Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 31. März 2004
Aktenzeichen: 6 U 135/03
(OLG Köln: Urteil v. 31.03.2004, Az.: 6 U 135/03)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.09.2003 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 578/02 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung, auch über die im Berufungsverfahren entstandenen Kosten des Rechtsstreits, an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
B e g r ü n d u n g :
I.
Die Klägerin ist Gesellschafterin des Deutschen Lotto- und Totoblocks. Sie befasst sich im Land Nordrhein-Westfalen mit behördlicher Erlaubnis mit der Organisation und Durchführung von Gewinnspielen, unter anderem dem Fußball-Toto. Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um eine in Salzburg ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach österreichischem Recht. Sie betreibt aufgrund einer ihr von der Salzburger Landesregierung erteilten Bewilligung gewerbsmäßig Sportwetten, insbesondere Fußballwetten. Sie unterhält in Deutschland keine Niederlassung und ist hier auch nicht durch Wettbüros, Annahmestellen oder vergleichbare Einrichtungen vertreten. Der Beklagte zu 2) führt die Geschäfte der Beklagten zu 1). Er war darüber hinaus Geschäftsführer der ebenfalls in Salzburg ansässigen Firma J. Sportwetten GmbH. Diese hatte im Jahre 1998 und auch zuvor in deutschen Sportzeitschriften für ihre Sportwetten geworben. An in Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, gewonnenen Wettinteressenten hatte sie Wettscheine versendet, die diese ausfüllen und dann an sie nach Salzburg zurückschicken sollten. Die Wettinteressenten konnten die Platzierungsmöglichkeiten aber auch bei der Firma J. Sportwetten GmbH telefonisch erfragen und ihre Wetten sodann in gleicher Weise abschließen. Zum Teil war ein Platzieren der Wette ohnehin nur über Telefon oder Telefax möglich. Diese Tätigkeit auszuüben ist der Firma J. Sportwetten GmbH rechtskräftig untersagt. Durch sein Urteil vom 22.10.1999 (6 U 53/98) hat der Senat ihr nämlich sinngemäß und unter Wiedergabe der konkreten Verletzungsform untersagt, im Bereich des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ohne Genehmigung nach dem Sportwettengesetz Nordhrein-Westfalen Sportwetten anzubieten und/oder zu bewerben. Die gegen dieses in der GRUR 2000, 538 ff. veröffentlichte Urteil des Senats eingelegte Revision der Firma J. Sportwetten GmbH hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 14.03.2002 (WRP 2002, 688 ff. = NJW 2002, 2175 f. = GRUR 2002, 636 f. = WM 2002, 1464 ff. = MDR 2002, 1082 f. "Sportwetten") zurückgewiesen.
In der Folgezeit bot dann die Beklagte zu 1) gegenüber potentiellen Kunden in der Bundesrepublik Deutschland und auch im Bundesland Nordrhein-Westfalen telefonisch, digital, per Fax, per Internet, per E-Mail und per WAP abzuschließende Telefonwetten an. Deshalb mahnte die Klägerin die beiden Beklagten mit dem aus Bl. 53 ff d.A. ersichtlichen Schreiben ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf, nach deren vorformuliertem Inhalt die Beklagten es künftig unterlassen sollten, bezogen auf die konkrete Verletzungsform im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Gebiet des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen Wetten aus Anlass von sportlichen Veranstaltungen und sonstigen Ereignissen gegen Entgelt anzubieten und/oder anbieten zu lassen und/oder entgegenzunehmen und/oder zu bewerben. Daraufhin erhoben die Beklagten am 09.08.2002 beim Landesgericht Salzburg in Österreich gegen die hiesige Klägerin Klage mit dem Antrag, diese schuldig zu sprechen, es zu unterlassen, ihnen zu verbieten, gegen Entgelt an ihren Wetten aus Anlass von sportlichen Veranstaltungen Personen aus Nordrhein-Westfalen teilnehmen zu lassen, die dies per Telefon, Telefax, Internet, WAP usw. bei ihnen tun und deren Sportwetten zu bewerben, wie zum Beispiel durch Versendung von Werbebriefen auch an Adressaten in Nordrhein-Westfalen. Außerdem kündigten sie hilfsweise sinngemäß und verkürzt wiedergegeben den Antrag an, festzustellen, dass sie berechtigt seien, ihre Sportwetten durch die Versendung von Werbebriefen auch an Adressaten in Nordrhein-Westfalen zu bewerben und durchzuführen.
