Landgericht Essen:
Urteil vom 10. Februar 2006
Aktenzeichen: 45 O 84/05

(LG Essen: Urteil v. 10.02.2006, Az.: 45 O 84/05)

Tenor

hat die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen

auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2006

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht M.

und die Handelsrichter Dr. F. und L.

für R e c h t erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Dienstwagen zur privaten Nutzung gemäß der Zusage vom 04.06.1999 zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der jetzt 65 - jährige Kläger war seit 1959 bei verschiedenen Kaufhausunternehmen tätig. In der Zeit vom 01.01.1984 bis zum 24.05.1994 gehörte er dem Vorstand des Unternehmens Hertie an. Mit Übernahme dieses Unternehmens durch die Beklagte wurde der Kläger im Mai 1994 zunächst bei der Karstadt AG und nach deren Verschmelzung mit der Schickedanz Handelswerte GmbH & Co. KG bei der Beklagten zum Vorstandsmitglied und zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden bestellt. Im Zuge der Verschmelzung der vorgenannten Gesellschaften kam es zu Gesprächen zwischen dem Aufsichtsrat und dem Kläger. Im Verlaufe dieser Verhandlungen haben sich die Parteien auf ein Ausscheiden des Klägers verständigt. Mit Schreiben vom 04.06.1999, auf das Bezug genommen wird, Bl. 9 d. A., teilte der Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger u. a. Folgendes mit: ... sage ich Ihnen (dem Kläger) zu, dass Ihr bestehender Dienstvertrag unabhängig davon, wie Sie sich endgültig entscheiden, seitens der Karstadt AG voll erfüllt wird. Sie werden also keine materiellen Nachteile erleiden, wenn Sie vor Ablauf Ihres Dienstvertrages, und zwar mit Beendigung der Hauptversammlung vom 30.07.1999 ausscheiden sollten. Dazu gehört auch, dass Sie die Ihnen vertraglich zustehenden Ruhestandsbezüge in unmittelbarem Anschluss an die Beendigung Ihres Dienstvertrages erhalten und Ihnen, wie bei Karstadt üblich, für die Zeit nach Ihrer aktiven Tätigkeit ein Firmenwagen zur Verfügung gestellt wird. ...

Mit Schreiben vom 29.07.1999 legte der Kläger sodann sein Vorstandsamt zum 30.07.1999 nieder. Nach dem Ausscheiden stellte die Beklagte dem Kläger einen Firmenwagen nach den Konditionen zur Verfügung, die bei der Beklagten für die Bereitstellung von Firmenwagen an pensionierte Vorstandsmitglieder galten. Am 22.12.2004 beschloss der ständige Ausschuss des Aufsichtsrates der Beklagten, den Pensionären, die keinen vertraglichen Anspruch auf lebenslange Nutzung haben, den Firmenwagen zu entziehen. Mit Schreiben vom 14.01.2005 (K 8, Bl. 17 d. A.) wurde dem Kläger u. a. mitgeteilt: ... sehen wir uns gezwungen, die Überlassung von Fahrzeugen an pensionierte Vorstände zu beenden. Demgemäß erklären wir hiermit die ordentliche Kündigung hinsichtlich der an Sie erfolgten Fahrzeugüberlassung sowie der damit im Zusammenhang stehenden Gewährung von Nebenleistungen zum 30.06.2005. ...

Der Kläger ist der Ansicht, dass die ihm erteilte Zusage Bestandteil seiner Ruhestandsregelung sei. Ein ordentliches Kündigungsrecht sei nicht gegeben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen Dienstwagen zur privaten Nutzung gemäß der Zusage vom 04.06.1999 zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass es bei ihr keine allgemeine Firmenwagen - Regelung für pensionierte Vorstandsmitglieder gegeben habe. Vielmehr seien in der Vergangenheit jeweils einzelne Zusagen an Vorstandsmitglieder gemacht worden. Lediglich der Fahrzeugtyp, die Ausstattung der Firmenwagen sowie der Umfang der erstattungsfähigen Nebenkosten sei einheitlich geregelt gewesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Zurverfügungstellung eines Firmenwagens habe. Die dem Kläger erteilte Zusage sei keine Regelung im Hinblick auf den Ruhestand. Vielmehr sei die Verpflichtung zur Bereitstellung des Firmenwagens ein allgemeines Dauerschuldrechtsverhältnis. Dieses sei analog zu den Vorschriften der §§ 624, 723 BGB jederzeit durch eine ordentliche Kündigung auflösbar.

