Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 24. Mai 2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1418/03

(BVerfG: Beschluss v. 24.05.2004, Az.: 1 BvR 1418/03)

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 3. Juni 2003 - 6 U 31/03 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Wesentlichen einen mit der Rüge der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer hatte beim Beklagten des Ausgangsverfahrens einen Gebrauchtwagen gekauft, dessen Kühler defekt war. Es wurde ein weiterer Kühler im Kofferraum des Fahrzeugs mitgeliefert. Ob auch dieser defekt war, ist zwischen den Parteien ebenso streitig, wie die Frage, ob die Mitlieferung eines funktionstüchtigen Kühlers überhaupt geschuldet war. Am 24. September 2002 kaufte der Beschwerdeführer einen neuen Kühler. Mit Anwaltsschriftsatz vom gleichen Tage machte er beim Beklagten Schadensersatzansprüche geltend. Im Oktober 2002 erhob der Beschwerdeführer Klage und beantragte, den Beklagten zur Zahlung von 14.784,15 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verurteilen. Er trug vor, ihm sei die Mitlieferung eines intakten Kühlers zugesichert worden. Auch dieser sei aber defekt gewesen. Er habe den ursprünglich eingebauten Kühler notdürftig repariert und wieder eingebaut, damit er wenigstens vorübergehend fahren könne. Er habe inzwischen einen neuen Kühler gekauft. Um dessen Kaufpreis werde die Klageforderung erhöht.

Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, nach den neuen Vorschriften über das Kaufrecht sei zunächst eine Aufforderung zur Nacherfüllung mit entsprechender Fristsetzung erforderlich gewesen. Die Voraussetzungen für eine Wandlung und den beanspruchten Schadensersatz lägen damit nicht vor.

Zur Begründung der vom Beschwerdeführer eingelegten Berufung machte dieser geltend, die Fristsetzung sei in diesem Falle entbehrlich gewesen. Ungeachtet dessen habe er dem Beklagten inzwischen mit Schriftsatz vom 17. Februar 2003 eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt. Diese Frist sei verstrichen, sodass er unter dem 10. März 2003 den Rücktritt vom Vertrag erklärt habe.

In seinem Beschluss vom 24. April 2003 begründete das Oberlandesgericht seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 ZPO zurückzuweisen, mit dem Hinweis, dass die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung nicht entbehrlich gewesen sei. Der Beschwerdeführer nahm hierzu Stellung und wies darauf hin, dass er inzwischen eine Frist gesetzt habe, die fruchtlos verstrichen sei, und dass er daraufhin den Rücktritt vom Vertrag erklärt habe.

Das Oberlandesgericht wies die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Die Sache habe aus den im Beschluss vom 24. April 2003 genannten Gründen keinen Erfolg. Der Schriftsatz des Beschwerdeführers hierzu rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Es könne dahinstehen, ob das Fahrzeug tatsächlich den behaupteten Mangel (defekter Kühler) aufgewiesen habe. Denn der Beschwerdeführer habe diesen Mangel durch den Einbau eines neuen Kühlers behoben und dem Beklagten damit die Möglichkeit einer Nachbesserung genommen. Die erstmals mit Schriftsatz vom 17. Februar 2003 gesetzte Frist zur Nacherfüllung gehe damit ins Leere.

II.

Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer in erster Linie gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem seine Berufung zurückgewiesen wurde, sowie gegen das Urteil des Landgerichts und rügt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.

Es sei unstreitig gewesen, dass der Kühler des Fahrzeugs defekt gewesen sei. Zudem habe er nie vorgetragen oder zugestanden, dass er den von ihm gekauften Kühler in das Fahrzeug eingebaut habe. Das Oberlandesgericht habe ihn auch nicht darauf hingewiesen, dass es von einem Einbau des Kühlers ausgehe. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass das Oberlandesgericht seinen Vortrag nicht richtig zur Kenntnis genommen habe.

III.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt, soweit sie gegen den die Berufung des Beschwerdeführers zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg gerichtet ist. Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

a) Die im Umfang der Annahme zur Entscheidung zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG).

aa) Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dementsprechend darf das Gericht nur solche Tatsachen verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind (vgl. BVerfGE 70, 180 <189>) und zu denen sich die Verfahrensbeteiligten vorher äußern konnten (vgl. BVerfGE 70, 180 <189>; 89, 381 <392>).

bb) Nach diesen Grundsätzen verstößt der Beschluss des Oberlandesgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer hatte weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren vorgetragen, dass er den Kühler, den er zwischenzeitlich gekauft hatte, in das Fahrzeug eingebaut habe. Demgegenüber geht die angegriffene Entscheidung von der Annahme aus, dass der Beschwerdeführer diesen Kühler bereits im Zeitpunkt des Setzens der Nachfrist in sein Kraftfahrzeug eingebaut hatte. Damit hat das Gericht eine Tatsache zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen, die die Verfahrensbeteiligten nicht eingeführt hatten und zu der sie sich nicht hatten äußern können.

cc) Die Entscheidung beruht auf diesem Verstoß. Das Oberlandesgericht hebt zur Begründung seiner Entscheidung maßgeblich darauf ab, dass wegen des bereits stattgehabten Einbaus des Kühlers die vom Beschwerdeführer dem Vertragsgegner gesetzte Frist zur Nacherfüllung ins Leere gegangen sei und somit nicht dazu habe führen können, noch nachträglich die Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag zu schaffen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Anhörung des Beschwerdeführers zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte. Aufgrund seines Vorbringens, bisher lediglich den Kühler gekauft, ihn aber nicht eingebaut zu haben, hätte das Oberlandesgericht nicht zu der Auffassung gelangen können, dass dem Beklagten damit die Möglichkeit einer Nacherfüllung genommen worden sei. Es hätte vielmehr berücksichtigen müssen, dass der Beschwerdeführer die erforderliche Fristsetzung inzwischen nachgeholt und nach Verstreichen der Frist den Rücktritt vom Vertrag erklärt hatte. Es wäre sodann entscheidungserheblich gewesen, ob auch der mitgelieferte Kühler defekt gewesen war, was streitig war, und ob die Mitlieferung eines funktionstüchtigen Kühlers überhaupt geschuldet war. Auch diese Frage war streitig. Nach alledem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung über die Berufung ohne den Gehörsverstoß anders ausgefallen wäre, wenn das Oberlandesgericht das Berufungsverfahren durchgeführt hätte.

b) Da der Beschluss des Berufungsgerichts den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, ist es aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückzuverweisen (§ 93 c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).

2. Nicht zur Entscheidung anzunehmen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit der Beschwerdeführer das Urteil des Landgerichts Oldenburg angreift, weil sie insoweit unzulässig ist. Er erhebt gegen das landgerichtliche Urteil keine verfassungsrechtlichen Rügen.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, ist dies für das Begehren des Beschwerdeführers von untergeordneter Bedeutung, so dass ihm die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten sind (vgl. BVerfGE 32, 1 <39>; BVerfG, Erster Senat 3. Kammer, Beschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04 -, Umdruck S. 8).

4. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO in Verbindung mit den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368>).

5. Von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 24.05.2004
Az: 1 BvR 1418/03


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