Amtsgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 15. August 2008
Aktenzeichen: 934 OWI 7411 Js 233764/07
(AG Frankfurt am Main: Beschluss v. 15.08.2008, Az.: 934 OWI 7411 Js 233764/07)
Tenor
In dem Bußgeldverfahren gegen .... wegen ....
wird die Betroffene freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Das Gericht konnte gemäß § 72 OWiG im Beschlussverfahren entscheiden, da sowohl die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt/Main als auch die Betroffene einer solchen Verfahrensweise zugestimmt haben.
Der Betroffenen wurde mit Bußgeldbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 15.05.2007 vorgeworfen, entgegen der Verpflichtung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. es leichtfertig unterlassen zu haben, das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft aus dem Unternehmen zum 31.12.2005 unverzüglich zu veröffentlichen.
Am 28.07.2005 um 10.32 Uhr veröffentlichte die Betroffene gemäß § 15 Abs. 1 Satz WpHG a.F., dass der Aufsichtsrat der Gesellschaft an diesem Tag das Ausscheiden des Vorsitzenden des Vorstandes, Herrn Prof. J Sc, zum 31.12.2005 sowie die Bestellung des Herrn Dr. D Z zum Vorsitzenden des Vorstandes zum 01.01.2006 beschlossen hatte. Zuvor um 10.02 Uhr teilte die Betroffene die zu veröffentlichende Information gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 WpHG der BaFin mit. Nach Auffassung der BaFin waren jedoch verfahrensmaßgebliche Insiderinformationen über das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden der Betroffenen aus dem Unternehmen spätestens am 10.07.2005 so weit konkretisiert, dass sie hinreichende Grundlage für eine Einschätzung über den zukünftigen Verlauf des Börsen- und Marktpreises der oben genannten Insiderpapiere bilden konnten. Bereits am 10.07.2005 arbeiteten Herr H. S., Leiter XXXXX , die Ehefrau von Prof. Sc und Frau B., die XXXXX des Vorstandsvorsitzenden, an Entwürfen für eine Pressemitteilung, einem externen Statement, einem Mitarbeiterbrief sowie Briefe für Bekannte, in welchen das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandvorsitzenden zum Ende des Jahres 2005 mitgeteilt werden sollte. Dieser Arbeit an den Entwürfen für entsprechende Mitteilung nach außen ging am 17.05.2005 ein Gespräch zwischen Prof. Sc und Herrn K, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates sowie des Präsidialausschusses, voraus. In diesen Gesprächen teilte Herr Prof. Sc mit, dass er noch vor Ablauf seines bis ins Jahre 2008 reichende Bestellung aus dem Vorstand der D C AG ausscheiden zu wollen. Am 01.06.2005 eröffnete Herr K und Prof. Sc diese Absicht auch den Herren W. und L., die zum Tatzeitpunkt Mitglieder des Aufsichtsrates waren. Herr Dr. Z wurde von Prof. Sc am 15.06.2005, Frau B. die XXXXX des Vorstandsvorsitzenden, wurde am 06.07.2005 von diesen Überlegungen informiert. Hinsichtlich des weiteren Geschehensablaufs wird auf den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde Bl. 4 ff. d.A. Bezug genommen.
Gegen den Bußgeldbescheid vom 15.05.2007 hat die Betroffene fristgerecht Einspruch eingelegt und ihrerseits die Auffassung vertreten, dass ein objektiv pflichtwidriges Verhalten nicht vorwerfbar sei, da vor der Aufsichtsratsitzung am 28.07.2005 keine Insiderinformationen vorgelegen habe. Die Insiderinformation zum einvernehmlichen vorzeitigen Ausscheiden von Herrn Prof. Sc sei erst mit der Entscheidung des Aufsichtsrates am 28.07.2005 entstanden und damit rechtzeitig veröffentlicht worden. Des Weiteren könne den Verantwortlichen der Betroffenen auch kein subjektiv pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden. Weder Prof. Sc noch anderen Personen könne vorgeworfen werden leichtfertig gehandelt zu haben. Nach Ansicht der beteiligten Personen habe eine Veröffentlichungspflicht vor Beschlussfassung des Aufsichtsrates am 28.07.2005 nicht bestanden. Eine Verletzung der gebotenen Sorgfalt in grobem Maße sei daher nicht gegeben. Jedenfalls hätten die beteiligten Personen davon ausgehen dürfen, dass die Voraussetzungen einer Selbstbefreiung gemäß § 15 Abs. 3 WpHG vorgelegen hätten. Schließlich beruft sich die Betroffene auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum und auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.02.2007 und des Bundesgerichtshofes vom 25.02.2008.
