Finanzgericht Hamburg:
Urteil vom 4. November 2014
Aktenzeichen: 2 K 95/14
(FG Hamburg: Urteil v. 04.11.2014, Az.: 2 K 95/14)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Behandlung von Beitragszahlungen der Klägerin zur eigenen Berufshaftpflichtversicherung für ihre Tätigkeit als Rechtsanwalts-GmbH als Arbeitslohn ihrer angestellten Rechtsanwälte.
Die Klägerin ist eine im ... 2007 gegründete, nach § 59c Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Hervorgegangen ist sie aus der seit 1996 bestehenden Rechtsanwaltssozietät X in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Geschäftsbetrieb im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die Klägerin übertragen wurde. Während des Streitzeitraums Dezember 2007 bis Dezember 2011 waren zunächst drei, später fünf der bei der Klägerin tätigen Anwälte - zum Teil mittelbar über eine Beteiligungsgesellschaft - an der Klägerin beteiligt. Jeweils zwei Gesellschafter waren zur Geschäftsführung befugt. Daneben beschäftigte die Klägerin noch weitere angestellte Rechtsanwälte, denen teilweise Einzelprokura erteilt wurde.
Die Klägerin berät insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit internationalem Bezug auch im ausländischen Recht. Gegenüber Mandanten tritt ausschließlich die Klägerin als Vertragspartei auf. Allein sie schließt die Mandatsverträge ab und wird in der Prozessvollmacht erwähnt. Den zur Geschäftsführung der Klägerin berechtigten Personen ist arbeitsvertraglich eine eigene anwaltliche Tätigkeit untersagt.
Für ihre Zulassung als Rechtsanwalts-GmbH im Sinn von § 59c BRAO schloss die Klägerin eine eigene Berufshaftpflichtversicherung ab. Zum 1. Januar 2007 betrug die Versicherungssumme pro Versicherungsfall 2,5 Millionen Euro sowie die Höchstleistung pro Versicherungsjahr 10 Million Euro und entsprach damit den gesetzlichen Vorgaben des § 59j Abs. 2 BRAO zur Mindestversicherungssumme einer Rechtsanwalts-GmbH. Zum 1. Januar 2009 wurde der Versicherungsschutz dergestalt erweitert, dass die Versicherungssumme pro Versicherungsfall auf 10 Millionen Euro und die Höchstleistung pro Versicherungsjahr auf 20 Million Euro erhöht wurden. Eine bisher zusätzlich bestehende Excedentenversicherung wurde dadurch rückwirkend zum 1. Januar 2009 mit der allgemeinen Haftpflichtversicherung zusammengelegt.
Versicherungsnehmerin ist allein die Klägerin. Versichertes Risiko ist die weltweite Tätigkeit der Klägerin als selbstständig zugelassene Rechtsanwalts-GmbH. Versichert sind Schäden, welche durch die Klägerin verursacht werden oder durch eine Person, für die sie nach § 278 oder § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) einzustehen hat (vgl. die allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen sowie die Risikobeschreibung zur Vermögensschadens-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Patentanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer der Allianz).
Die Höhe der zu zahlenden Prämien war im Streitzeitraum an Anzahl, Funktion und dem zeitlichen Umfang der Tätigkeit der von der Klägerin beschäftigten angestellten Rechtsanwälte ausgerichtet. Berücksichtigt wurde insbesondere die Stellung als Geschäftsführer bzw. Prokurist oder einfacher angestellter Anwalt sowie Besonderheiten beim zeitlichen Umfang der Tätigkeit, z. B. Elternzeit und Teilzeittätigkeit. Im Versicherungsschein sind die einzelnen Rechtsanwälte unter der Rubrik "Versichertes Risiko und Beitragsberechnung" namentlich mit einem anhand dieser Kriterien ermittelten, auf sie rechnerisch entfallenden Versicherungsbeitrag benannt, wobei die Summe dieser Beiträge die von der Klägerin zu zahlende Gesamtprämie bildet. Bei der Mindestdeckungssumme entfielen beispielsweise auf einen Geschäftsführer in Vollzeit 2.490,00 Euro, auf einen angestellten Anwalt in Teilzeit 996,00 Euro. Bedingt durch dieses Modell zur Bemessung der Versicherungsprämie wurde der Versicherungsvertrag im Streitzeitraum aufgrund personeller Veränderungen bei der Klägerin mehrfach abgeändert.
