Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 18. Juli 2000
Aktenzeichen: X ZB 1/00

(BGH: Beschluss v. 18.07.2000, Az.: X ZB 1/00)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 17. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 23. September 1999 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,--DM festgesetzt.

Gründe

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des aus einer am 31. März 1993 erklärten Teilung des deutschen Patents 31 31 216 im Einspruchsbeschwerdeverfahren 17 W (pat) 11/91 vor dem Bundespatentgericht hervorgegangenen deutschen Patents 31 53 768 (Streitpatents), das eine "Ausweiskarte" betrifft. Das deutsche Patent 31 31 216 war zuvor durch Beschluß der Patentabteilung 53 des Deutschen Patentamts vom 29. November 1990 widerrufen worden; an dieser Entscheidung hatte als Vorsitzender der Patentabteilung der Diplomphysiker G. mitgewirkt.

Das nach der Teilung entstandene Streitpatent wurde ebenfalls mit einem Einspruch angegriffen, jedoch von der Patentabteilung 53 des Deutschen Patentamts in vollem Umfang aufrechterhalten. Das Bundespatentgericht hat auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Einsprechenden das Streitpatent widerrufen; an seiner Entscheidung hat Diplomphysiker G. als Vorsitzender des 17. Senats des Bundespatentgerichts mitgewirkt. Mit ihrer nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Patentinhaberin die Aufhebung der Entscheidung des Bundespatentgerichts und die Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde, mit der geltend gemacht wird, an der angefochtenen Entscheidung habe ein Richter mitgewirkt, der kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen gewesen sei, ist statthaft (§ 100 Abs. 3 Nr. 2 PatG) und auch im übrigen zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Rechtsbeschwerdegrund nicht vorliegt.

a) Gesetzliche Ausschließungsgründe, die einer Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Diplomphysiker G. an der angefochtenen Entscheidung entgegengestanden hätten, greifen bei sachgerechter Auslegung der maßgeblichen Ausschließungsregelung in § 86 Abs. 2 Nr. 1 PatG nicht ein. Diese Ausschließungsgründe beruhen wie die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, auf dem allgemeinen Gedanken, daß ein Richter dann nicht am Verfahren teilnehmen soll, wenn aus der Sicht eines vernünftigen Beteiligten Anlaß besteht, an der Unbefangenheit des Richters zu zweifeln. Bei den in der Zivilprozeßordnung geregelten Ausschließungsgründen, auf die § 81 Abs. 1 PatG verweist, wie bei den weiteren besonderen Ausschließungsgründen für das patentgerichtliche Verfahren handelt es sich um Fälle, bei denen typischerweise Anlaß bestehen kann, an der Unbefangenheit des Richters zu zweifeln und bei denen der Gesetzgeber deshalb von vornherein und ausnahmslos die Ausschließung des Richters angeordnet hat. Die Ausschließungsregelungen greifen dabei nur bestimmte typische Sachverhalte auf und schränken das in jedem Fall der Besorgnis der Befangenheit bestehende Recht der Beteiligten, einen Richter abzulehnen, nicht ein. Schon von daher sind die Ausschließungsgründe grundsätzlich eng auszulegen; dies entspricht auch gefestigter Rechtsprechung (Sen.Beschl. v. 9.2.1993 -X ZB 7/92, GRUR 1993, 466 f. -fotovoltaisches Halbleiterbauelement; BGH, Urt. v. 4.12.1989 -RiZ (R) 5/89, NJW 1991, 425; vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 41 Rdn. 6 m.w.N. in Fußn. 9; Musielak/Smid, ZPO, § 41 Rdn. 4).

