Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 9. Juni 2011
Aktenzeichen: 7 U 127/09

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 09.06.2011, Az.: 7 U 127/09)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29. Mai 2009verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Kammer fürHandelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 3 € 14O 81/05) unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweiseabgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.556.459,40€ zuzüglich Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten überdem Basiszinssatz seit dem 28.01.2002 zu zahlen, Zug um Zug gegenTeilabtretung der Ansprüche der Klägerin aus den Darlehensverträgenvom 15.12.1998 (€Dreimonatsgeld€) und vom 02.04.1999(€Darlehensvereinbarung€) gegen die A GmbH, ab19.04.2000 unter der Firma B GmbH, in Höhe der zugesprochenenHauptforderung und der zugesprochenen Zinsen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann dieVollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% desaufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofernnicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von115% des jeweils zur Vollstreckung gelangenden Betragesleistet.

Gründe

I.

Die Klägerin und ihre Muttergesellschaft hatten bei der Beklagten eine D&O-Versicherung mit Innenverhältnisdeckung genommen. Mit der Klage macht die Klägerin als Geschädigte und Versicherungsnehmerin einen Direktanspruch geltend.

Versicherungsnehmerin bei der Beklagten war zunächst die C AG (kurz: C) unter der Police Nr. € vom 05.11.1997 (Bl. 53 f. d. A.; kurz: C-Police).

Die Herren € D (kurz: D jun.) und € D (kurz: D sen.) hielten zusammen 70% der Aktien der C. Die C hielt ihrerseits bis zum November 1998 sämtliche Aktien der Klägerin, die damals noch als F € AG firmierte (kurz: F). Nach dem Börsengang der F im November 1998 hielt die C noch rund 62% der Aktien der F.

Unter der Police Nr. € vom 29.03.2000 bestand sodann rückwirkend ab dem 01.01.1999 auch eine D&O-Versicherung der F bei der Beklagten (Bl. 61 f. d.A.; kurz: F-Police). Die C- wie die F-Police boten Versicherungsschutz für gegenwärtige, frühere oder zukünftige Mitglieder der Organe der jeweiligen Versicherungsnehmerin und ihrer Tochterunternehmen, auch als Innenverhältnisdeckung. In der C-Police betrug die Versicherungssumme zunächst 3 Millionen DM, in der F-Police von Beginn an 5 Millionen DM. Die C-Police sah ursprünglich einen Selbstbehalt von 10.000 DM in der Innenverhältnisdeckung vor, die F-Police nicht. Im Nachtrag 01 zur C-Police vom 29.03.2000 (Bl. 59 d.A.) wurde festgehalten, dass mit Wirkung vom 01.01.1999 die Deckungssumme 5 Millionen DM beträgt und der Selbstbehalt entfällt. Weiter gelten die F und deren Tochterunternehmen ab dem 01.01.1999 als vom Versicherungsschutz unter der C-Police ausgeschlossen. Bei Serienschäden sollte eine gleichzeitige Deckung unter beiden Policen ausgeschlossen sein und ein Deckungsschutz unter der F-Police Vorrang haben. Entsprechendes wurde auch in den Besonderen Bedingungen der F-Police niedergelegt.

Im Gegensatz zur F-Police enthielten die Besonderen Bedingungen der C-Police die folgende sog. €D-Klausel€ (Bl. 58 d.A.):

€Versicherungsumfang

Für die Herren € D und € D bieten wir aufgrund ihres ca. 70%-igen Anteils an der Gesellschaft keine Innenverhältnisdeckung an, sondern decken diese nur gegen die Ansprüche Dritter. Sofern es weitere Geschäftsführer bei der Gesellschaft gibt, besteht für diese jedoch Innenverhältnisdeckung, d.h. Ansprüche der Versicherungsnehmerin gegen die mitversicherten Personen sind im Deckungsumfang enthalten, sofern diese in eigener Ressortverantwortung gehandelt haben und nicht auf Veranlassung oder Weisung der Herren oder deren Billigung.€

Vater und Sohn waren darüber hinaus die Gesellschafter der A GmbH (kurz: A), die ab dem 19.04.2000 als B GmbH (kurz: B) firmierte. Die Anteile der Herren wurden nach außen durch einen Treuhänder gehalten. Geschäftsführer der A war bis zum 19.04.2000 Herr X.

Herr D jun. war zudem jedenfalls im Dezember 1998 alleiniger Geschäftsführer der € (kurz: Bank1) und hielt am Stammkapital der Bank von rund 9,4 Millionen DM einen Anteil von rund 6,7 Millionen DM. Ob darüber hinaus die A einen Anteil von gut 9% an der Bank hielt, ist streitig. Die Bank1 hielt ein Depot von Aktien der G-AG, eines IT-Unternehmens, dessen Aufsichtsrat u.a. Herr D jun. angehörte und die zuletzt in H AG umfirmierte. Über das Vermögen der H AG wurde am 16.05.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Bank1 wurde am 20.02.2000 wegen Insolvenz aufgelöst.