Jeder angestellte Anwalt der Klägerin unterhielt zudem die nach § 51 BRAO für die Zulassung als Rechtsanwalt notwendige persönliche Berufshaftpflichtversicherung, wobei die Versicherungssumme pro Versicherungsfall und die Höchstleistung pro Versicherungsjahr den Mindestversicherungssummen des § 51 Abs. 4 BRAO mit 250.000 Euro pro Versicherungsfall bzw. einer Million Euro Jahreshöchstbetrag entsprachen. Der Beitrag für die persönliche Haftpflichtversicherung der angestellten Rechtsanwälte belief sich auf 172,43 Euro pro Jahr, bei faktisch ruhender Tätigkeit (Mutterschutz, Elternzeit) entsprechend weniger, teilweise nur 35,70 Euro. Diese Beiträge wurden von der Klägerin übernommen und von ihr - nach teilweise vorgenommener Nachversteuerung - vollständig der Lohnsteuer unterworfen. Für die Beiträge für ihre eigene Haftpflichtversicherung führte die Klägerin keine Lohnsteuer ab.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung vertrat der Beklagte die Auffassung, neben den übernommenen Beiträgen für die persönliche Haftpflichtversicherung eines jeden einzelnen angestellten Anwalts seien auch die Beiträge zur eigenen Haftpflichtversicherung der Klägerin als Rechtsanwalts-GmbH der Lohnsteuer zu unterwerfen gewesen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Übernahme der Kosten einer Berufshaftpflichtversicherung durch den Arbeitgeber sei auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Es handele sich daher um einen dem angestellten Anwalt eingeräumten geldwerten Vorteil, an dem dieser ein erhebliches Eigeninteresse habe. Dieses betreffe zumindest die Beiträge zur "Grunddeckung".
Der Beklagte erließ daraufhin am 28. Juni 2013 einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Dezember 2007 bis Dezember 2011 über insgesamt 34.419,20 Euro. Ein Leistungsgebot enthielt dieser Bescheid nicht. Bei der Berechnung der nachzuversteuernden Beträge orientierte sich der Beklagte an den im Versicherungsschein vom ... 2007 für die einzelnen Rechtsanwälte gesondert ausgewiesenen Beiträgen, denen die für eine Rechtsanwalts-GmbH geltenden Mindestversicherungssummen zugrunde lagen. Die nach gleichem Muster ausgestaltete Excedentenversicherung blieb bei der Berechnung ebenso unberücksichtigt wie die sich aufgrund der Erhöhung der Versicherungssummen nach Eingliederung der Excedentenversicherung ebenfalls erhöhten Versicherungsbeiträge. Der Beklagte unterwarf damit letztlich allein die "Grunddeckung" der Lohnsteuer.
Den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch vom 10. Juli 2013 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2014 als unbegründet zurück.
Am 24. März 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.
Teilweise ihren Vortrag im Rahmen der Betriebsprüfung und des Einspruchsverfahrens aufgreifend, trägt sie zur Begründung wie folgt vor:
Zum Lohn im Sinn des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehörten nur Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung und damit für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft geleistet würden. Dieses könne Gehalt, die Übernahme von Verbindlichkeiten oder ein sonstiger geldwerter Vorteil sein. Daran fehle es im Streitfall. Ein Gehaltsbestandteil scheide aus, da sie, die Klägerin, sich in den Anstellungsverträgen zur Abgeltung der Arbeitsleistung lediglich zur Übernahme der Kammerbeiträge sowie der Beiträge zur persönlichen Berufshaftpflichtversicherung des einzelnen angestellten Anwalts verpflichtet habe. Zudem werde von ihr mit Ausnahme dieser Beiträge keine eigene Verpflichtung der Arbeitnehmer übernommen. Berechtigt und verpflichtet aus ihrer Berufshaftpflichtversicherung sei nur sie selbst.
