einem auf einer Vermögensverfügung beruhenden Vermögensschaden führen sollte.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 29.11.2006
Az: 2 Ws 173/05
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