a) Der Vorsitzende Richter G. war nicht kraft Gesetzes von der Mitwirkung im Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht ausgeschlossen. Er hat nicht bei dem vorausgegangenen Verfahren vor dem Patentamt mitgewirkt (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 PatG). Zunächst handelte es sich bei der Entscheidung über den Einspruch gegen das Patent 31 31 216 (Stammpatent) um eine Mitwirkung an dem dieses Patent betreffenden Verfahren vor dem Patentamt und nicht an einem das Streitpatent betreffendes Verfahren. Dies steht allerdings der Anwendung der genannten Bestimmung für sich noch nicht ohne weiteres entgegen; denn erst nach dieser Mitwirkung hat die Patentinhaberin die Teilung dieses Patents (des Stammpatents) erklärt. Wie der Senat bereits entschieden hat, liegt eine Mitwirkung an dem vorausgegangenen Verfahren im Sinn der genannten Bestimmung auch dann vor, wenn sich die spätere Entscheidung, an der der Richter mitgewirkt hat, auf eine Patentanmeldung bezieht, die als Teilungsanmeldung aus einer Stammanmeldung hervorgegangen ist, bei der hinsichtlich dieses Richters die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Nr. 1 PatG bereits vor der Erklärung der Teilung erfüllt waren (Sen.Beschl. v. 30.6.1998 -X ZB 30/97, GRUR 1999, 43 f. -ausgeschlossener Richter). Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß bei einer Teilung der Anmeldung (§ 39 PatG) bis zum Zeitpunkt der Teilungserklärung das Prüfungsverfahren zugleich auch das vorausgegangene Prüfungsverfahren für die auf Grund der Teilungserklärung entstandene Anmeldung darstellt (Senat, aaO).

Im vorliegenden Fall liegt die Sache indessen anders. Hier ist nicht die Teilung der Anmeldung, sondern erst die Teilung des Patents im Einspruchs(beschwerde)verfahren erklärt worden. Dies hatte zur Folge, daß der abgetrennte Teil als Anmeldung galt, für die ein Prüfungsantrag gestellt worden war (§ 60 Abs. 1 Satz 1 PatG), mithin das Verfahren über die Teilanmeldung ohne weiteres in das Stadium des Erteilungsverfahrens vor dem Patentamt zurückfiel (Sen.Beschl. v. 22.4.1998 -X ZB 19/97, GRUR 1999, 148, 149 -Informationsträger), das mit der im Sinn des § 58 Abs. 1 Satz 2 PatG Wirkungen entfaltenden Patenterteilung zum Abschluß kam. Der Einspruch gegen das Streitpatent leitete dann ein -jedenfalls im Sinn der Regelung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 PatG - weiteres Verfahren ein, dem gegenüber sich das Erteilungsverfahren nicht mehr als das vorausgegangene darstellt. Unter dem vorausgegangenen Verfahren ist nur das die nämliche Sache betreffende erstinstanzliche Verfahren vor dem Patentamt in einem förmlich-prozessualen Sinn zu verstehen, in dem die den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildende Entscheidung ergangen ist (Benkard, PatG GebrMG, 9. Aufl., § 86 PatG Rdn. 9 unter Hinweis auf BPatGE 20, 116). In diesem Sinn geht jedenfalls seit der Verselbständigung des Einspruchsverfahrens durch das Gemeinschaftspatentgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1981 dem Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht nur das Einspruchsverfahren vor dem Patentamt voraus, in dem die Entscheidung ergangen ist, gegen die sich die Beschwerde richtet, nicht aber auch das Erteilungsverfahren, das zur Erteilung des Patents geführt hat, gegen das sich der Einspruch richtete (Busse, PatG, 5. Aufl., § 86 PatG Rdn. 13; Schulte, PatG, 5. Aufl., § 86 Rdn. 8; Mes, PatG GebrMG, § 86 Rdn. 6). Dies entspricht auch der bisherigen Praxis des beschließenden Senats, der in bezug auf die Bestimmung des § 86 Abs. 2 Nr. 1 PatG ausdrücklich darauf verwiesen hat, daß es beim Einspruchsverfahren nicht mehr um die Patenterteilung, sondern nach der Patenterteilung nur um den Widerruf oder die Aufrechterhaltung des Patents geht (Sen., aaO -fotovoltaisches Halbleiterbauelement). Die im vorliegenden Fall erfolgte Mitwirkung liegt zudem von dem vorausgegangenen Verfahren noch weiter ab; denn sie ist nicht in dem der Erteilung des Streitpatents zugrundeliegenden Verfahren erfolgt, sondern in dem Einspruchsverfahren über das Patent 31 31 216, in dem die Teilung erklärt wurde, aus der die zum Streitpatent führende Anmeldung hervorgegangen ist.

