Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Urteil vom 22. August 2012
Aktenzeichen: 7 U 172/11
(Brandenburgisches OLG: Urteil v. 22.08.2012, Az.: 7 U 172/11)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 12. August 2011 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger beansprucht von den Beklagten Zahlung von € 184.906,16 zur Insolvenzmasse der R€ GmbH (Schuldnerin).
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 25. Oktober 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt (Bl. 111 d.A.).
Die Schuldnerin ist durch Ausgliederung aus der R€ GmbH (GmbH) entstanden. Die GmbH hatte zwei Geschäftsfelder: Altlasten und Bausanierung sowie Kampfmittelräumung. Mit Ausgliederungs- und Übernahmeverträgen übertrug sie am 17. November 2004 das Geschäftsfeld Altlasten und Bausanierung mit allen Aktiva und Passiva auf die Schuldnerin (Bl. 6, 113 d. A.) und das Geschäftsfeld Kampfmittelberäumung auf die Beklagte zu 2.) (Bl. 33, 240 d. A.). Beide Änderungen wurden zeitgleich am 13. April 2005 in das Handelregister eingetragen. Mit Wirkung vom 22. September 2008 verschmolz die GmbH mit der Beklagten zu 1.).
Zur Tabelle der Schuldnerin wurden Forderungen in Höhe von € 241,636,08 anerkannt, von denen bei der Ausgliederung der Schuldnerin bereits € 184.906,16 bestanden.
Der Kläger macht geltend, er könne in entsprechender Anwendung des § 93 InsO gemäß §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 133, 20 Abs. 1 Nr. UmwG i.V.m. § 93 InsO die Zahlung von € 184.906,16 zur Masse beanspruchen. Die Haftung des übertragenden Rechtsträgers aus § 133 Abs. 1 UmwG für Verbindlichkeiten, die vor dem Wirksamwerden der Ausgliederung begründet worden sind, sei akzessorisch und diene der Sicherung der Gläubiger als Kompensation für eine fehlende Kapitalaufbringung bzw. zur Kapitalerhaltung in der Ausgliederung. Sie gleiche der Haftung des OHG-Gesellschafters aus § 128 HGB oder der Haftung auf die Einlage des Kommanditisten aus § 171 Abs. 2 HGB bzw. des GmbH-Gesellschafters aus §§ 30, 31 GmbHG. Durch die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters aus § 93 InsO solle in diesen Fällen ein Wettlauf der Gläubiger auf die persönlich haftenden Gesellschafter und eine Verteilung nach dem €Windhundprinzip€ vermieden werden. Für die Haftung des übertragenden Rechtsträgers aus § 133 UmwG fehle es allerdings an einer Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Diese planwidrige Regelungslücke sei durch eine Analogie der §§ 93, 92 InsO zu schließen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn € 184.906,16 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wenden ein, die Interessenlage sei nicht vergleichbar, eine Analogie daher nicht möglich. Anders als bei der Haftung eines OHG-Gesellschafters, der allen Gläubigern in gleicher Weise hafte, habe der übertragende Rechtsträger nur für die vor Wirksamwerden der Spaltung begründeten Verbindlichkeiten einzutreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und eine Prozessführungsbefugnis in Analogie zu § 93 InsO abgelehnt mit der Begründung, die gesamtschuldnerische Haftung des übertragenden Rechtsträgers könne nicht mit der unbeschränkten Haftung des Gesellschafters gleichgestellt werden.
Gegen das am 19. August 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. September 2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 18. November 2011 begründet.
Die Parteien vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 12.08.2011 zum Geschäftszeichen 4 O 223/09 die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn € 184.906,16 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise beantragt er,
die Beklagten zu verurteilen, den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der R€ GmbH von den in der Klage vom 03.11.2009 auf Bl. 5 bis 10 genannten und vor dem 13.04.2005 begründeten Verbindlichkeiten freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet. Ihm steht kein Anspruch gegen die Beklagten aus §§ 135 Abs. 1, 133 Abs. 1 UmwG auf Zahlung von € 184.906,16 zu, da ihm dazu die erforderliche Prozessführungsbefugnis fehlt.
Der Kläger ist nicht nach § 93 InsO zur Geltendmachung des Anspruchs befugt. Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien eröffnet, so kann zwar die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nach § 93 InsO nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Die Vorschrift erfasst aber nur Ansprüche gegen die unbeschränkt persönlich haftenden Gesellschafter der in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO genannten Gesellschaften wie der OHG, KG oder GbR (vgl. Kreft, InsO, 6. Aufl., § 93, Rn. 5). Für Ansprüche gegen die Gesellschafter einer GmbH gilt sie grundsätzlich nicht.
Sie kann auch nicht durch eine entsprechende Anwendung auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus §§ 135 Abs. 1, 133 Abs. 1 UmwG ausgedehnt werden, weil insoweit nicht von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte.
Die Regelung in § 93 InsO will nach ihrem Gesetzeszweck einen Wettlauf der Gläubiger verhindern. Keiner der Gläubiger soll sich durch schnellen Zugriff auf persönlich haftende Gesellschafter zu Lasten der anderen Insolvenzgläubiger Sondervorteile verschaffen können. Stattdessen soll die persönliche Haftung der Gesellschafter die Insolvenzmasse anreichern und der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung zu Gute kommen. § 93 InsO weist dazu dem Insolvenzverwalter die alleinige Einziehungsbefugnis und damit Prozessführungsbefugnis zu (vgl. BT-DRs. 12/2443, S. 140; BGH vom 04.07.2002, IX ZR 265/01, Juris Rn. 8; 0; Bork NZI 2002, 362, 364).
