Bundespatentgericht:
Urteil vom 5. November 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 21/01

(BPatG: Urteil v. 05.11.2002, Az.: 3 Ni 21/01)

Tenor

Das Patent 42 14 540 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 28. April 1992 angemeldeten Patents 42 14 540 (Streitpatent), das Fasern in Kunststoffbeuteln als Bauzuschlagstoff und ein Verfahren zu deren Einbringung in Betonund Mörtelmischungen betrifft und 9 Patentansprüche umfasst. Die Patentansprüche 1 und 9 lauten:

"1. Fasern aus Kunststoff als Bauzuschlagstoffe zur Beimischung zu Beton oder Mörtel, dadurch gekennzeichnet, dass die Fasern (1) in wasserlöslichen Kunststoffbeuteln (2) aufgenommen sind, die sich während des Mischvorganges des Betons oder Mörtels auflösen.

9. Verfahren zum Herstellen eines Gemisches aus Beton oder Mörtel und Bauzuschlagstoffen in Faserform, dadurch gekennzeichnet, dass dosierte Mengen von Fasern aus Kunststoff als Bauzuschlagstoffe in wasserlösliche Kunststoffbeutel abgepackt werden und daß entsprechend der Menge des Betons oder Mörtels die zugeordnete, dosierte Menge von in einem oder mehreren Kunstsoffbeuteln abgepackten Fasern dem Beton oder Mörtel zugegeben wird und gemeinsam mit diesem bewegt wird, wobei sich der oder die Kunststoffbeutel auflösen und die Fasern mit dem Mörtel oder dem Beton gleichmäßig vermischt werden."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil es nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung verweist sie auf die Anlagen K 1 DE38 06 454 A1, K 2 DE90 02 330 U1, K 3 DE31 10 166 A1, K 4 Rechnung der Fa. V.F.A. S.R.L. vom 6. Juni 1990.

Die Klägerin beantragt, das Patent 42 14 540 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 1 PatG. I.

1. Das Streitpatent betrifft Fasern aus Kunststoff als Bauzuschlagstoffe zur Beimischung zu Beton oder Mörtel. Derartige Fasern, die zur Verstärkung von Beton oder Mörtel dienen, werden in Behälter verpackt, aus denen die notwendige Menge entnommen wird (s StrPS Sp 1 Z 5 bis 22). Dieser Vorgang ist umständlich, weil Fasern verschüttet werden können und die richtige Dosierung nicht immer eingehalten wird.

Aus dem Stand der Technik (deutsche Offenlegungsschrift 31 46 261) ist ein faserförmiger Zuschlag bekannt, der aus einer Faser bzw einem Faserbündel und einem mit diesem verbundenen Körper besteht, die wiederum zu einem Ring ausgebildet und mit Beton oder Mörtel vermischt werden. Hierdurch soll eine gleichmäßige Einbindung der Faserbündel in das Baumaterial erfolgen.

Das Derwent-Kurzreferat 83-779 453/40 beschreibt ein wärmeisolierendes Element, bei dem Fasern unter Vakuum in Kunststoffbeutel eingeschweißt werden.

2.

Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde (s StrPS Sp 1 Z 34 bis 38), Fasern als Bauzuschlagstoffe vorzusehen, die eine einfache Handhabung beim Mischvorgang und eine genaue Dosierung entsprechend der Betonbzw Mörtelmenge ermöglichen.

3.

Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 1. Fasern aus Kunststoff 1.1.

als Bauzuschlagstoffe zur Beimischung zu Beton oder Mörtel, 2.

die in Kunststoffbeuteln aufgenommen sind, 2.1. die wasserlöslich sind und 2.2. sich während des Mischvorgangs des Betons oder Mörtels auflösen.

II.

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu, wie in der mündlichen Verhandlung auch von der Klägerin eingeräumt wurde.

Er beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der für die Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe zuständige Fachmann ist nach Auffassung des Senates, der insoweit mit der Beklagten übereinstimmt, ein Baustoffingenieur oder anderer auf dem Gebiet der Betonund Mörtelherstellung und -verarbeitung tätiger Fachmann.

Dieser mit der betrieblichen Praxis vertraute Fachmann ist gehalten, den umständlichen Vorgang der Entnahme der Fasern aus einem Vorratsbehälter zu vereinfachen und dabei die Nachteile eines möglichen Verschüttens, einer ungenauen Dosierung und einer in vielen Fällen erforderlichen mehrfachen Entnahme zu vermeiden. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass ein Abwiegen des leichten, voluminösen Fasermaterials insbesondere im rauen Betrieb Schwierigkeiten bereitet und dass zur Bedienung bzw Beschickung eines Beton -oder Mörtelmischers aus Kostengründen überlicherweise niedrig qualifizierte Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Unter diesen Umständen liegt es für den Fachmann nahe, die beizumischenden Fasern aus Kunststoff in Beuteln vorzupacken, von denen jeweils einer die einem Mischeransatz zuzusetzende Menge an Fasern enthält. Dies ermöglicht in vorhersehbarer Weise eine genaue Dosierung durch Abfüllung stets gleich großer Volumen -(oder Gewichts) einheiten sowie ein einfaches und rasches Einbringen in den Mischer.