Die Herren als eigentliche Gesellschafter der A fassten am 15.12.1998 einen Treugeberbeschluss, wonach die A von der Bank1 Inhaberaktien der G-AG im Wert von rund 7,2 Millionen DM erwerben sollte. Der Erwerb sollte über ein Darlehen mit einem Zinssatz bis zu 7,5% und einer Laufzeit bis zum 01.04.2004 finanziert werden. Mit Vertrag vom 15.12.1998 gewährte die F der A ein Darlehen in Höhe von ca. 7,3 Millionen DM zu einem Zinssatz von 6% p.a. mit einer Laufzeit bis zum 15.03.1999. Für die F wurde der Darlehensvertrag von den damaligen Vorständen D jun. und I unterzeichnet. Dem Aufsichtsrat der F gehörte im Dezember 1998 u.a. noch Herr J an. Auf Anweisung der F, auch insoweit vertreten durch die Herren I und D jun., vom 16.12.1998 überwies die Hausbank der F noch am 16.12.1998 7,3 Millionen DM an die A. Diese erwarb am 17.12.1998 G-Aktien für rund 7,22 Millionen DM von der Bank1.

Zum 15.03.1999 zahlte die A die Darlehensvaluta und die darauf fälligen Zinsen nicht. Sie und die F, diese vertreten durch die Vorstandsmitglieder I und J, schlossen eine Darlehensvereinbarung, der zufolge die F der A die alte Darlehenssumme von 7,3 Millionen DM zuzüglich aufgelaufener Zinsen in Höhe von 109.500 DM als neues Darlehen in Höhe von gut 7,4 Millionen DM zu einem Zinssatz von 7,5% p.a. mit einer Laufzeit bis zum 01.04.2004 ausreichte. Die A verkaufte G-Aktien in zwei Tranchen zu je 3,0 Millionen DM am 22.04.1999 und am 20.05.1999 zurück an die Bank1. Der Erlös wurde auf ein Konto von Herrn D jun. transferiert. Nachdem die B (vormals A) die am 02.04.2000 fälligen Darlehenszinsen nicht an die F zahlte, setzte diese eine Zahlungsfrist bis zum 09.06.2000 und erklärte für den Fall eines Ausbleibens der Zahlung die Kündigung des Darlehens. Die B leistete keine Zahlung. Der Insolvenzantrag über ihr Vermögen wurde mit Beschluss vom 26.11.2001 mangels Masse abgewiesen.

Die F suchte bei der Beklagten mit Schreiben vom 18.01.2001 um Deckungsschutz nach, ebenso Herr I mit Schreiben vom 05.02.2001 und Herr J mit Schreiben vom 06.02.2001. Mit Schreiben vom 22.01.2002, welches der Klägerin am 24.01.2002 und Herrn J am 28.01.2002 zugegangen ist, lehnte die Beklagte in Reaktion auf alle drei genannten Schadensmeldungen das Erbringen von Versicherungsschutz ab und erteilte zugleich eine Belehrung nach § 12 Abs. 3 VVG a.F.

Im Jahr 2001 nahm die Klägerin die Herren sen. und jun., I und J wegen der Darlehensgewährung an die A auf Schadensersatz in Anspruch. Im Haftpflichtprozess ist das Verfahren gegen den zwischenzeitlich verstorbenen Herrn D sen. abgetrennt worden. Jedenfalls im Übrigen ist der Haftpflichtprozess rechtskräftig abgeschlossen. Das Landgericht München I (5HK O 22448/01) hat die Herren D jun., I und J als Gesamtschuldner zur Zahlung von 3.596.200,63 € nebst Zinsen ab dem 01.01.2000 verurteilt, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin aus den Darlehensverträgen vom 15.12.1998 und vom 02.04.1999 gegen die B - vormals A - (Urteil des LG München I Bl. 276- 295 Rs d.A.). Auf einen Hinweis des Oberlandesgerichts München im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO hin (7 U 3859/07; Bl. 296-307 d.A.) haben die Klägerin und Herr I ihre Berufungen gegen das Urteil des Landgerichts München I zurückgenommen.

Die Berufungen der Herren D jun. und J hat das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 07.08.2008 zurückgewiesen (Bl. 308-317 d.A.). Während des Laufs des Haftpflichtprozesses hat Herr J die Beklagte auf Gewährung von Abwehr-Deckungsschutz für den Haftpflichtprozess in Anspruch genommen und in erster Instanz weitgehend obsiegt (LG Frankfurt a.M. 2/14 O 207/02). Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat der Senat zurückgewiesen (OLG Frankfurt a.M. 7 U 96/04). Mit Vereinbarung vom 13.01.2009 hat Herr I seine Deckungsansprüche gegen die Beklagte aus beiden Policen an die Klägerin abgetreten (Bl. 468 d.A.).

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie als Versicherungsnehmerin wie auch Geschädigte die Beklagte unmittelbar in Anspruch nehmen könne. Hierfür hat sie sich auf §§ 75 Abs. 2, 76 Abs. 1 VVG a.F., berufen und hat unter Bezugnahme auf ein Urteil des OLG München (VersR 2005, 540 ff.) geltend gemacht, dass nach einer rechtskräftigen Feststellung des Haftpflichtanspruchs das Wahlrecht des Versicherers erloschen sei und die Anspruchsberechtigung des Geschädigten feststehe, weshalb dann ein Direktanspruch nicht ausgeschlossen sei. Weiter hat sich die Klägerin zur Begründung ihrer Aktivlegitimation auf ein Schreiben der C an sie vom 17.05.2002 gestützt, aus dem sich ihrer Auffassung nach eine Abtretung von Deckungsansprüchen der C an sie ergeben soll. Darin heißt es (Bl. 69 d.A.):

€(...) hiermit treten wir alle Rechte aus dem oben aufgeführten Versicherungsvertrag (lies: C-Police) auf Schadenersatz gegenüber der Gesellschaft und/oder Organen der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften an K ab.

