Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 2. September 1999
Aktenzeichen: 4 O 239/98
(LG Düsseldorf: Urteil v. 02.09.1999, Az.: 4 O 239/98)
Tenor
I.
Die Beklagte wird verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,- DM - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
medizinische Geräte zur Gefäßaufweitung (Stents),
anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den ge-nannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
die ein Einzeldrahtstück aufweisen, welches in eine geschlossene Zickzack-Gestalt geformt ist, die aus einer endlosen Aneinanderreihung von geraden Abschnitten gebildet ist, die über eine Mehrzahl von Biegungen oder Biegestellen verbunden sind, wobei die Stents in eine erste, kleinere Gestalt nachgiebig zusammendrückbar sind, in welcher alle geraden Abschnitte zwecks Einführung in einen Durchgang seitlich nebeneinander liegend und dicht zueinander benachbart angeordnet sind, wobei die Biegestellen unter Spannung stehen, und wobei die Stents durch Freigabe der Spannung in eine zweite Gestalt nachgiebig aufweitbar ausgebildet sind, in welcher alle geraden Abschnitte einen im wesentlichen kreisförmigen oder zylindrischen Aufbau zwecks Anpressung gegen die Wand des Durchganges festlegen, um diesen offen zu halten;
2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. Juli 1991 begangen hat, und zwar - jeweils unter Nennung der Typenbezeichnungen - unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebots-empfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufge-schlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei
- sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt.
II.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 19. Juli 1991 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei sich die Verpflichtung zum Schadensersatz für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000.000,-- DM vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem deutschen Anteil des europäischen Patents 0 177 330 (nachfolgend: Klagepatent, Anlage K1; deutsche Übersetzung der Beschreibung, Anlage K2) auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
Das Klagepatent ist unter Inanspruchnahme der Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung 65 62 61 vom 1. Oktober 1984 am 1. Oktober 1985 beim Europäischen Patentamt angemeldet worden. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 9. April 1986, die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung am 19. Juni 1991.
Anspruch 1 des in der Verfahrenssprache Englisch erteilten Klagepatents, das einen Stent (medizinischen Spreizkörper zur Gefäßaufweitung) betrifft, lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:
Stent (9) bzw. medizinisches Gerät zur Gefäßaufweitung, aufweisend ein Einzeldrahtstück, welches in eine geschlossene Zickzack-Gestalt geformt ist, die aus einer endlosen Aneinanderreihung von geraden Abschnitten (12) gebildet ist, die über eine Mehrzahl von Biegungen oder Biegestellen (13) verbunden, wobei der Stent in eine erste, kleinere Gestalt nachgiebig zusammendrückbar ist, in welcher alle geraden Abschnitte zwecks Einführung in einen Durchgang seitlich nebeneinanderliegend und dicht zueinander benachbart angeordnet sind, wobei die Biegestellen unter Spannung stehen, und wobei der Stent durch Freigabe der Spannung in eine zweite Gestalt nachgiebig aufweitbar ausgebildet ist, in welcher alle geraden Abschnitte einen im wesentlichen kreisförmigen oder zylindrischen Aufbau zwecks Anpressung gegen die Wand des Durchganges festlegen, um diesen offen zu halten.
Wegen des ”insbesondere” geltend gemachten Patentanspruchs 2 wird auf die Klagepatentschrift Bezug genommen.
Die nachfolgend abgebildeten Figuren 1 bis 10 stammen aus der Klagepatentschrift. Die Figur 1 zeigt eine Seitenansicht eines bevorzugten Ausführungsbeispieles der Erfindung; die Figur 2 zeigt eine Draufsicht auf eine Anordnung gemäß Anspruch 1. Die Figur 3 zeigt einen Schnitt durch ein Blutgefäß, das durch einen Tumor eingeschnürt wird; die Figur 4 eine Ansicht ähnlich der Figur 3, wobei ein Schritt des Verfahrens zum Einführen des erfindungsgemäßen Stents gezeigt ist. Die Figuren 5 und 6 zeigen Ansichten anschließender Schritte des in Figur 4 dargestellten Verfahrens. Eine Ansicht ähnlich der Figur 6 zeigt die Figur 7, wobei drei Stents dargestellt sind, die gemäß einem anderen Ausführungsbeispiel der Erfindung in einem Blutgefäß positioniert sind; eine Ansicht ähnlich den Figuren 6 und 7, wobei vier Stents in einem Blutgefäß entsprechend einem weiteren Ausführungsbeispiel des erfindungsgemäßen Verfahrens überlappend positioniert sind, zeigt die Figur 8. Die Figur 9 zeigt eine Seitenansicht einer Hülse, die beim Verfahren zum Einführen des erfindungsgemäßen Stents verwendet wird und die Figur 10 einen Schnitt durch das proximale Ende der Hülse, wobei der Stent in der Hülse positioniert ist, um das Verfahren zum Einführen des erfindungsgemäßen Stents darzustellen.