Bereits das fachmännische Können nicht übersteigende einfache Überlegungen ergeben dabei, dass nicht jedes beliebige Material für die Beutel in gleicher Weise für den Anwendungszweck geeignet ist. Die Beutel müssen einerseits eine Mindeststabilität -insbesondere Reißfestigkeit -aufweisen, damit beim Abfüllen, beim Stapeln uind beim Transport keine Löcher gerissen werden, was zur Verwendung hinreichend (reiß)fester Kunststoffe anregt. Andererseits ist von unter den Verarbeitungsbedingungen inerten Kunststoffen zu erwarten, dass eine rein mechanische Zerkleinerung im Mischer nur bis zu Reststücken einer Größe erfolgt, welche die Homogenität des zu verarbeitenden Betons oder Mörtels erheblich beeinträchtigen. Eine zeitliche Ausdehnung des Mischprozesses zum hinreichend sicheren Ausschluß von störenden Resten des Beutelmaterials kann hierbei aus Kostengründen nicht in Kauf genommen werden. Selbst wenn der Fachmann diese Überlegungen bei der Auswahl des Beutelmaterials noch nicht anstellen sollte, müssen die Nachteile der Verwendung eines inerten Kunststoffbeutels schon bei ersten Handversuchen evident werden.

Hierdurch wird der Fachmann zu der Erwägung geführt, ein Material auszuwählen, das sich in der nassen Zement -oder Mörtelmischung zersetzt oder löst. Da eine Zersetzung mit einer im allgemeinen unerwünschten Gasentwicklung verbunden ist, muß ihm ein im Gemisch lösliches Material als die vorteilhaftere, somit naheliegendere Alternative erscheinen. Die Löslichkeit des Materials muß sich auf die einzige in der Mischung in größeren Anteilen vorhandene Flüssigkeit, also Wasser, beziehen.

Somit legen mit fachmännischer Sorgfalt anzustellende Überlegungen die unter 1.3.

mit 2., 2.1. und 2.2. bezeichnete Merkmalsgruppe nahe, wobei die Bedingung 2.2.

eine Konsequenz des Merkmals 2.1. ist. Die Ermittlung von Kunststoffen, welche die Merkmale 2.1. und 2.2. erfüllen, ist als handwerkliches Können zu bewerten. Sogar wenn unterstellt würde, dass dem zuständigen Fachmann wasserlösliche Kunststoffe namentlich nicht geläufig sind, würde es zu ihrer Auffindung keiner erfinderischen Leistung bedürfen. Denn sowohl das Nachschlagen in Kunststoffhandbüchern oder -lexika als auch eine Anfrage bei Herstellern von Kunststoffbeuteln oder -(schlauch)folien würde ergeben, dass wasserlösliches Kunststoffmaterial auch in Folienform der interessierten Fachwelt zur Verfügung steht. Die von der Klägerin genannten Entgegenhaltungen K 1 (insbesondere Anspruch 3) und K 3 (insbesondere Ansprüche 1 und 5) sind daher lediglich als Bestätigung für diesen Sachverhalt heranzuziehen.

Die von der Beklagten behauptete Befürchtung einer "Igelbildung" (vgl auch Sp 1 Z 26 bis 30 der Streitpatentschrift) bei Einbringung der Fasern in vorverpackten Gebinden kann dem Fachmann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, keinen orientierenden Versuch durchzuführen. Bereits dieser zeigt aber, dass sich das möglicherweise befürchtete schwerwiegende Ausmaß der Igelbildung nicht einstellt, sondern eine sehr zufriedenstellende Faserverteilung erreicht wird. (Sp 2 Z 32 bis 42 der Streitpatentschrift).

Patentanspruch 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.

2. Für den unabhängigen Verfahrensanspruch 9 gelten die ausgeführten Gründe sinngemäß, so dass es auch seinem Gegenstand an der erfinderischen Tätigkeit fehlt.

Für die Ausführungsform, bei der die Zudosierung in einem Kunststoffbeutel erfolgt, treffen die vorstehenden Darlegungen unmittelbar zu. Die Verwendung mehrer Beutel liegt für den Fachmann jedenfalls beim Anmischen größerer Betonoder Mörtelmengen nahe.

Daher kann auch Anspruch 9 keinen Bestand haben.

3. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 sind von der Klägerin unter Angabe von Gründen im einzelnen angegriffen worden. Da ein eigenständiger erfinderischer Gehalt eines dieser Ansprüche weder geltend gemacht wurde noch für den Senat erkennbar ist, fallen auch diese Ansprüche der Nichtigkeit anheim.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 S 2 ZPO nF.

Hellebrand Dr. Wagner Sredl Dr. F. Feuerlein Dr. Gerster Kr






BPatG:
Urteil v. 05.11.2002
Az: 3 Ni 21/01


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