Bundespatentgericht:
Urteil vom 12. Juli 2005
Aktenzeichen: 1 Ni 19/04
(BPatG: Urteil v. 12.07.2005, Az.: 1 Ni 19/04)
Tenor
1.
Das europäische Patent 0 976 343 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 30. Juni 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität der österreichischen Gebrauchsmusteranmeldung 50798 vom 28. Juli 1998 angemeldeten europäischen Patents 0 976 343 (Streitpatent), das unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und insoweit beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 599 03 001 geführt wird.
Das in deutscher Sprache veröffentlichte Streitpatent betrifft eine Einkaufstasche. Es umfasst 3 Patentansprüche, die sämtlich mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden und folgenden Wortlaut haben.
1.
Einkaufstasche aus flexiblem Material, mit zusammenwirkenden Tragegriffen (1,2) am oberen Ende zweier seitlicher Wandungen (6), wobei an den Tragegriffen (1,2) Befestigungsorgane zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Tragegriffe (1,2) an Leisten (5) befestigt sind, welche die oberen Enden der seitlichen Wandungen (6) aufnehmen, und daß an den Tragegriffen je eine nach außen und unten weisende Lasche (3) zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet ist.
2.
Einkaufstasche nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß an einem (2) der Tragegriffe (1,2) eine in den anderen Tragegriff (1) einhakbare Sicherungslasche (4) vorgesehen ist.
3.
Einkaufstasche nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß an den Enden der Leisten (5) Gummizüge
(7) befestigt sind, die die seitlichen Wandungen (6) gegeneinander ziehen.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen unzulässig erweitert worden. Die Gegenstände der Patentansprüche seien gegenüber dem Stand der Technik aber auch nicht mehr neu, beruhten jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie stützt sich bei ihrer Argumentation unter anderem auf die Druckschriften:
D3 DE8201173U1 D7 US4244408und D9 DE 297 03 645 U1.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 976 343 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Klagevorbringen entgegen und halten den Gegenstand des Streitpatents weder für unzulässig erweitert noch durch den ermittelten Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder durch diesen nahegelegt.
Wegen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Gründe
Die in zulässiger Weise erhobene Klage hat auch in der Sache Erfolg.
I Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 unzulässig erweitert worden ist oder ob er von dem Stand der Technik nach der deutschen Gebrauchsmusterschrift 82 01 173 U1 (D3) bereits neuheitsschädlich vorweggenommen ist, denn die Lehre des Anspruchs beruht jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Patentanspruch 1 lässt sich, in Anlehnung an den Vorschlag der Klägerin, wie folgt in Merkmale aufgliedern:
a) Einkaufstasche aus flexiblem Material, b) mit zusammenwirkenden Tragegriffen 1,2 am oberen Ende zweier seitlicher Wandungen 6, c) wobei an den Tragegriffen 1,2 Befestigungsorgane zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet sind, d1) die Tragegriffe 1,2 sind an Leisten 5 befestigt, d2) welche die oberen Enden der seitlichen Wandungen 6 aufnehmen, e) an den Tragegriffen ist je eine nach außen und unten weisende Lasche 3 zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet.
2. Zum Verständnis des Gegenstandes nach Anspruch 1:
Unkritisch sind die Merkmale a) bis c), die den Oberbegriff des Anspruchs bilden.
Merkmal d1), wonach die Tragegriffe an Leisten befestigt sind, spricht die bauliche Verbindung von Tragegriffen und Leisten an. Dieses Merkmal legt weder fest, dass Tragegriff und Leiste aus zwei Stücken hergestellt sein müssen, noch legt es fest, dass der Tragegriff nur den Tragebügel, nicht aber die in die Leiste übergehende Basis des Tragegriffes mitumfasst. Die Streitpatentschrift, insbesondere hierin die Figuren 1 und 2 in Verbindung mit der Figurenbeschreibung, bringen hierzu jedenfalls keine einschränkende Definition.
