Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. März 2009
Aktenzeichen: 5 Ni 6/09

(BPatG: Beschluss v. 23.03.2009, Az.: 5 Ni 6/09)

Tenor

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

I.

Der Beklagte ist Inhaber des am 9. April 1986 angemeldeten und am 27. Juli 1988 als DDR-Wirtschaftspatent erteilten Patents DD 258 639 mit der Bezeichnung

"Energieversorgungssystem", das gem. § 12 ErstrG geprüft und nach § 12 Abs. 3 Satz 1 ErstrG aufrechterhalten worden ist. Das Streitpatent ist vor Erhebung der Nichtigkeitsklage durch Zeitablauf erloschen. Patentanspruch 1 beinhaltet in einer gegliederten Fassung ein:

1.

Energieversorgungssystem mit 2.

Windenergiewandlern zur Windenergiekonvertierung in elektrische und chemische Energie.

3.

Auf einer gemeinsamen Achse (LA) sind ein Messrotor (Rm), ein Leistungsrotor (RI) und Energiekonverter (PM, PÜ, PU, PK) angeordnet.

4.

Diese stehen mit einem Leistungsauswerter (FP), einem Hochleistungsregler (PR) und einer Festkörperelektronik (FK) in Verbindung, wobei 5.

der Leistungsanteil der einen Energiekonverter (PK und PM) direkt, frequenzgeregelt über einen Festkörperleistungsregler (FR) und den Hochleistungsregler (PR), einem Netz über eine Netzumspannstelle (U) zugeführt wird und wobei 6.

den anderen Energiekonvertern (PU und PÜ) ein Leistungswandler (FW) mit einem Kurzund Langzeitspeicher für chemische Energiewandlung (Ely) und eine Festkörperelektronik (FK) zugeordnet sind, wobei 7.

die gespeicherte chemische Energie über einen chemischen Energiewandler (PC) mit Brennstoffzellen oder Akkumulatoren frequenzgeregelt dem Netz über die Netzumspannstelle (U) zugeführt wird.

Hieran schließen sich die direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 an.

Die Klägerin macht geltend, dass -der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgehe, -der Schutzbereich des A1-Patents erweitert worden sei,

-das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, -der beanspruchte Gegenstand nicht neu sei und -nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Zum Stand der Technik verweist die Klägerin auf folgende Dokumente:

K6 DE 34 07 881 A1 K7 DE-PS 746 340 K8 DE-Buch: Heumann, K. e.a. "Thyristoren, Eigenschaften und Anwendungen", B. G. Teubner Verlag, Stuttgart, 1974, Seite 83, 84 K9 US 4 525 633 K10 DE3107252A1 K11 DE3425423A1 K12 WO 82/04466 A1.

Nach Auffassung der Klägerin hat ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen das erloschene Streitpatent bestanden, weil die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Landgericht Braunschweig (Az: 9 O 2964/04 (434)) betreffend eine behauptete Verletzung des Patents DD 256 169 A1 bzw. C5 geführt haben und eine negative Feststellungsklage der Klägerin gegen den Beklagten betreffend die Rechte aus dem Streitpatent anhängig sei (LG Hamburg Az: 315 O 163/06; Hanseatisches Oberlandesgericht Az: 3 U 106/07).

Der Beklagte tritt diesem Vorbringen entgegen. Die Klägerin habe die Klage mutwillig erhoben, da ein Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe. Er bezieht sich auf seine Erklärung vom 15. Mai 2007, in der er auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Streitpatent gegenüber der Klägerin verzichtet habe. Im Übrigen treffe keiner der von der Klägerin angeführten Nichtigkeitsgründe zu.

