Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Mai 2007
Aktenzeichen: 7 W (pat) 41/04
(BPatG: Beschluss v. 09.05.2007, Az.: 7 W (pat) 41/04)
Tenor
Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 13 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Mai 2004 aufgehoben und das Patent beschränkt aufrechterhalten mit den Patentansprüchen 1 bis 3 nach Hilfsantrag 3 vom 9. Mai 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, mit der Maßgabe, dass die Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 60 und 61, lautet: "Diese Aufgabe wird mit einer Laufschaufel gemäß Patentanspruch 1 gelöst", und in Spalte 3 gestrichen werden die Zeilen 6 bis 10.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Die Beschwerde der Patentinhaberin ist gegen den Beschluss der Patentabteilung 13 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Mai 2004 gerichtet, mit dem das am 14. Dezember 1998 angemeldete und am 13. September 2001 veröffentlichte Patent 198 57 653 mit der Bezeichnung "Laufschaufel einer mehrstufigen Dampfturbine", das die Priorität einer Anmeldung in Japan vom 15. Dezember 1997 (Aktenzeichen: 345396/97) in Anspruch nimmt, nach Prüfung zweier gegen das Patent erhobener Einsprüche widerrufen worden ist.
Der Einspruch der Einsprechenden II wurde am 3. November 2004 zurückgenommen.
Der Widerrufsbeschluss ist gestützt auf die Druckschriften JP 58-220902 A, mit englischsprachiger Übersetzung von Textteilen aus Seiten 2 und 3 und zugehöriger Zusammenfassung aus Patent Abstracts of Japan sowie DE 195 46 008 A1.
Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, der Patentgegenstand sei durch den Stand der Technik nach den vorstehend genannten Druckschriften nicht nahegelegt und beruhe demzufolge auf erfinderischer Tätigkeit. Sie legt in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 3 gemäß einem Hilfsantrag 3 vor und stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 6 nach Hilfsantrag 1 bzw. mit den Patentansprüchen 1 bis 3 nach Hilfsantrag 2, jeweils mit Änderung der Beschreibungseinleitung, vom 24. Juli 2002, weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 3 nach Hilfsantrag 3 vom 9. Mai 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, mit der Maßgabe, dass die Beschreibung in Spalte 2 Zeilen 60 und 61 lautet: "Diese Aufgabe wird mit einer Laufschaufel gemäß Patentanspruch 1 gelöst", und in Spalte 3 gestrichen werden die Zeilen 6 bis 10.
Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie erachtet den Patentgegenstand nach keiner der verteidigten Anspruchsfassungen gegenüber dem Stand der Technik nach JP 58-220902 A und DE 195 46 008 A1 als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.
Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"Laufschaufel einer mehrstufigen Dampfturbine, die bezüglich der Dampfanströmung einen Vorderkantenbereich (5) und ein vom Vorderkantenbereich in dessen von der Turbinenachse entferntem Endbereich vorstehendes Erosionsschutzteil (6) aufweist, das materialeinheitlich integral mit dem Laufschaufelkörper (4) ausgebildet ist, und in seiner Breitenrichtung eine Tiefe (B) von wenigstens 1 mm hat, dadurch gekennzeichnet, dass das Erosionsschutzteil (6) durch Flammhärtung oberflächengehärtet ist und in Längsrichtung des Laufschaufelkörpers eine Länge von 10 % bis 45 % der gesamten Länge des Laufschaufelkörpers aufweist."
Zum Wortlaut der erteilten Patentansprüche 2 bis 7, von denen die Ansprüche 4 und 5 in Nebenordnung zum Patentanspruch 1 stehen, wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Der Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 entspricht dem des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag. Weiterbildungen des Gegenstandes nach Anspruch 1 (Hilfsantrag 1) sind in nachgeordneten Ansprüchen 2 bis 6 angegeben.
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist zu den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag noch hinzugefügt
"und dass das Erosionsschutzteil (6) von dem Vorderkantenbereich (5) bezüglich der Dampfanströmung in stromaufwärtiger Seite über eine Segmentabdeckung (8) vorsteht, die zwischen oberen Bereichen (7) zweier benachbarter Laufschaufelkörper (4) vorgesehen ist."