K wird bevollmächtigt, auch prozessual eventuelle Forderungen gegen den Versicherer geltend zu machen.

Zur Umsetzung überlassen wir Ihnen den Original-Versicherungsvertrag sowie den Nachtrag Nr. 01 der oben genannten Versicherung bis auf Weiteres.€

Schließlich hat die Klägerin erklärt, aus abgetretenem Recht des mitversicherten Herrn I vorzugehen. Sie hat ihren Anspruch primär auf die F-Police und in zweiter Linie € begrenzt auf die geringere Versicherungssumme von 1.533.875,60 € - auf die C-Police gestützt, dabei jedoch nicht nur Verstöße der Herren I und J als Vorstandsmitglieder am 02.04.1999, sondern auch Verstöße der Herren I und jun. als Vorstandsmitglieder am 15.12.1998 sowie Verstöße des Herrn J als Aufsichtsratsmitglied vor dem 15.12.1998 geltend gemacht. Zur Zahlungspflicht der Beklagten dem Grunde nach hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die -Klausel nur für die Innendeckung von Ansprüchen der C gelte, nicht aber von Ansprüchen der Tochterunternehmen. Dies ergebe sich daraus, dass in der Klausel nur von €der€ Gesellschaft im Singular die Rede sei und dass der für den Ausschluss angegebene sachliche Grund, die 70%ige Beteiligung der Herren, nur die C betreffe. Im Übrigen bedeute die bloße Unterzeichnung des Vertrags vom 15.12.1998 durch Herrn D jun. nicht schon die Billigung des Verhaltens des Vorstandsmitglieds I durch Herrn D jun. Weiter hat die Klägerin darauf abgestellt, dass im Haftpflichtprozess ein Pflichtverstoß des damaligen Aufsichtsratsmitglieds J im Vorfeld des 15.12.1998 nicht geprüft worden sei, weshalb das Haftpflichturteil insoweit keine Bindungswirkung entfalte. Herr J sei nach §§ 111 Abs. 1, 116, 93 AktG verpflichtet gewesen, die Auskehrung des nicht besicherten Darlehens zu verhindern. Soweit im Haftpflichturteil die Schadensersatzpflicht des Vorstandsmitglieds I nicht aus dessen Mitwirkung bei der Darlehensvergabe vom 02.04.1999 hergeleitet werde, entfalte das Urteil ebenfalls keine Bindungswirkung, weil ein entsprechender Pflichtverstoß im Haftpflichtprozess nicht geprüft worden sei. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Herren jun., I und J weder vorsätzlich noch wissentlich, sondern fahrlässig gehandelt hätten. Sie hat insoweit eine Bindungswirkung des Haftpflichturteils angenommen. Gegen die von der Beklagten eingewendete Leistungsfreiheit unter der F-Police nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. hat die Klägerin angeführt, dass Herr D jun. beim Abschluss dieses Vertrags keine positive Kenntnis von einer bereits eingetretenen Schädigung des Vermögens der Klägerin gehabt habe.

Die Klägerin hat letztlich unbestritten vorgetragen, dass die Herren J und I keine Kenntnis von der Vermögenslage der A und von der Notwendigkeit einer Besicherung eines Darlehens gehabt hätten. Sie hätten die Zahlung an die A vom 16.12.1998 nicht als Darlehensgewährung, sondern als konzerninterne Kapitaleinlage angesehen. Im April 1999 habe Herr I Herrn J bedeutet, dass mit dem Darlehensvertrag alles in Ordnung gehe und das Geld bereits geflossen sei. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte, die ein Handeln des Versicherten I auf Weisung von Herrn D jun. behauptet hat, haben sich auf das Protokoll der Vernehmung des Herrn I durch das Landgericht Frankfurt a.M. im Deckungsprozess des Herrn J gegen die Beklagte bezogen (Bl. 453-455. d.A.), wo Herr I den Ablauf und Kenntnisstand so geschildert hat, wie von der Klägerin vorgetragen.

Zur Höhe ihres Anspruchs hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass ein Selbstbehalt nicht abzuziehen sei. Die F-Police habe von vorneherein keinen Selbstbehalt vorgesehen. In der C-Police sei der Selbstbehalt nachträglich weggefallen. Soweit die AVB vorsähen, dass aufgewendete Abwehrkosten auf die Versicherungssumme anzurechnen seien, seien sie unwirksam. Die betreffenden Klauseln seien intransparent und widersprächen dem gesetzlichen Leitbild des § 150 Abs. 1 VVG a.F.

Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hatte,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen des Versicherungsvertrags Nr. € (F-Police) Versicherungsschutz wegen des Schadens zu gewähren den die Klägerin aufgrund folgenden Ereignisses erlitten hat:

Unterlassene Rückforderung des am 16.12.1998 von der Klägerin an die A ausbezahlten unbesicherten Darlehens gemäß Vertrag vom 02.04.1999 mit einer Laufzeit bis zum 01.04.2004, zu vertreten von D jun., I und J, sämtlich ehemalige Mitglieder des Vorstandes der Klägerin;

hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen des Versicherungsvertrags Nr. € (C-Police) Versicherungsschutz wegen des Schadens zu gewähren, den die Klägerin aufgrund folgender Ereignisse erlitten hat:

a) Gewährung eines unbesicherten Darlehens in Höhe von 7,3 Mio. DM gemäß Vertrag vom 15.12.1998 mit Auszahlung der Darlehenssumme am 16.12.1998 an die A, durch D und I, beide ehemalige Mitglieder des Vorstandes der Klägerin;

b) pflichtwidriges Nichteinschreiten gegen a) trotz Kenntnis, zu vertreten von J als ehemaligem Aufsichtsrat der Klägerin;

hat die Klägerin nach rechtskräftigem Abschluss des Haftpflichtprozesses beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.556.459,40 € zuzüglich 8% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24.01.2002 zu zahlen;

hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen des Versicherungsvertrags Nr. € (F-Police) Versicherungsschutz wegen des Schadens zu gewähren den die Klägerin aufgrund folgenden Ereignisses erlitten hat:

Unterlassene Rückforderung des am 16.12.1998 von der Klägerin an die A GmbH, ausbezahlten unbesicherten Darlehens gemäß Vertrag vom 02.04.1999 mit einer Laufzeit bis zum 01.04.2004, zu vertreten von D, I und J, sämtlich ehemalige Mitglieder des Vorstandes der Klägerin;

höchst hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen des Versicherungsvertrags Nr. € (C-Police) Versicherungsschutz wegen des Schadens zu gewähren, den die Klägerin aufgrund folgender Ereignisse erlitten hat:

a) Gewährung eines unbesicherten Darlehens in Höhe von 7,3 Mio. DM gemäß Vertrag vom 15.12.1998 mit Auszahlung der Darlehenssumme am 16.12.1998 an die A GmbH, durch D und I, beide ehemalige Mitglieder des Vorstandes der Klägerin;

b) pflichtwidriges Nichteinschreiten gegen a) trotz Kenntnis, zu vertreten von J als ehemaligem Aufsichtsrat der Klägerin.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin nicht aktiv legitimiert sei. Deckungsansprüche könnten nur von den Versicherten geltend gemacht werden. Die Voraussetzungen eines Vorgehens in Prozessstandschaft habe die Klägerin nicht dargetan. Darüber hinaus hat sich die Beklagte auf ein Abtretungsverbot in den AHB berufen und daraus hergeleitet, dass die Klägerin nicht aus übergegangenem Recht der C oder des Versicherten I aktiv legitimiert sei. Weiter hat die Beklagte darauf abgestellt, dass hinsichtlich der Darlehensvereinbarung vom 15.12.1998 die D-Klausel eingreife und deshalb kein Versicherungsschutz unter der C-Police bestehe. Eine Pflichtverletzung des Herrn J in seiner Eigenschaft als damaliger Aufsichtsrat sei im Haftpflichtprozess nicht festgestellt worden. Daran sei das Gericht im Deckungsprozess gebunden. Bezüglich der Darlehensvereinbarung vom 02.04.1999 hat sich die Beklagte nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. für leistungsfrei gehalten und geltend gemacht, die Klägerin habe beim Abschluss der F-Police in der Person ihres Vorstandsmitglieds D jun. Kenntnis von dem durch diesen begangenen Verstoß gehabt. Darüber hinaus hat sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen berufen. Sie hat behauptet, Abwehrkosten in Höhe von 125.454,27 € aufgewendet zu haben.

Dem entsprechend verringere sich die Leistungsgrenze. Darüber hinaus müsse sich die Klägerin, sofern überhaupt ein Anspruch aus der C-Police bestehe, den dort vereinbarten Selbstbehalt anrechnen lassen. Dieser sei nach Nr. 2 des Nachtrags für bis zum 10.01.2000 bekannt gewordene Verstöße nicht weggefallen.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Versicherungsschutz für die Verstöße der Herren D jun. und I vom 15.12.1988 wegen des Eingreifens der D-Klausel ausgeschlossen sei. Zwar sei € insoweit ergänzend zum Haftpflichtprozess € ein Pflichtverstoß des damaligen Aufsichtsratsmitglieds J im Vorfeld des 15.12.1998 festzustellen. Doch habe diese Pflichtverletzung noch nicht zu einem Schaden der Klägerin geführt. Nach den Ausführungen des OLG München im Haftpflichtprozess sei die A am Ende der Laufzeit des ersten Darlehens noch zahlungsfähig gewesen. Unter der F-Police bestehe keine Deckung, weil die Beklagte nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. leistungsfrei sei. Herr D jun. als Vorstand habe beim Vertragsschluss am 29.03.2000 Kenntnis davon gehabt, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten gewesen sei.

Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass die Parteien beim Abschluss der F-Police § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. stillschweigend abbedungen hätten, da nur eine Fortschreibung bzw. Umschreibung eines bei der Beklagten schon bestehenden Versicherungsschutzes gewollt gewesen sei. Im Übrigen sei der bedingungsgemäße Versicherungsfall, nämlich die Inanspruchnahme der Herren D jun., I und J, am 29.03.2000 noch nicht eingetreten gewesen. Schließlich sei Herr D jun. schon im November 1999 aus dem Vorstand ausgeschieden, so dass er am 29.03.2000 der Klägerin keine Kenntnis von einem Verstoß habe vermitteln können. Hinsichtlich der Auslegung der D-Klausel wiederholt die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus, dass Deckungsschutz für einen Verstoß eines anderen Organmitgliedes nur dann ausgeschlossen sei, wenn dessen Handeln durch beide Herren D gebilligt werde. Eine Billigung der Darlehensvergabe vom 16.12.1998 durch Herrn D sen. sei jedoch nicht dargetan.

