Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. September 2006
Aktenzeichen: 9 W (pat) 400/03

(BPatG: Beschluss v. 18.09.2006, Az.: 9 W (pat) 400/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Streitpatent 197 58 292 ist am 31. Dezember 1997 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der nationalen Voranmeldungen 197 19 427.3 vom 12. Mai 1997 und 197 44 324.9 vom 8. Oktober 1997 angemeldet worden. Veröffentlicht wurde die Patenterteilung am 3. Juli 2003. Gegen das Patent ist Einspruch u. a. mit der Begründung erhoben worden, der streitpatentgemäße Stabilisator sei neuheitsschädlich aus der bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten DE 28 05 007 A1 vorbekannt. Zumindest habe er für einen durchschnittlichen Fachmann am Anmeldetag nahegelegen.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin widerspricht den Ausführungen der Einsprechenden. Nach ihrer Überzeugung ist der verteidigte Stabilisator neu gegenüber dem genannten Stand der Technik und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 lautet:

Stabilisator für Kraftfahrzeuge, der einen annähernd runden, vorzugsweise einen kreisrunden oder einen ringförmigen, vorzugsweise einen kreisringförmigen Querschnitt aufweist, aus mehreren Stabilisatorabschnitten besteht und im wesentlichen U-förmig ausgeführt ist, also aus zwei U-Schenkeln (2) und einem U-Rücken (3) besteht, wobei zwischen den U-Schenkeln (2) und dem U-Rücken (3) bogenförmige Übergangsbereiche (4) vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, dass in den wesentlichen Stabilisatorabschnitten - abweichend vom Stabilisator gleicher Beanspruchung - unter Erhöhung der Beanspruchung des torsionsdominant beanspruchten U-Rückens (3) durch Verlagerung von mechanischer Verformungsarbeit aus den Übergangsbereichen (4) in den U-Rücken (3) eine Schwingfestigkeitsoptimierung durchgeführt ist, so dass eine quasigleiche Schwingfestigkeit vorhanden ist.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 7 sind dem Patentanspruch 1 nachgeordnet.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs. 3 Satz 1 begründet. Der Einspruch ist zulässig. Er hat auch in der Sache Erfolg.

Durchschnittsfachmann, an den sich die Lehre des Streitpatents richtet und der den Stand der Technik am Prioritätstag auswertet, ist ein Maschinenbauingenieur der Fahrzeugtechnik. Dieser ist bei einem Kfz-Hersteller oder -Zulieferer mit der Entwicklung und Adaption von Stabilisatoren befasst und verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung. Zu seinem einschlägigen Fachwissen zählt die intensive Kenntnis über Berechnungsmethoden für Stabilisatoren, die insb. zum Nachweis der Schwingungs- bzw. der Betriebsfestigkeit erforderlich sind.

Der Streitgegenstand nach Patentanspruch 1 betrifft einen vorzugsweise rohrförmigen Stabilisator für Kraftfahrzeuge und dessen gewichtsreduzierte Ausgestaltung. Er hat die typische, funktionsbedingte Gestalt eines Stabilisators, dessen Befestigungspunkte mit dem Fahrzeugaufbau in dem quer zur Fahrzeuglängsachse verlaufenden Rückenbereich vorgesehen sind, d. h. der Stabilisator ist im Wesentlichen U-förmig und besteht aus zwei U-Schenkeln und einem U-Rücken, welche durch bogenförmige Übergangs- und Lagerbereiche miteinander verbunden sind, vgl. insb. nachstehende Fig. 2 der DE 28 05 007 A1 (links) und die einzige Figur des Streitpatents (rechts), in denen jeweils eine Hälfte des Stabilisators dargestellt ist.

Grafik Grafik Laut streitpatentgemäßer Aufgabe sollen Stabilisatoren, insb. Rohrstabilisatoren, zur Verfügung gestellt werden, die auch bei sehr hoher Beanspruchung die geforderte Anzahl an Lastwechseln standhalten bzw. bei normalen Beanspruchungen eine noch größere Gewichtsreduzierung ermöglichen.

Als streitpatentgemäße Lösung vermittelt der Patentanspruch 1, dass in den wesentlichen Abschnitten eines derartigen Stabilisators eine Schwingfestigkeitsoptimierung durchgeführt ist. Unter Erhöhung der Beanspruchung des torsionsdominant beanspruchten U-Rückens soll in den wesentlichen Stabilisatorabschnitten - abweichend von einem Stabilisator gleicher Beanspruchung - eine quasigleiche Schwingfestigkeit vorhanden sein. Dies soll erreicht werden durch Verlagerung von mechanischer Verformungsarbeit aus den Übergangsbereichen in den U-Rücken.

Diese Erkenntnis war an den Prioritätstagen des Streitpatents nicht mehr neu, denn der Durchschnittsfachmann gewinnt sie bereits bei fachgerechter Auswertung der DE 28 05 007 A1. Ausgehend von einem formgleichen Fahrzeugstabilisator aus Vollmaterial befasst sich diese Druckschrift insbesondere mit der Gewichtseinsparung von Rohrstabilisatoren bei ausreichender Dauerfestigkeit, vgl. insb. S. 4 Abs. 2 bis S. 5 Abs. 3. Weil die Dauerfestigkeit eines dynamisch beanspruchten Stabilisators seiner Schwingfestigkeit entspricht, handelt es sich hier um exakt dieselbe Aufgabenstellung wie beim Streitpatent. Als Mangel eines beanspruchungsgleich ausgelegten Rohrstabilisators mit konstanter Wandstärke und konstantem Außen- und Innendurchmesser ist a. a. O. beschrieben, dessen Federrate werde im Vergleich mit einem Stabilisator aus Vollmaterial zu groß, ein derartiger Rohrstabilisator sei folglich zu steif. Zur Lösung dieses Problems wird eine Abkehr von der beanspruchungsgleichen Ausgestaltung vorgeschlagen, indem bei einem Rohrstabilisator die hochbeanspruchten Übergangs-/Lagerbereiche als Verstärkungsbereiche und gleichzeitig der torsionsdominant beanspruchte Rückenbereich hinreichend weich ausgebildet sein soll, vgl. insb. S. 7 Satz 1 sowie S. 9 Abs. 2 i. V. m. Fig. 2.