Ein zur Firmengruppe der Beklagten gehörendes Unternehmen hat Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht gegen den deutschen Anteil des europäischen Patents erhoben. Diese Klage wurde mit Urteil des Bundespatentgerichts vom 29. Januar 1998 abgewiesen (Anlage K 3). Gegen das Urteil wurde Berufung zum Bundesgerichtshof eingelegt.
Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung ”Vanguard” und ”Passager” zwei Typen von Stents an. Deren Ausgestaltung ergibt sich aus den von der Klägerin eingereichten Prospektblättern (Anlagen K8 und K9) sowie zwei überreichten Mustern (Anlage K 8.1 und K 9.1).
Nachstehend abgebildet sind zwei Lichtbilder aus den Prospekten, die die beiden Ausführungsformen zeigen.
Die Klägerin hat die ( … ), vor dem Landgericht München I wegen Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Beklagte hat den Geschäftsbetrieb ( … ) übernommen, der sich mit der Herstellung von Stents beschäftigt. Das Landgericht München I hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 30. Juni 1996 (Anlage B6) die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 17. Mai 1998, des Ergänzungsgutachtens vom 16. November 1998 und die ergänzende Stellungsnahme vom 10. April 1999 (Anlage B3, Anlage B4 und Anlage B5) des Sachverständigen Dr. rer. nat. ( … ) wird Bezug genommen. Gegenstand des Verletzungsrechtsstreits war unter anderem auch ein Stent mit der Bezeichnung ”Stentor”, der in seiner äußeren Ausgestaltung dem Muster nach Anlage K 8.1 entspricht.
Die Klägerin sieht in den von der Beklagten angebotenen und vertriebenen Stents eine wortsinngemäße Verletzung ihres Klagepatents.
Die Klägerin beantragt,
zu erkennen wie geschehen, insbesondere wenn auch die Merkmale des Anspruchs 2 des Klagepatentes erfüllt sind.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie stellt eine Verletzung des Klagepatentes in Abrede.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten und zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht zu, denn die Beklagte verletzt schuldhaft das Klageschutzrecht, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 3 Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ), §§ 9, 14, 139 Abs. 1 und Abs. 2, 140b Patentgesetz (PatG), §§ 242, 259 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 256 Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Zuerkennung des nur ”insbesondere” geltend gemachten Anspruches 2 ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer entbehrlich.
I.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft Stents (medizinische Spreizkörper). Die Klagepatentschrift bezeichnet es einleitend als in verschiedenen Situationen wünschenswert, über eine Einrichtung zu verfügen, mit der ein eingeengter Gefäßabschnitt aufgeweitet oder ein Durchlaß durch einen Gefäßabschnitt offen gehalten werden kann. Dies geschieht dadurch, daß der Stent stark komprimiert und mittels eines Zuführkatheters an die betreffende Gefäßstelle gebracht und dort aus dem Katheter herausgedrückt wird, wobei er sich unter Ausübung eines entsprechenden Drucks auf die Gefäßwand aufweitet, so daß diese geöffnet bzw. geweitet wird. Derartige Situationen sind beispielsweise bei der Krankheit Arteriosklerose, aber auch bei einem wachsenden Tumor gegeben, der die Blutströmung durch ein Blutgefäß einschränken oder sogar abblocken kann.
In der Beschreibungseinleitung des Klagepatents findet sich eine ausführliche Schilderung der Entwicklung der Stents, beginnend mit einem Aufsatz von Dotter et al.. Dieser als Anlage K4 vorgelegte Aufsatz beschreibt die Verwendung von wendelförmig (spulenförmig) gewickelten Stahldrähten, die in Adern eingesetzt wurden, um diese offen zu halten.
Als weiterer Stand der Technik wird eine weitere Veröffentlichung von Dotter et. al. aus dem Jahre 1983 (Anlage K5) in der Klagepatentbeschreibung erwähnt. Bei dem sich hieraus ergebenden Stand der Technik wird ebenfalls ein Draht wendelförmig (spulenförmig) gewickelt. Eine Besonderheit dieses Standes der Technik ist, daß Nitinol verwendet wird, eine Metallegierung mit einem sogenannten "Formgedächtnis”. Die Legierung nimmt bei einer ersten Temperatur eine erste Gestalt und bei einer anderen Temperatur eine andere Gestalt ein. Die Figur 1 der Anlage K 5 gibt die beiden Gestalten des wendelförmigen Stents wieder. In der in der Figur 1 oben gezeigten, kleineren Gestalt kann der Stent in einfacher Weise in eine enge Hülse eingeführt werden. Befindet der Stent sich an der Stelle der Ader, wo diese aufgeweitet werden soll, wird mittels einer in die Ader eingegebenen, temperierten Flüssigkeit die Temperatur des Stents an der kritischen Stelle der Ader (also tief im Körper des Patienten) so geändert, daß der Stent auf Grund des Formgedächtnisses der verwendeten Legierung die nachfolgend gezeigte, aufgeweitete wendelförmige Gestalt annimmt und so die Ader aufweitet.
Nachstehend abgebildet ist die Figur 1 der Anlage K5.