Mit Beschluss vom 17.02.2003, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlage B 8 zur Klageerwiderung), beschloss das Landesgericht Salzburg, der von der hiesigen Klägerin erhobenen Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit des Landesgericht Salzburg nicht stattzugeben. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landesgericht Salzburg im Wesentlichen aus, mit ihrem Vortrag, die Abmahnung sei rechtswidrig und unberechtigt, hätten die dortigen Kläger eine unerlaubte Handlung der dortigen Beklagten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) behauptet, weil das Abmahnschreiben zwar in Deutschland gefertigt und dort abgesendet, jedoch in Salzburg zugegangen und der Erfolg somit dort eingetreten sei. Ob aus dem inkriminierten Abmahnschreiben tatsächlich ein Unterlassungsanspruch folge, sei für die Prüfung der Zuständigkeit irrelevant. Dieser Beschluss des Landesgericht Salzburg ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem das Oberlandesgericht Linz dem gegen diese Entscheidung eingelegten Rekurs nicht stattgegeben hat. In seinem Beschluss vom 21.05.2003, dessen Inhalt in Bezug genommen wird (Anlage B 11 zur Klageerwiderung), heißt es sinngemäß ebenfalls, für die Annahme der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte reiche der schlüssige Vortrag der die Zuständigkeit begründenden Tatsachen, mithin ob der vorgetragene Sachverhalt gemeinschaftsrechtlich als unerlaubte Handlung zu qualifizieren sei und der angebliche Deliktsort im Gerichtsbezirk liege. Dagegen sei nicht zu entscheiden, ob der fragliche Anspruch nach österreichischem Recht deliktischer Natur sei. Die materielle Begründetheit der Klage sei keinesfalls zu prüfen. Die von den Beklagten in Österreich erhobene Klage ist weiterhin rechtshängig. Am 13.11.2003 haben die Beklagten sie um den aus Bl. 188/189 d.A. ersichtlichen weiteren Hilfsantrag ergänzt.
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht die von der Klägerin erhobene, die konkrete Verletzungsform wiedergebende Unterlassungsklage als unzulässig abgewiesen und das Landesgericht Salzburg in Österreich für zuständig erklärt. Seine Unzuständigkeit ergebe sich aus Art. 27 Abs. 2 EuGVVO und folge aus der Tatsache, dass das Landesgericht Salzburg seine Zuständigkeit rechtskräftig angenommen habe; hier und in Österreich seien Klagen wegen "desselben Anspruchs" im Sinne des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO anhängig.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung mit den aus Bl. 168 und Bl. 2 - 6 d.A. ersichtlichen Klageanträgen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO an das Landgericht Köln zurückzuverweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sachvortrags der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die mit Ausnahme des nachgelassenen Schriftsatzes der Beklagten vom 19.03.2003 sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und gemäß § 538 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht, weil es seine (internationale) Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat.
Nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO, der inhaltlich Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ a.F. mit der Folge entspricht, dass die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, des Bundesgerichtshofes und auch der Instanzgerichte unverändert fortgilt, setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, wenn bei Gerichtsstaaten verschiedener Vertragsstaaten, zu denen Deutschland und Österreich zählen, Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden. Gemäß Art. 27 Abs. 2 EuGVVO erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig, sobald die Zuständigkeit dieses Gerichts feststeht. Art. 27 EuGVVO verdrängt insoweit die Vorschrift des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Er stellt als negative Prozessvoraussetzung ein von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis dar. Eine Unzuständigkeitserklärung des später angerufenen Gerichts setzt hierbei das "Feststehen" der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts voraus, wobei solches erst durch eine rechtskräftige Entscheidung des zuerst angegangenen Gerichts oder die Entscheidung eines ihm übergeordneten Gerichts gegeben ist. Zuvor ist das Verfahren von Amts wegen auszusetzen, Art. 27 Abs. 1 EuGVVO.