Die Klägerin hält die Erklärung vom 15. Mai 2007 für unklar; insbesondere beinhalte diese keinen verbindlichen Verzicht auf alle Ansprüche aus dem Streitpatent.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2008 den vorliegenden Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung nicht widersprochen. Auch den Rechtsstreit vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (Az: 3 U 106/07) haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Parteien beantragen, jeweils der Gegenseite die Kosten des Nichtigkeitsverfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Nichtigkeitsklage hätte voraussichtlich keinen Erfolg gehabt, da ihr von Anfang an das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe. Das Hanseatische Oberlandesgericht habe in seinem Kostenbeschluss vom 4. Februar 2009 in der Sache 3 U 106/07 ausgeführt, für die negative Feststellungsklage habe kein Feststellungsinteresse bestanden, weil der Beklagte sich nie gegenüber der Klägerin eines Anspruchs aus dem Streitpatent berühmt habe. Somit habe auch kein Anlass für die Erhebung der Nichtigkeitsklage bestanden. Die vorliegende Nichtigkeitsklage, die negative Feststellungsklage und weitere Klagen dienten nur dem Zweck, den Beklagten wirtschaftlich unter Druck zu setzen. Die Rechtsstreitigkeiten bezüglich anderer Patente des Beklagten seien für das Rechtsschutzbedürfnis im vorliegenden Fall irrelevant.

Demgegenüber meint die Klägerin, bei der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses sei kein zu kleinlicher Maßstab anzuwenden. Zwischen den Parteien habe zumindest ein der Rechtswahrung dienender Meinungsaustausch stattgefunden. Deswegen habe die Besorgnis einer Inanspruchnahme aus dem Schutzrecht und damit ein Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtigkeitsklage bestanden. Auch habe die Klägerin den Beklagten nicht unter wirtschaftlichen Druck gesetzt. Vielmehr habe der Beklagte die ganz überwiegende Zahl der gerichtlichen Streitigkeiten selbst initiiert.

II.

Nachdem der Beklagte der Erledigungserklärung der Klägerin nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung des betreffenden Schriftsatzes widersprochen hat, hat das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes nach billigem Ermessen nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Danach sind der Klägerin die Kosten aufzuerlegen (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO).

1. Die Klage ist zulässig gewesen.

Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage steht grundsätzlich jedermann offen. Eines Rechtsschutzbedürfnisses bedarf es grundsätzlich nicht, solange das Streitpatent in Kraft ist und die Öffentlichkeit ein Interesse an der Nichtigerklärung eines zu Unrecht erteilten Patents hat (vgl. BGH GRUR 1963, 253 -Bürovorsteher). Allerdings ist das am 9. April 1986 angemeldete Streitpatent mit Ende seiner Laufzeit am 9. April 2006 erloschen (§ 16 Abs. 1 PatG, § 6a ErstrG). Damit ist das öffentliche Interesse an der Nichtigkeitserklärung entfallen, so dass eine auf Nichtigkeitserklärung des Patents gerichtete Klage unzulässig wird, sofern der Kläger nicht ein eigenes Rechtsschutzinteresse an der Vernichtung ex tunc des ex nunc erloschenen Patents dartun und auch beweisen kann (vgl. BGH GRUR 1966, 141 -Stahlveredelung; BGH GRUR 1995, 342 -Tafelförmige Elemente; Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 81 Rn. 43, 44). Erforderlich ist, dass die rückwirkende Nichtigerklärung dem Kläger einen rechtlichen Vorteil bringen könnte, wobei die bloße Besorgnis, möglicherweise Ansprüchen ausgesetzt zu sein, genügt (vgl. etwa BGH GRUR a. a. O. - Brückenlegepanzer II; Schulte, a. a. O. § 81 Rn. 44). Die Anhängigkeit eines Patentverletzungsprozesses zwischen den Parteien ist darum - anders als der Beklagte meint -nicht zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage. Nach allgemeiner Auffassung ist für das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses auch nicht erforderlich, dass der Inhaber des Streitpatents sich des Bestehens von Ansprüchen gegen den Gegner berühmt, sie ankündigt, geltend macht oder eine Verwarnung ausgesprochen hat (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 81 Rn. 52).

Vor diesem Hintergrund liegt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtigkeitsklage vor.