Weiter stellt die Klägerin darauf ab, dass der Pflichtverstoß des Herrn J als Aufsichtsratsmitglied einen Schaden verursacht habe, weil die verletzte Pflicht dahin gegangen sei, schon die erste Darlehensvergabe gänzlich zu verhindern. Die Klägerin meint, dass die C-Police auch den Schadensfall vom 02.04.1999 decke. Am Schadenstag habe Versicherungsschutz unter der C-Police bestanden. Dieser habe den Versicherten nicht mit dem Nachtrag vom 29.03.2000 rückwirkend entzogen werden können. Zur Begründung des Zinsanspruchs führt die Klägerin zuletzt aus, dass die Beklagte aufgrund der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung in ihrem Schreiben an Herrn I vom 22.01.2002 gemäß § 150 Abs. 2 Satz 3 VVG a.F. verpflichtet gewesen sei, Herrn I über die vereinbarte Versicherungssumme hinaus von jenen Zinsforderungen freizustellen, denen Herr I aufgrund der Leistungsverweigerung der Beklagten ausgesetzt gewesen sei. Auch dieser Freistellungsanspruch sei von der von Herrn I erklärten Abtretung an die Klägerin umfasst.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.556.459,40 € zuzüglich Zinsen hierauf in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz seit dem 24.01.2002 zu zahlen;

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.556.459,40 € zuzüglich Zinsen hierauf in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz seit dem 24.01.2002 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin aus den Darlehensverträgen vom 15.12.1998 (€Dreimonatsgeld€) und vom 02.04.1999 (€Darlehensvereinbarung€) gegen die A GmbH, ab 19.04.2000 unter der Firma B GmbH.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, dass der Vortrag der Klägerin zum stillschweigenden Abbedingen des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. neu und nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sei. Darüber hinaus hält die Beklagte daran fest, dass die Definition des Versicherungsfalls in den AVB nicht auf § 2 VVG a.F. übertragbar sei. Im Rahmen des § 2 VVG a.F. sei vielmehr auf den Verstoß als Versicherungsfall abzustellen. Aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse erschließe sich ohne weiteres, dass den AVB nicht die Bereitschaft des Versicherers entnommen werden könne, bei Vertragsschluss bereits vorhandene Schäden zu versichern. Weiter macht die Beklagte geltend, dass, soweit die Klägerin nun auch Ansprüche wegen des Darlehensvertrags vom 02.04.1999 aus der C-Police herleiten wolle, ein neuer Streitgegenstand und damit eine unzulässige Klageänderung vorliege. Im Übrigen wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird ergänzend auf die Berufungsbegründung vom 12.08.2009 (Bl. 562-585 d.A.) und auf die klägerischen Schriftsätze vom 26.10.2009 (Bl. 651-662 d.A.) und vom 21.04.2011 (Bl. 682-684 d.A.), auf die Berufungserwiderung vom 23.09.2009 (Bl. 614-638 d.A.) und den Schriftsatz der Beklagten vom 18.05.2011 (Bl. 686-695 d.A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 13.04.2011 (Bl. 677/678 d.A.) Bezug genommen. Die Akten des Haftpflichtprozesses (5HK O 22448/01 LG München I / 7 U 3859/07 OLG München) sowie des Deckungsprozesses J ./. AIG (2/14 O 207/02 LG Frankfurt a.M. / 7 U 96/04 OLG Frankfurt a.M.) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat weitgehend Erfolg. Die Zulässigkeit des erstmals im zweiten Rechtszug angebrachten Berufungs-Hilfsantrags ist nicht in Zweifel zu ziehen, weil er sich gegenüber dem letzten Klage-Hauptantrag und dem damit identischen Berufungs-Hauptantrag lediglich als Minus darstellt. Auch wenn die Klägerin den Berufungs-Hilfsantrag nicht gestellt hätte, hätte der Senat, wie geschehen, aus noch darzulegenden Gründen auf eine Zug-um-Zug-Verurteilung erkennen müssen. Jedenfalls aus übergegangenem Recht ihres früheren Vorstandsmitglieds I in Verbindung mit ihrem Haftpflichtanspruch gegen Herrn I sowie nach § 76 VVG a.F. in Verbindung mit ihrem rechtskräftig festgestellten Haftpflichtanspruch gegen Herrn J steht der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung der Versicherungssumme der F-Police zu.

Die Klägerin ist für einen Direktanspruch bereits dadurch aktiv legitimiert, dass sich ihr Haftpflichtanspruch gegen Herrn I und die an sie abgetretenen Deckungsansprüche des Herrn I in ihrer Hand vereinigt haben. Es ist allgemein anerkannt, dass sich der Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers in der Haftpflichtversicherung mit der bestandskräftigen Klärung der Haftpflichtfrage zu einem Freistellungsanspruch konkretisiert und dass er sich dann, wenn der Geschädigte auch Inhaber dieses Freistellungsanspruchs wird, in einen Zahlungsanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer umwandelt (Prölss/Lücke, VVG, 28. Aufl. § 18 Rn 8 m. weit. Nachw.). Daran ändert sich nichts dadurch, dass, wie im vorliegenden Fall, der Geschädigte auch Versicherungsnehmer ist. Die Klägerin ist - nach rechtskräftiger Klärung ihrer Haftpflichtansprüche gegen Herrn I - kraft Abtretung auch Inhaberin eines Freistellungsanspruchs des Herrn I gegen die Beklagte in Höhe des vom Landgericht München I ausgeurteilten Betrages nebst Zinsen geworden. Für eine Unwirksamkeit der Abtretung, wie sie die Beklagte geltend macht, ist nichts ersichtlich. Die AVB enthalten kein Abtretungsverbot. Eine Einbeziehung der AHB in die Versicherungsverträge, aus der sich ein Abtretungsverbot ergeben könnte, ist nicht hinreichend dargetan.

