Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 1. Februar 2011
Aktenzeichen: KZR 8/10

(BGH: Beschluss v. 01.02.2011, Az.: KZR 8/10)

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahingehend auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch für eine negative Feststellungsklage eröffnet ist, mit der vom potenziellen Schädiger geltend gemacht wird, dass dem potenziellen Geschädigten aus einem bestimmten Lebenssachverhalt keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung (hier: Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften) zustehen€

Gründe

I.

Die in der Schweiz ansässige Klägerin zu 1 befasst sich mit der Entwicklung, Herstellung und dem Verkauf beschichteter Papierwaren und Folien. Sie vertreibt unter anderem in Deutschland Trägermaterial für Kartenformulare in Endlosform. Die Klägerin zu 2, die ihren Geschäftssitz ebenfalls in der Schweiz hat und zur Unternehmensgruppe der Klägerin zu 1 gehört, ist Inhaberin von Patenten, die bestimmte Formulare zur Übermittlung eines Anschreibens zusammen mit einem Mitgliedsausweis oder dergleichen sowie das Trägermaterial für diese Kartenformulare unter Schutz stellen. Die in Italien ansässige Beklagte entwickelt, produziert und vertreibt Laminate und veredelte Folien verschiedener Art.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 30. März 2007 beanstandete die Beklagte das Vertriebsverhalten der Klägerin zu 1 und deren Weigerung, Patentlizenzen zu erteilen, als kartellrechtswidrig. Daraufhin erhoben die Klägerinnen die vorliegende negative Feststellungsklage, mit der sie im Berufungsrechtszug zuletzt beantragt haben, festzustellen, dass die Klägerin zu 1 nicht verpflichtet ist, ihre von der Beklagten beanstandete Verkaufspraxis hinsichtlich der Rabattierung und Ausgestaltung der Vertriebsverträge zu unterlassen. Weiter begehren die Klägerinnen die Feststellung, dass der Beklagten hinsichtlich dieser Verkaufspraxis weder ein Beseitigungs- noch ein Schadensersatzanspruch zusteht. Schließlich beantragen die Klägerinnen die Feststellung, dass die Klägerin zu 2 nicht verpflichtet ist, der Beklagten eine Lizenz bezüglich zweier der Klägerin zu 2 zustehenden europäischen Patente zu gewähren, mit denen die Herstellung von Formularen sowie Trägermaterialien für die Herstellung von Formularen geschützt sind.

Nach Erhebung der negativen Feststellungsklage haben die Beklagte und die R. AG, eine in der Schweiz ansässige Tochtergesellschaft, über die die Beklagte ihre Produkte nach eigener Darstellung unter anderem in Deutschland vertreibt, vor dem Tribunale di Milano eine Leistungsklage eingereicht, mit der sie geltend machen, die Klägerinnen verhielten sich kartellrechtswidrig, indem sie ihren Kunden proportional zu den Kaufmengen steigende Skonti gewährten. Die Beklagte und die R. AG machen Schadenser- satzansprüche in Höhe von 1,6 Mio. EUR geltend und beantragen ferner, die Klägerin zu 2 zur Erteilung von Lizenzen an den in Rede stehenden Patenten zu verurteilen. Über die Leistungsklage ist noch nicht entschieden.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der allein in Betracht kommende Deliktsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend: EuGVVO) sei für eine negative Feststellungsklage, wie sie hier erhoben sei, nicht gegeben, da mit dieser geltend gemacht werde, dass im Inland gerade keine unerlaubte Handlung begangen worden sei.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Für den Erfolg der Revision der Klägerinnen ist maßgebend, ob das Berufungsgericht seine internationale Zuständigkeit zur Entscheidung des Rechtsstreits zu Recht verneint hat. Ob dies der Fall ist, hängt von der Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ab. Andere Gerichtsstände in Deutschland sind nicht gegeben. Insbesondere hat die Beklagte ihren gemäß Art. 2, 60 EuGVVO zuständigkeitsbegründenden Geschäftssitz in Italien. Mithin sind deutsche Gerichte international nur dann zuständig, wenn für die erhobene negative Feststellungsklage, mit der die Klägerinnen die Feststellung begehren, dass der Beklagten keine Ansprüche wegen behaupteter Verstöße gegen das Kartellrecht zustehen, der Deliktsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eröffnet ist.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestimmt sich vorliegend nach der Verordnung, weil die Beklagte ihren Geschäftssitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (Art. 2 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1 EuGVVO). Dass die Klägerinnen nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in der Schweiz ansässig sind, ändert hieran nichts (EuGH, Urteil vom 1. März 2005 - C-281/02, Slg. 2005, I-1383 = RIW 2005, 292 Rn. 23 ff. - Andrew Owusu; Urteil vom 13. Juli 2000 - C 412/98, Slg. 2000, I-5925 = NJW 2000, 3121 Rn. 33 ff. - Group Josi).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem mit der negativen Feststellungsklage verbundenen Tausch der Parteirollen. Wer im Sinne von Art. 2 EuGVVO Beklagter ist, richtet sich nicht nach der materiellen Schuldnerposition, sondern nach der formalen Parteistellung (zu Art. 2 des insoweit inhaltsgleichen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 [nachfolgend: EuGVÜ]: BGH, Urteil vom 11. Dezember 1996 - VIII ZR 154/95, BGHZ 134, 201, 205 mwN; Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 2 Brüssel-I-VO Rn. 6; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 2 EuGVVO Rn. 1).

2. Gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Sitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (nachfolgend: Gerichtshof) ist der Begriff der unerlaubten Handlung autonom auszulegen. Im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung sind alle Klagen zulässig, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - C-167/00, NJW 2002, 3617 Rn. 35 f. - Henkel mwN). Der Begriff des "Vertrags" wiederum bezieht sich auf freiwillig gegenüber einer anderen Person eingegangene Verpflichtungen (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - C-27/02, NJW 2005, 811 Rn. 50 f. - Engler mwN). Unter den Begriff der unerlaubten Handlung fallen somit auch Kartelldelikte (Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 130 Rn. 340; Fezer/Koos in Staudinger, BGB, Internationales Kartellprivatrecht [2010] Rn. 374; Kropholler, aaO, Art. 5 EuGVVO Rn. 74). Erfasst werden neben Ansprüchen auf Geldersatz auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (EuGH, NJW 2002, 3617 Rn. 44 ff. - Henkel; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004 - I ZR 163/02, NJW 2005, 1435 - Hotel Maritim; Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 329/03, NJW 2006, 689; Gottwald in Münch-Komm.ZPO, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 56; Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 Brüssel-I-VO Rn. 80; Kropholler, aaO Rn. 74).

3. Der Gerichtshof hat noch nicht entschieden, ob eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auch dann gegeben ist, wenn der potenzielle Schädiger eine negative Feststellungsklage erhebt, mit der er festzustellen beantragt, dass dem potenziellen Geschädigten keine Ansprüche aus einer möglichen unerlaubten Handlung zustehen. Die richtige Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in diesen Fällen ist nicht offenkundig, wie die divergierenden Auffassungen verschiedener europäischer Gerichte und der Literatur belegen.

a) Mehrere mitgliedstaatliche Gerichte sind der Ansicht, der gemeinschaftsrechtliche besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung begründe keine Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage des potenziellen Schädigers (zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, der Vorgängerregelung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO: Corte di Cassazione, GRUR Int. 2005, 264, 265; Tribunale di Bologna, GRUR Int. 2000, 1021; Rechtbank van eerste aanleg te Brüssel, GRUR Int. 2001, 170, 172 f.; OLG München, InstGE 2, 61). Ebenso entschieden hat der schwedische Oberste Gerichtshof zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift in Art. 5 Nr. 3 des im Jahre 1988 in Lugano geschlossenen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend: LugÜ) (Högsta Domstolen, GRUR Int. 2001, 178 f.). Hingegen hat das Schweizerische Bundesgericht (IPRax 2008, 544, 546) angenommen, die negative Feststellungsklage könne grundsätzlich auch im besonderen Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 LugÜ angebracht werden, wenn dieser Gerichtsstand für die spiegelbildliche Leistungsklage eröffnet sei (insoweit zustimmend Domej, IPRax 2008, 550 ff.).