1.1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Rechtsstreit zwischen den Parteien vor dem Landgericht Braunschweig Az: 9 O 2964/04 (434) wegen einer Verletzung des Patents DD 256 169 A1 bzw. C5 und die Behauptung des Beklagten, dass auch das hier streitgegenständliche Patent verletzt sein dürfte, ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Nichtigkeitsklage begründet hätte. Jedenfalls ist zwischen den Parteien eine negative Feststellungsklage betreffend die Rechte aus dem Streitpatent anhängig gewesen (LG Hamburg Az: 315 O 163/06; Hanseatisches Oberlandesgericht Az: 3 U 106/07), die von den Parteien inzwischen für erledigt erklärt worden ist. Eine negative Feststellungsklage dient der (vorbeugenden) Feststellung, dass eine rechtliche Grundlage für eine Haftung des Feststellungsklägers nicht besteht; sie stellt das Gegenstück zur Leistungsklage auf Unterlassung oder Schadensersatz dar (vgl. dazu etwa Schulte, a. a. O., § 139, Rn. 182 ff.; BGH GRUR 2006, 217, 218 -Detektionseinrichtung I). Die Nichtigerklärung des Streitpatents konnte der Klägerin in ihrer Position als Klägerin im negativen Feststellungsverfahren einen rechtlichen Vorteil bringen.

1.2. Die Argumentation des Beklagten, dass es an einem besonderen Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtigkeitsklage gefehlt habe, weil das Hanseatische Oberlandesgericht ein Feststellungsinteresse für die negative Feststellungsklage verneint habe, und weil die Erhebung der Feststellungsklage und anderer Klagen vor den Zivilgerichten außerdem rechtsmissbräuchlich gewesen sei, greift nicht durch. Die Klägerin durfte alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung ihrer Interessen ausschöpfen und den dafür günstigsten Zeitpunkt wählen, auch wenn die Rechtsverfolgung wenig erfolgversprechend erschienen sein sollte. Im Übrigen ist für die Kostenentscheidung im Nichtigkeitsverfahren lediglich maßgeblich, welche Partei voraussichtlich unterlegen wäre, wenn das zur Erledigung führende Ereignis - hier die Abgabe der Verzichtserklärung durch den Beklagten, die am 18. Dezember 2008 beim Bundespatentgericht eingegangen ist -nicht eingetreten wäre.

Zwar hat die Rechtsprechung im Einzelfall dem Kläger die Kosten auferlegt, wenn die Nichtigkeitsklage nach dem maßgeblichen Sachund Streitstand Erfolg gehabt hätte, aber mutwillig erhoben worden ist (vgl. BPatG GRUR 2003, 726). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bereits bei Erhebung der Klage mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass sich der Rechtsstreit vorzeitig erledigen wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor; Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch sind nicht gegeben.

1.3.

Die Erklärung des Beklagten vom 15. Mai 2007 steht dem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht entgegen. Die dort enthaltene Formulierung, dass sich aus dem Streitpatent "weder vor noch nach der Aufrechterhaltung für den Patentinhaber A... Rechte gegen die Fa. E... GmbH gemäß dem Patentanspruch in seiner Gesamtheit geltend zu machen" ergäben, deutet zwar an, dass der Beklagte beabsichtigt, aus dem Streitpatent nicht gegen die Klägerin vorzugehen. Der Wortlaut der Erklärung ist aber zu unklar und unbestimmt, um daraus einen verbindlichen Verzicht des Beklagten auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Streitpatent herleiten zu können. So ist z. B. "der Patentanspruch in seiner Gesamtheit" erwähnt, während das Streitpatent mehrere Patentansprüche aufweist. Allein die daraus entstehende Frage, auf welchen Patentanspruch der Beklagte sich bezieht bzw. aus welchem Anspruch er nicht mehr vorgehen will, steht schon der Annahme eines verbindlichen Verzichts auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Streitpatent entgegen.