Mit Rücksicht darauf, dass das Landesgericht Salzburg sich hinsichtlich des - worauf zurückzukommen sein wird - von den hiesigen Beklagten in Österreich dem Hauptantrag nach verfolgten Klagebegehrens rechtskräftig für zuständig erklärt hat, ist es im Streitfall deshalb von streitentscheidender Bedeutung, ob den beiden Klagen "derselbe Anspruch" zugrunde liegt. Das ist - das hat das Landgericht richtig gesehen - nicht nach dem Prozessrecht der einzelnen Vertragsstaaten und insbesondere nicht nach deutschem Recht zu bewerten, sondern unter Zugrundelegung einer autonomen, am Zweck des Art. 27 EuGVVO orientierten Auslegung dieses Begriffs. Nach der die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 06.12.1994 in der Rechtssache C-406/92, veröffentlicht unter anderem in JZ 1995, 616 ff. = ZIP 1995, 943 ff. "The Tatry" und Urteil vom 08.12.1987 in der Rechtssache C-144/86 "Gubisch", veröffentlicht in NJW 1989, 665 f., dort unter Tz. 16 und 17) berücksichtigenden Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 06.02.2002, MDR 2002, 656 ff., und Urteil vom 11.12.1996, BGHZ 134, 201 ff. = NJW 1997, 870 ff. = MDR 1997, 387 f.) hat sich die Auslegung des Begriffs "derselbe Anspruch" in Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ daran zu orientieren, dass soweit wie möglich Parallelprozesse vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten vermieden werden, in denen Entscheidungen ergehen können, die miteinander "unvereinbar" im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO/Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ sind und die deshalb in dem jeweils anderen Staat nicht anerkannt werden. Grund für die weite Auslegung des Begriffs "derselbe Anspruch" ist damit das Bestreben, durch die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit widersprechende inländische Entscheidungen soweit als möglich zu verhindern, andernfalls die Gefahr der Existenz entgegengesetzter Beurteilung bestünde. Für die Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen im Sinne des Art. 34 Nr. 3 EuGVVO/Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ und die Beurteilung, ob in zwei Prozessen derselbe Anspruch verfolgt wird, ist deshalb nicht auf die formale Identität der Klagen, sondern darauf abzustellen, ob der "Kernpunkt" beider Rechtsstreitigkeiten derselbe ist. Derselbe Anspruch wird in zwei Prozessen auf der Basis dieser am Zweck des Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ orientierten Auslegung auch dann verfolgt, wenn Gegenstand des einen eine Zahlungsklage und Gegenstand des anderen eine Feststellungsklage mit dem Antrag ist, festzustellen, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht besteht. Eine Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO/Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ liegt nämlich auch dann vor, wenn der durch das anzuerkennende Leistungsurteil zugesprochene Anspruch nach einem Feststellungsurteil des Anerkennungsstaates nicht bestehen kann. Dabei gilt das Prioritätsprinzip. Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ greift deshalb auch dann ein, wenn die Feststellungsklage zuerst anhängig gemacht worden ist. Hierzu hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 08.02.1995 (NJW 1995, 1758 f. = MDR 1995, 845 f.) ausdrücklich ausgeführt, dass der Begriff der Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ auch den Fall umfasst, dass eine Prozesspartei vor dem Gericht eines Vertragsstaates die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages verlangt und während der Anhängigkeit dieses Verfahrens vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaates die Rückgewähr einer aufgrund dieses Vertrages erbrachten Leistung begehrt wird. Gerade wegen der Notwendigkeit, nicht auf die formale Identität der Anträge abzustellen, sondern die Kernpunkte der beiden Streitigkeiten zu bewerten, hat zum Beispiel das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung vom 03.12.1999 (OLGR München 2000, 299 f.) angenommen, eine doppelte Rechtshängigkeit im Sinne des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO/Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ liege auch dann vor, wenn bei dem angegangenen Gericht wechselseitig Ansprüche auf Aufhebung desselben Vertrages wegen Verschuldens der jeweils anderen Vertragspartei erhoben worden sind.
