Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 5. September 1985
Aktenzeichen: 11 TI 722/85
(Hessischer VGH: Beschluss v. 05.09.1985, Az.: 11 TI 722/85)
Gründe
Die Beschwerde, mit der sich die Beklagte gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 28. März wendet, in welchem das Verwaltungsgericht die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 19. Dezember 1984 zurückgewiesen hat, ist zulässig. Sie hat auch zum Teil Erfolg, weil in diesem Kostenfestsetzungsbeschluß für den Bevollmächtigten des Klägers und Berufungsbeklagten zu Unrecht eine volle Prozeßgebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO festgesetzt wurde. Dem Bevollmächtigten des Klägers und Berufungsbeklagten stand vielmehr gemäß § 32 Abs. 1 BRAGO lediglich eine halbe Prozeßgebühr zu.
Nach der vorgenannten Rechtsvorschrift enthält ein Rechtsanwalt nur eine halbe Prozeßgebühr, wenn der Auftrag endet, bevor er die Klage, den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, eingereicht oder bevor er für seine Partei einen Termin wahrgenommen hat. Obgleich diese Regelung somit von ihrem Wortlaut her nicht auf den Rechtsanwalt eines Berufungsbeklagten zugeschnitten ist, bestehen nach Auffassung des Senats keine Bedenken, sie wegen der Gleichheit der Interessenlage entsprechend auf diesen Fall anzuwenden (ebenso Bundesgerichtshof, Beschluß vom 13. Oktober 1969 - III ZR 186/66 - NJW 197o S. 997 mit weiteren Nachweisen).
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der vom Kläger und Berufungsbeklagten mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Berufungsverfahren beauftragte Rechtsanwalt, nachdem die Beklagte und Berufungsklägerin am 24. August 1984 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 10. Mai 1984 Berufung eingelegt hatte, in der Zeit bis zur Rücknahme des Rechtsmittels keinen als Sachantrag im Sinne des § 32 Abs. 1 BRAGO zu wertenden Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt. Er hat sich vielmehr bis zur Rücknahme der Berufung überhaupt nicht schriftsätzlich geäußert, so daß ihm die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lediglich eine halbe Prozeßgebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO hätte zusprechen dürfen.
Die weitergehende Beschwerde der Beklagten, mit der diese geltend macht, dem Bevollmächtigten des Klägers und Berufungsbeklagten stehe eine Prozeßgebühr überhaupt nicht zu, weil sie ihre Berufung lediglich "zur Fristwahrung" eingelegt habe, muß indes erfolglos bleiben.
Zwar wird in der Rechtsprechung der Zivilgerichte verschiedentlich die Auffassung vertreten, der Berufungsbeklagte sei nicht berechtigt, sogleich einen Anwalt für die Berufungsinstanz zu beauftragen, wenn das Rechtsmittel ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt werde (vgl. z.B. OLG Köln, Beschluß vom 28. Dezember 1976 - 17 W 19o/79 - MDR 198o S. 94o7; weitere Nachweise bei Göttlich/Mümmler, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl. S. 28o), doch kann dies - wenn überhaupt - nur für solche Fälle gelten, in denen die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Berufungsbeklagten offensichtlich unnötig, nutzlos und objektiv nur dazu angetan war, dem Gegner Kosten zu verursachen.
Beklagten lag für den Kläger und Berufungsbeklagten keineswegs die Annahme nahe, die Beklagte werde das Rechtsmittel später zurücknehmen. Vielmehr konnte er den Hinweis auf die zunächst beabsichtigte Fristwahrung auch so verstehen, daß die Beklagte vorerst davon absehen wolle, ihr Rechtsmittel ausführlicher zu begründen. Von dem Kläger und Berufungsbeklagten konnte daher nicht erwartet werden, daß er von einer Beauftragung eines Rechtsanwaltes für das Berufungsverfahren vorerst absah; vielmehr stand es ihm frei, nach Zustellung der Berufungsschrift einen Rechtsanwalt zu beauftragen und diesem damit die Möglichkeit zu geben, sich ebenso lang und ausführlich in die Rechtsmaterie einzuarbeiten, wie dies der Beklagten aufgrund der von ihr erbetenen Begründungsfrist möglich war (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 22. Februar 198o - 2o W 598/79 - MDR 198o S. 94o7). Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Beklagte ausdrücklich erklärt hätte, sie behalte sich die Rücknahme der Berufung vor und bitte den Kläger daher von einer Beauftragung eines Rechtsanwalts vorerst abzusehen, mag dahinstehen, da eine solche Erklärung jedenfalls vorliegend nicht abgegeben wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwert für das Beschwerdeverfahren folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 13, 14 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).
Dr. Teufel Pieper Lohmann
Hessischer VGH:
Beschluss v. 05.09.1985
Az: 11 TI 722/85
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