Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 22. April 1994
Aktenzeichen: 3 TH 1170/94
(Hessischer VGH: Beschluss v. 22.04.1994, Az.: 3 TH 1170/94)
Tatbestand
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen ein sofort vollziehbares Versammlungsverbot der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin ist eine Personengruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, Hanf als Nutzpflanze einzuführen und Grundzüge einer neuen Drogenpolitik zu erarbeiten. Sie vertritt in Übereinstimmung mit einer als "AG Hanf" auftretenden studentischen Gruppe der Hochschulen die Auffassung, daß die Drogenpolitik der Bundesrepublik in Sachen Cannabis an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen vorbeigehe, wonach eine weitere Kriminalisierung nicht mehr zu rechtfertigen sei.
Mit Schreiben vom 11. und 21.03.1994 meldete die Antragstellerin für den 23.04.1994 in der Zeit zwischen 12.30 Uhr und 14.30 Uhr eine Demonstration auf dem in an. In dem Anmeldungsschreiben wird ausgeführt, daß es das Ziel der Demonstration sein solle, über Cannabis-Prohibition aufzuklären und die vielseitige Verwendbarkeit von Hanf einer breiten Öffentlichkeit darzulegen. Weiterhin werde die Forderung nach Beendigung der Cannabis-Prohibition vertreten.
Die geplante Versammlung in Hanau ist Teil einer Aktion, die am 23.04.1994 in den Städten, und durchgeführt werden soll. Zu diesen Veranstaltungen hat die Antragstellerin in Flugblättern unter der Überschrift "Rhein-Main-Raucht, die Lizenz zum Abfahren" aufgerufen. Weiter heißt es in dem Flugblatt: "Stellt Euch vor, im gesamten Rhein-Main-Gebiet werden an einem Tag (23. April 1994) Smoke-Ins angefacht. Davon werden wir die folgenden 6 selbst anrauchen...und zwar alle hintereinander weg, d. h. wir werden in Bussen sitzen und von Smoke-In zu Smoke-In gut unterwegs sein".
In einem weiteren Flugblatt der Antragstellerin, in dem für ein "CANNABIS-WEEKEND" vom 14. bis 15. Mai 1994 in aufgerufen wird, heißt es: "Was geplant ist: Konzerte, Workshops, Zelten, Demonstrationszug...gegebenenfalls ein Promi-Outing und vor allem: gut breit sein. Die Veranstaltung wollen wir vom RP genehmigen lassen. Haschisch zu konsumieren und dafür zu demonstrieren, ist nicht illegal. Wenn Ihr nicht gerade Platten und kiloweise das Zeug abschleppt, habt Ihr von Behördenseite wenig zu befürchten".
Die Antragsgegnerin verbot mit Verfügung vom 14.04.1994 die angemeldete Demonstration und ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung des Verbots an. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen des § 15 VersG für ein Versammlungsverbot seien erfüllt. Es lägen Umstände und Erkenntnisse vor, daß bei der geplanten Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet sei. Die Wortwahl des Themas für die von der Antragstellerin geplanten "Smoke-In-Veranstaltungen" lasse den eindeutigen Schluß zu, daß während dieser Veranstaltung zum Cannabis-Konsum durch Rauchen und somit zu einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgerufen werden solle. Zur Begründung des Sofortvollzugs führte sie aus, daß es angesichts der konkreten und unmittelbar bevorstehenden Gefahren im überwiegenden öffentlichen Interesse liege, wenn dem zu erwartenden Widerspruch gegen dieses Verbot die aufschiebende Wirkung genommen werde. Nur dadurch könne die Begehung von Straftaten, unmittelbaren Beeinträchtigungen und Gefährdungen verhindert werden.
