Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 22. April 2004
Aktenzeichen: Not 8/04

(OLG Celle: Beschluss v. 22.04.2004, Az.: Not 8/04)

Die Tätigkeit eines Bewerbers um eine Notarstelle im Rechtsamt einer Stadt und die dabei gewonnenen Erfahrungen rechtfertigen nicht die Vergabe von Sonderpunkten.

Tenor

1. Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens nach einem Wert von 25.000 € zu tragen.

Gründe

I.

Aufgrund der in der NdsRPfl. 2003, S. 203, enthaltenen Ausschreibung betreibt die Antragsgegnerin das Verfahren zur Bestellung eines Notars für den Amtsgerichtsbezirk B. Innerhalb der Bewerbungsfrist bewarben sich um die Stelle neben dem Antragsteller Rechtsanwalt W. B., Rechtsanwalt T. C., Rechtsanwältin G. E., Rechtsanwalt T. H. und Rechtsanwalt M. W.

Der am 1956 geborene Antragsteller war zunächst seit Januar 1985 als beim Amtsgericht Köln und dem Landgericht Köln zugelassener Rechtsanwalt tätig. Sodann war er seit dem 1. Juni 1985 bis zum 31. Dezember 1988 juristischer Sachbearbeiter und stellvertretender Amtsleiter der Stadt C. Er wurde sodann erneut im Frühjahr 1989 als Rechtsanwalt zugelassen und übte die anwaltliche Tätigkeit bei den Rechtsanwälten T. und K. in M. aus, bevor er mit Schreiben vom 17. Mai 1989 die anderweitige Zulassung bei dem Amtsgericht Burgdorf und dem Landgericht Hildesheim beantragte; seit dem 19. Juni 1989 ist er in die Liste der beim Landgericht Hildesheim zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen, seit dem 10. Juli 1989 in die Liste der beim Amtsgericht Burgdorf zugelassenen Rechtsanwälte. Seit Mai 1990 betreibt der Antragsteller seine Kanzlei in der M. Straße in B. Bereits in den Jahren 1996 und 2000 hatte sich der Antragsteller um ausgeschriebene Notarstellen beworben. Im Zusammenhang mit diesen Bewerbungsverfahren hat die Antragsgegnerin die Erteilung von Sonderpunkten für die Tätigkeit des Antragstellers bei der Stadt C. nicht geprüft; dies ist vom Antragsteller nicht beanstandet worden.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2004 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie dessen Bewerbung um die ausgeschriebene Notarstelle nicht zu entsprechen vermöge und beabsichtige, die Stelle dem weiteren Beteiligten, Rechtsanwalt M. W., zu übertragen, der bei der Auswahl gemäß § 6 Abs. 3 BNotO, § 3 AVNot eine höhere Punktzahl erreicht hatte als der Antragsteller. Unter den verbleibenden fünf Bewerbern € Rechtsanwalt B. war wegen der noch nicht abgelaufenen dreijährigen Wartezeit nicht in das Verfahren mit einzubeziehen - nehme der Antragsteller mit 122,60 Punkten die 2. Rangstelle ein. Für die Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Anwalt (181 Monate) wurden dem Antragsteller 45,00 Punkte angerechnet, für die erfolgreiche Teilnahme an notarspezifischen Fortbildungskursen (96 Halbtage) 45 Punkte. Zusatzpunkte wurden nicht vergeben. Das Ergebnis der zweiten juristischen Staatsprüfung des Antragstellers berücksichtigte die Antragsgegnerin mit 32,60 Punkten unter Zugrundelegung einer Prüfungsgesamtnote von 6,52 Punkten. Demgegenüber erreichte der weitere Beteiligte M. W. eine Gesamtpunktzahl von 123,50 Punkten, wobei die Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit mit 39,75 Punkten bewertet wurde und sich die maximale Punktzahl von 45,00 als Summe aus Fortbildungskursen (54 Halbtage = 27,00 Punkte) sowie beurkundeten Niederschriften (Maximalpunktzahl von 20 bei 299 Niederschriften) ergab; als Ergebnis der zweiten juristischen Staatsprüfung ermittelte die Antragsgegnerin für Rechtsanwalt W. 38,75 Punkte bei einer Prüfungsgesamtnote von 7,75 Punkten. Die weiteren Bewerber erreichten geringere Gesamtpunktzahlen (Rechtsanwalt C.: 113,85 Punkte, Rechtsanwältin E.: 104,85 Punkte sowie Rechtsanwalt H.: 108,80 Punkte).

