Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 1. Juli 2002
Aktenzeichen: AnwZ (B) 53/01
(BGH: Beschluss v. 01.07.2002, Az.: AnwZ (B) 53/01)
Tenor
Dem Antragsteller wird wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs Berlin -I. Senat -vom 18. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.016,27 DM) festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller absolvierte neben einer Tätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit der früheren DDR ein Fernstudium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche und erwarb am 25. November 1989 den Abschluß als Diplomjurist. Vom 1. Dezember 1990 bis zum 15. Januar 1993 schulte er zum Steuerfachgehilfen um; anschließend war er bis zum 31. Dezember 1993 bei einer Steuerberatungsgesellschaft angestellt. Seit dem 1. Mai 1994 ist er freier Mitarbeiter bei einer Rechtsanwaltskanzlei.
Am 22. September 1999 hat er den Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt beim Landgericht Berlin gestellt. Gegen den ablehnenden Bescheid hat er die gerichtliche Entscheidung beantragt. Diesen Antrag hat der Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom 18. Mai 2001 zurückgewiesen. Dieser wurde dem Antragsteller am 9. Juni 2001 zugestellt. Der Antragsteller hat am 18. Juli 2001 sofortige Beschwerde eingelegt und wegen der Versäumung der Beschwerdefrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO).
Dem Antragsteller war die Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er glaubhaft gemacht hat, daß er die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 42 Abs. 4 BRAO) ohne sein Verschulden versäumt hat (§ 42 Abs. 6 Satz 1 BRAO i.V.m. § 22 Abs. 2 FGG).
III.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, erfüllt der Antragsteller nicht die besonderen Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 des Rechtsanwaltsgesetzes (DDR-RAG) vom 13. September 1990 (GBl. DDR I 1504) in Verbindung mit dem Einigungsvertrag.
§ 4 Abs. 1 Nr. 1 RAG verlangt ausdrücklich ein "umfassendes" juristisches Hochschulstudium in der DDR. Ein solches hat der Antragsteller nicht absolviert. Insbesondere wurde das gesamte Gebiet des Zivilrechts nur am Rande behandelt.
Im übrigen gilt das Rechtsanwaltsgesetz nach dem Einigungsvertrag Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. III fort "unbeschadet der Maßgabe y zum Deutschen Richtersetz -Nr. 8 -in Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III". Nach der genannten Maßgabe y Buchst. jj berechtigt ein an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche oder einer vergleichbaren Einrichtung erworbener Abschluß nicht zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten juristischen Berufs (BT-Drucks. 11/7760, S. 43). Dazu zählt insbesondere der Anwaltsberuf.
Diese Auffassung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 1. März 1993 -AnwZ (B) 55/92, BRAK-Mitt. 1993, 173, 175; v. 29. November 1993 -AnwZ (B) 49/93, BRAK-Mitt. 1994, 47, 48; v. 29. Januar 1996 -AnwZ (B) 59/95, BRAK-Mitt. 1996, 82, 83; v. 17. Juni 1996 -AnwZ (B) 5/96, BRAK-Mitt. 1996, 203, 204), von der abzugehen kein Anlaß besteht, und der einhelligen Auffassung im Schrifttum (vgl. Feuerich/ Braun, BRAO 5. Aufl. § 4 Rn. 26; Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO § 4 Rn. 24).
2. Der Antragsteller bezweifelt, ob die dargestellte Gesetzeslage mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit und dem Gleichheitssatz im Einklang steht. Diese Zweifel sind -worin sich Rechtsprechung und Literatur ebenfalls einig sind (vgl. die Nachweise unter 1.) -nicht gerechtfertigt.
a) Der angefochtene Bescheid greift in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ein, weil damit dem Antragsteller die berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt verschlossen wird. Dieser Eingriff, der die Aufnahme der Berufstätigkeit als Rechtsanwalt von in der Person des Berufsanwärters zu erfüllenden und grundsätzlich erfüllbaren Voraussetzungen abhängig macht, ist gerechtfertigt, weil er gesetzlich angeordnet ist (vgl. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), ein wichtiges Gemeinschaftsgut schützen soll, zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und geeignet sowie verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 66, 337, 353; 87, 287, 316; 93, 213, 235 f). Die Zulassung als Rechtsanwalt an die Voraussetzung eines erfolgreich absolvierten "umfassenden" juristischen Hochschulstudiums zu knüpfen, dient der Versorgung der rechtsuchenden Bevölkerung mit qualifizierten rechtlichen Beratern und Vertretern und damit dem Rechtsstaatsgedanken sowie einer geordneten Rechtspflege (BVerfGE 93, 213, 236).
Unzureichend ausgebildete Berufsanwärter von der Zulassung als Rechtsanwalt auszuschließen, ist zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und geeignet. Der Studiengang an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche vermittelte keine für die Tätigkeit als Rechtsanwalt ausreichende juristische Ausbildung. Hierzu heißt es in den Erläuterungen der Bundesregierung zu den Anlagen zum Einigungsvertrag (BT-Drucks. 11/7817, S. 23):
"Der Abschluß an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche ist keine geeignete Grundlage für die Fortführung einer begonnenen Ausbildung als Richter-, Staatsanwalts-, Rechtsanwaltsoder Notarassistent oder für die Aufnahme in eine solche Ausbildung. Aufgabe dieser Hochschule war es, den juristischen Nachwuchs des Staatssicherheitsdienstes zu schulen. Diese Ausbildung, in der für ein rechtswissenschaftliches Studium grundlegende Gebiete wie das Zivilrecht nur eine untergeordnete Rolle spielten, war nur dem Namen, nicht aber dem Inhalt nach ein juristisches Studium."
Die Versagung der Zulassung als Rechtsanwalt ist in bezug auf den Antragsteller auch nicht unverhältnismäßig. Ein milderes Mittel zur Erreichung des mit der gesetzlichen Regelung des § 4 RAG angestrebten Ziels ist nicht ersichtlich. Wenn der Erwartung der Rechtsuchenden, vertrauenswürdige Rechtsanwälte zu finden, die ihre Interessen wahrnehmen und Schaden von ihnen fernhalten, entsprochen und das Vertrauen in die Kompetenz und die Integrität der Rechtsanwälte geschützt werden soll, müssen auch an die Rechtsanwaltschaft aus den neuen Bundesländern Mindestanforderungen gestellt werden (BVerfGE 93, 213, 237). Im übrigen hat der Antragsteller -wenngleich aufgrund einer zusätzlichen Ausbildung -eine angemessene Beschäftigung gefunden und kann in diesem Beruf tätig sein.
b) Durch die Versagung der Zulassung ist auch der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) nicht verletzt. Das Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche ist mit einem juristischen Studium an den sonstigen anerkannten Hochschulen im Inland -auch den vom Ministerium für Staatssicherheit unabhängigen Hochschulen der DDR -gerade nicht vergleichbar.
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BGH:
Beschluss v. 01.07.2002
Az: AnwZ (B) 53/01
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