Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 13. Januar 2012
Aktenzeichen: 20 U 108/11
(OLG Köln: Urteil v. 13.01.2012, Az.: 20 U 108/11)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Juni 2011 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 469/10 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.II.
Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag ist mit Versicherungsbeginn zum 1. Augst 1993 wirksam zustande gekommen. Der Kläger kann von der Beklagten die verzinsliche Rückerstattung der von ihm geleisteten Prämien unter Anrechnung des geleisteten Rückkaufswertes nicht beanspruchen; die hierauf gerichteten Hauptanträge zu 1) und 2) sind in der Sache unbegründet.
Zum Widerspruch nach § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. war der Kläger nicht berechtigt. § 5 a VVG a.F. gilt nicht für Verträge, die bis zum 31. Dezember 1994 zu von der Aufsichtsbehörde genehmigten Versicherungsbedingungen geschlossen worden sind (Art. 16 § 11 des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 21. Juli 1994, BGBl. I 1994, 1630). Um einen solchen Vertrag handelt es sich vorliegend, denn er wurde vor dem Inkrafttreten des vorgenannten Gesetzes am 29. Juli 1994 abgeschlossen.
Dem Kläger stand nur ein Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG zu, der in der damaligen Fassung lautete:
Wird ein Versicherungsvertrag mit einer längeren Laufzeit als ein Jahr abgeschlossen, so kann der Versicherungsnehmer innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab Unterzeichnung des Versicherungsantrages seine auf den Vertragsabschluß gerichtete Willenserklärung schriftlich widerrufen. Maßgeblich für die Wahrung der Frist ist der Eingang der schriftlichen Widerrufserklärung bei dem Versicherer. Das Widerrufsrecht besteht nicht, wenn der Versicherungsnehmer Vollkaufmann ist oder wenn der Versicherer auf Wunsch des Versicherungsnehmers sofortigen Versicherungsschutz gewährt. Der Versicherungsnehmer ist über das Widerrufsrecht schriftlich zu belehren.
Fristgerecht hat der Kläger den Widerruf nicht erklärt; ein Widerruf ist erstmals mit Anwaltsschreiben von 2. Juli 2008 erfolgt.
Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger zum Widerruf nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. nicht mehr berechtigt. Ob der Lauf der Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt wird, wenn der Versicherer eine Belehrung nach § 8 Abs. 4 Satz 4 VVG a.F. unterlässt, kann dahingestellt bleiben (s. dazu die Senatsurteile vom 21. Oktober 2011 - 20 U 91/11 und 20 U 96/11 - ). Vorliegend hat die Beklagte den Kläger ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. belehrt. Anders als in § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 HWiG und § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG, die eine drucktechnisch deutlich gestaltete und vom Kunden zu unterzeichnende Belehrung verlangen, war für die Belehrung nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. keine besondere äußere Form vorgeschrieben. Sie muss aber, damit sie ihren Zweck erreichen kann, inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus der Sicht der Verbraucher eindeutig sein (BGH, VersR 1996, 313; vgl. - zu § 7 VerbrKrG - auch BGHZ 121, 52, 55). Weiterhin erfordert der Zweck einer solchen Vorschrift, dem auch der Sinngehalt des Wortes "Belehrung" entspricht, eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt. Deshalb kann nur eine Erklärung, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln, als Belehrung angesehen werden (BGH, aaO). Vor diesem Hintergrund ist zumindest zu fordern, dass die Belehrung nicht in dem sonstigen Klauselwerk untergeht; es muss gewährleistet sein, dass die Belehrung vom Durchschnittskunden auch tatsächlich zur Kenntnis genommen wird (OLG Stuttgart, VersR 1995, 202). Sie darf nicht in den sonstigen Erklärungen "versteckt" werden (BGH, VersR 1996, 221).
Dem wird die vorliegende Belehrung gerecht. Sie lautet:
"Ich kann meinen Antrag innerhalb von 10 Tagen nach seiner Unterzeichnung widerrufen, und zwar auch dann, wenn die Versicherungsgesellschaft ihn bereits angenommen hat. Mein Widerruf wird nur wirksam, wenn er in schriftlicher Form innerhalb der genannten Frist bei der Versicherungsgesellschaft eingegangen ist."