Mit am 12. März 2004 eingegangenem Telefax hat der Antragsteller den ihm am 25. Februar 2004 zugestellten Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2004 mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten; er erstrebt die Bestellung zum Notar im Amtsgerichtsbezirk Burgdorf, hilfsweise die Neubescheidung, und bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache die Freihaltung der ausgeschriebenen Notarstelle.

Der Antragsteller hält den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig. Er könne nicht feststellen, ob die Berücksichtigung der Wehrdienstzeit von Rechtsanwalt W. zu Recht erfolgt sei; dessen Bewerbungsunterlagen sei nicht zu entnehmen, dass er mit dem Theologiestudium gleichzeitig das Studium der Rechtswissenschaft aufgenommen habe. Den vom weiteren Beteiligten W. eingereichten Bescheinigungen über beurkundete Niederschriften sei eine Amtsbezeichnung des Notars B. nicht beigefügt. Zudem sei bei der Ausstellung der Bescheinigung nicht darauf geachtet worden, dass die einzelnen Zeiträume exakt und nicht zusammenhängend angegeben würden.

Der Antragsteller macht weiter geltend, dass er in seinem Recht auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung verletzt sei. Die Antragsgegnerin habe nicht geprüft, inwiefern ihm für seine Tätigkeit bei der Stadt C. Sonderpunkte gutgebracht werden könnten. Nähere Ermittlungen hinsichtlich dieser Tätigkeit habe die Antragsgegnerin nicht angestellt. Dies sei verfahrensfehlerhaft, da sein in der Kommunalverwaltung wahrgenommener Aufgabenbereich notarspezifische Besonderheiten aufweise, die vergleichbar seien mit anderen Tätigkeiten, für die die Antragsgegnerin Sonderpunkte gewähre. Es liege damit eine sog. Selbstbindung der Verwaltung vor, die die Antragsgegnerin nicht beachtet habe. Jene gebiete die Zuerkennung von Sonderpunkten, so dass er im Ergebnis eine höhere Gesamtpunktzahl als der weitere Beteiligte W. erreicht habe.

Im Einzelnen trägt der Antragsteller vor, er sei seit dem 1. Juni 1985 zunächst im Angestelltenverhältnis als juristischer Sachbearbeiter sowie stellvertretender Rechtsamtsleiter bei der Stadt C. tätig gewesen und am 1. November 1985 zum städtischen Assessor unter Beibehaltung des Dienstpostens ernannt worden. Ihm habe die Beratung der Fachämter, die Prozessführung einschließlich selbstständiger Einlegung der Berufung und das Vorschlagsrecht für die Einlegung der Revision oblegen. Regelmäßig sei er mit konkursrechtlichen Entscheidungen betraut gewesen. Zu seinen Aufgaben habe die Standesamtsaufsicht gehört; in diesem Zusammenhang sei es mehr als nur vorteilhaft, wenn ein Notar Kenntnisse des Personenstandsrechts sowie der dazu gehörigen Verfahren aufweisen könne. Als Disziplinarbeamter sei der Antragsteller in mehreren Fällen als Vorermittlungsführer und in einem Fall als Untersuchungsführer eingesetzt worden. Besondere Kenntnisse habe er auch im Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht erworben. Zudem sei er mit den Aufgabenbereichen Bauplanung und Bauaufsicht im Zuständigkeitsbereich des Bauordnungsamts befasst gewesen. In diesem Zusammenhang seien zahlreiche Grundstückskaufverträge betreffende Rechtsfragen zu klären gewesen. Darüber hinaus habe der Antragsteller eine Beratungstätigkeit im Verfahren zur Erteilung der Teilungsgenehmigung entfaltet. Er habe auch bei einer Änderung der Satzung der Stadtwerke C. mitgewirkt. Des Weiteren habe der Antragsteller auch die Begebung der Löschungsbewilligung für altrechtliche Bohrrechte (Art. 184, 187 EGBGB) geprüft. Weitere Aufgaben hätten sich ihm bei der Verfassung von Überleitungsbescheiden gestellt. Schließlich habe er für das Liegenschaftsamt notarielle Grundstückskaufverträge geprüft.

Aufgrund dieser Tätigkeiten sei die Gewährung von Zusatzpunkten geboten. Bei einer vor dem Hintergrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anzustellenden summarischen Prüfung ergebe sich deshalb, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei.