Sie, die Klägerin, habe den angestellten Anwälten auch keinen geldwerten Vorteil durch Abschluss ihrer eigenen Haftpflichtversicherung zugewandt. Insoweit gehe die Argumentation des Beklagten fehl, die angestellten Anwälte kämen indirekt in den Genuss dieser Haftpflichtversicherung, da sie ansonsten in einem Sozietätsverbund mit gleichem internationalen Betätigungsfeld für ihre persönliche Haftpflichtversicherung höhere Versicherungsprämien von bis zu 1000 Euro anstatt 35,70 Euro zu zahlen hätten. Die Prämienhöhe der persönlichen Berufshaftpflichtversicherung ihrer angestellten Anwälte entspreche der von angestellten Anwälten in vergleichbarer Position zu zahlenden Prämien für eine Mindestversicherung. Allein die Tätigkeit in einem attraktiven Arbeitsumfeld sei kein messbarer geldwerter Vorteil. Zudem komme dies allen Mitarbeitern, nicht nur den angestellten Anwälten zugute.
Im Übrigen zahle sie die Beiträge für ihre eigene Versicherung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse und nicht im Interesse der angestellten Anwälte. Ohne eine eigene Haftpflichtversicherung könne sie gar nicht entsprechend ihrem Gesellschaftszweck eigenständig als Rechtsanwalts-GmbH tätig werden, da diese nach § 59h Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 59j BRAO Voraussetzung ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei. Ein eigenes Interesse ihrer angestellten Anwälte bestehe nur an einer eigenen Haftpflichtversicherung mit Mindestdeckung, da eine Tätigkeit auf eigene Rechnung neben der Tätigkeit als angestellter Anwalt nahezu ausgeschlossen sei.
Insoweit unterscheide sie, die Klägerin, die mit einer eigenen Versicherung selbst als Rechtsanwalt zugelassen sei, sich von sonstigen nicht eigenständig zulassungsfähigen Zusammenschlüssen von Rechtsanwälten, wie einer GbR. Bei letzterer habe sich jeder Anwalt selbst zu versichern. Eine Versicherung der Sozietät schließe alle Sozien, einschließlich der angestellten Anwälte, mit ein. Geschützt sei dadurch auch der angestellte Anwalt, der durch Aufnahme auf den Briefkopf als Außensozius akzessorisch und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte. Im Gegensatz dazu sei eine Haftung der bei ihr angestellten Anwälte aufgrund der Rechtsform als GmbH ausgeschlossen. Anderes ergebe sich auch nicht aus § 59j Abs. 4 BRAO, wonach Geschäftsführer bzw. Gesellschafter bei unzureichendem Versicherungsschutz der Rechtsanwalts-GmbH persönlich hafteten. Ähnliche Haftungstatbestände für Geschäftsführer seien zahlreich. So hafte ein Geschäftsführer auch persönlich bei Missachtung steuerlicher Pflichten. Dennoch seien Aufwendungen für steuerliche Beratung zur Vermeidung einer solchen Haftung nicht als Lohn der Geschäftsführer anzusehen.
Entgegen der Annahme des Beklagten sei das Grundsatzurteil des BFH vom 26. Juli 2007, VI R 64/06, zur Lohnsteuerpflicht der übernommenen Prämien für eine Berufshaftpflichtversicherung vorliegend nicht anwendbar, da danach nur die Übernahme der Prämien für die persönliche Berufshaftpflichtversicherung des angestellten Anwalts durch den Arbeitsgeber Lohn darstelle. Über die Prämien für die eigene Haftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GmbH treffe dieses Urteil keine Aussage.
Auch unter Anwendung der Maßstäbe der Verwaltung liege kein Lohn vor. Nach den Kriterien der Verwaltung zur sogenannten Directors and Officers Liability Versicherung (D&O-Versicherung) - Absicherung des Unternehmens, Anspruch nur des Unternehmens, Versicherung der gesamten Führungskräfte, Prämienkalkulation nach Unternehmenskennzahlen - handele es sich nicht um Arbeitslohn. Insbesondere handele es sich bei der Bemessung der Prämien nach dem zeitlichen Arbeitseinsatz und der Funktion der angestellten Anwälte um abstrakte Unternehmenskennzahlen. Mit angestellten Krankenhausärzten, für die die Verwaltung einen geldwerten Vorteil durch Mitversicherung beim Arbeitgeber annehme, sei der Fall nur insoweit vergleichbar, als auch für Ärzte nur die Übernahme der persönlichen Berufshaftpflichtversicherung durch das Krankenhaus Lohn darstelle. Vielmehr vergleichbar sei der Fall mit einem angestellten Steuerberater, der keine eigene Haftpflichtversicherung zu unterhalten habe, soweit er bei seinem Arbeitgeber mitversichert sei. Für diesen Fall nehme die Finanzverwaltung gerade keinen Arbeitslohn an.