Die Rechtsbeschwerdeführerin leitet zu Unrecht aus dem Umstand, daß in der letztgenannten Senatsentscheidung die mitwirkenden Richter im Erteilungsverfahren erst in der Beschwerdeinstanz mitgewirkt hatten, eine abweichende Beurteilung ab. Es besteht schon deshalb kein sachlicher Anlaß, die Frage, ob die Mitwirkung in einem vorausgegangenen Verfahren (gleich welcher Instanz) erfolgt ist, danach zu beurteilen, ob die Mitwirkung in erster oder zweiter Instanz stattgefunden hat, weil die hier einschlägige Regelung anders als die in § 41 Nr. 6 ZPO nicht darauf abstellt, ob der Richter an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. In welcher Instanz der Richter mitgewirkt hat, kann allein für die Frage von Bedeutung sein, ob der Richter "vor dem Patentamt" mitgewirkt hat, wie es die Bestimmung weiter verlangt. Zudem kann nicht außer Betracht bleiben, daß die gesetzliche Regelung nicht von "einem", sondern von "dem" vorausgegangenen Verfahren spricht. Dies schließt es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde aus, die Bestimmung dahin auszulegen, daß sie sich auf jegliches zeitlich und im Verfahrensablauf vorangegangene Verfahren beziehe. Mit der vorliegend zugrunde gelegten Auslegung wird auch der (von der für das Nichtigkeitsverfahren geltenden weitergehenden Bestimmung in § 86 Abs. 2 Nr. 2 PatG in der Fassung des Gemeinschaftspatentgesetzes deutlich abweichende) Wortlaut der Regelung ausgeschöpft.

Jedenfalls unter der seit 1981 geltenden Rechtslage ist auch der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf die Entstehungsgeschichte der Regelung in § 86 Abs. 2 PatG nicht geeignet, deren Auffassung zu stützen. Auch wenn der Rechtsbeschwerde darin beizutreten sein wird, daß es Sinn der Regelung ist, wie im Verwaltungsprozeßrecht zu verhindern, daß ein und dieselbe Person als Verwaltungsbeamter und als Richter in einer Sache tätig wird, kann daraus nicht abgeleitet werden, daß das Patenterteilungsverfahren und das Einspruchsverfahren im Sinn der Bestimmung als Einheit zu betrachten wären. Das Verhältnis dieser Verfahren ist dem von Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren jedenfalls insoweit nicht vergleichbar. Daß unter der bis Ende 1980 geltenden Rechtslage das Erteilungsverfahren und das Einspruchsverfahren als Einheit angesehen wurden, spricht für die geltende Regelung nicht für die Auffassung der Rechtsbeschwerde, weil diese verfahrensrechtliche Einheitlichkeit durch die Neuregelung aufgebrochen wurde. Daß das Patenterteilungsverfahren und das Einspruchsverfahren unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten, etwa in Abgrenzung zum patentgerichtlichen Verfahren, gleichwohl als Einheit angesehen werden können, wird damit nicht in Frage gestellt (vgl. zu Art. II, § 8, IntPatÜG, Sen.Beschl. v. 22.2.1994 -X ZB 15/92, GRUR 1994, 439 -Sulfonsäurechlorid).

Schließlich ist auch der von der Rechtsbeschwerde angeführte Gesichtspunkt, es erscheine widersinnig, daß der Gesetzgeber anläßlich der Änderung der Regelung in § 86 Abs. 2 Nr. 2 PatG durch das Gemeinschaftspatentgesetz zugleich den Ausschließungsgrund in Nr. 2 habe erweitern, den in Nr. 1 aber habe einschränken wollen, schon deshalb nicht stichhaltig, weil sich eine mögliche Einengung der Regelung in Nr. 1 als Reflex aus der Neubestimmung des Verhältnisses des Erteilungs- und des Einspruchsverfahrens und nicht aus einem insoweit zielgerichteten Vorgehen des Gesetzgebers ergab, auf dessen subjektive Absichten es für die Auslegung der Bestimmung zudem allenfalls nachrangig ankommen kann.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich erachtet.






BGH:
Beschluss v. 18.07.2000
Az: X ZB 1/00


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