Zeitgleich zum Bußgeldverfahren gegen die Betroffene hatten Kapitaleigner der Betroffenen Schadenersatzklagen nach § 37 b Abs.1 WpHG wegen verspäteter Ad-hoc-Mittelungen über das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Prof. Sc beim Landgericht Stuttgart erhoben. Im Rahmen dieser Schaden-ersatzklagen verkündete das Landgericht Stuttgart am 03.07.2006 (Aktenzeichen 21 O 408/05) einen Vorlagebeschluss, wonach dem Oberlandesgericht Stuttgart das Verfahren zur Herbeiführung eines Musterentscheides gemäß § 14 Abs.1 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vorgelegt wurde. Mit Beschluss vom 15.02.2007 stellte das Oberlandesgericht Stuttgart (Aktenzeichen II 2 B 9/07) fest, dass durch Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Herrn Prof. Sc eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst am 28.07.2005 entstanden und diese Information unverzüglich veröffentlicht worden sei. Aufgrund der Rechtsbeschwerde des Musterklägers wurde der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.02.2007 durch den Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.02.2008 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Der Bundesgerichtshof hat allerdings unabhängig von der Zurückverweisung wegen eines Verfahrensfehlers die Rechtsausführungen des Oberlandesgerichts Stuttgart bestätigt. Der Bundesgerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass die Würdigung des Oberlandesgerichts Stuttgart, wonach vor der Entscheidung des Aufsichtsrates nicht hinreichend wahrscheinlich war, dass dieser die einvernehmliche Aufhebung mit Nachfolgeregelung mittragen würde, beruhe nicht auf einer zu engen Sicht des Merkmals der "hinreichenden Wahrscheinlichkeit". Die vom Oberlandesgericht Stuttgart getroffene tatrichterliche Feststellung, das erst mit dem Beschluss des Aufsichtrates am 28.07.2005 eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben war, da vor der Aufsichtsratsitzung bei der notwendigen Ex-ante-Prognose offen war, ob die vom Aufsichtsratvorsitzenden K vorgeschlagene Lösung gebilligt würde oder nicht, sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass die Vorbereitung der Entscheidung des Aufsichtsrates professionell gewesen sei, impliziere nicht zwingend, dass im Vorfeld bereits eine Vorabentscheidung erfolgt wäre.
Die Betroffene ist vom Vorwurf, leichtfertig Insiderinformationen nicht rechtzeitig veröffentlich zu haben, freizusprechen.
Eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 39 Abs. 2 Nr. 5 lit. a) WpHG, 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. setzt voraus, dass der Emittent von Finanzinstrumenten, der zum Handel an einem inländischen organisierten Markt zugelassen ist, Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, zumindest leichtfertig nicht, nicht richtig bzw. nicht rechtzeitig veröffentlicht. Eine Definition des Begriffes Insiderinformation ist in § 13 WpHG zu finden. Danach ist eine Insiderinformation eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf den Emittenten beziehen und geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Als Umstände gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden.
Kernpunkt der Auseinandersetzung ist die Auslegung des Begriffes "hinreichende Wahrscheinlichkeit". Weder der Gesetzeswortlaut des § 13 Abs.1 WpHG selbst noch die Durchführungsrichtlinie 2003/124 EG der Kommission vom 22.12.2003 machen zur Auslegung des Begriffes weitere Ausführungen. Auch in der Begründung des Regierungsentwurfes des Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes findet sich keine klare Definition. Bei dem Emittentenleitfaden der BaFin handelt es sich lediglich um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschriften.
Die Bafin vertritt die Auffassung, dass das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden der Betroffenen als verfahrensmaßgebliche Insiderinformation spätestens am 10.07.2005 (Verfassen von Entwürfen für Pressemitteilungen etc. durch Herrn S., Frau Sc und Frau B.) so sehr konkretisiert gewesen sei, dass diese Umstände hinreichende Grundlage für eine Einschätzung über den zukünftigen Verlauf des Börsen- und Marktpreises bilden konnte. Demzufolge hätte unverzüglich eine Veröffentlichung erfolgen müssen.
Demgegenüber vertritt die Betroffene die Rechtsauffassung, daß die Betroffene vor der Aufsichtsratsitzung am 28.07.2005 nicht verpflichtet gewesen sei, das freiwillige Ausscheiden von Prof. Sc zu veröffentlichen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 13 Abs.1 WpHG sei erst am 28.07.2005 eingetreten, da die einvernehmliche Beendigung des Organverhältnisses gemäß § 103 AktG den Beschluss des Gesamtaufsichtsrates voraussetze.