Die Klägerin beantragt,den Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Dezember 2007 bis Dezember 2011 vom 28. Juni 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.
Seiner Ansicht nach sei die Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH zur Übernahme von Beiträgen zur eigenen Berufshaftpflichtversicherung angestellter Rechtsanwälte einer Sozietät in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Die GbR sei wie die Klägerin als GmbH (teil)rechtsfähig, schließe die Beratungsverträge in eigenem Namen ab und hafte bei Schadensfällen im Außenverhältnis eigenständig. Der angestellte Anwalt hingegen hafte nach außen weder bei der GbR noch bei der Klägerin als GmbH. Rechtsanwalts-GmbH und Sozietät in Rechtsform einer GbR seien daher vergleichbar.
Auch sei ein erhebliches Eigeninteresse der angestellten Anwälte an der Haftpflichtversicherung der Klägerin anzunehmen. In Ergänzung zur Mindestdeckungssumme der Versicherungen der einzelnen Anwälte würde mit der Haftpflichtversicherung der Klägerin ein faktisch für jeden angestellten Anwalt erheblich größerer Versicherungsschutz erreicht, was ein zumindest mittelbar gewährter Vorteil sei. Dies werde zudem dadurch gestützt, dass die individuellen Merkmale der angestellten Anwälte für die Prämienberechnung der Klägerin zu Grunde gelegt würden.
Aus diesem Grund sei die Haftpflichtversicherung der Klägerin auch nur bedingt mit einer D&O-Versicherung, die unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu einem geldwerten Vorteil beim Arbeitnehmer führt, vergleichbar. Prämien würden insoweit nicht - wie nach Verwaltungsauffassung gefordert - nach abstrakten Unternehmenskennzahlen berechnet. Vergleichbar sei der vorliegende Fall mit einem Krankenhausarzt, der über die Betriebshaftpflichtversicherung des Krankenhauses mitversichert sei. Dieser Vorteil sei nach Verwaltungsauffassung lohnsteuerpflichtig.
Dem Gericht haben ein Band Rechtsbehelfsakten, die Ersatzakte zur Arbeitgeberakte, ein Band Lohnsteueraußenprüfungsakten, sowie ein Band Arbeitsakten zur Lohnsteueraußenprüfung zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Der Haftungsbescheid vom 28. Juni 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Bei den Beiträgen zur eigenen Berufshaftpflichtversicherung der Klägerin als Rechtsanwalts-GmbH handelt es sich nicht um Arbeitslohn im Sinn des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG der bei ihr angestellten Rechtsanwälte.
1. Grundsätzlich haftet ein Arbeitgeber dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wird, § 38 Abs. 3 EStG, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind er und die Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG Gesamtschuldner. Das Finanzamt kann die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 der Abgabenordnung - AO -) gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen, § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG.
2. Vorliegend ist bereits der Haftungstatbestand nicht erfüllt, da es sich bei den von der Klägerin gezahlten Versicherungsbeiträgen für ihre eigene Berufshaftpflichtversicherung nicht um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt.
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u. a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal "für" ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen, mithin im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Dies liegt vor, wenn der Vorteil notwendig mit der Zielverwirklichung des Arbeitgebers verbunden ist und keine Möglichkeiten in Betracht kommen, die den Arbeitnehmer weniger begünstigen (z. B. FG München, Urteil vom 17. Januar 2002, 7 K 1790/00, EFG 2002, 617; vom 5. August 2002, 7 K 5726/00, EFG 2002, 1524).