Des Weiteren sei die dem Kläger im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden erteilte Zusage vom 04.06.1999 unwirksam, da diese eine nachträgliche, zeitnah zum Zeitpunkt des Ausscheidens vorgenommene Änderung des Dienstvertrages vom 10.03.1995 (Anlage B 1 des Schriftsatzes vom 17.01.2006, Bl. 47 d. A.) bedeute, auf die der Kläger keinen Anspruch gehabt habe. Bei derartigen Änderungen seien auch die Unternehmensinteressen angemessen zu berücksichtigen. Die zusätzliche, kurz vor dem Ausscheiden dem Kläger gemachte Zusage sei sittenwidrig und dementsprechend nichtig.

Gründe

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Bereitstellung eines Firmenwagens nach den gesellschaftsintern geltenden Richtlinien. Die im Schreiben vom 04.06.1999 dem Kläger schriftlich gemachte Zusage bindet die Beklagte. Das Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden allein kann zwar keine vertragliche Grundlage bilden, da nicht der Aufsichtsratsvorsitzende, sondern der Aufsichtsrat insgesamt die Dienstverträge mit den Vorstandsmitgliedern gestaltet. Der Aufsichtsratsvorsitzende vertritt lediglich nach außen hin den Aufsichtsrat bzw. teilt dem Vorstandsmitglied die Entscheidung des Aufsichtsrates mit. Aus den Worten "dazu gehört auch" in Verbindung mit der Bezugnahme auf den mit dem Kläger bestehenden Dienstvertrag ist zu entnehmen, dass der Aufsichtsrat mit dem Schreiben eine Änderung des Dienstvertrages nicht herbeiführen, sondern lediglich eine bestehende, gegebenenfalls früher mündlich getroffene Vereinbarung schriftlich bestätigen wollte.

Gegen die Wirksamkeit der vor dem 04.06.99 getroffenen Regelung kann nicht eingewandt werden, dass der Aufsichtsrat die Schriftform, die im Dienstvertrag vom 10.03.1995 für Änderungen bzw. Ergänzungen vorgesehen ist, nicht eingehalten hat. Zum Einen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Parteien vom Schriftformerfordernis einverständlich abweichen können. Zum Anderen ist durch das Schreiben vom 04.06.1999 gegenüber dem Kläger nachträglich die Firmenwagen - Regelung schriftlich fixiert worden. Dass auch die Beklagte von einer rechtlich bindenden Regelung ausgegangen ist, ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Beklagte dem Kläger nach seinem Ausscheiden über mehrere Jahre hinweg den Firmenwagen zur Verfügung gestellt hat.

Die zwischen den Parteien zustande gekommene Firmenwagen - Regelung ist auch nicht aus anderen Gründen nichtig. Sie stellt keine unangemessene, die Unternehmensinteressen außer Acht lassende Vereinbarung dar. Anhaltspunkte für eine nicht ausgewogene, gar sittenwidrige Regelung sind nicht gegeben. Allein der Umstand, dass sich die im Streit befindliche Verpflichtung für die Beklagte nachteilig auswirkt, rechtfertigt die Annahme der Sittenwidrigkeit nicht. Der sich aus der Zusage ergebende, finanzielle Vorteil des Klägers macht nur einen kleinen Bruchteil seiner Ruhestandsvergütung aus. Es kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger im Zuge der Umstrukturierung des Konzerns der Beklagten entgegengekommen ist und vorzeitig ausschied. Berücksichtigt man ferner, dass auch andere Vorstandsmitglieder seitens der Beklagten einen Dienstwagen gestellt bekommen haben, ist nicht ersichtlich, dass der dem Kläger gewährte Vorteil als unangemessen einzustufen ist.

Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung ist nicht wirksam. Der Beklagten steht ein Kündigungsrecht nicht zu. Bei Würdigung aller Umstände steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Firmenwagen - Regelung ein Bestandteil der Ruhestandsvereinbarung mit dem Kläger ist. Diese Vereinbarungen ergeben sich nicht abschließend aus dem Dienstvertrag vom 10.03.1995. Nach § 10 des Dienstvertrages sind Änderungen und Ergänzungen des Vertrages möglich. Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus dem Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden an den Kläger, dass die Parteien neben dem Dienstvertrag vom 10.03.1995 die Firmenwagen - Regelung getroffen haben. Diese Regelung ist nicht nur eine allgemeine schuldrechtliche Verpflichtung der Beklagten auf unbestimmte Zeit. Die Willenserklärungen der Vertragsparteien sind jeweils aus der Sicht des Empfängerhorizontes auszulegen. Das Schreiben vom 04.06.1999 durfte bzw. musste der Kläger so verstehen, dass für ihn im Zusammenhang mit dem Überwechseln in den Ruhestand die Firmenwagen - Regelung auf Lebenszeit gelten sollte, also ein Bestandteil seiner Ruhestandsvergütung sein sollte. Nach dem Wortlaut des Schreibens wird dem Kläger die volle Erfüllung des bestehenden Dienstvertrages zugesagt, und zwar mit dem ausdrücklichen Zusatz, das dazu die Zahlung der Ruhestandsbezüge und die Bereitstellung eines Firmenwagen gehören. Auch der Zweck des Schreibens weist auf den Bezug zur Ruhestandsregelung hin, da es dem Kläger als Grundlage für seine Entscheidung dienen sollte, freiwillig aus dem Vorstand auszuscheiden.

Daher richtet sich die Kündigungs- bzw. Abänderungsmöglichkeit nicht nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern nach § 87 Abs. 1, Abs. 2 Aktiengesetz. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Gemäß § 87 Abs. 2 AktG kann zwar die Vergütung für aktive Vorstandsmitglieder grundsätzlich in angemessener Weise herabgesetzt werden, wenn eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Aktiengesellschaft eintritt, dass die Weitergewährung der Bezüge eine schwere Unbilligkeit für die Aktiengesellschaft darstellen würde. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der Aktiengesellschaft allein geben kein Recht zur Herabsetzung. Auch die Veräußerung von einzelnen Betriebsteilen ist kein ausreichendes Indiz für eine wesentliche Verschlechterung der Geschäftslage (Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Hefermehl, Spindler, § 87 Rdn. 41). Die Gesellschaft müsste sich vielmehr in einer Notlage befinden, die die wirtschaftliche Existenz ernstlich bedroht. Nach dem Sachvortrag der Beklagten kann von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht ausgegangen werden. Zudem bezieht sich das Abänderungsrecht des Aufsichtsrates nicht auf die im § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG genannten Ruhestandsgehälter, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art (Höffer, Aktiengesetz, § 87 - 6). Dies ergibt sich daraus, dass der Absatz 2 des § 87 AktG keine die im Absatz 1 Satz 2 entsprechende Regelung enthält. Andererseits stehen auch pensionierte Vorstandsmitglieder noch in einem, wenn auch im Vergleich zu den aktiven Vorstandsmitgliedern lockeren Treueverhältnis zur Aktiengesellschaft. Daher ist allgemein anerkannt (Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Hefermehl, Spindler, § 87 Rdn. 62), dass bei einem Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Einzelfall eine Herabsetzung der Ruhestandsvergütung gerechtfertigt sein könnte. Ein derartiger Eingriff in eine gesicherte Rechtsposition der ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder muss allerdings sehr strengen, engen Voraussetzungen unterliegen. Neben der prekären wirtschaftlichen Situation, die zur Bestandsgefährdung der Gesellschaft führen könnte, sind daher auch die Leistungen des pensionierten Vorstandsmitgliedes während seiner aktiven Tätigkeit mit zu berücksichtigen. Ob tatsächlich eine wirtschaftliche Notlage der Beklagten im Sinne des § 87 AktG gegeben ist, bzw. die dem Kläger zugesicherten Ruhestandsbezüge im groben Missverhältnis zu seinen Leistungen während seiner aktiven Tätigkeit stehen, kann aufgrund des Sachvortrages der Parteien nicht beurteilt werden. Gerade im Hinblick darauf, dass der strittige Vermögensvorteil des Klägers lediglich ein kleiner Bruchteil seiner übrigen Ruhestandsvergütung ausmacht, erscheint die seitens der Beklagten vorgenommene Kürzung als nicht angemessen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.






LG Essen:
Urteil v. 10.02.2006
Az: 45 O 84/05


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