Ist es damit wegen der anderweitigen Gefahr widerstreitender Entscheidungen im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO/Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ notwendig, den Begriff "derselbe Anspruch" im Sinne des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO/Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ weit auszulegen, vermag sich der Senat im Ergebnis dennoch nicht der Auffassung des Landgerichts anzuschließen, unter den im Streitfall gegebenen Umständen beträfen beide Klagen denselben Kernpunkt, soweit der von den hiesigen Beklagten in Österreich verfolgte Hauptantrag in Rede steht, hinsichtlich dessen das Landesgericht Salzburg seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, und zwar aus folgenden Gründen:
Das Oberlandesgericht Linz hat durch seine Rekursentscheidung vom 21.05.2003 (Anlage B 11 zur Klageerwiderung) in Anwendung des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO für die Parteien und auch den Senat bindend festgestellt, dass der Vortrag der hiesigen Beklagten, der Inhalt des Abmahnschreibens der Klägerin vom 25.07.2002 stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 1295 Abs. 2 ABGB sowie einen Wettbewerbsverstoß im Sinne des § 1 UWG dar, den Begriff "unerlaubte Handlung" im Sinne des Art. 5 Ziff. 3 EuGVVO ausfüllt, weil auch dieser Begriff gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen ist und sich auf Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 EuGVVO anknüpft. Im Rahmen seiner Zuständigkeitsprüfung ausdrücklich offen gelassen hat das Oberlandesgericht Linz, ob die von den hiesigen Beklagten als unlauter gerügte Handlung der Klägerin, nämlich das Verfassen des Abmahnschreibens vom 25.07.2002, tatsächlich gegen § 1295 Abs. 2 ABGB bzw. § 1 UWG verstößt, weil nämlich die materielle Begründetheit der in Österreich erhobenen Klage, das heißt die Frage, ob der behauptete Sachverhalt das dortige Klagebegehren stützen kann, im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung irrelevant ist. Ausdrücklich ausgeführt hat das Oberlandesgericht Linz in seiner Beschlussentscheidung vom 21.05.2003 deshalb, dass es für die Zuständigkeitsentscheidung nicht darauf ankommt, ob der fragliche Anspruch nach österreichischem Recht deliktischer Natur ist, sondern ausschließlich darauf, ob der Anspruch von Art. 5 Ziff. 3 EuGVVO in seiner Auslegung durch den EuGH erfasst wird. Eine andere Frage ist indes, ob der in Österreich von den hiesigen Beklagten mit ihrer Klage verfolgte Anspruch im Sinne des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO "derselbe" ist, den die Klägerin mit ihrer in der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Unterlassungsklage verfolgt. Diese Frage ist auch und gerade unter Berücksichtigung der gebotenen weiten Auslegung dieser europarechtlichen Norm zu verneinen. Gegenstand der in Köln erhobenen Klage ist die Frage, ob ein Unternehmen gleich welcher geografischer Herkunft in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen Sportwetten anbieten, bewerben und durchführen darf, ohne im Besitz einer von den deutschen Landesbehörden erteilten Konzession zu sein. Dieser Streitgegenstand entspricht auch nach dem Verständnis, das namentlich der Europäische Gerichtshof und auch der Bundesgerichtshof der europarechtlichen Norm des Art. 27 EuGVVO zugrunde legen, nicht dem Streitgegenstand der vor dem Landesgericht Salzburg anhängigen Klage. Die sich vor dem Landesgericht Salzburg stellende Kernfrage ist diejenige, ob eine in Deutschland verfasste und nach Österreich gesendete Abmahnung unter den im Streitfall obwaltenden Umständen mit den Regeln lauteren Wettbewerbs in Einklang zu bringen ist, einen rechtswidrigen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Beklagten darstellt oder gar als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung angesehen werden muss. Die Fragen, die der Senat in seinem vom Bundesgerichtshof als richtig bestätigten Urteil vom 22.10.1999 aufgeworfen, diskutiert und beantwortet hat, sind in dem zwischen den Parteien in Salzburg anhängigen Rechtsstreit ersichtlich ohne jedwede Relevanz, wenn sich die Frage, ob eine Abmahnung