Der Belehrungstext findet sich im Versicherungsantrag (GA 193) unmittelbar überhalb der Unterschriftszeile, er ist durch eine Umrahmung des Textes hervorgehoben, zusätzlich durch den seitlich angebrachten Vermerk "Widerrufsrecht" gekennzeichnet, und er enthält außer der Widerrufsbelehrung keine weiteren Textpassagen. Damit ist gewährleistet, dass ein Antragsteller die Belehrung zur Kenntnis nimmt.
Somit stellt sich vorliegend die Frage, was bei nicht ausreichender Belehrung gilt, nicht (s. dazu die Senatsurteile vom 21. Oktober 2011, aaO). Der Senat hat in den angeführten Urteilen die Auffassung vertreten, dass selbst bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. Ansprüche auf Rückzahlung der geleisteten Beiträge bei einem deutlich 10 Jahre durchgeführten Lebensversicherungsvertrag regelmäßig verwirkt sind. Davon wäre auch hier - bei unterstellt nicht hinreichender Belehrung - auszugehen, nachdem der Vertrag fast 15 Jahre lang bestanden hat.
Europarechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 8 Abs. 4 VVG a.F. bestehen nicht. Insbesondere sind die insoweit zu § 5 a VVG a.F. aufgeworfenen Fragen insoweit nicht von Relevanz. Gemeinschaftsrechtlich soll gewährleistet werden, dass dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages gewisse Mindestinformationen gegeben werden. Das ist der Regelungsgehalt insbesondere des Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96/EWG vom 10. November 1992. Um diese Problematik geht es indes beim Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. nicht. Dieses Widerrufsrecht, das ab Antragstellung gilt, soll dem Versicherungsnehmer eine Bedenkzeit von 10 Tagen geben, damit er in Ruhe und ohne Druck überlegen kann, ob er sich tatsächlich vertraglich binden will. Es besteht unabhängig davon, welche Informationen ihm bei Antragstellung über den Inhalt des abzuschließenden Lebensversicherungsvertrags gegeben worden sind.
Die aus Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG vom 10. November 1992 folgende Mitteilungspflicht des Lebensversicherers hat auch keinen Einfluss auf die Einbeziehung der Versicherungsbedingungen in Verträge, die - wie hier - im Jahr 1993 geschlossen worden sind. Nach § 23 Abs. 3 AGBG in der damals geltenden Fassung wurden Allgemeine Geschäftsbedingungen eines Versicherers auch dann Vertragsbestandteil, wenn die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 bezeichneten Einbeziehungserfordernisse nicht eingehalten waren. Auch wenn danach nicht ausgeschlossen war, dass ein Versicherungsnehmer vor dem Vertragsschluss keine Kenntnis von den Versicherungsbedingungen hatte, kann dies gemeinschaftrechtlich nicht beanstandet werden. Erstmals mit Art .31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG wurde gefordert, dass dem Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Lebensversicherungsvertrag gewisse Mindestangaben mitzuteilen sind. Selbst wenn dies durch entsprechende Angaben in den Versicherungsbedingungen geschieht, stellt das Unterlassen der Übergabe der Versicherungsbedingungen vor Vertragsschluss für im Jahr 1993 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht dar. Die Richtlinie 92/96/EWG stammt zwar vom 10. November 1992. Zur Umsetzung war den Mitgliedsstaaten aber eine Frist bis zum 1. Juli 2004 eingeräumt worden (Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG). Für die Zeit davor kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nicht in Betracht. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beginnt erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist, nicht schon mit dem Erlass der Richtlinie (vgl. Ruffert in: Calliess/Ruffert, EUV und AEUV, 4. Aufl., Art. 288 AEUV, Rn. 80 m.w.N.). Vor Fristablauf ist allenfalls eine richtlinienkonforme Ausfüllung von Generalklauseln denkbar (so BGHZ 138, 55 ff. zu § 1 UWG). Eine solche der Ausfüllung fähige Regelung enthält weder § 23 Abs. 3 AGBG noch § 8 Abs. 4 VVG a.F.
2.