In der deutschen Literatur herrscht die Auffassung vor, am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung könne auch eine auf die Feststellung des Nicht-Bestehens von Ansprüchen aus einer möglichen unerlaubten Handlung gerichtete negative Feststellungsklage erhoben werden (Leible, aaO, Art. 5 Brüssel-I-VO Rn. 82; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 228; Fezer/Koos in Staudinger, BGB, Internationales Immaterialgüterprivatrecht [2010] Rn. 1134; MünchKomm.ZPO/Gottwald, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 60; Rogge/Grabinski in Benkard, PatG, 10. Aufl., § 139 Rn. 101b; Wurmnest, GRUR Int. 2005, 265, 267; Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2. Aufl., S. 165 ff.; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen internationalen Zivilprozessrecht, S. 115 ff., aA Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 15; ohne abschließende Stellungnahme Kropholler, aaO, Art. 5 EuGVVO Rn. 78).

b) Der Senat neigt dazu, Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auch auf Klagen anzuwenden, die auf die Feststellung gerichtet sind, dass dem potenziellen Geschädigten keine Ansprüche aus einer möglichen unerlaubten Handlung zustehen.

aa) Dafür spricht zunächst der Wortlaut dieser Bestimmung. Auch bei einer negativen Feststellungsklage bildet eine unerlaubte Handlung den Gegenstand des Verfahrens. Zu Art. 21 EuGVÜ, der Vorgängerregelung des Art. 27 EuGVVO, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Klage, die auf Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet ist, denselben Anspruch betrifft wie eine von dem Beklagten früher erhobene Klage auf Feststellung, dass er für diesen Schaden nicht haftet. Der Umstand, dass die Anträge in einem Fall positiv und im anderen Fall negativ formuliert sind, bewirkt nicht, dass die beiden Rechtsstreitigkeiten unterschiedliche Gegenstände hätten (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 - C-406/92, Slg. 1994 I, 5460 = EuZW 1995, 365 Rn. 37 ff. - Tatry/Maciej Rataj; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 1994 - VIII ZR 154/95, BGHZ 134, 201, 205). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Aussage zur Identität des Streitgegenstands einer negativen Feststellungsklage mit dem Streitgegenstand einer spiegelbildlichen Leistungsklage nicht auch im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gelten sollte (vgl. auch Rogge/Grabinski, aaO, § 139 Rn. 101b; Adolphsen, aaO, S. 165; Hye-Knudsen, aaO, S. 117).

bb) Der Zweck des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung bestätigt diese Auslegung. Die besondere Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf, dass eine besonders enge Beziehung zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des Ortes des Beklagtenwohnsitzes besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser anderen Gerichte rechtfertigt (EuGH, Urteile vom 30. November 1976 - C-21/76, Slg. 1976, 1735 = NJW 1977, 493 Rn. 11 - Mines de Potasse; vom 11. Januar 1990 - C-220/88, Slg. 1990, I-49 = NJW 1991, 631 Rn. 17 - Dumez France; vom 10. Juni 2004 - C-168/02, NJW 2004, 2441, 2442 Rn. 15 - Kronhofer).

Da die positive Leistungsklage aufgrund einer behaupteten unerlaubten Handlung in ihrem Gegenstand mit einer Klage auf Feststellung des Nichtbestehens einer solchen unerlaubten Handlung identisch ist, kann die Frage der Sachnähe des angerufenen Gerichts nicht davon abhängen, welche Partei es anruft. Es besteht kein Grund, dem Kläger einer negativen Feststellungsklage den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu verweigern, den der Kläger einer Leistungs- oder positiven Feststellungsklage unzweifelhaft wählen könnte (Rogge/Grabinski, aaO, § 139 Rn. 101b). Durch die Zulassung einer solchen negativen Feststellungsklage kommt es auch nicht zu einer unerwünschten Vermehrung von Gerichtsständen (dazu EuGH, Urteil vom 11. Januar 1990 - C-220/88, Slg. 1990, I-49 = NJW 1991, 631 Rn. 18 - Dumez France), sondern dem potenziellen Schädiger wird allein die Möglichkeit eingeräumt, sich derjenigen Gerichtsstände zu bedienen, die auch dem potenziellen Geschädigten zustehen (Wurmnest, GRUR Int. 2005, 165, 267 f.; Lundstedt, GRUR Int. 2001, 103, 107).