Weiterbildungen des Gegenstandes nach Anspruch 1 (Hilfsantrag 2) sind in nachgeordneten Ansprüchen 2 und 3 angegeben.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 lautet:
"Laufschaufel einer mehrstufigen Dampfturbine, die bezüglich der Dampfanströmung einen Vorderkantenbereich (5) und ein vom Vorderkantenbereich in dessen von der Turbinenachse entferntem Endbereich vorstehendes Erosionsschutzteil (6) aufweist, das materialeinheitlich integral mit dem Laufschaufelkörper (4) ausgebildet ist, und in seiner Breitenrichtung eine Tiefe (B) von wenigstens 1 mm hat, dadurch gekennzeichnet, dassdas Erosionsschutzteil (6) durch Flammhärtung oberflächengehärtet ist und in Längsrichtung des Laufschaufelkörpers eine Länge von 10 % bis 45 % der gesamten Länge des Laufschaufelkörpers aufweist, das Erosionsschutzteil (6) über den Ort der Schaufelabdeckung (11) auf der stromaufwärtigen Seite der Dampfanströmung vorsteht."
Weiterbildungen des Gegenstandes nach Patentanspruch 1 (Hilfsantrag 3) sind in nachgeordneten Patentansprüchen 2 und 3 angegeben.
II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist insoweit begründet, als das Patent in beschränktem Umfang rechtsbeständig ist.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt in der Fassung der Patentansprüche nach Hilfsantrag 3 eine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.
Gegen die - nicht bestrittene - Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche bestehen keine Bedenken.
Als hier zuständiger Fachmann ist ein auf dem Gebiet des Dampfturbinenbaus tätiger Maschinenbau-Ingenieur anzusehen, der über vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen bei der Gestaltung und Auslegung von Turbinenschaufeln unter Berücksichtigung der hierfür bekannten Werkstoffe und Beanspruchungen im Turbinenbetrieb verfügt.
1. Zum Hauptantrag:
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist zwar neu, er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus JP 58-220902 A ist eine Laufschaufel einer mehrstufigen Dampfturbine bekannt (Übersetzung S. 1 Abs. 2 Z. 1 bis 7), die durch ein Erosionsschutzteil (6) an ihrer der Dampfströmung zugewandten Vorderkante weitergebildet ist. Das Erosionsschutzteil ist integral mit der Laufschaufel, also materialeinheitlich, am von der Turbinenachse abgewandten Endbereich über 1/3 der gesamten Schaufellänge und 1 bis 30 mm über die vordere Schaufelkante vorstehend ausgeformt (Abstract i. V. m. Zeichnung; Übersetzung S. 1, dritte und zweite Zeile von unten). Weil die Laufschaufel hier aus einer Titan-Legierung besteht, für die eine Härtebehandlung als schwierig angesehen wird (Übersetzung S. 1 le. Z. bis S. 2 Z. 3), ist von einer Härtungsmaßnahme abgesehen. Stattdessen ist eine im Betrieb zwar verschleißende, die eigentliche Laufschaufel-Grundform aber schützende Materialverstärkung im erosionsgefährdeten Bereich der Laufschaufel vorgesehen worden. Obwohl die JP-Druckschrift eine Härtung für eine Laufschaufel aus einer Titan-Legierungen also nicht anregt, ist die Härtung, insbesondere auch die Flammhärtung, eine im Griffbereich des Fachmannes liegende Maßnahme für solche bekannte Laufschaufeln, die aus Legierungsstählen bestehen, wie z. B. dem in der Beschreibung des Standes der Technik in der Streitpatentschrift genannte 12Crom-Legierungsstahl (Sp. 2 Z. 6 bis 8), der für die Flammhärtung geeignet ist. Auch die DE 195 46 008 A1 (Sp. 1 Z. 9 bis 40) beschreibt als bekannt, die Schaufeln der Endstufen einer Dampfturbine aus einem kohlenstoffhaltigen (martensitbildenden) Stahl zur Minderung der durch Wassertröpfchen im Dampfstrom verursachten Erosionsgefahr einer Flammhärtung zu unterziehen. Zur Verbesserung des Erosionsschutzes an Laufschaufeln die aus JP 58-220902 A bekannte Maßnahme einer Materialverstärkung und die aus DE 195 46 008 A1 bekannte Maßnahme einer Flammhärtung gemeinsam bzw. zugleich bei einer Laufschaufel aus herkömmlichem kohlenstoffhaltigem Stahl anzuwenden, bot sich vor dem Prioritätstag des Streitpatents dem Fachmann daher ohne erfinderisches Zutun an.