Als weiterer Stand der Technik wird in der Beschreibung des Klagepatents eine Veröffentlichung von Cragg et al. aus dem Jahre 1983 erwähnt (Anlage K6). Auch diese Veröffentlichung schlägt wendelförmig gewickelte Drähte aus Nitinol mit Formgedächtnis vor, um in situ eine Aufweitung des Stents zu ermöglichen.
Die Beschreibung des Klagepatentes bezeichnet es als Nachteil derartiger Stents aus Nitinol, daß sie in ihrer Handhabung umständlich sein können. Sie erfordern Eiswasser oder eine erwärmte Kochsalzlösung für die Positionierung. Ferner wurde bei diesen Stents festgestellt, daß bei ihnen eine Verringerung des Freiraumes innerhalb der Ader auf Grund von Fibrin-Ablagerungen (Eiweißstoff des Blutes, der bei der Gerinnung entsteht) auf den Stent-Drähten entsteht.
Das Klagepatent bezeichnet es als das technisch zu lösende Problem (die Aufgabe) der Erfindung, einen Stent bereitzustellen, der leicht zu benutzen und zu positionieren ist und der Strömungsbeeinträchtigungen, Verengungen des Freiraumes und Verstopfungen reduziert.
Anspruch 1 des Klagepatents löst dieses technische Problem durch folgende Merkmalskombination:
1. Stent (9) bzw. medizinisches Gerät zur Gefäßaufweitung,
2. aufweisend ein Einzeldrahtstück (10), welches in eine geschlossene Zick-Zack-Gestalt geformt ist.
3. Die Zick-Zack-Gestalt ist durch eine endlose Aneinanderreihung gerader Abschnitte (12) gebildet, die über eine Mehrzahl von Biegungen (13) oder Biegestellen verbunden sind.
4. Der Stent ist in eine erste, kleinere Gestalt federnd nachgiebig zusammendrückbar.
5. In der ersten, kleineren Gestalt, liegen alle geraden Abschnitte zwecks Einführung in einen Durchgang seitlich nebeneinander und sind dicht zueinander benachbart angeordnet.
6. In der ersten, kleineren Gestalt stehen die Biegestellen unter Spannung.
7. Der Stent ist durch Freigabe der Spannung in eine zweite Gestalt nachgiebig aufweitbar ausgebildet.
8. In der zweiten Gestalt legen alle geraden Abschnitte einen im wesentlichen kreisförmigen oder zylindrischen Aufbau zwecks Anpressung gegen die Wand des Durchganges fest, um diesen offen zu halten.
Die Klagepatentbeschreibung führt aus, daß der Draht vorzugsweise aus Edelstahl besteht (vgl. Seite 3, 4. Absatz).
Sie bezeichnet es als Vorteil, daß die Stents mit unterschiedlichen Durchmessern und Längen aus Edelstahl-Draht gebildet werden können, der in Zickzack-Struktur gebogen ist. Sie sind leicht perkutan in Venen und Arterien zu positionieren und sie erfordern nicht die Verwendung von Eiswasser oder heißer Kochsalzlösung, wie bei Nitinol-Spulen. Außerdem sind Fibrin-Ablagerungen auf den Stent-Drähten bei Edelstahl-Drähten, im Unterschied zu den intravaskulären Nitinol-Stents, bei denen innerhalb von vier Wochen eine Verengung des Hohlraumes aufgetreten ist, im Tierversuch nicht zu beobachten gewesen.
Die Spreizkraft des Stents kann durch Wahl des Drahtdurchmessers, der Anzahl der Drahtwindungen und der Stent-Länge eingestellt werden. Schließlich, so die Klagepatentbeschreibung auf Seite 9, 1. Absatz, können auch mehrere Stents verwendet werden. Ist je nach den Umständen der interessierende Gefäßabschnitt länger als ein Stent, so können mehrere Stents nacheinander mit geringer Überlappung an den Enden positioniert werden. Wenn die Spreizkraft eines Stents nicht ausreicht, können mehrere Stents ineinander positioniert werden, um die Spreizkraft an einer bestimmten Stelle zu erhöhen.
II.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäß. Der Beklagten kann weder darin gefolgt werden, daß der Sinngehalt des Anspruches 1 die Verwendung der Legierung Nitinol für die medizinischen Spreizkörper ausschließe, noch darin, daß die Merkmale 2 bis 8 des Anspruches 1 nicht von beiden angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht würden.
Nach Art. 69 Abs. 1 EPO wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind. Inhalt bedeutet nicht Wortlaut, sondern Sinngehalt. Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend - im Sinne einer Auslegungshilfe - der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Auslegung des Art. 69 Abs. 1 EPÜ (BGBl. 1976 II, 1000). Danach dient die Auslegung nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen, sondern auch zur Klarstellung der in den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der Erfindung (st. Rspr. BGHZ 105, 1 - Ionenanalyse; BGHZ 133, 1 -Autowaschvorrichtung; vgl. auch zu § 14 PatG: BGHZ 98, 12 - Formstein). Für die Beurteilung entscheidend ist dabei die Sicht des auf dem jeweiligen Fachgebiet tätigen Fachmanns. Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH Urt. v. 31. Januar 1984 - X ZR 7/82, GRUR 1984, 425, 426 - Bierklärmittel; Urt. v. 26. September 1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116, 117 f. - Prospekthalter; Urt. v. 29. April 1997 - X ZR 101/93, GRUR 1998, 133, 134 - Kunststoffaufbereitung).