2.

Für die Kostenverteilung kommt es sonach darauf an, ob bzw. inwieweit die Klage voraussichtlich begründet gewesen wäre. Bei Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstands erweist sich der Gegenstand des Streitpatents als patentfähig, so dass voraussichtlich die Klägerin im Rechtsstreit unterlegen wäre.

2.1. Für die Beurteilung der Nichtigkeitsgründe ist das Streitpatent in der Fassung der Patentschrift DD 258 639 C5 zugrunde zu legen.

Das Streitpatent wurde gem. § 17 Abs. 1 PatG-DDR als Wirtschaftspatent ungeprüft erteilt. Da kein Antrag zum Zweck der Prüfung der Schutzvoraussetzungen nach § 5 PatG-DDR gestellt wurde, erfolgte vor dem Beitritt der Länder der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland keine Bestätigung oder teilweise oder vollständige Aufhebung des Patents, das gem. § 4 Abs. 1 ErstrG auf das übrige Bundesgebiet erstreckt worden ist. Das Wirtschaftspatent wurde auf Antrag vom 27. Oktober 1997 gem. § 12 ErstrG von der Prüfungsstelle des Deutschen Patentamts geprüft und nach § 12 Abs. 3 Satz 1 ErstrG aufrechterhalten.

Die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Fassung des Streitpatents ist die C5-Schrift, die der erteilten Fassung nach § 49 PatG entspricht. Dies ergibt sich zunächst aus § 12 Abs. 1 ErstrG. Nach dieser Vorschrift sind für die Prüfung §§ 44 Abs. 1, 3 und 5 Satz 1 und § 45 PatG entsprechend anzuwenden. Das Patentamt prüft demnach, "ob die Anmeldung den Anforderungen der §§ 34, 37 und 38 genügt". Daraus folgt, dass das ungeprüfte DDR-Wirtschaftspatent einer Anmeldung nach dem Patentgesetz der Bundesrepublik Deutschland gleichzusetzen ist. Ferner ergibt sich diese Rechtsfolge auch aus dem Umstand, dass gegen die beschränkte Aufrechterhaltung des Patentes (C5-Schrift) innerhalb von 3 Monaten nach Veröffentlichung der Aufrechterhaltung Einspruch eingelegt werden kann. Auch hier wird daher die C5-Schrift einem nach § 49 PatG erteilten Patent gleichgestellt (vgl. BPatG 4 Ni 72/05, Urteil vom 17. Januar 2007, Rn. 23, veröffentlicht in juris Das Rechtsportal).

2.2. Nach § 5 ErstrG sind auf die nach § 4 ErstrG erstreckten gewerblichen Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldungen die vor dem Beitritt geltenden Rechtsvorschriften nur noch anzuwenden, soweit es sich um die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit und Schutzdauer handelt. Im Übrigen sind die Vorschriften des geltenden Patentgesetzes anwendbar.