Da der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag danach nicht patentfähig ist, konnte dem Hauptantrag insgesamt nicht stattgegeben werden.
2. Zum Hilfsantrag 1:
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist wortgleich mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag. Es gelten daher die vorstehenden Ausführungen gleichermaßen für den Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1.
Dem Hilfsantrag 1 konnte somit ebenfalls nicht stattgegeben werden.
3. Zum Hilfsantrag 2:
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lehrt im Kern eine Laufschaufel gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, bei der jedoch zusätzlich eine Segmentabdeckung zwischen oberen Bereichen zweier benachbarter Laufschaufeln vorgesehen ist, wobei das Erosionsschutzteil in stromaufwärtiger Dampfströmungsrichtung über die Segmentabdeckung vorsteht.
Wie auch von der Patentinhaberin nicht bestritten, dienen Segmentabdeckungen insbesondere bei langen Schaufeln (z. B. 1 Meter und mehr) in Dampfturbinen-Endstufen zur Dämpfung von Schaufelschwingungen. Setzt der Fachmann eine solche Schwingungsdämpfung z. B. bei einem Laufschaufelrad nach JP 58-220902 A ein, bei dem nur jede vierte Laufschaufel mit einem Erosionsschutzteil ausgebildet ist, wird er die Breite der Segmentabdeckungen nicht größer als die Breite der Laufschaufeln ohne Erosionsschutzteil wählen, weil es hierfür keinen erkennbaren Nutzen gibt. Das Erosionsschutzteil steht damit zwangsläufig auch gegenüber der Segmentabdeckung vor. Diese zusätzliche Maßnahme kann daher eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist nicht patentfähig. Der Hilfsantrag 2 konnte daher keinen Erfolg haben.
4. Zum Hilfsantrag 3:
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 umfasst neben sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) noch das Merkmal, dass das Erosionsschutzteil über den Ort einer Schaufelabdeckung auf der stromaufwärtigen Seite der Dampfanströmung vorsteht.
Der Senat konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass das zusätzliche Merkmal dem Fachmann durch die o. g. Druckschriften in Verbindung mit seinem Fachwissen nahegelegt wird. Zwar dient die dem Fachmann geläufige Schaufelabdeckung am äußersten Ende der Laufschaufeln - wie auch die vorstehend erörterte Segmentabdeckung - ebenfalls der Reduzierung von Schaufelschwingungen, weshalb auch bei deren bestimmungsgemäßer Verwendung bei einem Laufschaufelrad nach der JP 58-220902 A sich zwangsläufig ergeben mag, dass das Erosionsschutzteil auf der Dampfanströmseite der Laufschaufel vor der vorderen Kante der Schaufelabdeckung vorsteht. Eine Verlängerung der Erstreckung des Erosionsschutzteils in Längsrichtung der Laufschaufel über den Ort der Schaufelabdeckung hinaus ergibt sich aber nicht zwangsläufig. Für diese Maßnahme finden sich auch keine Anregungen im entgegengehaltenen druckschriftlichen Stand der Technik. Sie bietet sich dem Fachmann auch nicht ohne weiteres an, da Schaufelabdeckungen häufig durch ringförmige Ränder der Turbinengehäuse abgedeckt werden.
Die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ist danach als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend zu bewerten.
Die Patentansprüche 2 und 3 bilden die Laufschaufel nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 weiter. Ihre Gegenstände sind mit dem Gegenstand nach Patentanspruch 1 ebenfalls patentfähig.
BPatG:
Beschluss v. 09.05.2007
Az: 7 W (pat) 41/04
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