Zudem hat der Gerichtshof zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ entschieden, dass die Erwägungen zum Zweck der an den Ort der unerlaubten Handlung anknüpfenden besonderen Zuständigkeit unabhängig davon gelten, ob sich das Verfahren auf den Ersatz eines bereits eingetreten Schadens oder auf eine Klage zur Verhinderung des Eintritts eines Schadens bezieht. Der Deliktsgerichtsstand setzt also nicht voraus, dass tatsächlich ein Schaden eingetreten ist (EuGH, NJW 2002, 3617 Rn. 46 ff. - Henkel). Das wird jetzt durch den Wortlaut von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO klargestellt, der ausdrücklich eine vorbeugende Unterlassungsklage einschließt ("drohender Schaden"). Es sollte deshalb auch der negativen Feststellungsklage nicht der Zugang zum Deliktsgerichtsstand mit der Erwägung versagt werden, dass nach dem Vorbringen der klagenden Partei eine unerlaubte Handlung nicht begangen oder ein Schaden nicht eingetreten sei (ebenso Hye-Knudsen, aaO, S. 117). Die besondere Beziehung der Streitigkeit zu dem Forum des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, einzutreten droht oder eingetreten sein soll, hängt nicht von den Parteirollen und der Klageart des Verfahrens ab. Maßgeblich ist vielmehr der dem Gericht unterbreitete Lebenssachverhalt, der jedoch - wie dargelegt - bei der negativen Feststellungsklage und der spiegelbildlichen Leistungsklage identisch ist. Ob sich eine unerlaubte Handlung tatsächlich zugetragen hat oder ob ein Schaden tatsächlich eingetreten ist oder einzutreten droht, ist in beiden Fällen keine Frage der internationalen Zuständigkeit, sondern der Begründetheit der Klage, zu deren Klärung das Gericht am Ort der (potenziell) unerlaubten Handlung in besonderer Weise geeignet ist.

cc) Zur Begründung einer internationalen Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage am Deliktsgerichtsstand dürfte es danach genügen, wenn der Kläger einen Sachverhalt vorträgt, dessen Beurteilung als Delikt oder deliktsähnliche Handlung - insbesondere in Abgrenzung zu einer möglichen Schadenshaftung, die an einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft - nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann und bei dem der Deliktsort im Inland läge, so dass für eine spiegelbildliche Leistungsklage (vgl. dazu BGH, NJW 2005, 1435, 1436 - Hotel Maritim; BGH, Urteil vom 30. März 2006 - I ZR 24/03, GRUR 2006, 513 Rn. 21 - Arzneimittelwerbung im Internet; Leible, aaO Rn. 77; Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., Einl. B Rn. 9) der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet wäre.

dd) Daraus sich ergebende oder in ihrer Wirkung verstärkte Missbrauchsmöglichkeiten, wie etwa die Gefahr einer zu Verzögerungszwecken angebrachten Klage (vgl. Leible, aaO, Art. 27 Brüssel-I-VO Rn. 10b), können die Auslegung einer Bestimmung der Verordnung, die sich aus deren Wortlaut und Ziel ergibt, nicht in Frage stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2003 - C-116/02, Slg. 2003, I-14693 = IPRax 2004, 243 Rn. 53 - Gasser). Insbesondere kann, wie der Gerichtshof bereits zu Art. 21 EuGVÜ (jetzt Art. 27 EuGVVO) entschieden hat, von den Bestimmungen zur internationalen Zuständigkeit auch dann nicht abgewichen werden, wenn der Kläger für seine negative Feststellungsklage ein Forum in der Erwartung gewählt hat, dort werde die Verfahrensdauer unvertretbar lang sein (EuGH, IPRax 2004, 243 Rn. 73 - Gasser). Derartige Gefahren müssen nach Auffassung des Senats daher auch für die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, der - anders als Art. 6 Nr. 2 EuGVVO - keinen Mißbrauchsvorbehalt enthält - außer Betracht bleiben (ebenso Hye-Knudsen, aaO, S. 118; Domej, IPRax 2008, 550, 551 f.).