Erfasst werden gesetzliche Haftungstatbestände, die typischerweise zu einer unterschiedslosen Haftung der Gesellschafter gegenüber allen Gläubigern führen, wie die Haftung des Gesellschafters einer OHG oder Komplementärs einer KG aus § 128 HGB bzw. §§ 161 Abs. 2, 128 HGB (vgl. BFH NZI 2002, 173, 174; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 93, Rn. 17). Eine Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters kann darüber hinaus in entsprechender Anwendung des § 93 InsO für Ansprüche auf Zahlung der noch offenen Einlage eines Kommanditisten aus § 171 HGB oder eines GmbH-Gesellschafters aus §§ 19, 30, 31 GmbHG gelten, denn auch die Einlage steht als Haftungsmasse ausnahmslos allen Gläubigern zur Verfügung.
Die Haftung aus § 133 Abs. 1 UmwG ist mit diesen Haftungstatbeständen nicht vergleichbar. Sie kommt von vorne herein nicht allen Gläubigern zu Gute, sondern nur den Gläubigern, denen bei Wirksamwerden der Ausgliederung Ansprüche gegen den übertragenden Rechtsträger zustanden. Für sie soll die im Zeitpunkt der Ausgliederung bzw. Spaltung bestehende Haftungsmasse erhalten bleiben.
Sondervorteile einzelner Gläubiger zu Lasten der Insolvenzmasse des neuen Rechtsträgers sind durch ihre Einzelansprüche nicht zu befürchten. Der übertragende Rechtsträger haftet dem Gläubiger stets nur für die konkrete Forderung, die ansonsten der Haftungsmasse nicht zur Verfügung stünde, anders als z.B. noch offene Stammeinlagen der Gesellschafter. Die Situation ist vergleichbar der Handelndenhaftung aus § 11 Abs. 2 GmbHG bzw. § 41 Abs. 1 S. 2 AktG vor Eintragung einer GmbH bzw. Aktiengesellschaft in das Handelsregister. Auch in diesem Fall haften die Handelnden nur dem jeweiligen Gläubiger persönlich und nicht der Gesamtheit der späteren Gesellschaftsgläubiger oder der Gesellschaft. Aus diesem Grund unterfallen die Ansprüche nicht der Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters aus § 93 InsO (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 93, Rn. 19). Sie gehören nicht zur Insolvenzmasse der Gesellschaft.
Vielmehr haften der übertragende und der neue Rechtsträger nach §§ 135 Abs. 1, 133 Abs. 1 UmwG gesamtschuldnerisch. Gesamtschuldnerische Ansprüche aber lässt das Insolvenzverfahren entsprechend den Regelungen in §§ 44, 254 Abs. 2 InsO unberührt (vgl. Uhlenbruck/Knof, InsO, 13. Aufl., § 43, Rn. 3).
Eine Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters würde sich außerdem systemwidrig zu Lasten der privilegierten Gläubiger auswirken. Könnte der Insolvenzverwalter die Ansprüche zur Insolvenzmasse ziehen, würden sie zwar die Haftungsquote zu Gunsten aller Gläubiger erhöhen, damit zugleich aber die nach § 133 Abs. 1 UmwG privilegierten Gläubiger benachteiligen, weil sie mit ihren Ansprüchen auf die Quote verwiesen würden.
Selbst wenn der Kläger Zahlungen der Beklagten in einer Sondermasse zusammenfassen und nur an die privilegierten Gläubiger auszahlen würde, ginge dies zu Lasten der Insolvenzmasse. Ansprüche der privilegierten Gläubiger würden nach § 426 Abs. 2 BGB auf den übertragenden Rechtsträger übergehen, der sie zur Tabelle anmelden könnte. Da die Schuldnerin vorliegend nach § 2 Abs. 2 lit. b des Ausgliederungs- und Übernahmevertrages im Innenverhältnis hierfür alleine einstehen hat, bliebe die Gesamtsumme der Gläubigerforderungen gleich. Die zu verteilende Masse wäre aber durch die zusätzlichen Kosten des Klägers gemindert. Selbst bei einer internen Haftung zu gleichen Teilen entsprechend dem gesetzlichen Leitbild aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB würde sich eine Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters zu Gunsten der Masse wirtschaftlich erst lohnen, falls die Befriedigungsquote 50 % zuzüglich der Kosten des Insolvenzverwalters und der Rechtsverfolgung übersteigt, was in der Regel nicht der Fall ist. Auch dies spricht für die gesetzgeberische Entscheidung, die gesamtschuldnerische Haftung im Insolvenzverfahren unangetastet zu lassen. Sie kann nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 93 InsO unterlaufen werden.
Der Hilfsantrag des Klägers auf Freistellung von den Forderungen, die bereits bei Wirksamwerden der Spaltung bestanden, ist gleichermaßen unbegründet. In der Sache macht der Kläger Freistellung von gesamtschuldnerischen Ausgleichsansprüchen aus § 426 Abs. 2 BGB geltend. Dem Kläger stehen jedoch keine Ausgleichsansprüche zu, da die Schuldnerin € abweichend von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB € nach § 2 Abs. 2 lit. b des Ausgliederungs- und Übernahmevertrages (Bl. 117 d.A.) intern allein für die Forderungen einstehen sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen, da über eine analoge Anwendung des § 93 InsO auf Ansprüche aus § 133 Abs. 1 UmwG bisher keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist.
Brandenburgisches OLG:
Urteil v. 22.08.2012
Az: 7 U 172/11
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