Landgericht Köln:
Urteil vom 30. Januar 2013
Aktenzeichen: 28 O 383/12
(LG Köln: Urteil v. 30.01.2013, Az.: 28 O 383/12)
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt,
a) an die Klägerin zu 1) EUR 200,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
b) an die Klägerin zu 2) EUR 1.800,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
c) an die Klägerin zu 3) EUR 1.000,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen zu gleichen Teilen einen Betrag in Höhe von EUR 1.780,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen je 3% und der Beklagte 88%.
5. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerinnen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch den Beklagten abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerinnen zählen zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern. Sie sind jeweils Inhaber von zahlreichen Leistungsschutz- und Urheberrechten an verschiedenen Musikstücken. In sog. Online-Tauschbörsen werden Musikstücke als MP3-Dateien von den jeweiligen Beteiligten zum Download angeboten. Auf diesem Weg kann jeder Nutzer der Tauschbörse Musikstücke von den Computern des Anbietenden herunterladen. Den Klägerinnen entstehen dadurch jährlich erhebliche Schäden.
Die Klägerinnen haben daher die Firma B GmbH mit der Ermittlung solcher Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Diese ermittelte, dass am 09.12.2007 um 20:18:07 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse "...#" zugewiesen war, mittels der Tauschbörsensoftware Bear Share insgesamt 471 Audiodateien zum Download verfügbar gemacht wurden.
Die Klägerinnen stellten daraufhin am 10.12.2007 Strafanzeige gegen Unbekannt. Nach der im Ermittlungsverfahren eingeholten Auskunft der A Internet AG als zuständigem Internet-Service-Provider war die vorgenannte IP-Adresse zum streitgegenständlichen Zeitpunkt dem Internetanschluss der Beklagten zugewiesen. Daraufhin mahnten die Klägerinnen den Beklagten durch Schreiben ihrer jetzigen Prozeßbevollmächtigten vom 05.05.2008 ab und forderten ihn auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Dies geschah nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Klägerinnen nunmehr Ansprüche auf Schadensersatz sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die Klägerinnen beantragen,
1. den Beklagten zu verurteilen,
a) an die Klägerin zu 1) EUR 200,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
b) an die Klägerin zu 2) EUR 1.800,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
c) an die Klägerin zu 3) EUR 1.000,00, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerinnen zu gleichen Teilen einen Betrag in Höhe von EUR 2.380,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er zunächst ausgeführt, dass es in seinem Haushalt lediglich einen einzigen Computer gegeben habe, der per W-Lan mit dem Router verbunden gewesen sei. Der Computer, auf dem nur ein einziges Benutzerkonto eingerichtet gewesen sei, sei durch ein nur dem Beklagten bekanntes Passwort gesichert gewesen und keinem Dritten zur Verfügung gestellt worden. Der Router sei WEP-verschlüsselt und mit einem achtstelligen Passwort gesichert gewesen. Ein Filesharing-Programm sei auf dem PC nicht installiert oder sonstwie genutzt worden; die streitgegenständlichen Musikdateien habe er weder auf dem PC gespeichert noch über das Internet zum Download verfügbar gemacht. Der Höhe nach sei der Schadensersatzanspruch übersetzt und Abmahnkosten seien bereits deshalb nicht geschuldet, weil die Abmahnung unbrauchbar sei; jedenfalls sei der Streitwert überhöht.
Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2012 erklärte der Beklagte sodann, dass er eine seinerzeit 14-jährige Tochter habe, die über einen eigenen PC verfügte und zwischenzeitlich eingestanden habe, dass es möglich sei, dass sie Filesharing betrieben habe. Die Tochter aber sei im Vorfeld des streitgegenständlichen Vorfalls über die Rechte und Pflichten desjenigen, der sich im Internet bewegt, in Hinblick auf die gesetzlichen Verbote und das geistige Eigentum belehrt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2012 verwiesen.
Gründe
Die Klage ist bis auf einen Teil der eingeklagten Abmahnkosten begründet.