der vorliegenden Art Unterlassungsansprüche des Abgemahnten auslösen kann, nach österreichischem Recht genau so beurteilt wie nach deutschem Recht. Dafür spricht nachhaltig, dass das österreichische Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb stark dem deutschen UWG ähnelt (siehe hierzu Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl. 2002, Einf. Rdnr. 133 und die seit 1985 regelmäßig einmal pro Jahr in der Zeitschrift "Wettbewerb in Recht und Praxis" (WRP) veröffentlichten Aufsätze von Wiltschek zum Thema "Wettbewerbs- und Markenrecht in Österreich", Fundstellenachweise zum Teil abgedruckt bei Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, Einl. UWG Rdnr. 9). Die zentralen Vorschriften des österreichischen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb entsprechen wortgleich den Vorschriften des deutschen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, auch die Rechtsprechung der österreichischen Wettbewerbsgerichte ist - soweit ersichtlich - mit derjenigen der deutschen Wettbewerbsgerichte in den Kernfragen deckungsgleich. Dann aber spricht nach der Lebenserfahrung bereits alles dafür, dass sich das Landesgericht Salzburg und gegebenenfalls auch die ihm übergeordneten Gerichte mit der Frage, ob es einem österreichischen Unternehmen gestattet sein kann, in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen Sportwetten zu bewerben und abzuschließen, ohne jemals die nach deutschem Recht erforderliche Genehmigung beantragt zu haben, überhaupt nicht befassen wird, weil nämlich Abmahnungen der vorliegenden Art einen Unterlassungsanspruch des Abgemahnten selbst dann nicht auszulösen vermögen, wenn die Abmahnung unberechtigt gewesen sein sollte. Von dem hier ersichtlich nicht vorliegenden Fall der sogenannten unberechtigten Schutzrechtsverwarnung abgesehen (vgl. zum Begriff Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 1 UWG Rdnr. 237) berechtigt nämlich selbst eine unberechtigte Abmahnung eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes den Abgemahnten weder aus § 1 UWG noch aus § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB noch aus sonstigem Rechtsgrund dazu, den Abmahnenden seinerseits auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, vor dem zuständigen Gericht auf Feststellung zu klagen, dass der Unterlassungsanspruch, dessen Bestehen der Abmahnende behauptet, nicht besteht (vgl. nur die zahlreichen Nachweise aus der Rechtsprechung bei Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Einl. UWG Rdnrn. 559 und 561).
Damit wird das Landesgericht Salzburg die sich hier im Verletzerprozess stellenden Fragen nicht prüfen, diese vielmehr offen lassen und feststellen, dass die im Juli 2002 ausgesprochene Abmahnung des in Österreich mit dem Hauptantrag verfolgten Klageanspruchs das Klagebegehren selbst dann nicht zu tragen in der Lage ist, wenn die Abmahnung unberechtigt gewesen sein sollte. Dann aber wäre die in Österreich anhängige Klage schon aus diesem Grunde ohne weiteres wegen Unschlüssigkeit abweisungsreif, und über den Gegenstand der hiesigen, von der Klägerin erhobenen Unterlassungsklage würde nicht entschieden.
Selbst wenn es jedoch so sein sollte, dass die sich im Kölner Verletzerprozess stellenden Fragen auch in Österreich bezogen auf den Hauptantrag geprüft und entschieden werden müssten, das Landesgericht Salzburg sich also dazu äußern würde, ob es die hiesigen Beklagten für berechtigt hält, in Nordrhein-Westfalen ohne Genehmigung der nordrheinwestfälischen Landesregierung Glücksspiele in Form von Sportwetten zu veranstalten, dann wäre dies nur eine Vorfrage, deren Beantwortung in die eine oder andere Richtung nicht in Rechtskraft erwachsen würde. Nach dem vor dem Landesgericht Salzburg gestellten Hauptklageantrag würde nämlich das Landesgericht Salzburg dann, wenn es sich der Rechtsauffassung der hiesigen Beklagten anschließt, die Klägerin dem Klageantrag folgend allenfalls dazu verurteilen, es künftig zu unterlassen, die Beklagten wie geschehen abzumahnen. Nur dieser etwaige Ausspruch könnte in Rechtskraft erwachsen, nicht hingegen die Prüfung der rechtlichen Vorfragen, die gegebenenfalls zu diesem Ergebnis führen.