Der Antragsteller beantragt,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragsteller zum Notar im Amtsgerichtsbezirk Burgdorf zu bestellen,

hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides über den Antrag des Antragstellers auf Bestellung zum Notar im Amtsgerichtsbezirk Burgdorf unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu befinden,

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, bis zur rechtskräftigen abschließenden Entscheidung in der Hauptsache die ausgeschriebene Notarstelle im Amtsgerichtsbezirk Burgdorf frei zu halten.

Insofern stellt der Antragsteller vorsorglich den Antrag nach § 24 Abs. 3 FGG.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf gerichtliche Entscheidung sowie Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurück zu weisen.

Sie macht geltend, aus dem vom weiteren Beteiligten Rechtsanwalt W. eingereichten Lebenslauf ergebe sich eindeutig die gleichzeitige Aufnahme der Studiengänge €Rechtswissenschaft€ und €Katholische Theologie€. Die Bescheinigungen von Notar B. gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 AVNot seien ausreichend.

Für eine Prüfung von Sonderpunkten für die Tätigkeit des Antragstellers bei der Stadt C. habe kein Anlass bestanden. Der Antragsteller habe nicht deutlich gemacht, dass er die genannte Tätigkeit bei seiner Bewerbung als anrechnungsfähig habe einbringen wollen, was er auch bei seinen Bewerbungen in den Jahren 1996 und 2000 nicht zum Ausdruck gebracht habe. Im Übrigen stellten sich die Tätigkeiten weitgehend als allenfalls rechtsanwaltsspezifisch dar; eine Sonderbeziehung zur beruflichen Tätigkeit des Notars sei nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin habe in den vergangenen Jahren Sonderpunkte nur dann gewährt, wenn eine ausgesprochene Notar-Tätigkeit, also Urkundsgeschäfte, zu bewerten gewesen seien.

Der weitere Beteiligte W. hat sich mit Schriftsatz vom 8. April 2004 dem Antrag der Antragsgegnerin angeschlossen und Bescheinigungen der westfälischen Wilhelms-Universität vom 13. April 1983 und 17. Februar 1983 vorgelegt, aus denen sich die Teilnahme an einer Abschlussklausur im Fach €Wirtschaftswissenschaften für Juristen€ sowie einer €Arbeitsgemeinschaft im bürgerlichen Recht (Schuldrecht AT)€ ergeben. Die Gewährung von Sonderpunkten für den Antragsteller hält er für nicht gerechtfertigt.

Sämtliche Beteiligte haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 111 Abs. 1, 2 und 4 BNotO i. V. m. § 39 BRAO zulässig. Bei der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2004 handelt es sich um einen Verwaltungsakt auf dem Gebiet des Notarrechts gemäß § 3 Abs. 2 BNotO (vgl. BGH NJW 1994, S. 870). Der Antragsteller hat in seinem Schriftsatz vom 14. April 2004 auch hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er in seiner rechtlich geschützten Position beeinträchtigt wird.

Ebenso zulässig ist der gemäß § 111 Abs. 4 BNotO, 40 Abs. 4 BRAO, 24 Abs. 3 FGG statthafte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Begehrens in der Hauptsache besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 1991 - NotZ 27/90 -). Seit der Neuregelung des Verfahrens zur Bestellung von Anwaltsnotaren durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und der Rechtsanwälte vom 29. Januar 1991 (BGBl. I S. 51) ist nämlich der einstweilige Rechtsschutz grundsätzlich das einzige Mittel eines konkurrierenden Bewerbers, um seine Rechte auf gleichen Zugang zum öffentlichen Amt des Notars gerichtlich überprüfen zu lassen. In dem Fall der anderweitigen Besetzung der ausgeschriebenen Notarstelle ist einem etwa zu Unrecht übergangenen Mitbewerber die Klagemöglichkeit abgeschnitten, sodass für den Bewerber keine Möglichkeit besteht, außerhalb eines Ausschreibungsverfahrens seine Bestellung mit der Begründung durchzusetzen, die Justizverwaltung habe ihn zu Unrecht übergangen (vgl. BGH DNotZ 1996, 905 m. w. N.).