ee) Gegen die Zulassung einer negativen Feststellungsklage am Deliktsgerichtsstand kann auch nicht eingewandt werden, dass in diesem Fall das gegebenenfalls bestehende Wahlrecht zwischen mehreren nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständigen Gerichten, wenn etwa der gleichermaßen zuständigkeitsbegründende Handlungs- und Erfolgsort auseinander fallen oder der deliktische Erfolg an mehreren Orten eingetreten ist, von dem potenziellen Schädiger ausgeübt wird. Das Wahlrecht zwischen mehreren Deliktsgerichtsständen besteht nicht um einer prozessualen Privilegierung des Geschädigten willen, sondern nach der bereits dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgrund des Gesichtspunkts der Sachnähe (zutreffend Domej, IPRax 2008, 550, 553). Da nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO alle in Betracht kommenden Gerichtsstände als gleichermaßen sachnah und für die Entscheidung der Streitigkeit geeignet anzusehen sind, hat der potenzielle Geschädigte eine Auswahlentscheidung des potenziellen Schädigers hinzunehmen.

4. Die Frage, ob eine negative Feststellungsklage im Deliktsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zulässig ist, ist entscheidungserheblich. Von ihr hängt im Streitfall der Erfolg der Revision ab.

Ist die Vorlagefrage zu bejahen, sind die weiteren Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO erfüllt. Jedenfalls insoweit, als die Klageanträge sich auf den inländischen Markt beziehen, wäre die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben.

a) Der Begriff "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO erfasst nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort), als auch den Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort, vgl. EuGH, Urteile vom 30. November 1976 - C-21/76, aaO Rn. 24 f.; vom 7. März 1995 - C-68/93, Slg. 1995, I-415 = NJW 1995, 1881 Rn. 20 - Shevill; vom 19. September 1995 - C-364/93, Slg. 1995, I-2719 = JZ 1995, 1107 Rn. 11 - Marinari). Im Streitfall liegt der Erfolgsort des Verhaltens der Klägerinnen, das den Gegenstand der Klage bildet - auch - in Deutschland, weil die Parteien hier mit ihren Produkten unmittelbar im Wettbewerb stehen und sich etwaige wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen der Klägerinnen somit unmittelbar auf dem deutschen Markt auswirken. Dies gilt sowohl für das von der Klägerin zu 1 praktizierte Rabattsystem als auch die Weigerung der konzernangehörigen Klägerin zu 2, der Beklagten eine Lizenz an den im Antrag in Bezug genommenen Patenten einzuräumen. Nach dem insbesondere bei Kartelldelikten - im Gleichklang mit der Kollisionsregelung in Art. 6 Abs. 3 Buchst. a der Rom-II-Verordnung - für die Bestimmung des Erfolgsorts maßgeblichen Auswirkungsprinzip (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1979 - KZR 21/78, NJW 1980, 1224, 1225 - BMW-Importe; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 130 Rn. 334; Fezer/Koos in Staudinger, BGB, Internationales Kartellprivatrecht [2010] Rn. 369 ff.; OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 31) begründet dies einen Erfolgsort in Deutschland.

b) Das für die Zulässigkeit der Klage weiter erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerinnen, das auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 - I ZR 201/53, BGHZ 18, 98, 106), ergibt sich aus dem vorgerichtlichen Schreiben der Beklagten vom 30. März 2007.

Tolksdorf Meier-Beck Kirchhoff Löffler Bacher Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 09.05.2008 - 315 O 410/07 -

OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.01.2010 - 3 U 133/08 -






BGH:
Beschluss v. 01.02.2011
Az: KZR 8/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/42460fd7e76a/BGH_Beschluss_vom_1-Februar-2011_Az_KZR-8-10




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