Im Rahmen einer Gesamtwürdigung muss aus den Begleitumständen zu schließen sein, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des "ganz überwiegend" eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber - neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers - ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (BFH, Urteil vom 11. April 2006, VI R 60/02, BStBl II 2006, 691, m. w. N.; vom 26. Juli 2007, VI R 64/06, BStBl II 2007, 892; vom 17. Januar 2008, VI R 26/06, BStBl II 2008, 378; vom 12. Februar 2009, VI R 32/08, BStBl II 2009, 462).
b) Nach diesen Grundsätzen besteht ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der Zahlung der Beiträge für ihre eigene Berufshaftpflichtversicherung. Ein nicht unerhebliches Interesse ihrer Arbeitnehmer, welches das Interesse der Klägerin überlagert, liegt nicht vor.
aa) Das eigenbetriebliche Interesse der Klägerin am eigenen Versicherungsschutz ergibt sich bereits daraus, dass dieser unabdingbar für die Verwirklichung ihres Gesellschaftszwecks - die Rechtsberatung - ist. Nach § 59c Abs. 1 BRAO können auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten ist, als Rechtsanwaltsgesellschaften zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Nach § 59j Abs. 1 BRAO ist die Rechtsanwaltsgesellschaft verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen und diese während der Dauer ihrer Zulassung aufrechtzuerhalten. Der Abschluss einer entsprechenden Versicherung ist Zulassungsvoraussetzung, § 59d Nr. 3 BRAO. Entfällt der Versicherungsschutz, ist die Zulassung der Rechtsanwaltsgesellschaft zu widerrufen, § 59h Abs. 3 Satz 1 BRAO. Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung - jedenfalls in Höhe der Mindestversicherungssumme von 2,5 Millionen Euro pro Schadensfall und der Jahreshöchstleistung für alle Schadensfälle i. H. v. 10 Millionen Euro, § 59j Abs. 2 BRAO - war für die Klägerin schlichtweg betriebsnotwendig.
bb) Als eine betriebsfunktionale Zielsetzung und somit als eigenbetriebliches Interesse der Klägerin ist ferner ihr Bestreben anzuerkennen, in potentiellen Schadensfällen hinreichend dadurch abgesichert zu sein, dass von ihr selbst zu tragende Schäden von einer Haftpflichtversicherung gedeckt werden. Dieses gilt auch, soweit die Deckungszusage die Mindestversicherungssumme und die Mindestjahreshöchstleistung (§ 59j Abs. 2 BRAO) im Streitzeitraum überschritten hat. Die Klägerin als international ausgerichtete Rechtsanwalts-GmbH berät in grenzüberschreitenden Fällen, auch im ausländischen Recht, was nicht unerhebliche Haftungsrisiken mit sich bringt. Sie schließt Mandats- und Honorarvereinbarungen im eigenen Namen ab und haftet im Schadensfall für die für sie handelnden Personen insbesondere nach § 278 bzw. § 831 BGB. Es liegt im legitimen Interesse eines Arbeitgebers, sich vor diesen Risiken - im Extremfall zur Vermeidung der Insolvenz - zu schützen. Diesem Interesse der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, sie könne sich im Wege des Regresses gegenüber ihren schuldhaft handelnden Arbeitnehmern schadlos halten. Zum einen ist nach den im Arbeitsrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen ein solcher Regressanspruch des Arbeitgebers erst ab einem Verschuldensgrad von mittlerer Fahrlässigkeit und zumeist auch nur anteilig gegeben (vgl. etwa BAG-Urteil vom 16. Februar 1995 8 AZR 741/87 (A), juris). Zudem bestehen oftmals Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Bestimmung der Verschuldensgrade, was zu Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Umfang des Haftungsanteils und dadurch zu einer Gefährdung des Betriebsfriedens führen kann. Es ist der Klägerin zuzugestehen, dass sie der Gefährdung des Betriebsfriedens mit Abschluss einer entsprechenden Versicherung von vornherein entgegenwirkt. Zudem übersteigen die im Streitzeitraum vereinbarten Versicherungssummen (2,5 Millionen Euro, später 10 Millionen Euro pro Schadensfall) bei weitem die Größenordnung üblicher Privatvermögen.
cc) Ein nicht unerhebliches Interesse der Arbeitnehmer, welches das klägerische Eigeninteresse überlagern könnte, ist nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich ein solches Eigeninteresse nicht unter Heranziehung der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH zur Übernahme von Beiträgen zur eigenen Berufshaftpflichtversicherung eines angestellten Rechtsanwalts durch dessen Arbeitgeber (dazu FG Nürnberg, Urteil vom 4. Mai 2006, VI 200/2005, EFG 2007, 771; nachgehend BFH, Urteil vom 26. Juli 2007, VI R 64/06, BStBl II 2007, 892; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2008, 13 K 2508/08, juris; nachgehend BFH, Beschluss vom 6. Mai 2009, VI B 4/09, BFH/NV 2009, 1431; FG Nürnberg, Urteil vom 5. Januar 2011, 6 K 1574/10, EFG 2011, 973; nachgehend BFH, Beschluss vom 28. März 2011, VI B 31/11, BFH/NV 2011, 1322).