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wortsinngemäß. Unstreitig handelt es sich bei beiden angegriffenen Ausführungsformen um medizinische Geräte zur Gefäßaufweitung, sog. Stents, im Sinne des Merkmals 1.
Entgegen der Auffassung der Beklagten fallen die angegriffenen Ausführungsformen nicht schon deshalb nicht in den Schutzbereich des Anspruchs 1 des Klagepatents, weil sie aus der Legierung Nitinol bestehen.
Der Anspruch 1 selbst enthält keine Angabe über das zur Herstellung der Stents zu verwendende Material. Der Beschreibung des Klagepatentes ist zu entnehmen, daß das Klagepatent an den im Stand der Technik bereits bekannten Stents aus der Legierung Nitinol kritisiert, daß Ablagerungen von Fibrin, einem Eiweiß, auf den Stent-Drähten festgestellt wurden, durch die es zu einer Verengung des Hohlraumes gekommen ist (vgl. Anlage K2, Seite 1 am Ende/ Seite 2 oben). Auf Seite 10 der Klagepatentbeschreibung am Ende des ersten Absatzes heißt es hierzu, daß bei der Verwendung von Edelstahl-Stents keine Verengung des Freiraumes im Rahmen der Tierversuche beobachtet werden konnte. Schließlich nennt die Beschreibung noch einen weiteren Nachteil bei der Anwendung von Nitinol-Stents, nämlich daß der Einsatz von Eiswasser oder erwärmter Kochsalzlösung die Plazierung des Stents erschweren kann. Trotzdem schränkt weder die Beschreibung des Klagepatentes den Schutzbereich des Anspruchs 1 auf die Verwendung von Edelstahl für den Stent ein bzw. sie schließt die Verwendung von Nitinol als Werkstoff aus, noch läßt sich eine derartige Einschränkung aus der Aufgabenstellung des Klagepatents, die als technisch zu lösende Probleme unter anderem die leichte Positionierbarkeit des Stents und die Reduzierung von Verstopfungen der Gefäße nennt, folgern. Dies folgt insbesondere daraus, daß die Klagepatentbeschreibung auf Seite 3 im vierten Absatz ausführt: ”Der Draht besteht vorzugsweise aus Edelstahl mit ...” Bereits die Verwendung des Begriffes "vorzugsweise” zeigt, daß es sich bei Stents aus Edelstahl um eine bevorzugte Ausführungsform eines Stents nach dem Klagepatent handelt. Daß auch der Durchschnittsfachmann die Patentschrift nicht dahingehend versteht, daß auf den Werkstoff Nitinol verzichtet werden soll, hat der vom Landgericht München I beauftragte Sachverständige im übrigen auch überzeugend in seinem Gutachten vom 17. Mai 1998 auf Seite 17 dargelegt. Auf seine Begründung kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
Beide angegriffenen Ausführungsformen erfüllen das Merkmal 2 wortsinngemäß, das verlangt, daß der Stent ein Einzeldrahtstück aufweist, welches in eine geschlossene Zick-Zack-Gestalt geformt ist, und sie erfüllen auch das Merkmal 3, das besagt, daß die Zick-Zack-Gestalt durch eine endlose Aneinanderreihung gerader Abschnitt gebildet ist, die über eine Mehrzahl von Biegungen oder Biegestellen verbunden ist. Zuzustimmen ist der Beklagten darin, daß diese beiden Merkmale die geometrische Gestalt des Stents definieren und sie daher nicht unabhängig voneinander zur Auslegung des Schutzbereiches des Anspruches 1 des Klagepatents herangezogen werden dürfen.
Betrachtet man die Gesamtgestalt der beiden angegriffenen Ausführungsformen, so bestehen diese unstreitig, wie die Klägerin und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung anschaulich anhand der überreichten Zeichnungen und der Fotos deutlich gemacht haben, aus mehreren Einzeldrahtstücken; im Falle der angegriffenen Ausführungsform I sind es insgesamt 6 Einzeldrahtstücke (vgl. Zeichnung 2). Die Struktur der beiden Ausführungsformen weist, wie die Beklagte anhand des Fotos nach Anlage B12 dargelegt hat, eine kronen- bzw. schraubenartige Zick-Zack-Konfiguration auf, wie dies auch der vom Landgericht München I beauftragte Sachverständige auf Seite 6 seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. November 1998 (Anlage B5) ausgeführt hat. Der Draht wird, nachdem er die erste Etage in Zick-Zack-Form um 360° umlaufen hat, in die nächste tiefere Etage geführt und in Zick-Zack-Formung auf dieser Etage weiter geführt, um dann wieder in die nächste darunter befindliche Etage geführt zu werden etc..