2. Der Antrag zur Hauptsache bleibt jedoch aus Rechtsgründen erfolglos, sodass auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Sache unbegründet ist. Die Ablehnung der Bestellung des Antragstellers zum Notar durch den angefochtenen Bescheid ist rechtmäßig und beeinträchtigt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 6 Abs. 3 BNotO richtet sich bei der hier vorliegenden Konkurrenzsituation mehrerer Bewerber die Reihenfolge bei der Auswahl nach der persönlichen und fachlichen Eignung unter Berücksichtigung der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung und den bei der Vorbereitung auf den Notarberuf bezeigten Leistungen. Dem trägt § 3 AVNot norminterpretierend für die konkrete Rechtsanwendung Rechnung, in dem vorgesehen ist, dass Notarbestellungen unter Berücksichtigung der persönlichen Eignung im Regelfall nach der Punktzahl vorgenommen werden, deren Ermittlungen nach Maßgabe der Einzelregelungen in § 3 Abs. 1 und 2 AVNot erfolgt. Die Ermittlungen der Antragsgegnerin sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.

a) Die Antragsgegnerin hat die Gesamtpunktzahl des weiteren Beteiligten W. mit 123,50 richtig berechnet. Aus den von Rechtsanwalt W. vorgelegten Bescheinigungen ergibt sich, dass er zeitgleich mit dem Studium der Katholischen Theologie - wie sich schon dem von ihm eingereichten Lebenslauf entnehmen lässt - bereits zum Wintersemester 1982/1983 das Studium der Rechtswissenschaft aufgenommen hat. Das vom Antragsteller problematisierte Bedürfnis nach einer besonderen Begründung der Kombination dieser beiden Studiengänge erkennt der Senat nicht.

Hinsichtlich der beurkundeten Niederschriften hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass sich insbesondere aus dem amtlichen Stempel in Höhe der Unterschriftzeile die Eigenschaft des Unterzeichnenden B. als Notar ergibt. Auf die €einzelnen Zeiträume€, deren exakte Bezeichnung der Antragsteller vermisst (S. 4 des Antragsschriftsatzes vom 11. März 2004), kommt es nicht an; wesentlich für die Bewertung mit einer Punktzahl ist die Anzahl der Niederschriften.

b) Zu Recht ist die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung des vom Antragsteller näher beschriebenen Tätigkeitsbereiches bei der Stadt C. davon ausgegangen, dass Zusatzpunkte hierfür nicht zu erteilen sind, sodass die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Notarstelle Rechtsanwalt W. zu übertragen, keinen rechtlichen Bedenken begegnet, da dieser mit 123,50 eine höhere Punktzahl als der Antragsteller mit 122,60 Punkten erreicht hat. Nach § 3 Abs. 2 AVNot €können in Ausnahmefällen bis zu 10 weitere Punkte hinzugerechnet werden, wenn zusätzliche Umstände, welche die Bewerberinnen und Bewerber für das Amt in ganz besonderer Weise qualifizieren, dies erfordern, um die fachliche Eignung zutreffend zu kennzeichnen.€ Die Annahme der Antragsgegnerin, dass beim Antragsteller jedenfalls solche in ganz besonderer Weise qualifizierenden Umstände nicht vorliegen, hält rechtlicher Überprüfung stand.