Die Mehrzahl der Senate des Bundespatentgerichts geht davon aus, dass für die Beurteilung der Patentfähigkeit von DDR-Patenten, die -wie das hier streitgegenständliche -im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1984 und dem 30. Juni 1990 angemeldet wurden, weiterhin der zur Zeit der Anmeldung (und Patenterteilung) geltende § 5 PatG-DDR 1983 anzuwenden sei und nicht die erst später in Kraft getretene Fassung des PatG-DDR 1990 (vgl. z. B. BPatG, 1 Ni 24/91 Urteil vom 24. November 1992 -zum PatG-DDR 1950; BPatG 2 Ni 30/92, Urteil vom 24. März 1994; BPatG 3 Ni 50/92 Urteil vom 20. Mai 1994; BPatG GRUR 1993, 657, 658; BPatGE 33, 243, 247; alle Entscheidungen veröffentlicht in juris Das Rechtsportal). Zwar enthalte das PatG-DDR 1990 keine diesbezüglichen Übergangsregelungen. Nach den zur Anwendung ausländischen Rechts herausgebildeten Grundsätzen des internationalen Privatrechts, das entsprechend auf innerdeutsche Rechtskonflikte angewendet werden könne, sei es aber gerechtfertigt, das unter dem Vorbehalt seiner Verfassungskonformität fortwirkende Recht der DDR in der durch die Rechtspraxis der früheren DDR anerkannten Konkretisierung des jeweiligen Norminhalts anzuwenden, zumal bei verfassungskonformer Auslegung die Kriterien für die Schutzfähigkeit von Patenten sich von den entsprechenden Vorschriften des Patentgesetzes nicht wesentlich unterschieden (vgl. BPatG GRUR 1993, 733 ff. -Schutzkappe für Hybridschaltkreise). Die Gegenmeinung, die Fassung des PatG-DDR 1990 anwenden will, schließt aus dem Fehlen einer Übergangsregelung im PatG-DDR 1990 und dem Ziel des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsvertrag) vom 18. Mai 1990, der eine Rechtsanpassung im Beitrittsgebiet an das Recht der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hatte, dass in jedem Fall das dem Patentgesetz der Bundesrepublik Deutschland angepasste PatG-DDR 1990 anzuwenden sei (BPatG GRUR 1995, 399-402 -Steuerungsverfahren zur Werkzeugkorrektur).

Die Fassungen des PatG-DDR unterscheiden sich in Hinblick auf die Voraussetzungen der Patentfähigkeit. Während das PatG-DDR 1990 bezüglich der Schutzvoraussetzungen im Wesentlichen dem Patentgesetz der Bundesrepublik entspricht, ist nach § 5 PatG-DDR 1983 eine erfinderische Tätigkeit nur gegeben, wenn die technische Lösung nicht offensichtlich aus dem bekannten Stand der Technik herleitbar gewesen ist, wobei allerdings das DDR-Patentamt weitgehend die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Beurteilungskriterien anwendete (vgl. BPatG GRUR 1995, 399-402 -Steuerungsverfahren zur Werkzeugkorrektur; BPatG GRUR 1993, 733 ff. -Schutzkappe für Hybridschaltkreise). Außerdem gab es nach § 5 PatG-DDR 1983 das zusätzliche Erfordernis, dass die Erfindung einen technischen Fortschritt bringen müsse. Im Übrigen entsprechen die Schutzvoraussetzungen gem. PatG-DDR 1983 und PatG-DDR 1990 weitestgehend dem Patentgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Die Frage, welche Fassung des § 5 PatG-DDR der Beurteilung des Streitpatents zugrunde zu legen ist, braucht vorliegend aber nicht entschieden werden, weil die Patentfähigkeit des Streitpatents jedenfalls -wie unten näher ausgeführt -nach beiden Fassungen des PatG-DDR zu bejahen gewesen wäre.

Es bedarf auch nicht der Entscheidung, ob die "Voraussetzungen für die Schutzfähigkeit" im Sinne von § 5 ErstrG, die nach dem Recht der DDR zu beurteilen sind, auch die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe umfassen oder ob diese Vorschrift gegebenenfalls eine ergänzende Anwendung von Nichtigkeitsgründen des § 21 PatG ausschließt. Denn jedenfalls wäre auch das Vorliegen dieser Nichtigkeitsgründe zu verneinen gewesen.

2.3. Das Streitpatent soll die Aufgabe lösen, mit Hilfe elektronischer Festkörperbauelemente und aerodynamischer Regelung die einfallende Energie optimal zu nutzen. Nach Patentanspruch 1 des Streitpatents sind demnach mehrere Energiekonverter(-wandler) vorgesehen, die die am Leistungsrotor anfallende Windenergie in elektrischen Strom umwandeln. Bei ausreichendem Energieanfall (ausreichendem Wind) wird der Leistungsanteil der Energiekonverter PK und PM frequenzgeregelt direkt dem Netz zugeführt. Wird die für die direkte Stromeinspeisung ins Netz erforderliche Frequenz nicht erreicht oder steht ein Überschuss an Windenergie zur Verfügung, so wird der nicht direkt nutzbare Leistungsanteil über die Energiekonverter PU und PÜ in chemische Energie umgewandelt, gespeichert und dann (bei Bedarf) frequenzgeregelt dem Netz zugeführt.