Zuzustimmen ist der Klägerin jedoch darin, daß bei der Beurteilung der Frage, ob die angegriffenen Ausführungsformen die geometrische Zick-Zack-Gestalt im Sinne der Merkmale 1 und 2 aufweisen, der Fachmann nicht auf die beiden Ausführungsformen in ihrer Gesamtheit abstellt, sondern vom Sinngehalt des Patentanspruches 1 ausgehend nur "isoliert” eine Etage des Stents, in der sich die Zick-Zack-Konfiguration des Drahtes verwirklicht, heranzieht. Anspruch 1 des Klagepatents lehrt nämlich die Ausbildung nur einer einzigen "Etage" eines Stents, das heißt nur eine einfache ringförmige Konfiguration. Diese kann jedoch je nach Bedarf in der Größe ("maßgeschneidert”) variiert werden, wenn der Gefäßdurchgang, der von dem Stent offenzuhalten ist, größer ist. Schließlich schlägt die Beschreibung des Klagepatents zusätzlich vor (vgl. Seite 9, 2. Absatz), wie die Ausführungsbeispiele nach den Figuren 7 und 8 beispielhaft zeigen, bei Bedarf mehrere Stents hintereinander in ein Blutgefäß einzuführen, wenn der offen zu haltende Gefäßabschnitt länger als ein Stent ist. In diesem Fall können mehrere Stents nacheinander mit geringer Überlappung an den Enden positioniert werden.
Wie der Sachverständige auf Seite 2 seines Gutachtens vom 17. Mai 1998 ausführt, ist unter einer geschlossenen Zick-Zack-Gestalt eine Gestalt ohne jedwedes offene Ende zu verstehen. Dieses in Merkmal 2 festgelegte Erfordernis soll in technischer Hinsicht bewirken, daß durch das Schließen der Zick-Zack-Gestalt eine Gestalt des Stents geschaffen wird, die kreisförmig (ringförmig) bzw. zylindrisch ist und die auf Grund dieser durch die Ringform bewirkten Stabilität geeignet ist, ein Körpergefäß offenzuhalten (vgl. Merkmal 8). Entscheidend ist damit, daß eine räumlich körperliche Verbindung eingegangen wird, die einen beliebigen Anfang und ein beliebiges Ende aufweist.
Ausgehend hiervon weist jede (bzw. die "erste”) Etage der angegriffenen Stents eine in sich geschlossene Zick-Zack-Gestalt auf. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 17. Mai 1998 auf Seite 2 ausgeführt, daß die Angabe, daß "der Einzeldraht in eine geschlossene Zick-Zack-Gestalt geformt ist” aus Sicht des Fachmannes bedeutet, daß "die beiden Enden des Drahtes, der zwei Enden aufweist, wie auch immer miteinander verbunden werden müssen”. Dem Sachverständigen kann darin zugestimmt werden, daß das Merkmal 2 offen läßt, mit welchen Mitteln eine Schließung des Einzeldrahtstückes, erreicht werden kann. Ihm kann schließlich auch darin gefolgt werden, daß bei dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1 des Klagepatents die Verbindung der beiden Enden des Drahtes miteinander erforderlich ist, um eine Verletzung des Körpergefäßes zu vermeiden. Nach dem Verständnis des Fachmannes liegt eine Verbindung der beiden Enden des Drahtes aber auch darin, daß - bei der Betrachtung nur der ersten Etage des Gesamtstents - ein Ende, das heißt der Anfang des Drahtes, mit dem letzten Teilabschnitt der Etage, dem "anderen Ende" des Drahtes zusammengeführt wird. Das Schließen der Zick-Zack-Konfiguration im Sinne des Merkmales 2 bedeutet aus der Sicht des Fachmannes, daß überhaupt eine räumlichkörperliche Verbindung des Drahtes zur Herbeiführung der geschlossenen Zick-Zack-Gestalt hergestellt werden soll. Denn nur durch das Schließen der Zick-Zack-Konfiguration des Einzeldrahtes wird dieser in die erforderliche ringförmige Struktur bzw. zylindrische Konfiguration gebracht, die für das Offenhalten eines Gefäßdurchganges notwendig ist. Der Fachmann wird dies selbstverständlich mit dem Gedanken verbinden, daß die Enden des Einzeldrahts keine Gefahr für das Körpergefäß darstellen dürfen. Auf welche Weise dies im einzelnen sichergestellt werden wird, hierfür lassen sich weder dem Anspruch noch der Beschreibung Vorgaben entnehmen, so daß dem Fachmann insoweit die Wahl seiner Mittel freigestellt ist. Zwar führt die Beschreibung auf Seite 4 im letzten Absatz aus, daß "der Draht mittels einer Hülse geschlossen ist, die angeschweißt oder fest mit den Enden des Drahtes verpreßt ist, um eine endlose Struktur zu bilden.” Dies geschieht jedoch im Zusammenhang mit der Beschreibung des Ausführungsbeispieles nach der Figur 1 des Klagepatents. Diese Angabe kann daher nicht zu einer Einschränkung des technisch zu verstehenden Sinn des Merkmals 2 führen.