1. Der Schadensersatzanspruch folgt aus §§ 97, 19a, 15, 2 UrhG. Der Beklagte hat schuldhaft das Recht der Klägerinnen zur öffentlichen Zugänglichmachung der Musikwerke verletzt.
a) Die Klägerinnen sind als Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Musiktitel, bei denen es sich um geschützte Werke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG bzw. um Musikstücke, an denen Leistungsschutzrechte gemäß §§ 73, 85 UrhG bestehen, handelt, aktivlegitimiert. Die jeweilige Berechtigung der Klägerin an den 15 streitgegenständlichen Musikstücken hat der Beklagte nicht bestritten.
b) Diese Rechte der Klägerinnen hat der Beklagte verletzt.
Zwar trifft grundsätzlich die Klägerinnen die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete Rechtsverletzung durch den Beklagten. Nach den Grundsätzen der Entscheidung BGH v. 12.05.2010, I ZR 121/08 - Sommer unseres Lebens (GRUR 2010, 633ff) besteht jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür, daß diejenige Person, der die IP-Adresse zugeordnet war, von welcher aus die Rechtsverletzung begangen wurde, auch für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Die Klägerinnen haben den Vermutungstatbestand dargetan und dem Beklagten ist es nicht gelungen, die tatsächliche Vermutung zu widerlegen. Er ist daher als aktiver Täter anzusehen.
aa) Die tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlußinhabers, die dessen sekundäre Darlegungslast begründet, setzt voraus, daß feststeht, daß das geschützte Werk von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt der Beklagten zugeordnet war. Dies ist zur Überzeugung der Kammer vorliegend der Fall. Die Klägerinnen haben dargelegt, dass durch die B GmbH ermittelt worden ist, dass am 09.12.2007 um 20:18:07 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse "...#" zugewiesen war, mittels der Tauschbörsensoftware Bear Share insgesamt 471 Audiodateien zum Download verfügbar gemacht wurden. Diese IP-Adresse ist durch den zuständigen Internetserviceprovider dem Beklagten zugeordnet worden. Nachdem dieser zunächst noch bestritten hat, dass die Rechtsverletzung über seinen Internetanschluss erfolgt sei, hat er im Termin zur mündlichen Verhandlung unter Verweis auf seine Tochter bekunden lassen, dass dies doch durchaus möglich sei.
bb) Demnach ist davon auszugehen, daß die Rechtsverletzung von dem Internetanschluss des Beklagten aus erfolgte. Nach der Entscheidung BGH I ZR 121/08 v. 12.05.2010 - Sommer unseres Lebens - besteht die tatsächliche Vermutung dafür, daß diejenige Person, der die IP-Adresse zugeordnet war, von welcher aus die Rechtsverletzung begangen wurde, auch für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Diese Vermutung kann der Anschlußinhaber nur entkräften, indem er im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast Umstände dartut und nötigenfalls auch beweist, die einen abweichenden Geschehensablauf nahelegen.
Dies hat der Kläger zunächst nicht getan. Er hat sich lediglich auf das Bestreiten der eigenen Täterschaft beschränkt und darauf verwiesen, dass es in dem Haushalt nur einen Computer gegeben habe, den keinem Dritten überlassen worden sei. Dies ist nicht geeignet, die Vermutung der Täterschaft zu entkräften. Erstmals in der mündlichen Verhandlung hat sich der Beklagte dann dahingehend eingelassen, dass er eine Tochter habe, die zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt gewesen sei. Diese habe über einen eigenen Computer verfügt und zwischenzeitlich eingeräumt, dass es möglich sei, dass Filesharing von ihr betrieben worden sei. Dieser Vortrag wäre zwar grundsätzlich geeignet, die Vermutung der Täterschaft zu erschüttern. Er ist aber aus verschiedenen Gründen bei der Entscheidungsfindung nicht zu berücksichtigen. Dabei kann die Kammer offenlassen, ob der Vortrag schon wegen seiner Widersprüchlichkeit wegen Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) unbeachtlich ist; denn die Klägerinnen haben den Vortrag einschließlich des Umstandes der Existenz einer Tochter bestritten. Gerade diese Möglichkeit der Tatbegehung durch die Tochter aber begründet den atypischen Geschehensablauf, der die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Klägers entkräften könnte. Beweisbelastet für die Umstände, die einen atypischen Geschehensablauf begründen, ist der Beklagte. Einen solchen Beweis aber hat er nicht angetreten. Zudem wäre einem solchen Beweisantritt auch nicht mehr nachzugehen gewesen, da er verspätet erfolgt wäre (§ 296 ZPO). Die Erledigung des Rechtsstreits würde sich durch die Klärung des erstmals in der mündlichen Verhandlung unterbreiteten, vom bisherigen Vortrag vollständig abweichenden, neuen Vortrag verzögern.