Auch das Merkmal d2), wonach die Leisten die oberen Enden der seitlichen Wandungen 6 der Einkaufstasche aufnehmen, lässt einen gewissen Interpretationsspielraum. Zum einen fällt eine Konstruktion, wie in Figur 2 dargestellt, mit an den Tragegriffen 1,2 angeformten Leisten (die in Fig 1 mit 5 bezeichnet werden) und Gegenleisten 5 (vgl Fig 2) "zwischen denen die Wandungen 6 der Einkaufstasche eingeklemmt sind" (Abs 00009 der Streitpatentschrift) ganz offensichtlich unter das hier Beanspruchte. Zum anderen kann auch nur jeweils eine Leiste (an der der Tragegriff befestigt ist) das obere Ende der seitlichen Wandung 6 aufnehmen; dh das obere Ende der seitlichen Wandung ist mit dieser Leiste dann (unmittelbar) verbunden.
Auf Rückfrage des Senats haben die Patentinhaber bestätigt, dass sie ebenfalls Anspruch 1 so verstehen, dass auch nur 2 Leisten insgesamt vorhanden sein können. Dies lasse der Anspruch bewusst offen.
Merkmal e) ist aus dem oben dargelegten Verständnis des Merkmals d1) und der Figuren 1 und 2 der Streitpatentschrift so zu interpretieren, dass im Bereich der Tragegriffe an diesen, oder an den damit verbundenen Leisten, je eine nach außen und unten weisende Lasche zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet ist.
3.
Die Erfinder haben es sich zur Aufgabe gemacht, eine Einkaufstasche für Einkaufswagen zu schaffen, mit deren Hilfe das Einkaufen bzw Verstauen der eingekauften Waren vereinfacht werden kann (Abs 0002 und 0003 der Streitpatentschrift).
4.
Zur Lösung dieser Aufgabe konnten sie sich zB an der deutschen Gebrauchsmusterschrift 82 01 173 U1 (D3) orientieren, die -entsprechend Merkmal a) -eine Tragebzw Einkaufstasche aus flexiblem Material (zB Netz, Stoff, Kunstleder, vgl S6 vorle Abs) offenbart. Diese Einkaufstasche weist -entsprechend Merkmal b) zusammenwirkende Tragegriffe 1 am oberen Ende zweier seitlicher Wandungen auf. An diesen Tragegriffen sind -entsprechend Merkmal c) -Befestigungsorgane
(Einhängevorrichtungen 2), zum Einhängen in einen Einkaufswagen, angeordnet (Abb 1 der D3). Auch dort sind -entsprechend Merkmal d1) -die Tragegriffe an Leisten befestigt (Abb 1 iVm Abb 2) und an den Tragegriffen ist (wie aus den og Abbildungen ersichtlich) -entsprechend Merkmal e) -je eine nach außen und unten weisende Lasche (Einhängevorrichtung 2) zum Einhängen in einen Einkaufswagen angeordnet. Diese Einhängevorrichtung ist, wie aus der Abbildung 2 in Verbindung mit der Abbildung 1 der D3-Schrift hervorgeht, jedenfalls auch an den Tragegriffen angeordnet und von der Funktion als Lasche (dh als ein Teil zum Herstellen einer überlappenden lösbaren Verbindung) aufzufassen. Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, wonach eine Lasche relativ kurz sei, so liegt eine zB auf die Länge des Tragegriffes oder noch stärker reduzierte Länge der Einhängevorrichtung im Blickfeld, denn in Abbildung 4 der D3-Schrift sind diese Einhängelaschen auch auf schmale Haken 7, passend zu den flachen Tragegriffen 6, reduziert und in einem weiteren einschlägigen Stand der Technik, gemäß dem deutschen Gebrauchsmuster 297 03 645 U1 (D9), sind ein oder mehrere Einhängehaken 10 (vgl Anspruch 1 iVm den Fig 1 und 2) im Bereich der Tragegriffe vorgesehen. Damit ergibt sich eine Ausführungsform für eine Einkaufstasche mit den Merkmalen a) bis d1) und e) unmittelbar aus der Entgegenhaltung D3; sofern man hinsichtlich des Merkmals e) der engeren Auslegung durch die Beklagten folgen wollte, liegt diese Ausführung mit schmalen Einhänge-Laschen im Hinblick auf eine andere bekannte Ausführungsform in der D3 oder auf Ausführungsformen in der Entgegenhaltung D9 unmittelbar nahe.