Ein Schließen der Zick-Zack-Gestalt im Sinne des Merkmales 2 liegt bei beiden angegriffenen Ausführungsformen daher darin, daß der Beginn des Drahtes, das eine "Ende” des Drahtes, bei Vollendung der ringförmigen Struktur mit dem Abschnitt des Drahtes in der ersten Etage zusammengeführt wird, der dann weiter in der nächsten Etage des Stents verläuft und der daher - betrachtet man wie geboten nur die erste "Etage" des Gesamtstents - das andere Ende des diese Etage bildenden Stents darstellt. Dieses geschieht bei beiden angegriffenen Ausführungsformen unstreitig dadurch, daß in der "ersten Etage” mittels eines weißen Filamentes eine feste Verbindung zwischen dem Anfang des Drahtes und einem hierzu parallel verlaufenden Abschnitt des Drahtes hergestellt wird, so daß die ringförmige Gestalt des Stents herbeigeführt wird, während in den übrigen Etagen jeweils zwei parallel verlaufende Abschnitte des Drahtes nach Vollendung der ringförmigen Etage miteinander ebenfalls durch ein weißes Filament fest verbunden werden. Dabei spielt es keine Rolle, daß der Draht bei beiden angegriffenen Ausführungsformen in die nächste Etage geführt wird, eine weitere zickzackgeformte Etage durch den Draht gebildet wird und die aneinander grenzenden Biegungen des Drahtes über blaue Fäden miteinander befestigt werden, so daß mindestens zwei und auch mehrere Zick-Zack-Gestalten miteinander verknüpft werden. Der Gedanke der angegriffenen Ausführungsformen, den Draht in mehrere weitere zickzackgeformte Etagen zu führen, mag eine über die Lehre des Klagepatentes hinausgehende erfinderische Qualität haben, wie der Sachverständige in seinem Gutachten vom 17. Mai 1998 auf Seite 3 dargestellt hat. Sie bietet zumindest eine Alternative für die in der Klagepatentschrift vorgeschlagene Lösung, im Falle eines längeren offenzuhaltenden Gefäßabschnittes mehrere Stents hintereinander mit geringfügiger Überlappung an den Stents zu positionieren, und kann dadurch durchaus gewisse Nachteile dieser in der Klagepatentschrift gezeigten - jedoch außerhalb des hier zu erörternden Anspruchs 1 liegenden - Lösung überwinden, die der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. November 1998 (Anlage B5) auf Seite 5 ausführlich beschrieben hat, und weist ihr gegenüber sicherlich die Vorzüge auf, die die Beklagte ausführlich in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, wie zum Beispiel den Vorteil der Vermeidung eines Umschnappens bzw. Umklappens des Stents durch die Verbindung der Biegestellen über die blauen Fäden. Beide angegriffenen Ausführungsformen greifen jedoch die Lehre der Merkmale 1 und 2 insoweit auf, als sie die Formung des Einzeldrahtes in eine geometrische geschlossene Zick-Zack-Gestalt verwirklichen und diesen Gedanken fortentwickeln.
Jede einzelne Etage der angegriffenen Ausführungsformen weist damit auch endlos aneinander gereihte gerade Abschnitte, die über eine Mehrzahl von Biegungen oder Biegestellen verbunden sind, im Sinne des Merkmals 3 auf. Die Endlosigkeit der Aneinanderreihung der geraden Abschnitte ist durch den ringförmigen Verlauf einer jeden einzelnen Etage bedingt. Das Merkmal 3 kann entgegen der Auffassung des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 17. Mai 1998 aus den bereits dargestellten Gründen nicht deshalb verneint werden, weil nicht die Enden des Drahts oder je ein Ende zweier verschiedener Drähte miteinander verbunden seien, denn das Merkmal 3 definiert die im Merkmal 2 vorgegebene geometrische Zick-Zack-Gestalt des Einzeldrahtes. Bei der Auslegung des Merkmals 3 ist ebenso wie bei der Auslegung des Merkmals 2 nur jeweils eine Etage bzw. eine Stufe der angegriffenen Ausführungsformen in Betracht zu ziehen.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch die Merkmale 4, 5, 6 und 7 des Anspruchs 1. Die angegriffenen Stents sind in eine erste, kleinere Gestalt federnd nachgiebig zusammendrückbar. In dieser ersten kleineren Gestalt liegen alle geraden Abschnitte zwecks Einführung in einen Durchgang seitlich nebeneinander und sind dicht zueinander benachbart (Merkmal 5); in dieser ersten kleineren Gestalt stehen auch die Biegestellen des Stents unter Spannung. Entsprechend Merkmal 7, das sich ebenso wie das Merkmal 8 mit der zweiten Gestalt des Stents beschäftigt, kann der Stent durch Freigabe der Spannung in eine zweite Gestalt nachgiebig aufgeweitet werden.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, daß die Beklagte den Nitinoldraht über eine Spindel wickelt und auf eine höhere Temperatur bringt. Danach verformt sie den Draht in die Zick-Zack-Gestalt. Anschließend werden die so hergestellten Nitinol-Stents auf eine Temperatur von 0° Celsius abgekühlt. Dadurch gerät der Stent in den martensitischen Zustand, wie der Sachverständige auf Seite 21 seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. November 1998 (Anlage B5) ausführt. Das heißt, die Kristallstruktur der Nitinol-Moleküle verändert sich so (pseudoplastische Verformung), daß der Stent eine kleine Gestalt annimmt, die es erlaubt, ihn bei 0° Grad Celsius in eine Hülle bzw. einen Katheter zur späteren Einführung in ein menschliches Gefäß einzuführen. In diesem martensitischen Zustand bei einer Temperatur von 0° Celsius weist der Nitinol-Draht keine inneren Spannungen auf, die durch eine plastische Verformung entstanden sind. Es fehlt in diesem Zustand unstreitig den angegriffenen Ausführungsformen an der federnd elastischen Zusammendrückbarkeit.