2.4. Bei Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes ist der Senat der Auffassung, dass das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann -ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau, der über Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Windenergieanlagen verfügt -sie ausführen kann.

2.4.1. Entgegen der Meinung der Klägerin ist für den hier angesprochenen Fachmann erkennbar, dass der Messrotor Rm als Sensor zur Erfassung der Windleistung dient und die gemessene Windleistung als Regelgröße zur Verfügung stellt, da auf Seite 4 letzter Absatz der A1-Patentschrift und an gleicher Stelle der C5-Schrift ausgeführt wird:

"Der erfindungsgemäße Windenergiewandler löst diese Aufgabe dadurch, dass die momentan anstehende Windleistung mittels einem Messrotor Rm, der in Achsrichtung angeordnet ist, gemessen wird; und die Messleistung PA über einen Leistungsauswerter FP und Hochleistungsregler PR von der Leistungsachse LA real entnommen werden kann."

2.4.2. Was unter einer Achse im Sinne der vorliegenden Anmeldung zu verstehen ist, ist dem Streitpatent, das sein eigenes Lexikon darstellt (vgl. BGH GRUR 1999, 909 -Spannschraube), ebenfalls ohne Weiteres entnehmbar. So wird in der ursprünglichen Offenbarung auf Seite 4, Mitte sowie Anspruch 2 in Verbindung mit Figur 5 zweifelsfrei deutlich, dass als Achse im Sinne dieser Anmeldung eine geometrische Gerade bezeichnet ist, denn auf Seite 4, Mitte der A1-Patentschrift heißt es:

"Kennzeichnend für die Erfindung sind die 5 Achsen X1, X2, X3, X4, X5 des Windenergiewandlers. Um die Achse X1 wird mittels Windrose C der Turm oder Mast T durch den Wind selbsttätig gedreht, dabei steht die Achse X5 senkrecht zur Achse X3."

Die gemeinsame Achse LA ist somit eine gedachte Gerade, auf welcher die genannten Elemente hintereinander angeordnet sind, wie auch die Ausführungen, dass der Windenergiewandler einen Messrotor besitzt, der in Achsrichtung des aerodynamischen Leistungsrotors angebracht ist und der optimalen Nutzung der anfallenden Windenergie dient, auf Seite 3, Mitte der A1-Patentschrift bzw. Seite 3 oben der C5-Patentschrift unter "Darlegung des Wesens der Erfindung" zeigen. Der Begriff "Achsrichtung" steht in direktem Zusammenhang mit der Achse als geometrischer Richtungsbegriff. Ein mechanisches Element kommt für den Fachmann als Achse LA somit nicht in Betracht.

2.4.3. Aus der Beschreibung auf Seite 4 der A1-Patentschrift zur Erläuterung der ursprünglichen Figur 7 bzw. der Figur 4 der C5-Schrift wird für den Fachmann klar, dass alle Energiekonverter eine konstruktive Einheit bilden, wobei die einzelnen Bestandteile der konstruktiven Einheit separat steuerbar sind, denn dort ist ausgeführt:

"In Figur 7 ist das Blockschaltbild der Energiekonvertierung des Windes mit dem Windenergiewandler und dessen Regulierung dargestellt. Gemäß dem Blockschaltbild sind auf der Achse (entsprechend X3) alle Energiekonverter eines Windenergiewandlers PA, PE, PM, PO, PU, PIK angeordnet und bilden eine getriebelose Einheit, die mittels Festkörperelektronik gesteuert wird. Alle Leistungseinheiten sind hierbei allein steuerbar."

Wie die Steuerung erfolgt, wird in der weiteren Beschreibung erklärt.