Ist Art. 27 Abs. 1 EuGVVO demgemäß im Streitfall nicht einschlägig, soweit der von den Beklagten in Österreich erhobene Hauptklageanspruch in Rede steht, steht damit die endgültige (internationale) Zuständigkeit des Landgerichts Köln wegen des in Österreich mit der Klageeinreichung gestellten Hilfsantrags dennoch nicht abschließend fest, was der Senat zugleich zum Anlass genommen hat, die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO antragsgemäß an das Landgericht zurückzuverweisen. Nach deutschem wie auch österreichischem Recht begründet ein gestellter Hilfsantrag nämlich seine auflösend bedingte Rechtshängigkeit in der Form, dass eine Sachentscheidung nur für den Fall der Erfolglosigkeit des Hauptantrages begehrt wird. Die Rechtshängigkeit endet ohne besonderen Ausspruch rückwirkend mit Eintritt der auflösenden Bedingung (zum österreichischen Zivilprozessrecht vgl. Holzhammer, Österreichisches Zivilprozessrecht, Erkenntnisverfahren, 1970, S. 146 unter E. "Eventualbegehren", zum deutschen Zivilprozessrecht siehe nur Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl. 2003, § 260 Rdnr. 4). Dafür, dass das europarechtlich nicht anders zu sehen ist, spricht nunmehr die im Vergleich zu den Regelungen der EuGVÜ neue Bestimmung des Art. 30 EuGVVO, wonach ein Gericht bereits zu dem Zeitpunkt als angerufen gilt, zu dem das Verfahren einleitende Schriftstück bei Gericht eingegangen ist, ohne dass hier zwischen Haupt- und Hilfsbegehren differenziert wird. Das Landesgericht Salzburg wie auch das Oberlandesgericht Linz haben in ihren Entscheidungen, in denen sie die (internationale) Zuständigkeit des Landesgerichts Salzburg. festgestellt haben, ausschließlich auf das Hauptbegehren der hiesigen Beklagten abgestellt und haben sich (noch) nicht mit der Frage befasst, ob sie ihre Zuständigkeit auch für das mit dem Hilfsantrag begehrte Feststellungsbegehren annehmen möchten, das vor dem von der Klägerin in Deutschland verfolgte Klagebegehren im Sinne des Art. 30 EuGVVO gerichts- und auch rechtshängig geworden ist. Das ist keineswegs selbstverständlich, sondern hängt davon ab, ob das Landesgericht Salzburg je nach dem, wie es über den Hauptantrag befindet, seine internationale Zuständigkeit auch für das Feststellungsbegehren annehmen möchte. Das hat es entgegen der unrichtigen, im nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 19.03.2004 aber vertretenen Auffassung bislang nicht getan und konnte es auch nicht tun, weil es wie über die Begründetheit auch über die Zulässigkeit des Eventualbegehrens erst entscheiden darf, wenn aus seiner Sicht der Hauptklageantrag abweisungsreif ist. Mit Rücksicht darauf, dass das negative Feststellungsbegehren der hiesigen Beklagten einerseits und das Unterlassungsbegehren der Klägerin andererseits unzweifelhaft denselben Anspruch im Sinne des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO betreffen, wird das Landgericht deshalb darüber zu befinden haben, ob das Verfahren nach dieser Vorschrift von Amts wegen auszusetzen ist, bis rechtskräftig feststeht, ob das Landgericht Salzburg seine Zuständigkeit auch für die mit der Klageeinreichung rechtshängig gewordene Eventualklage annimmt. Die Annahme, ein Hilfsantrag werde im Sinne von Art. 27 Abs. 1 EuGVVO/Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ erst dann rechtshängig, wenn die prozessuale Bedingung eintritt, unter die er gestellt ist, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. Für sie spricht auch sonst nichts. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30.09.1999, diese Frage dennoch dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen (GRUR Int. 2000, 776 ff.), wegen Klagerücknahme inzwischen gegenstandslos geworden ist.
Die Entscheidung, welche Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hat, hängt vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits ab. Die Kostenentscheidung war deshalb dem Landgericht vorzubehalten.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung im Einzelfall, die insbesondere der vorerwähnten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes zu Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ Rechnung trägt. Ungeachtet sonstiger Bedenken besteht jedenfalls aus diesem Grunde im übrigen auch kein Anlass, der Anregung der Beklagten zu folgen und die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
OLG Köln:
Urteil v. 31.03.2004
Az: 6 U 135/03
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/3d228138a87e/OLG-Koeln_Urteil_vom_31-Maerz-2004_Az_6-U-135-03