aa) Dem Antragsteller ist allerdings zuzugeben, dass die Entscheidung über die Gewährung von Sonderpunkten grundsätzlich bereits im Rahmen des laufenden Bewerbungsverfahrens zu erfolgen hatte, da insofern bereits hier für die Antragsgegnerin nach § 6 Abs. 3 BNotO, § 3 AVNot ein Ermessensspielraum eröffnet ist. Die entsprechenden Ermessenserwägungen unter Berücksichtigung des vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalts hat allerdings die Antragsgegnerin in zulässiger Weise während des vorliegenden Verfahrens nachgeholt, wie sich aus dem Inhalt ihres Schriftsatzes vom 22. März 2004 ergibt. Dies ist nämlich insofern nicht zu beanstanden, als sich aus den Bewerbungsunterlagen des Antragstellers lediglich der pauschale Hinweis auf die Tätigkeit bei der Stadt C. ergab, ohne dass der Antragsteller geltend gemacht hätte, dass er insofern von der Gewährung von Sonderpunkten ausgehe, und zudem auch keine derart spezifizierten Informationen vorlagen, die die Antragsgegnerin hätten veranlassen können, dazu eigene Ermittlungen (§ 64 a BNotO) anzustellen und sich so den Tätigkeitsbereich des Antragstellers näher erläutern zu lassen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin auch bei den vorangegangenen Bewerbungsverfahren in den Jahren 1996 und 2000 keinen Anlass für die Gewährung von Sonderpunkten gesehen hatte, ohne dass der Antragsteller gegen diese ihm aus der Übermittlung der Punktzahlen ersichtliche Entscheidung oder auch nur deren Begründung Einwendungen erhoben hätte. Die dagegen gerichtete Argumentation des Antragstellers im Schriftsatz vom 14. April 2004 (dort S. 3), dieses Verhalten erkläre sich daraus, dass er in den zurückliegenden Bewerbungsverfahren keine Chance gehabt hätte, auch mit 10 Zusatzpunkten eine Notarstelle zu erhalten, greift nicht durch. Denn der sich um ein Notaramt bewerbende Rechtsanwalt kann zum Zeitpunkt seiner Bewerbung noch nicht absehen, welche konkreten Punktzahlen mit Rücksicht auf die Ergebnisse der Mitbewerber erzielt werden müssen, um tatsächlich das Bewerbungsverfahren erfolgreich abschließen zu können. Es hätte daher - eine Aussichtslosigkeit der Bewerbung im Jahr 1996 auch unter Berücksichtigung von Sonderpunkten unterstellt - nahe gelegen, das der Antragsteller jedenfalls wenigstens bei dem zweiten Bewerbungsverfahren im Jahr 2000 bereits mit der Bewerbung deutlich macht, dass er Sonderpunkte für seine Tätigkeit bei der Stadt C. erstrebt. Soweit der Antragsteller sein Verhalten in den Jahren 1996 und 2000 mit noch nicht ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2003 (NotZ 1/03 und NotZ 2/03) motiviert, ist auch dies nicht schlüssig. Denn zum Zeitpunkt seiner Bewerbung um die ausgeschriebene Notarstelle, dem 29. September 2003, lagen diese Entscheidungen bereits vor. Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller im Übrigen in der Sache auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs NotZ 2/03. In jenem Verfahren hatte der Antragsteller in der Bewerbung auf seine Tätigkeit als zugelassener Rechtsanwalt im Rahmen des €Anwaltsprojekts II€ des Bundesministeriums für Justiz hingewiesen, die er bei einem Landkreis als gegen Entgelt fest angestellter Rechtsanwalt, also als Syndicusanwalt (§ 46 BRAO), ausgeübt hatte und die er € da er auch diesen Zeitraum als €Rechtsanwalts€-Zeit benannt hatte € ersichtlich bei der Notarbewerbung als anrechnungsfähig einbringen wollte. Letzteres war hier ohne weiteres indes gerade nicht erkennbar.

Die Antragsgegnerin hatte also zunächst keinen Anlass, in eine Prüfung der Vergabe von Zusatzpunkten einzutreten. Sie hat damit die Ermessenserwägungen - nachdem nunmehr aufgrund der Angaben des Antragstellers im Verfahren vor dem Senat ein konkreter Anlass bestand, ein Ermessen auszuüben - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nachgeholt. Durch diese Bewertung ergibt sich auch kein Widerspruch zur Behandlung von Ermessensfehlern nach Maßgabe verwaltungsverfahrensrechtlicher und verwaltungsprozessualer Vorschriften. Zwar war nach früher geltendem Recht nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens eine Heilung von Ermessens- und Beurteilungsmängeln der Ausgangsbehörde durch nachträgliche Sachverhaltsfeststellungen und fehlerfreie Ermessenserwägungen nicht mehr möglich. Aus der jetzt geltenden Fassung des § 114 S. 2 VwGO ergibt sich indes, dass eine Heilung der Entscheidung durch Korrektur bzw. Ergänzung einer fehlerhaften bzw. unvollständigen Ermessensentscheidung auch noch im Verwaltungsprozess möglich ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass vereinzelt - in rechtspolitischer Hinsicht - angenommen wird, diese Regelung sei verfehlt, weil durch sie die klare Trennung zwischen Verwaltungsprozess und Verwaltungsverfahren aufgegeben werde und die Gefahr einer prozesstaktisch motivierten Heilung von Ermessensentscheidungen bestehe (vgl. dazu etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., 2003, § 40 Rn. 68). Aufgrund dieser Überlegungen könnte man indes allenfalls in krassen Ausnahmefällen annehmen, dass ein wegen Ermessensnichtgebrauch fehlerhafter Verwaltungsakt nicht mehr während des Verwaltungsprozesses €geheilt€ werden könnte, wenn der Ausgangsbehörde ein besonderer Vorwurf beim Erlass des Verwaltungsakts zu machen wäre. Wie sich aus den obigen Überlegungen ergibt, hatte indes die Antragsgegnerin bei ihrer Auswahlentscheidung gerade keinen besonderen Anlass, aufgrund der Tätigkeit des Antragstellers bei der Stadt C. Ermessenserwägungen im Hinblick auf Sonderpunkte anzustellen. Die vom Antragsteller (S. 3 des Schriftsatzes vom 14. April 2004) geäußerte Einschätzung, die Tätigkeit im Rechtsamt der Stadt C. impliziere die besondere notarspezifische Erfahrung, teilt der Senat nicht.