Gleichwohl steht dies der Verwirklichung des Merkmale 4 bis 7 durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht entgegen. Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, eine Verletzung der Merkmale 4 bis 7 durch die beiden angegriffenen Ausführungsformen scheide deshalb aus, weil die von ihr hergestellten angegriffenen Nitinol-Stents bei einer Temperatur von 0° Celsius die Eigenschaft der federnden Nachgiebigkeit nicht aufweisen, wenn sie in einen Katheter eingesetzt werden, und bei ihnen folglich auch bei einer Erwärmung auf Zimmertemperatur eine durch Zusammendrücken erzeugte Spannung in den Biegestellen nicht vorhanden sei und auch deshalb eine solche durch Zusammendrücken erzeugte Spannung auch nicht freigesetzt werden könne. Der Sachverständige hat zwar diese Eigenschaften des Werkstoffes Nitinol bei einer Temperatur von 0° Celsius bestätigt und ergänzend ausgeführt, daß nach dem Gesamtverständnis des Fachmannes vom Inhalt der Merkmale 4, 6 und 7 die elastische Expandierbarkeit des Stents sowohl direkt nach dem Zusammendrücken vorliegen müsse als auch später im menschlichen Körper kurz vor dem Plazieren des Stents (vgl. Gutachten vom 17. Mai 1998, Seite 13 oben) im Gefäß. Hiervon ausgehend hat der Sachverständige eine Verwirklichung des Merkmals 7 verneint, da nicht im gesamten von der Beklagten für die Herstellung der Stents geschaffenen Temperaturbereich von 0° Celsius bis zur Raumtemperatur diese Bedingungen gegeben seien (vgl. Anlage B5, Seite 21 unten, Seite 22 oben). Dieser Schlußfolgerung des Sachverständigen kann sich die Kammer jedoch aus den nachfolgenden patentrechtlichen Überlegungen nicht anschließen.
Bei einem Vorrichtungspatent fällt jeder Gegenstand, der die anspruchsgemäßen Eigenschaften oder Merkmale aufweist, unter den Schutz des Patents. Weder wird der Schutzbereich eines Vorrichtungspatentes durch die in der Patentschrift genannten Mittel zu seiner Herstellung beschränkt, noch wird der Schutzbereich des Sachpatents dadurch eingeschränkt, daß die Art und Weise der Anwendung der Vorrichtung abweichend von den im Klagepatent genannten Bedingungen erfolgt. Der Tatsache, daß die Beklagte die Stents bei einer Temperatur von 0° Celsius in eine erste kleinere Form bringt, um sie danach in die Hülle einzuführen und die Stents dann in dieser Form auf den deutschen Markt bringt, kommt damit aus patentrechtlicher Sicht keine Bedeutung zu, und ebensowenig kommt es darauf an, ob die Beklagte in ihrer Gebrauchsanweisung dem anwendenden Arzt empfiehlt, die angegriffenen Nitinol-Stents mit 200 ml eiskalter steriler Kochsalzlösung vor der Plazierung in dem betreffenden Gefäß zu spülen (vgl. Anlage B 13).