Gegen diese Verfügung erhob die Antragstellerin am 21.04.1994 mit näherer Begründung Widerspruch, über den bisher noch nicht entschieden worden ist. Gleichzeitig begehrte sie bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Zur Begründung machte sie geltend, die Befürchtungen der Antragsgegnerin seien unzutreffend, da ihre Ziele und Absichten nicht auf die Begehung strafbarer Handlungen, sondern darauf gerichtet seien, die Themen Sucht und Cannabis vorurteilsfrei zu diskutieren. Soweit sich die Antragsgegnerin auf Flugblattzitate stütze, könnten diese der Antragstellerin nicht angelastet werden, weil sie damals noch nicht bestanden habe. Zu der Veranstaltung vom 23.04.1994 gebe es keine Flugblätter, in denen zu strafbaren Handlungen aufgerufen werde.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegendie Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom14. April 1994 wiederherzustellen.Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.Zur Begründung hat sie sich auf ihre Verbotsverfügung und die beigefügten Anlagen bezogen.
Durch Beschluß vom 22.04.1994 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verbotsverfügung wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragsgegnerin habe das Versammlungsverbot nicht auf § 15 VersG stützen dürfen, da es an hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür fehle, daß die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung während der Veranstaltung dazu aufgerufen würden, Betäubungsmittel, die nicht zulässigerweise verschrieben werden dürften, zu verbrauchen. Die früheren Aufrufe zu ähnlichen Veranstaltungen könnten der Antragstellerin nicht zugerechnet werden, da sie diese Veranstaltungen nicht durchgeführt habe. Formulierungen in einem möglicherweise von der Antragstellerin veröffentlichten Rundbrief Nr. 1 vom 01.12.1993 stellten keine Aufforderung zum Cannabis- Konsum dar. Daraus, daß sich die Antragstellerin für den legalen Verbrauch von Cannabis ausspreche, lasse sich nicht ableiten, daß sie Veranstaltungsteilnehmer zum illegalen Verbrauch aufrufen werde. Ob die Antragstellerin auch zu einem Cannabis-Weekend am 14./15.05.1994 aufgefordert habe, sei rechtlich unerheblich, da hieraus keine Rückschlüsse für die Veranstaltung vom 23.04.1994 gezogen werden dürften.
Das Verbot erweise sich auch deshalb als rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin nicht dem Gebot des versammlungsfreundlichen Verhaltens in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin keinen Hinweis auf die von ihr vertretene Auffassung gegeben, obgleich diese um frühzeitige Mitteilung von Bedenken gebeten habe. Vor diesem Hintergrund erweise sich das Versammlungsverbot als unverhältnismäßig. Das Verbot bezüglich unangemeldeter Ersatzveranstaltungen sei unzulässig.
Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 22.04.1994 unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen Beschwerde eingelegt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin zu Unrecht stattgegeben.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 VwGO zulässig. Die Antragstellerin ist als nicht rechtsfähige Personenvereinigung beteiligtenfähig im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO und auch antragsbefugt. Ihr steht das in Anspruch genommene Recht des Veranstalters einer Demonstration zu. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet seinen Grundrechtsträgern, Demonstrationen vorzubereiten, durchzuführen bzw. an ihnen teilzunehmen. Er garantiert nicht nur den Vorgang des sich Versammelns, sondern auch die kollektiven Aktivitäten, die aus einer Versammlung heraus erfolgen. Durch das Versammlungsgesetz hat der Gesetzgeber eine im Einklang mit Art. 8 GG stehende Ausgestaltung des Versammlungsrechts vorgenommen und dieses Recht auch Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit zugesprochen, wenn sie - wie hier - auf eine gewisse Dauer angelegt sind (vgl. Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 10. Aufl., § 1 Rdnr. 48).