2.4.4. Dass der Hochleistungsregler (PR), wie auf Seite 4, letzter Absatz der A1-Patentschrift dargelegt, eine elektrische (e) und aerodynamische (m) Regelung am Leistungsrotor (Rl) realisiert, ist für den Fachmann aus dem Blockschaltbild in Figur 7 der A1-Schrift bzw. Figur 4 der C5-Schrift zweifelsfrei zu entnehmen. Der konkrete Aufbau des Hochleistungsreglers ist für die Funktion der Erfindung nicht von Belang.

2.4.5. Was im Sinne des Streitpatents unter Kurzund Langzeitspeicherung verstanden wird, ist auf Seite 5 der Beschreibung der A1-Patentschrift bzw. Seite 4 der C5-Schrift dargelegt. Hierdurch ist es einerseits möglich, Wasserstoff und Sauerstoff durch Elektrolyse zu erzeugen und den Wasserstoff zur Energiegewinnung in Brennstoffzellen oder rotierenden Energiewandlern einzusetzen und die Energie wieder dem Netz zuzuführen. Wasserstoff und Sauerstoff werden hierbei nur kurzzeitig gespeichert. Andererseits ist es möglich, Wasserstoff und Sauerstoff sowie Druckluft langzeitig zu speichern und anderen Verbrauchern zuzuführen.

2.5. Die Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes ergibt weiter, dass der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 sind in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart.

Da wie oben unter 2.1 ausgeführt erst die C5-Schrift der erteilten Fassung eines Patents entspricht, ist für die Prüfung des A1-Patents § 38 PatG anzuwenden. Daraus folgt, dass Änderungen der A1-Fassung, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig sind. Es kann daher der gesamte Offenbarungsgehalt des A1-Patents ausgeschöpft werden, wobei die ursprünglichen Ansprüche lediglich Formulierungsversuche darstellen. Dabei sind alle Merkmale des Patentanspruchs 1 offensichtlich diesen ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörig zu entnehmen.

Die im Patentanspruch 1 aufgenommenen Merkmale sind im ursprünglichen Anspruch 5 enthalten und wurden im Wesentlichen lediglich redaktionell klargestellt. Dabei enthält der ursprüngliche Anspruch 5 sowohl Merkmale hinsichtlich eines Windenergiewandlers als auch hinsichtlich eines Energieversorgungssystems, so dass es im Ermessen des Anmelders liegt, den Gegenstand als "Windenergiewandler für ein Energieversorgungssystem" oder als "Energieversorgungssystem mit Windenergiewandlern" zu bezeichnen.

Der Hinweis der Klägerin, es werde unzulässigerweise von "elektronischer" statt von "elektrischer" Leistungssteuerung gesprochen geht ins Leere, da beides in der Beschreibung erwähnt ist.

Im ursprünglichen Anspruch 5 wird auf Leistungsanteile von PK und PM, die dem Verbraucher direkt, und auf Leistungsanteile von PU und PÜ hingewiesen, die dem Verbraucher indirekt zugeführt werden. Durch einen Blick in die Beschreibung (Seite 4, vorletzter Absatz des A1-Patents und Seite 4, 3. Absatz der C5-Patentschrift) ist unmittelbar zu erkennen, dass mit PK, PM, PU und PÜ die in der ursprünglichen Figur 7 und Figur 4 der C5-Patentschrift dargestellten Energiekonverter gemeint sind.

Die Patentansprüche 2 bis 8 des C5-Patents sind den Ansprüchen 6, 5, 1, 3, 4 und der ursprünglichen Figur 5 mit Seite 3, 6. Zeile von unten des A1-Patents zu entnehmen.

2.6. Eine Schutzbereichserweiterung liegt nicht vor. Wie ausgeführt entspricht das Streitpatent in der Fassung der C5-Schrift der erteilten Fassung nach dem Patentgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Erst eine Änderung dieser Fassung -die nicht vorgenommen worden ist -könnte überhaupt eine Erweiterung des Schutzbereichs darstellen.