Die Annahme von Arbeitslohn aufgrund eines eigenen Interesses der angestellten Rechtsanwälte in den genannten Entscheidungen ist auf den vorliegenden Fall wegen wesentlicher Abweichungen im Sachverhalt nicht zu übertragen. In den entschiedenen Fällen waren die angestellten Anwälte in Einzelkanzleien bzw. Sozietäten in der Rechtsform einer GbR tätig. Übernommen wurden die Kosten für die gemäß § 51 BRAO gesetzlich vorgeschriebene eigene Haftpflichtversicherung der angestellten Anwälte. Finanzgerichte und BFH bejahten ein erhebliches eigenes Interesse des angestellten Rechtsanwalts an der Übernahme der Versicherungsbeiträge zum einen deshalb, weil der angestellte Anwalt ohne Haftpflichtversicherung seinen Beruf gar nicht hätte ausüben können. Zum anderen habe ein angestellter Anwalt - auch bei einer die gesetzlich vorgesehene Mindestdeckung übersteigenden Versicherungssumme - aus haftungsrechtlichen Erwägungen ein eigenes Interesse an einem entsprechenden Versicherungsschutz. Aufgrund der strengen Rechtsprechung zur Haftung des auf den Briefkopf aufgenommenen angestellten Anwalts als so genannter Schein-Sozius hafte dieser auch in von anderen Sozien verursachten Schadensfällen persönlich (vgl. nur FG Nürnberg, Urteil vom 5. Januar 2011, 6 K 1574/10, EFG 2011, 973).
Beide Begründungen für ein eigenes Interesse der angestellten Anwälte greifen vorliegend nicht. Zu beurteilen sind die Beiträge zur Haftpflichtversicherung der Klägerin und nicht diejenigen zu den einzelnen Haftpflichtversicherungen der angestellten Anwälte, welche die Klägerin übernimmt und lohnversteuert. Die Haftpflichtversicherung der Klägerin ist für die bei ihr angestellten Anwälte zur persönlichen Berufsausübung nicht unabdingbar. Dies ist nur deren eigene Versicherung gemäß § 51 BRAO. Da die Klägerin in der Rechtsform einer GmbH handelt und entsprechend mandatiert wird, sind ihre angestellten Anwälte keiner Haftung als (Schein-)Sozius wie bei einer Anstellung bei einer Sozietät in Rechtsform einer GbR ausgesetzt.
dd) Ein erhebliches eigenes Interesse der Arbeitnehmer der Klägerin lässt sich auch nicht damit begründen, dass ihnen die Haftpflichtversicherung der Klägerin ermöglicht, eine eigene Haftpflichtversicherung lediglich mit Mindestversicherungssumme zu sehr geringen Beiträgen zu unterhalten, sie faktisch aber in den Genuss eines weitaus umfänglicheren Versicherungsschutzes kommen. Dass im Fall des Zusammenschlusses als GbR mit vergleichbarer internationaler Beratungstätigkeit ein vergleichbarer Versicherungsschutz nur zu erheblich höheren Versicherungsbeiträgen zu erhalten gewesen wäre, ist unerheblich. Eine dahingehende hypothetische Betrachtung, wie sie der Beklagte anstellt, ist nicht zielführend, da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Den höheren Versicherungsbeiträgen eines angestellten Briefkopfanwalts einer Sozietät steht dann auch der eigene Versicherungsschutz wegen persönlicher Haftungsrisiken als Sozius gegenüber. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Klägerin aufgrund gesetzlicher Vorgaben zum Abschluss einer eigenen Haftpflichtversicherung verpflichtet war. Dass die Arbeitnehmer der Klägerin ihre eigene Haftpflichtversicherung auf ein Minimum reduzieren konnten, ist notwendige Begleiterscheinung und Reflex der eigenbetrieblichen Zielsetzung der Klägerin, wobei aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung keine Möglichkeit in Betracht kommt, die den Arbeitnehmer weniger begünstigen (vgl. zu dieser Voraussetzung FG München, vom 5. August 2002, 7 K 5726/00, EFG 2002, 1524). Vergleichbar ist der Fall mit dem eines angestellten Krankenhausarztes, der aufgrund der Betriebshaftpflichtversicherung des Krankenhauses überhaupt keine eigene Haftpflichtversicherung unterhalten muss. Das Schleswig-Holsteinische FG hat selbst in diesem Fall den Vorteil der faktischen Mitversicherung lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen angesehen (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 25. Juni 2014, 2 K 78/13, EFG 2014, 1620). Dieses deckt sich zudem mit der Verwaltungsauffassung zur Mitversicherung eines angestellten Steuerberaters in der Berufshaftpflichtversicherung des Praxisinhabers. Weil der angestellte Steuerberater in diesem Fall ebenfalls keine eigene Haftpflichtversicherung unterhalten muss, werde ihm kein geldwerter Vorteil durch die Mitversicherung gewährt (vgl. Bundesministerium der Finanzen - BMF - vom 25. August 2009, IV C 5 -S 2332/0).