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Antragsgegnerin hat ohne Rechtsverstoß ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung angenommen und dieses Interesse überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung. Ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung entfiele, wenn der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch gegen das Versammlungsverbot voraussichtlich Erfolg hätte. Dies ist jedoch nach der hier gebotenen summarischen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse auf der Grundlage des Vorbringens der Beteiligten und des von ihnen vorgelegten Beweismaterials nicht der Fall. Rechtsgrundlage der angefochtenen Verbotsverfügung ist § 15 Abs. 1 VersG, wonach die zuständige Behörde u. a. eine Versammlung verbieten kann, wenn nach den erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei ihrer Durchführung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die öffentliche Sicherheit umfaßt den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen sowie bestimmte Rechtsgüter des Einzelnen wie Unversehrtheit des menschlichen Lebens und der Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der der Senat folgt, ist § 15 Abs. 1 VersG jedoch nur insoweit mit Art. 8 GG vereinbar, als danach Verbote und Auflösungen von Versammlungen nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen (BVerfG, Beschluß vom 14.05.1985, BVerfGE 69, 315 (353); Beschluß des Senats vom 07.12.1993 - 3 TG 2347/93 -). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit liegt vor, wenn bei verständiger Würdigung der für die Behörde erkennbaren Umstände die Durchführung der Versammlung, so wie geplant, mit Wahrscheinlichkeit zu dem drohenden Schadenseintritt führt. Die von der Antragsgegnerin insoweit getroffene Gefahrenprognose ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie stützt sich auf den der Antragstellerin zuzurechnenden Aufruf für die geplante Veranstaltung (Kontaktadresse: u. a. der Vertreter der Antragstellerin), die unter dem Motto durchgeführt werden soll "Rhein-Main-Raucht, die Lizenz zum Abfahren!" Zu Recht hat die Antragsgegnerin aus diesem Aufruf die Schlußfolgerung gezogen, daß es bei der geplanten Versammlung zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz kommen werde. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus den in dem Aufruf verwendeten Formulierungen wie "wir drücken noch mehr Power rein, genau das fordern wir auch von euch, entweder macht Hasch wirklich gleichgültig, faul, passiv oder das Fest wird riesengroß" oder "Viel zu viele scheißen sich wegen Polizei und Staatsanwaltschaft dick ins Hemd, kiffen (klamm) heimlich, haben Angst und verstecken sich...". Darin liegt nach Auffassung des Senats eine Aufforderung zum ungesetzlichen Umgang mit Haschisch, denn nur in einem derartigen Fall ist von Polizei und Staatsanwaltschaft etwas zu befürchten.
Auch der Aufruf der Antragstellerin zu einem "CANNABIS-WEEKEND" vom 14. bis 15.05.1994 ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keineswegs rechtlich unerheblich. Dieser Aufruf deckt sich inhaltlich mit dem vorangegangenen Aufruf und zeigt, auf welche Weise die Antragstellerin das von ihr angestrebte Ziel einer Legalisierung des Haschischkonsums durchzusetzen versucht. Die in diesem Aufruf verwendeten Sätze wie die "Haschisch zu konsumieren und dafür zu demonstrieren, ist nicht illegal" oder "Wenn Ihr nicht gerade Platten und kiloweise das Zeug anschleppt, habt Ihr von Behördenseite wenig zu befürchten", sprechen für sich. Auch hierauf kann sich die von der Antragsgegnerin getroffene Prognose stützen, daß es bei der geplanten Versammlung zu massiven Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz kommen wird (vgl. z. B. § 29 Abs. 1 Nr. 12 BTMG i.d.F. v. 28.02.1994 - BGBl. I S. 359 -).
Insgesamt stellt das Versammlungsverbot auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, da durch beschränkende Maßnahmen (Auflagen) keine Abwendung der drohenden Gefahr für die gefährdeten Schutzgüter erzielt werden kann.
Zu Unrecht hält das Verwaltungsgericht auch den Teil der Verfügung für rechtswidrig, der das Verbot auf Ersatzveranstaltungen erstreckt. Der Senat hat zwar in seinem Beschluß vom 17.09.1993, NVwZ-RR 1994, 86 unter Hinweis auf Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rdnr. 15 ausgeführt, daß generelle Versammlungsverbote ausgeschlossen seien, er hat jedoch bereits in seinem Beschluß vom 17.02.1994 - 3 TH 423/94 - in dieser Allgemeinheit daran nicht mehr festgehalten, ohne hierzu allerdings nähere Ausführungen zu machen. Der in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Ausschluß genereller Verbote von Aufzügen und Versammlungen umfaßt nach Auffassung des Senats nicht die an gleichem Ort mit identischem Versammlungsgegenstand stehenden Ersatzveranstaltungen. Diese werden vielmehr von der konkret geplanten Versammlung mit umfaßt.
Hessischer VGH:
Beschluss v. 22.04.1994
Az: 3 TH 1170/94
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