Der Klägerin steht ein die Versicherungssumme aus der F-Police übersteigender Haftpflichtanspruch gegen Herrn I wegen der Darlehensgewährung vom 02.04.1999 zu. Zwar hat das Landgericht München I in dem im Haftpflichtprozess ergangenen Urteil eine Pflichtverletzung des Versicherten I am 02.04.1999 nicht festgestellt. Doch entfaltet das Urteil im Haftpflichtprozess insoweit keine negative Bindungswirkung, weil das Landgericht München I nach der Bejahung einer Pflichtverletzung des Versicherten I am 15.12.1998 keinen Anlass hatte, eine weitere Pflichtverletzung zu prüfen. Indessen beinhaltet das Urteil des Landgerichts München I die Feststellung einer Ersatzpflicht des früheren Vorstandsmitglieds J der Klägerin in einer die Versicherungssumme aus der F-Police übersteigenden Höhe wegen der Vergabe eines nicht besicherten Darlehens am 02.04.1999. Auf der Grundlage dieser Feststellung muss auch eine Ersatzpflicht des früheren Vorstandsmitglieds I in gleicher Höhe angenommen werden, weil Anhaltspunkte für eine bezüglich des Herrn I abweichende Beurteilung nicht ersichtlich sind. Das Landgericht München I hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass das Darlehen vom 02.04.1999 ohne hinreichende Besicherung ausgekehrt wurde, und hat in rechtlicher Hinsicht darauf abgestellt, dass die damaligen Vorstandsmitglieder damit ihre Pflichten verletzt haben und der Klägerin für den dadurch entstandenen - im vorliegenden Deckungsprozess unstreitigen - Schaden mithin nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haften. All dies gilt nicht nur für - insoweit im Haftpflichtprozess festgestellt - Herrn J, sondern gleichermaßen für Herrn I.

Darüber hinaus steht der Klägerin ein Direktanspruch gegen die Beklagte in Höhe der Versicherungssumme aus der F-Police auch aus § 76 VVG a.F. in Verbindung mit dem ihr rechtskräftig zugesprochenen Haftpflichtanspruch gegen Herrn J wegen dessen Pflichtverletzung vom 02.04.1999 zu. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass die durch einen Versicherten geschädigte Versicherungsnehmerin der D & O-Versicherung mit Innenverhältnisdeckung grundsätzlich nach § 76 VVG a.F. einen Direktanspruch gegen den Versicherer erheben kann (OLG München VersR 2005, 540, 541; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2006 - I-4 U 6/06 -, zit. nach juris. Rn 20; LG München I VersR 2005, 543, 544; LG Wiesbaden VersR 2005, 545; im Ausgangspunkt, nicht aber zur vorliegenden Sachverhaltskonstellation im Ergebnis abweichend LG Marburg DB 2005, 437 f. Rn 30 f. in juris; Säcker VersR 2005, 10 u. 11; Koch GmbHR 2004, 18, 23 und WM 2007, 2173, 2176). Dem folgt der Senat, weil die frühere gesetzliche Regelung schwerlich anders verstanden werden kann. Soweit, von diesem Ausgangspunkt ausgehend, die Möglichkeit einer unmittelbaren Inanspruchnahme des Versicherers dennoch verneint wird, wird dies entweder damit begründet, dass durch die im konkreten Fall anwendbaren AVB § 76 VVG a.F. abbedungen worden ist (LG München I, a.a.O.; LG Wiesbaden, a.a.O.), oder damit, dass bis zur rechtskräftigen Klärung der Haftpflichtfrage das Trennungsprinzip durchzuhalten sei (OLG München, a.a.O.; OLG Köln VersR 2008, 765 ff. Rn 82 in juris; Koch GmbHR 2004, 18, 24 und WM 2007, 2173, 2177). Der erstgenannte Ausnahmefall ist nicht gegeben, weil in den AVB der F-Police § 76 VVG a.F. nicht abbedungen worden ist. Ob das Trennungsprinzip die letztgenannte Ausnahme gebietet, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil der Haftpflichtprozess gegen das frühere Vorstandsmitglied J rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Klägerin ist nach allem in Bezug auf den Pflichtenverstoß des Herrn J vom 02.04.1999 über § 76 VVG a.F. aktiv legitimiert. Zwar hat Herr J als versicherte Person die Beklagte mit Erfolg auf Abwehr-Deckungsschutz in Anspruch genommen. Jedoch ist weder dargetan worden noch sonst ersichtlich, dass er von der Beklagten eine Freistellung von dem Haftpflichtanspruch der Klägerin erhalten hätte. Daher hat die Beklagte den nun von der Klägerin mit erhobenen Freistellungsanspruch noch nicht erfüllt.

Eine Leistungspflicht der Beklagten für die genannten Verstöße vom 02.04.1999 ist nicht nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. ausgeschlossen. Einer Anwendbarkeit des § 2 VVG a.F. auf die F-Police steht bereits der Umstand entgegen, dass für alle unter der F-Police rückwirkend vom 01.01.1999 bis zum 28.03.2000 bei der Beklagten versicherten Personen und Verstöße in eben diesem Zeitraum bereits unter der C-Police Versicherungsschutz bei der Beklagten bestanden hatte. Durch die F-Police wurde mithin für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 28.03.2000 nicht rückwirkend erstmals Versicherungsschutz durch die Beklagte gewährt.