ee) Auch soweit es sich bei den Arbeitnehmern der Klägerin um ihre Geschäftsführer bzw. Gesellschafter handelt, haben diese kein erhebliches eigenes Interesse am Versicherungsschutz der Klägerin. Nach § 59j Abs. 4 BRAO haften zwar die Gesellschafter und Geschäftsführer für den Fall, dass die Gesellschaft die Berufshaftpflichtversicherung nicht oder nicht in dem vorgeschriebenen Umfang unterhält, persönlich in Höhe des fehlenden Versicherungsschutzes. Dieser Haftungstatbestand ist aber in seinem Anwendungsbereich begrenzt. Zum einen wäre bei fehlendem Versicherungsschutz bereits keine Zulassung zu erteilen bzw. eine solche sofort zu widerrufen. Zum anderen ist wiederum zu berücksichtigen, dass der Abschluss einer eigenen Haftpflichtversicherung aufgrund gesetzlicher Vorgaben unabdingbare betriebliche Voraussetzung dafür ist, dass die Klägerin als Rechtsanwalts-GmbH eigenständig rechtsberatend tätig sein kann, und daher keine Möglichkeit in Betracht kommt, die weniger begünstigend für ihre Arbeitnehmer wäre. Hinter dieses eigenbetriebliche Interesse der Klägerin tritt auch das Interesse eines Geschäftsführers bzw. Gesellschafters, nicht nach § 59j Abs. 4 BRAO in Haftung genommen zu werden, zurück.
ff) Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich auch aus der Art der Prämienbemessung kein erhebliches eigenes Interesse der Arbeitnehmer am Versicherungsschutz der Klägerin herleiten. Zwar wird im Versicherungsschein unter der Rubrik "versichertes Risiko und Beitragsberechnung" jedem angestellten Anwalt differenzierend nach Stellung (Geschäftsführer, Prokurist, einfacher Angestellter) und Zeiteinsatz (Voll- oder Teilzeit, Ausfallzeiten wie Elternzeit) ein eigener Versicherungsbeitrag zugeordnet, der sodann zu einem Jahresbeitrag zusammengefasst wird. Ein eigenständiger Versicherungsschutz der Arbeitnehmer resultiert aber daraus nicht. Versicherungsnehmerin ist allein die Klägerin. Lediglich zur Beitragsbemessung wird die Mitarbeiterstruktur herangezogen. Dieses erscheint auch vor dem Hintergrund folgerichtig, dass sich die Risikoexposition einer Rechtsanwalts-GmbH nach Anzahl und Umfang des Außenauftritts ihrer angestellten Anwälte bestimmt. Die Beitragsbemessung orientiert sich folglich - entgegen der Auffassung des Beklagten - an abstrakten Unternehmenskennzahlen und erfüllt in dieser Hinsicht auch die Anforderungen der Finanzverwaltung an eine nicht zu Arbeitslohn führende D&O-Versicherung (vgl. dazu z. B. Oberfinanzdirektion München, 12. April 2002, S 2245-9 St 41/42; zur Lohnsteuerpflicht bei D&O-Versicherungen vgl. FG München, Urteil vom 5. August 2002, 7 K 5726/00, EFG 2002, 1524).
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
III. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.
FG Hamburg:
Urteil v. 04.11.2014
Az: 2 K 95/14
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