Das noch verbleibende Merkmal d2), wonach die Leisten die oberen Enden der seitlichen Wandungen (unmittelbar) aufnehmen, kann eine erfinderische Tätigkeit ebenfalls nicht begründen.
In den Figuren der Druckschrift D3 ist die damals (1982) bevorzugte Ausführungsform, als Netz, für das Transportbehältnis dargestellt. Andere Materialien, wie Stoffe oder Kunstleder (dh Kunststoffe) werden jedoch ebenso in Betracht gezogen (S 6 vorle Abs). Für diese Materialien liegt eine unmittelbare Befestigung (ohne Ringösen), zB durch Vernieten, Verschrauben, Verkleben oder Verschweißen ersichtlich nahe. Dieses Prinzip der Festlegung von zB Kunststoffwandungen an mit Tragegriffen ausgestatteten Kunststoffleisten ist bei größeren Kunststoff-Einkaufstaschen seit langem allgemein bekannt. Die Patentinhaber räumen dies in Absatz 0009 der Streitpatentschrift auch ein.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Auch die Gegenstände der beiden Unteransprüche beruhen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
a) Sicherungslaschen an den Tragegriffen einer Einkaufstasche vorzusehen, die in den jeweils anderen Tragegriff einhaken, sind aus der deutschen Gebrauchsmusterschrift 297 03 645 U1 (D9) bekannt. Wie dort in Figur 2 gezeigt und auf Seite 2, Absatz 3 beschrieben wird, greifen die Laschen 6 bzw 7 der Tragegriffe (mit den Bügeln 4 bzw 3) in eine Öffnung auf der jeweiligen Gegenseite ein und können dann mit Hilfe eines Bolzens oder Verschlusshakens fest verschlossen werden. Und aus der Figur 4 in Verbindung mit der Beschreibung auf Seite 2 im Absatz 5 ist bekannt, ein ineinander greifendes Clipsystem 13,14 vorzusehen, bei dem an jedem der Tragegriffe eine Sicherungslasche 13 angeordnet ist, die in die jeweils gegenüberliegende Öffnung 14 des anderen Tragegriffes einhakt. Diese von beiden Tragegriffen ausgehenden bekannten Sicherungslaschen nur an einem Tragegriff zum Einhaken in den anderen vorzusehen, wie es mit Anspruch 2 des Streitpatents beansprucht wird, stellt eine naheliegende Vereinfachung dar, die keine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermag.
b) Schließlich kann der Senat auch im Gegenstand des Anspruchs 3, wonach an den Enden der Leisten Gummizüge befestigt sind, die die seitlichen Wandungen gegeneinander ziehen, um die Tasche zusätzlich gegen ein Öffnen zu sichern (vgl dazu Abs 0006 der Streitpatentschrift), keinen die Erfindungshöhe begründenden Gehalt erkennen.
Gummizüge als Verschlusshilfe vorzusehen, ist allgemein bekannt. Beispiele dafür gibt es aber auch im hier zu berücksichtigenden einschlägigen Stand der Technik. So sind nach den Figuren 4 und 6 der US-Patentschrift 4 244 408 (D7) die seitlichen Wandungen zwischen den beiden Tragegriffen einer Einkaufstasche mit Gummizügen gegeneinander gezogen. Die Übertragung dieser bekannten Hilfsmaßnahme auf die seitlichen Wandungen zwischen den Enden der Leisten, an denen die Tragegriffe befestigt sind, bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit.
II Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Dr. Landfermann Dr. Barton Dr. Frowein Rauch Pontzen Be
BPatG:
Urteil v. 12.07.2005
Az: 1 Ni 19/04
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