Der Kläger kann die mit den Klageanträgen zu 1) und 2) verfolgten Ansprüche auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen einer Fehlberatung oder eines sonstigen Fehlverhaltens geltend machen.
a)
Zur Aushändigung der Versicherungsbedingungen vor Vertragsabschluss war die Beklagte unter der Geltung des damaligen Rechts nicht verpflichtet. Über das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. hat sie den Kläger ordnungsgemäß belehrt.
b)
Soweit der Kläger der Beklagten vorhält, sie habe intransparente Bedingungen verwendet und ihn nicht von sich aus über die Folgen einer vorzeitigen Beendigung des Lebensversicherungsvertrags aufgeklärt, folgt daraus jedenfalls kein Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Prämien. Dem Kläger könnten insoweit allenfalls die Rechte, die sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Oktober 2005 (BGHZ 164, 297 ff.) ergeben, zustehen (vgl. OLG Köln, VersR 2011, 245, Tz. 23). Ein danach in Betracht kommender Anspruch auf Zahlung eines Mindestrückkaufswertes in Höhe der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals scheidet vorliegend indes aus. Die Summe der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals ist wegen des Abzugs von Risikoanteilen und laufenden Verwaltungskosten stets geringer als die Hälfte der eingezahlten Prämien (vgl. BVerfG, NJW 2006, 1783 ff.). Vorliegend hat der Kläger nach eigenen Angaben einen Rückkaufswert von 26.116,85 € bei eingezahlten 33.048,77 € erhalten und damit knapp 80% der Beiträge.
c)
Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die im Zusammenhang mit Anlageberatungsverträgen zwischen Banken und Anlageinteressenten entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage einer Aufklärung über Kick-Backs (BGHZ 170, 226; NJW 2009, 2298) auf die Problematik des Abschlusses einer fondsgebundenen Lebensversicherung von vornherein nicht anwendbar ist. Die vom Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit Anlageberatungsverträgen herangezogene Interessenkollision besteht bei Abschluss einer Lebensversicherung nicht (Senat, VersR 2011, 248; Senat, Urt. v. 21. Oktober 2011 - 20 U 138/11 -, in juris dokumentiert, und Urt. v. 25. November 2011 - 20 U 129/11 -; s. auch OLG Stuttgart, RuS 2011, 218 und OLG Hamm, Beschl. v. 31. August 2011 - 20 U 81/11 -). Der Senat sieht keinen Anlass, von seiner Rechtsprechung abzuweichen. Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, der nicht einmal eine fondsgebundene Lebensversicherung, sondern eine kapitalbildende Lebensversicherung betrifft.
2.
Auch mit den Hilfsanträgen hat die Klage keinen Erfolg.
Mit diesen Anträgen verfolgt der Kläger im Wege der Stufenklage zum einen einen Anspruch auf Neuberechnung des Rückkaufswertes und auf Auskehrung der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals, zum anderen soll mit dem Auskunftsantrag eine Offenlegung der Provisionsstruktur zur Vorbereitung etwaiger Schadensersatzansprüche bezweckt werden.
a)
Soweit es um einen Anspruch auf Zahlung des Mindestrückkaufswertes geht, ist erneut darauf hinzuweisen, dass der Kläger mit der Auskehrung des Rückkaufswertes von 26.116,85 € bereits deutlich mehr als die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals erhalten hat.
Unabhängig davon hält der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des 5. Zivilsenats des OLG Köln (VersR 2002,600) daran fest, dass die Regelungen über den Rückkaufswert (§ 4 Abs. 4 der AVB, GA 57) dem Transparenzgebot genügen, auch wenn sie weitgehend auf den genehmigten Geschäftsplan verweisen. Der Versicherungsnehmer ist durch die regelmäßige Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde in seinen Rechten hinreichend geschützt; dies entspricht auch der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 128, 54, 59). Das gilt ungeachtet der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 26. Juli 2005 (NJW 2005, 2376). Soweit das Bundesverfassungsgericht insoweit Regelungsdefizite gesehen hat (BVerfG, aaO und VersR 2006, 489; NJW 2005, 2363, 2376), hat es alleine den Gesetzgeber für verpflichtet gehalten, künftig geänderte Rahmenbedingungen zu schaffen. Für den Altbestand maßgebend bleibt daher die bisherige Rechtslage (vgl. BGH, VersR 2008, 338; Senat, Hinweisbeschl. v. 21. März 2011 - 20 U 62/10 -).
b)
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über "Kick-Backs" bzw. geleistete Innenprovisionen scheidet - wie bereits ausgeführt - aus Rechtsgründen aus, so dass insoweit auch keine Auskunft begehrt werden kann.
3.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht. Die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der Senat weicht nicht von anderen obergerichtlichen Entscheidungen ab.
Berufungsstreitwert: 6.735,44 €
Die bezifferte Zinsforderung (Klageantrag zu 2) bleibt als vom Hauptanspruch abhängige Nebenforderung gemäß § 4 ZPO bei der Berechnung des Streitwertes unberücksichtigt.
OLG Köln:
Urteil v. 13.01.2012
Az: 20 U 108/11
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