bb) Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin bei der (nachgeholten) Entscheidung über die Frage, ob dem Antragsteller Sonderpunkte zu gewähren sind, die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten oder unzutreffende Kriterien angewandt hätte. Die Antragsgegnerin hat sich mit der Tätigkeitsbeschreibung des Antragstellers im Antragsschriftsatz vom 11. März 2004 auseinander gesetzt und eine Beziehung der einzelnen Aspekte des Aufgabenbereichs des Antragstellers bei der Stadt C. zu notarspezifischen Aufgaben bzw. Tätigkeiten hergestellt. Dabei hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass die Tätigkeiten des Antragstellers lediglich als €anwaltsspezifisch€ eingeordnet werden können, was indes im Hinblick auf die Gewährung von Sonderpunkten unerheblich ist. Der Antragsteller hat mehrfach auf seine Mitwirkung bei der Prozessführung für die Stadt C. hingewiesen. Dies macht insbesondere deutlich, dass er insofern als behördlicher Interessenvertreter tätig geworden ist. Ebenso wie dem Prozessvertreter der jeweiligen Gegenseite keine Sonderpunkte zu gewähren sind, es vielmehr bei der Berücksichtigung der Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit (als Rechtsanwalt) verbleibt, muss dies für den Antragsteller gelten. Dies betrifft etwa den vom Antragsteller geführten Prozess vor dem Landgericht Lüneburg und später dem Oberlandesgericht C. sowie dem Bundesgerichtshof, der die Sicherstellung der Kosten der Gegenseite eines Gerichtsverfahrens durch den Konkursverwalter zum Gegenstand hatte - § 204 KO - (S. 9 des Antragsschriftsatzes vom 11. März 2004) sowie das Verfahren vor dem Oberlandesgericht C. - 4 U 160/99 -, das die Nichtigkeit von Erschließungsverträgen betraf, wenn auf Gebühren verzichtet wird, und der schließlich vor dem Oberverwaltungsgericht ausgetragene Prozess über die Unwirksamkeit des Verzichts auf den Gemeindeanteil in einem Erschließungsvertrag durch den Erschließungsunternehmer (S. 11 des Schriftsatzes vom 11. März 2004).

Nichts anderes gilt für die anderen vom Antragsteller geschilderten Aufgaben, etwa die Standesamtsaufsicht, die Kenntnisse des Personenstandsrechts erfordert, ebenso wie die Betreuung des Erschließungs- und Ausbaubeitragsrechts. Zwar weist der Antragsteller insofern (S. 10 des Antragsschriftsatzes vom 11. März 2003) darauf hin, dass er mit Fragen des privaten Grundstücksrechts wie auch des Öffentlichen Baurechts (§§ 19, 30 ff. BauGB) betraut war. Damit sind Fragestellungen berührt, die ggf. auch Vorfragen notarieller Tätigkeit betreffen können. Indes gehören diese Fragen auch zum Kernbereich der beratenden Tätigkeit des Rechtsanwalts; ein €besonderer€ notarspezifischer Bezug € nur dieser rechtfertigt nach § 3 Abs. 2 AVNot die Zuerkennung von Sonderpunkten - ist nicht erkennbar. Insgesamt ist also eine besondere Qualifizierung des Antragstellers für die Notartätigkeit nicht zu erkennen, sodass keine Vergleichbarkeit mit den Fällen besteht, in denen die Antragsgegnerin bereits Sonderpunkte gewährt hat - also für die spezifische Notartätigkeit in Form von Urkundsgeschäften -, wie auch die vom Antragsteller selbst angeführte Tätigkeit beim Deutschen Notarinstitut in Würzburg.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 111 Abs. 4 S. 2 BNotO i. V. m. § 201 Abs. 1 BRAO.

Der Geschäftswert ist nach dem geschätzten Interesse des Antragstellers gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 BNotO i. V. m. § 202 Abs. 3 BRAO und § 30 Abs. 2 KostO festgesetzt worden.






OLG Celle:
Beschluss v. 22.04.2004
Az: Not 8/04


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