Im Übrigen war der Versicherungsfall i.S. der Nr. I. 1. der AVB der F-Police (Bl. 63-66 d.A.) am 29.03.2000 noch nicht eingetreten. Nach dieser Klausel stellt erst die Inanspruchnahme wegen eines Verstoßes, nicht aber schon der Verstoß selbst, den Versicherungsfall dar. Eine Inanspruchnahme versicherter Personen war am 29.03.2000 unstreitig noch nicht erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann vorliegend bei der Anwendung des § 2 VVG a.F. kein von den AVB abweichender Begriff des Versicherungsfalls zugrunde gelegt werden. Denn das VVG a.F. hat den Versicherungsfall in der D&O-Versicherung nicht definiert. Daher können ausschließlich die AVB maßgeblich sein. Die von der Beklagten gestellten AVB enthalten nur eine einheitliche und keine gespaltene Definition des Versicherungsfalls. Nur diese Definition kann auch für § 2 VVG a.F. gelten.

Hätte die Beklagte den Versicherungsfall für den Anwendungsbereich des § 2 VVG a.F. anders, als in Nr. I. 1. der F-AVB geschehen, definieren wollen, hätte ihr dies in den Grenzen des nach dem AGBG a.F. Zulässigen frei gestanden. Von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht zu haben, muss sich die Beklagte selbst zuschreiben. Für unklar und daher nicht überzeugend hält der Senat die von der Beklagten in Bezug genommene Auffassung von Ihlas (D&O, 2. Aufl. 2009, S. 381), wonach die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. maßgebliche Kenntnis des Versicherungsnehmers sich €auf den Verstoß bzw. die Anspruchserhebung€ (Hervorhebung nicht im Original) beziehen müsse. Das letzte Vorbringen der Beklagten zur Leistungsfreiheit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. ist unschlüssig. Für die Auslegung der Nr. I. 1. der AVB der F-Police stellt die Beklagte - im Ausgangspunkt zutreffend - auf die Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ab. Indessen unterstellt sie eine Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Regelungsgehalt des § 2 Abs. 2 VVG a.F. und damit versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse (Seite 4, 3. Abs. des Schriftsatzes vom 18.05.2011, Bl. 689 d.A.).

Die Beklagte ist nicht nach Nr. III.2. der AVB der F-Police leistungsfrei wegen vorsätzlich begangener Verstöße vom 02.04.1999 der Versicherten I und J. Im Haftpflichturteil sind derartige vorsätzliche Pflichtverletzungen nicht positiv festgestellt worden. Insoweit entfaltet das Haftpflichturteil jedoch keine Bindungswirkung, weil es an der Voraussetzungsidentität fehlt. Das Landgericht München I hat in seinem Urteil festgehalten, dass Fahrlässigkeit für eine Haftungsbegründung ausreicht, und hat näher ausgeführt, dass die im Urteil behandelten Pflichtverletzungen jedenfalls fahrlässig erfolgt sind (S. 21 ff. des Urteils, Bl. 289 ff, d.A.). Zwar hat sich das Landgericht München I in zwei Hinweisbeschlüssen auch mit der Vorsatzfrage befasst und ausgeführt, dass die Annahme einer vorsätzlichen Schädigung der Klägerin durch die Beklagten J und I völlig fern liege (Beschluss vom 03.04.2003, vor Bl. 373 d.A. des Haftpflichtprozesses) bzw. dass erhebliche Zweifel an einem Vorsatz der dortigen Beklagten bestünden (Beschluss vom 11.01.2007, Bl. 743 d.A. des Haftpflichtprozesses). Doch ergingen diese Hinweise im Rahmen von Bemühungen um eine gütliche Einigung, ohne dass sie für die Sachentscheidung erheblich gewesen wären.

Die AVB der F-Police enthalten einen Ausschluss für vorsätzliche Verstöße und nicht lediglich, wie in Bedingungswerken der D & O-Versicherung gebräuchlich, für wissentliche Verstöße. Der Ausdruck €Vorsatz€ hat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte die Bedeutung, die ihm in der Rechtssprache allgemein beigelegt wird, und umfasst daher auch den bedingten Vorsatz. Wie bei jeder Haftpflichtversicherung ergibt auch bei der D & O-Versicherung eine an den Interessen der Vertragsparteien orientierte Auslegung des Versicherungsvertrags, dass der zur Leistungsfreiheit des Versicherers führende Vorsatz des Versicherungsnehmers bzw. des Versicherten bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls auch die haftungsausfüllende Kausalität umfassen muss. Allerdings führt insoweit, wie gerade ausgeführt, im vorliegenden Fall bereits bedingter Vorsatz der Versicherten zur Leistungsfreiheit der Beklagten. Nach diesem Maßstab lässt sich nicht feststellen, dass die Herren I und J es am 02.04.1999 für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass die A das ihr gewährte Darlehen nicht werde zurückzahlen können. Hierzu hätte es näherer Kenntnisse des Versicherten von der wirtschaftlichen Situation der A bedurft, die nicht dargetan worden sind. Insoweit hat die Klägerin unbestritten vorgetragen, dass die Herren I und J am 02.04.1999 noch davon ausgingen, dass die Klägerin eine Kapitaleinlage bei der A im Vorfeld einer Eingliederung der A in den C-Konzern erbringe. Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass die Versicherten am 02.04.1999 eine Schädigung der Klägerin für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätten.