Die Auffassung der Betroffenen wird gestützt durch die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 15.02.2006. Zwar wurde die Entscheidung zwischenzeitlich vom Bundesgerichtshof wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und zurückgewiesen. Im Rahmen eines obiter dictum hat der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes aber die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes Stuttgart zur Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit bestätigt. In dem Klageverfahren der Kapitaleigener machen diese Schadenersatzansprüche nach § 37 b WpHG geltend. Der Anspruch auf Schadenersatz setzt ein Unterlassen des Emittenten voraus, eine Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen. Die Definition der Insiderinformation in § 13 Abs.1 WpHG und die Auslegung des Begriffes "hinreichende Wahrscheinlichkeit" betrifft demzufolge sowohl das Bußgeldverfahren als auch die Schadenersatzklage.
Während jedoch im Rechtsstreit wegen der Schadenersatzforderung zwischen den Parteien streitig ist, ob von einer einseitigen Amtsniederlegung von Prof. Sc auszugehen ist oder aber von einem einvernehmlichen Ausscheiden im Rahmen des Aufsichtsratbeschlusses vom 28.05.2005, besteht zwischen den Prozessbeteiligten im Bußgeldverfahren Übereinstimmung darüber, dass eine einvernehmliche Lösung über das Ausscheiden von Prof. Sc und eine entsprechenden Nachfolgeregelung bei der Betroffenen beabsichtigt war. Die Beweisaufnahme im Zivilverfahren ist daher für das Bußgeldverfahren ohne Relevanz.
Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart und die Bestätigung durch den Bundesgerichtshof hat in der Literatur nicht nur Zustimmung hervorgerufen (vgl. Prof. Dr. Thomas Möllers in NZG 2008, 220 ff; Prof. Dr. Holger Fleischer in NZG 2007, 401 ff).
Erhebliche Zweifel erscheinen dem Amtsgericht Frankfurt am Main im Hinblick auf den Ablauf der Aufsichtsratssitzung vom 28.07.2005 auch angezeigt. Laut Aufsichtsratsprotokoll vom 18.07.2005 (Beiakte zur Bußgeldakte Band I Blatt 243 ff.) dauerte die Sitzung von 9.10 bis 12.30 Uhr. Es wurden neun Tagesordnungspunkte behandelt. Im Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt Nr. 2 "Berichte aus den Aufsichtsratsausschüssen und Vorstandsangelegenheiten" erfolgte ohne weitere Diskussion der Beschluss über die Zustimmung zum vorzeitigen Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Prof. Sc aus dem Vorstand zum 31.12.2005 und Bestellung von Herrn Dr. Z zum 01.01.2006 zum Nachfolger. Ein Zeitfenster von 30 bis 40 Minuten für eine so weitreichende Entscheidung, wie das Ausscheiden eines langjährigen Vorstandsvorsitzenden mit der gleichzeitigen Regelung der Nachfolge, nährt die Vermutung, dass es sich hierbei lediglich noch um den formellen Beschluss einer bereits im Vorfeld getroffenen Entscheidung handeln könnte.
Einer dezidierter Prüfung eines objektiven Sorgfaltspflichtverletzung der Betroffenen bedarf es aber letztlich nicht und auch die Frage eines subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes kann dahingestellt bleiben, da auf Grund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gemäß § 11 Abs.2 OWiG die Schuld der Betroffenen ausgeschlossen ist.
Zum Tatzeitpunkt gab es keine verbindliche Auslegung des Begriffes "hinreichende Wahrscheinlichkeit" im Sinne des § 13 Abs.1 S. 3 WpHG. Dies zeigt anschaulich der Vorlagebeschluss des Landgerichtes Stuttgart, mit welchem ungeklärte Rechtsfragen dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt wurden. Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtslage wäre die Betroffene grundsätzlich verpflichtet gewesen, kompetente Rechtsauskünfte einzuholen. Genügt sie dieser Erkundigungspflicht nicht, so hat das Gericht festzustellen, ob eine pflichtgemäße Erkundigung zu einer richtigen Auskunft und zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Eine Erkundigung beim Oberlandesgericht Stuttgart und dem 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hätte die Betroffene in ihrer Rechtsauffassung jedenfalls bestätigt, dass erst mit dem Aufsichtsratsbeschluss vom 28.07.2005 eine Insiderinformation i.S.v. § 13 WpHG vorgelegen habe und somit erst ab diesem Zeitpunkt eine Veröffentlichungspflicht bestand. Bei dieser Sachlage war der Verbotsirrtum bei der Betroffenen unvermeidbar und sie vom Schuldvorwurf freizusprechen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 OWiG.
AG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 15.08.2008
Az: 934 OWI 7411 Js 233764/07
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