c) Diese Rechtsverletzung erfolgte auch schuldhaft. Dem Beklagten musste klar sein, dass er nicht berechtigt war, die streitgegenständlichen Musiktitel zum Download verfügbar zu machen.
d) Der Anspruch besteht auch der Höhe nach. Die Klägerinnen berechnen ihren Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der Lizenzanalogie; sie verlangen die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr. Für diese Art der Schadensberechnung ist der Eintritt eines konkreten Schadens nicht erforderlich. Der Verletzer hat vielmehr dasjenige zu zahlen, was vernünftige Parteien bei Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der Umstände des konkreten Einzelfalles als angemessene Lizenzgebühr vereinbart hätten (vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 2008, § 97 Rn. 61). Anhaltspunkt für die Bemessung der Höhe der angemessenen Lizenzgebühr kann ein branchenüblicher Tarif sein. Existiert kein unmittelbar anwendbarer Tarif, so ist von derjenigen Vergütung auszugehen, die nach Art und Umfang der Verwertung am nächsten liegt. Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen erscheint eine Lizenzgebühr von 200,00 EUR pro Musikdatei angemessen, § 287 ZPO. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des OLG Köln (vgl. OLG Köln, 6 U 67/11, Urteil vom 23.03.2012).
2. Den Klägerinnen steht darüber hinaus zu gleichen Teilen ein Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der Abmahnung vom 05.05.2008 nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 683, 670, 677 BGB zu. Der Höhe nach besteht dieser Anspruch indes nur in Höhe von EUR 1.780,20. Die weitergehende Klage war abzuweisen.
a) Die Abmahnung war dem Grunde nach berechtigt. Gegen den Beklagten bestand aus den o.g. Gründen der mit der Abmahnung verfolgte Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG, so dass die Abmahnung, die im Übrigen im Interesse des Beklagten an einer möglichst geringen Kostenbelastung lag, durch diesen veranlasst war. Die Abmahnung war auch ausreichend bestimmt: aus der Abmahnung konnte der Beklagte den Vorwurf erkennen und sein Verhalten danach einrichten. Damit war die Abmahnung geeignet, ihr Ziel zu erreichen, einen kostenintensiven Rechsstreit zu vermeiden. Dies rechtfertigt es, dass der Beklagte, der in seinem Interesse vor Durchführung des Prozesses auf die Rechtsverletzung hingewiesen wurde mit der Erläuterung, wie ein gerichtliches Verfahren verhindert werden kann, auch die Kosten der vorgerichtlichen Abmahnung trägt.
b) Der Höhe nach besteht der Anspruch in dem tenorierten Umfang. Die Klägerinnen können zu gleichen Teilen die Erstattung einer Geschäftsgebühr gemäß 2300 VV RVG nach einem Faktor von 1,3 aus einem Gegenstandswert von EUR 100.000,00 zuzüglich EUR 20,00 Auslagenpauschale verlangen, mithin EUR 1.780,20. Angesichts der in Streit stehenden Gesamtzahl von 471 Audiodateien erscheint der Ansatz eines über EUR 100.000,00 hinausgehenden Gegenstandswert unangemessen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Streitwert: 5.380,80 Euro.
LG Köln:
Urteil v. 30.01.2013
Az: 28 O 383/12
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