Eine Verstärkung der hochbeanspruchten Übergangs- und Lagerbereiche 5 und 6 bedeutet nichts anderes als eine Verlagerung von Verformungsarbeit aus diesen Bereichen heraus, wie es auch beim Streitgegenstand vorgesehen ist. Durch eine Verstärkung der Übergangs- und Lagerbereiche 5 und 6 werden diese Bereiche mechanisch steifer, weil das Widerstandsmoment vergrößert ist, vgl. Anspruch 1 der DE 28 05 007 A1. Um dennoch die vom Fahrzeughersteller geforderte Federrate erbringen zu können, muss der Stabilisatorrücken zwangsläufig höher belastet werden, denn die Federrate muss im Wesentlichen durch eine höhere Torsionsbelastung zwischen den Lagerstellen realisiert werden. Das entspricht im Ergebnis einer Dauer- bzw. Schwingfestigkeitsoptimierung, nach der alle Bereiche eine quasigleiche Schwingfestigkeit aufweisen.

Dagegen wendet die Patentinhaberin ein, in der DE 28 05 007 A1 sei ein Stabilisator beschrieben, dessen maximale Beanspruchung in den wesentlichen Stabilisatorabschnitten gleich sei. Beim streitpatentgemäßen Stabilisator indes solle die maximale Beanspruchung im U-Rücken größer sein als die maximale Beanspruchung in den Übergangsbereichen. Einen derartigen Unterschied vermag der Senat ebenso wenig zu erkennen wie einen "Stabilisator gleicher Beanspruchung" in der DE 28 05 007 A1. In dieser Druckschrift kommt der Begriff "Stabilisator gleicher Beanspruchung" nicht vor, jedenfalls konnte die Patentinhaberin ihn dort auf Befragen in der mündlichen Verhandlung nicht nachweisen. Der Durchschnittsfachmann findet in der Druckschrift auch objektiv keine Stütze für eine derartige Interpretation. Indem die Druckschrift - wie vorstehend aufgezeigt - dazu anleitet, das Widerstandsmoment in den Übergangs- und/oder Lagerbereichen zu vergrößern und den U-Rücken für die gewünschte Federrate ausreichend weich auszubilden, lehrt sie den Durchschnittsfachmann geradezu das Gegenteil, nämlich die Normalspannungen in den Übergangsbereichen vergleichsweise klein zu halten und große Torsionsspannungen im U-Rücken zuzulassen. Den U-Rücken hinreichend weich auszubilden, überlässt die Druckschrift der Fachkenntnis des eingangs definierten Durchschnittsfachmannes, denn bekanntlich gibt der Fahrzeugsteller die gewünschte Federrate vor. Vor diesem Hintergrund kommt eine unvoreingenommene Auswertung der DE 28 05 007 A1 zu dem Ergebnis, dass der darin offenbarte Stabilisator ungleich beansprucht ist und zwar im U-Rücken höher als in den Übergangsbereichen, also ebenso wie dies beim Streitgegenstand der Fall sein soll.

Dieses Verständnis wird durch das Ausführungsbeispiel nach Fig. 2 der DE 28 05 007 A1 bestätigt, dessen vorstehender Vergleich mit der streitpatentgemäß einzigen Figur die prinzipielle Übereinstimmung beider Stabilisatoren augenscheinlich wiedergibt. Die der Fig. 2 zugehörige Beschreibung auf S. 9 letzter Abs. bis S. 10 Satz 1 gibt dazu an, den Außendurchmesser der Verstärkungsbereiche 7 gegenüber den anderen Bereichen zu vergrößern. Im Ergebnis nichts Anderes besagt der geltende Anspruch 2 des Streitpatents, wonach der Außendurchmesser des U-Rückens kleiner sein soll als derjenige des Verstärkungsbereichs. Der Vergleich der Ausführungsbeispiele zeigt folgerichtig keinen grundsätzlichen Unterschied und unterstreicht damit, dass die DE 28 05 007 A1 und das Streitpatent mit äquivalenten konstruktiven Maßnahmen dasselbe Ziel - Gewichtsreduzierung bei erhöhter Dauer- bzw. Schwingfestigkeit - erreichen.

Der Hinweis der Patentinhaberin auf den wirtschaftlichen Erfolg des streitpatentgemäßen Stabilisators als sogenanntes "Wunder von Attendorn" kann die fehlende Neuheit nicht ersetzen. Wirtschaftlicher Erfolg kann regelmäßig nur eine Hilfserwägung für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit sein, auf welche geprüft wird, wenn die Neuheit des Streitgegenstandes festgestellt werden konnte. Das ist vorliegend nicht der Fall.

Demnach ist der Stabilisator nach Patentanspruch 1 nicht patentfähig.

Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 teilen dieses Schicksal und haben ebenfalls keinen Bestand.






BPatG:
Beschluss v. 18.09.2006
Az: 9 W (pat) 400/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/417669b7f84b/BPatG_Beschluss_vom_18-September-2006_Az_9-W-pat-400-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share