Nach allem steht der Klägerin wegen der Pflichtenverstöße der Versicherten I und J vom 02.04.1999 ein Anspruch in Höhe von 2.556.459,40 € aus der F-Police zu. Der Anspruch besteht in dieser Höhe, weil die von der Beklagten aufgewendeten Abwehrkosten nicht von der Versicherungssumme in Abzug zu bringen sind. Daher kann auch die streitige Höhe der Abwehrkosten dahingestellt bleiben.

Die Klausel Nr. II. 5. der AVB der F-Police, wonach in der Versicherungssumme u.a. Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten enthalten sind, ist intransparent und daher nach § 9 Abs. 1 AGBG bzw. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Der zitierten Aufzählung kann der Versicherungsnehmer bereits nicht entnehmen, in welchen Zusammenhängen die anzurechnenden Kosten entstehen können, ob beispielsweise auch in rechtlichen Auseinandersetzungen des Versicherers mit dem Versicherungsnehmer oder mit Versicherten. Darüber hinaus vermag der Versicherungsnehmer die Höhe der anzurechnenden Kosten nicht abzuschätzen. Wollte er Versicherungsleistungen einklagen, müsste er sich daher einem unnötigen Kostenrisiko aussetzen. Darüber hinaus widerspricht eine Anrechnung derjenigen Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, die der Versicherer selbst veranlasst hat, auf die Versicherungssumme dem Leitbild des § 150 Abs. 2 VVG a.F. Auch insoweit liegt eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmerin vor, so dass die Klausel zudem nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG bzw. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Diesbezüglich folgt der Senat der Auffassung von Säcker (VersR 2005, 10, 14).

Der zugesprochene Zinsanspruch ist nach §§ 398 BGB bzw. 76 Abs. 1 VVG a.F. i. V. mit § 150 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher der Senat folgt, hat der Versicherer jedenfalls dann den Versicherungsnehmer bzw. den Versicherten zu einer Verzögerung der Befriedigung des Geschädigten veranlasst, wenn er mit der Erfüllung seiner Freistellungsverpflichtung in Verzug geraten ist (BGH VersR 1992, 1257 f. Rn 9 in juris). Mit ihrem Schreiben vom 22.01.2002 hat die Beklagte das Erbringen von Versicherungsschutz ernsthaft und endgültig abgelehnt und sich dadurch bezüglich jeglicher Versicherungsleistung, auch der Freistellung von berechtigten Ansprüchen, selbst in Verzug gesetzt. Zusätzlich zu der Versicherungssumme aus der F-Police hat die Beklagte daher jene Zinsen auf diesen Betrag, welche die Versicherten I und J in der Zeit ab dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 22.01.2002 an die Klägerin zahlen müssen, an die Klägerin zu entrichten. Das an Herrn J gerichtete Schreiben der Beklagten ist ihm am 28.01.2002 zugegangen (Bl. 121 d.A. 2-14 O 207/02 LG Frankfurt a.M.). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das an Herrn I gerichtete Schreiben vor dem 28.01.2002 zugegangen ist. Zwar ist das an die Klägerin gerichtete Schreiben der Beklagten vom 22.01.2002 der Klägerin am 24.01.2002 zugegangen. Auch wäre analog § 270 Satz 2 ZPO zu vermuten, dass das an Herrn I gerichtete Schreiben ihm am 24.01.2002 zugegangen ist. Wenngleich § 270 Satz 2 ZPO unmittelbar lediglich den Zugang gerichtlicher Schriftstücke betrifft, liegt der Bestimmung doch ein allgemeiner Erfahrungswert über den Postverkehr zugrunde, so dass sie in anderen Zusammenhängen analog angewendet werden kann (Senat; Beschl. v. 10.07.2009 - 7 U 257/09 - Rn 27 in juris). Indessen wird diese Vermutung durch den späteren Zugang des Schreibens gleichen Datums bei Herrn J erschüttert.

Der Höhe nach ist der Zinsanspruch auf jenen Zinssatz beschränkt, den das Landgericht München I im Haftpflichtprozess für den fraglichen Zeitraum ausgeurteilt hat; dies sind 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Sofern die Beklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt mit der Erfüllung eines Direktanspruchs der Klägerin dieser gegenüber im Verzug befunden haben sollte, ergäbe sich daraus kein höherer Zinsanspruch. Die Höhe des Verzugszinses würde sich nicht nach § 288 Abs. 2 BGB bestimmen, weil der Klägerin keine Entgeltforderung zusteht. Ob ein Verzug der Beklagten vorliegt, kann nach allem dahingestellt bleiben.

Gemäß § 255 BGB kann die Verurteilung der Beklagten nur Zug um Zug gegen die Abtretung der der Klägerin zustehenden Darlehensrückzahlungsansprüche gegen die B erfolgen. Da im Haftpflichtprozess eine Zug-um-Zug-Verurteilung ausgesprochen worden ist, kann die Beklagte die infolge einer Zahlung an die Klägerin nach § 67 VVG a.F. auf sie übergehenden Haftpflichtansprüche ihrerseits nur Zug um Zug gegen die Abtretung der Darlehensrückzahlungsansprüche gegen die B realisieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 09.06.2011
Az: 7 U 127/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/403ca21e1ed0/OLG-Frankfurt-am-Main_Urteil_vom_9-Juni-2011_Az_7-U-127-09




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