Entscheidend ist nur, ob die angegriffenen Ausführungsformen bei Vorliegen der von Anspruch 1 des Klagepatents nach dem Verständnis des Durchschnittsfachmannes vorausgesetzten Bedingungen die Merkmale des Anspruches 1 erfüllt. Hierzu hat der Sachverständige zutreffend ausgeführt, daß nach dem Verständnis des Durchschnittsfachmannes die elastische Expandierbarkeit des Stents zum Zeitpunkt der Einführung in ein Gefäß des menschlichen Körpers gegeben sein muß. Insofern ergibt sich aus dem Verwendungszweck des Stents auch ein gewisser Temperaturbereich (Körpertemperatur), in dem die elastische Expandierbarkeit gegeben sein muß. Für die federnd nachgiebige Komprimierbarkeit folgt hingegen eine Temperaturvorgabe weder aus dem Anspruch noch aus der Bestimmung des Stents; es genügt daher, daß sie bei irgendeiner praktisch in Betracht zu ziehenden Temperatur gegeben ist. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, sind die Stents bei Raumtemperatur zusammendrückbar, das heißt, es ist möglich, die beiden angegriffenen Ausführungsformen durch plastische Verformung, durch einfaches Zusammendrücken, in die erste kleinere Gestalt zu bringen. In dieser ersten Form weisen die angegriffenen Ausführungsformen die federnde Nachgiebigkeit auf, die Voraussetzung dafür ist, daß der Stent die zweite Gestalt annimmt. Dieses Verhalten der Nitinol-Stents hat auch der Sachverständige in seinem Gutachten vom 16. November 1995 auf Seite 19 und 20 bestätigt, wo er ausführt, daß der vollständig austenitische Nitinol-Stent bei Zimmertemperatur beim Zusammendrücken eine spannungsinduzierte martensitische Phase bildet, die sich beim Loslassen wieder in die austenitische Ausgangsphase elastisch zurückbildet. Der Stent reagiert in dieser Phase pseudoelastisch, denn nach dem Loslassen kehrt er elastisch in seine Ausgangsgestalt zurück ohne zurückbleibende Verformung. Der Stent enthält Spannungen in seinen Biegestellen durch das mechanische Zusammendrücken (Merkmal 6), welche sich nach dem Loslassen als vollständig elastisch erweisen (Merkmal 7), das heißt den Stent in seine Ursprungsgestalt (zweite Gestalt) zurückführen.
Daß in der durch mechanisches Zusammendrücken herbeigeführten ersten kleineren Gestalt alle geraden Abschnitte der angegriffenen Stents seitlich nebeneinander und dicht zueinander benachbart angeordnet sind, stellen die Beklagten nicht in Abrede (Merkmal 5).
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch das Merkmal 8 des Klagepatents wortsinngemäß. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 17. Mai 1998 (Anlage B4, Seiten 15/16) darauf hingewiesen, daß nach dem Verständnis des Durchschnittsfachmannes die zweite Gestalt des Stents in dem Bereich zwischen Raumtemperatur und Körpertemperatur vorliegen muß. Daß diese zweite Gestalt zumindest bei Erreichen der Körpertemperatur gegeben sein muß, ergibt sich daraus, daß nach dem Merkmal 8 die zweite Gestalt des Stents die Wirkung haben soll, daß die geraden Abschnitte der Zick-Zack-Gestalt sich im wesentlichen kreisförmig oder aber zylindrisch zwecks Anpressung gegen die Wand des Durchganges, also die Wand des offenzuhaltenden Gefäßes, festlegen, um dieses offenzuhalten, also der Stent eine ringförmige bzw. radiale Stützwirkung entfalten soll. Bereits bei Raumtemperatur weisen die angegriffenen Ausführungsformen diese zweite Gestalt auf, wie die von der Beklagten vorgelegten Muster zweifelsfrei zeigen.
Auch der Gang des Erteilungsverfahrens steht der Annahme einer Verletzung des Anspruchs 1 durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht entgegen.
Zwar hat die Patentabteilung des Europäischen Patentamts mit Bescheid vom 8. November 1988 (Anlage B9) den Antrag der Anmelderin vom 6. Juni 1988, den Begriff ”potential energy” (potentielle Energie) in den Wortlaut des Anspruchs 1 aufzunehmen, zurückgewiesen, da sie hierin eine unzulässige Erweiterung sah. Sie hat statt dessen an dem Begriff ”having a stress” (Spannung) festgehalten. Es kann dahingestellt bleiben, ob hierin eine Beschränkung zu sehen ist, denn dies steht nicht der Annahme der Verwirklichung der Merkmale 6 und 7 entgegen, da die angegriffenen Ausführungsformen durch Zusammendrücken erzeugte Spannung in den Biegestellen aufweisen können.
III.
1.
Da die Beklagte den Gegenstand des Klagepatents rechtswidrig benutzt hat, ist sie der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, § 139 Abs. 1 PatG.
2.
Die Beklagte hat der Klägerin außerdem Schadensersatz zu leisten, § 139 Abs. 2 PatG. Denn als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Da es hinreichend wahrscheinlich ist, daß der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin jedoch noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.
3.
Außerdem ist die Beklagte zur Rechnungslegung verpflichtet, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch beziffern zu können, § 242 BGB. Denn die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte - die auch für die Zeit nach Schluß der mündlichen Verhandlung zu erteilen sind, § 259 ZPO - nicht unzumutbar belastet.
4.
Gemäß § 140b PatG hat die Beklagte schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen. Die nach Absatz 2 dieser Vorschrift geschuldeten Angaben sind in der Urteilsformel zu I.2 mit den Angaben zusammengefaßt, die zum Zwecke der Rechnungslegung zu machen sind.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.
Der Streitwert beträgt 5 Millionen DM.
Dr. Meier-Beck
Dr. Becker
Dieck-Bogatzke
LG Düsseldorf:
Urteil v. 02.09.1999
Az: 4 O 239/98
Link zum Urteil:
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