2.7. Bei der gegebenen Sachlage wäre voraussichtlich die Neuheit des Gegenstandes des Streitpatents, die sowohl nach PatG-DDR 1983 als auch nach PatG-DDR 1990 nach den selben Kriterien zu beurteilen ist, gegeben gewesen.

Die Klägerin hat zur Neuheit die DE 34 07 881 A1 (K6) angeführt. Aus dieser Druckschrift ist ein Energieversorgungssystem bekannt, mit dem Solarund Windenergie genutzt wird. Die Windenergie wird in einem Aufwindkraftwerk genutzt. Beim Ausführungsbeispiel nach Figur 4 sind drei Windräder 9b bis 9d (Leistungsrotoren) unterschiedlichen Durchmessers und unterschiedlicher Schnellläufigkeit vorgesehen (Seite 23 mit Figur 4 der K1). Jedes der Windräder ist mit einem eigenen Generator 13b bis 13d verbunden. Diese Leistungsrotoren werden geregelt und je nach Windstärke werden ein, zwei oder alle drei Windräder vom Wind beaufschlagt. Bei schwachem Wind werden zwei der drei Windräder abgeschaltet (Seite 23, letzter Absatz der K6). Die Generatoren sind -wie in Figur 1 DE 34 07 881 A1 (K6) für den Generator 13a dargestellt -mit einem Gleichrichter verbunden, der einen Gleichstrom für verschiedene Verbraucher bereitstellt. Eine Regelung des Generators selber ist nicht beschrieben.

Demgegenüber ist beim Streitpatent lediglich ein Leistungsrotor (Windrad) vorgesehen, mit dem mehrere Energiekonverter, also mehrere Generatoren, verbunden sind. Eine Regelung dieser Energiekonverter und deren Zuund Abschaltung, wobei der Leistungsanteil der einen Energiekonverter zur direkten, frequenzgeregelten Einspeisung ins Netz und der Leistungsanteil der anderen Energiekonverter indirekt zur Speicherung genutzt wird, ist aus der K6 nicht bekannt. Außerdem ist in K6 das Windrad 9d kein Messrotor, der ein Signal für eine elektronische Leistungssteuerung bereit stellt.

2.8. Eine Zusammenschau der als Anlagen K6 mit K7 vorgelegten Druckschriften unter Berücksichtigung des Fachwissens nach K8 hätte für den Fachmann den Gegenstand des Streitpatents -anders als die Klägerin meint -nicht nahegelegti. S. v. § 5 PatG-DDR 1983, die Erfindung hätte einen technischen Fortschritt im Sinne dieser Vorschrift gebracht und wäre auch nicht offensichtlich aus dem bekannten Stand der Technik herleitbar gewesen i. S. v. § 5 PatG-DDR 1990.

Beim Großwindkraftwerk nach der K7 ist dem Leistungsrotor mit zwei hintereinander liegenden, gegenläufigen Windrädern ein kleineres Hilfswindrad 8 vorgelagert. Dieses Hilfswindrad dient der Erzeugung von Energie, um die Erregermaschine des Hauptstromerzeugers anzutreiben (Patentanspruch 1 der K7). Eine Regelung mehrerer Energiekonverter ist nicht gezeigt. Somit kann auch eine Übertragung dieser Lehre auf das aus der K6 bekannte Energieversorgungssystem nicht zum Gegenstand des Streitpatents führen, da auch in der Zusammenschau eine Regelung mehrere Energiekonverter in der beanspruchten Weise nicht gelehrt wird.

Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen vom beanspruchten Gegenstand noch weiter ab.

2.9. Mit Patentanspruch 1 hätten auch die auf diesen direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche Bestand gehabt.

Schuster Bülskämper Guth Pü






BPatG:
Beschluss v. 23.03.2009
Az: 5 Ni 6/09


Link zum Urteil:
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