Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 26. Januar 2015
Aktenzeichen: 16 U 56/14
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 26.01.2015, Az.: 16 U 56/14)
1. Für die Anpassung von Versorgungsbezügen ist im Rahmen des § 16 BetrAVG zunächst die wirtschaftliche Lage der Versorgungsschuldnerin entscheidend. Für einen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des herrschenden Unternehmens genügt es nicht, dass zwischen der Versorgungsschuldnerin und dem herrschenden Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht. Hierfür bedarf es weiterer Voraussetzungen. Es muss sich insbesondere eine konzerntypische Gefahr tatsächlich nachteilig auf die Vermögensverhältnisse des Versorgungsschuldners ausgewirkt haben.
2. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die wirtschaftliche Lage eines konzernabhängigen Unternehmens regelmäßig durch nachteilige, im Konzerninteresse erfolgende Vorteilsverschiebungen beeinträchtigt wird.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 21. Februar 2014 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-08 O 129/13) wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.917,92 EUR festgesetzt.
Gründe
A.
Der Kläger macht gegen die Beklagte, bei deren Rechtsvorgängerinnen er früher als Vorstand beschäftigt war, die Anpassung seiner monatlichen Leistungen aus einer Versorgungsregelung zum 1. Januar 2010 geltend und begehrt eine entsprechende Nachzahlung aus dieser Betriebsrentenerhöhung.
Rechtsgrundlage für die Betriebsrente ist ein Versorgungsvertrag zwischen dem Kläger und einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Fa. A AG, vom 20. Juli 1988 (Anlage 1b, Bl. 144 d.A.), den der Kläger im Hinblick auf seine Beschäftigung als Vorstand abgeschlossen hatte.
Die Beklagte ist ein konzerngebundenes Unternehmen der B € AG (2). Sie ist durch Formwechsel nach §§ 190 ff UmwG aus der A AG hervorgegangen. Sie ist eine Tochtergesellschaft der B € AG. Die B € AG ist die umfirmierte C € AG. Zwischen der Beklagten und der B € AG besteht seit 1. Oktober 2000 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem die Gesellschafterversammlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 28.01.2001 zugestimmt hatte und der zum 1. Januar 2010 noch fortbestand. Die B € AG ist die alleinige Gesellschafterin der Beklagten. Die Beklagte ist seit Aufgabe ihres operativen Geschäfts zum Jahresende 2007 nicht mehr ausreichend mit Mitteln ausgestattet, um Betriebsrentenanpassungen zu finanzieren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der B € AG würden dies dagegen möglich machen. Die B € AG hatte in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt aufgrund der Konzernverbindung Verluste der Beklagten in Höhe von etwa 9,8 Mio. EUR übernommen. Auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juni 2013 (Bl. 96 bis 99 d.A) wird wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Beklagten Bezug genommen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht die Auffassung vertreten, maßgeblich für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers sei im Rahmen der Betriebsrentenanpassungsprüfung allein die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens, der mit der Beklagten in einem Vertragskonzern verbunden B € AG, abzustellen und nicht auf diejenige der Beklagten. Hierzu hat er sich auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Mai 2009 (3 AZR 369/07) berufen. Er hat die Ansicht vertreten, das Gericht habe dort seine gefestigte Rechtsprechung zum sog. Berechnungsdurchgriff bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages im Vertragskonzern aufgegeben. Der Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens sei bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages an keine weiteren einschränkenden Voraussetzungen mehr geknüpft. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Mit dem am 21. Februar 2014 verkündeten und dem Kläger am 6. März 2014 zugestellten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriffs im Vertragskonzern nicht vorlägen. Es setzt sich dabei intensiv mit der vom Kläger zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser keine Änderung der höchstrichterlichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Haftung im Vertragskonzern zu entnehmen sei. Die Entscheidung sei auch nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Im Übrigen müsse es einen Gleichlauf der Haftungsanforderungen an den Berechnungsdurchgriff im Vertragskonzern und im sog. qualifizierten faktischen Konzern geben. Für letzteren seien diese aber gerade durch den Bundesgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht verschärft worden, weshalb nicht nachvollziehbar sei, weshalb diese im Vertragskonzern erleichtert werden sollten. Auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Mit der am 7. April 2014 bei Gericht eingelegten Berufung, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. Juni 2014 mit am 5. Juni 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet wurde, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Der Kläger rügt Rechtsfehler des Landgerichts und vertieft die im Verfahren vor dem Landgericht vertretenen Argumente. Ferner wird mit Schriftsatz vom 24.08.2014 erstmals behauptet, die Beklagte wäre weiter erfolgreich am Markt tätig gewesen, wenn nicht die Muttergesellschaft die Entscheidung getroffen hätte die Beklagte zu einer reinen Abwicklungsgesellschaft zu machen.
Der Kläger ist der Auffassung, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft übersehen, dass das Bundesarbeitsgericht mit der Entscheidung vom 26. Mai 2009 (3 AZR 369/07) seine Rechtsprechung zum Beherrschungsdurchgriff im Vertragskonzern geändert habe. Das Gericht habe dies nicht gesondert hervorheben müssen, aus dem Wortlaut des Urteils ergebe sich eindeutig, dass allein das Bestehen eines Beherrschungsvertrages ohne weitere Voraussetzungen einen sog. Berechnungsdurchgriff rechtfertige. Das Gericht habe dabei einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, was dessen Verallgemeinerung über den jeweiligen Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde lag, rechtfertige. Lediglich im sog. €qualifiziert faktischen Konzern€ habe das Bundesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich für den Berechnungsdurchgriff eingeschränkt, dies gelte aber nicht für den Vertragskonzern, für den der Anwendungsbereich dieses Prinzips erweitert worden sei. Denn die wirtschaftlichen Verhältnisse im Vertragskonzern würden unmittelbar durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des herrschenden Unternehmens geprägt, dieses habe Verluste der beherrschten Tochter auszugleichen. Es ergebe sich eine Verpflichtung des herrschenden Unternehmens, die von ihr beherrschte Versorgungsschuldnerin finanziell so auszustatten, dass deren Leistungsfähigkeit auch für Betriebsrentenanpassungen gesichert sei.
Der Kläger beantragt,
das am 21. Februar 2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-08 O 129/13) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
1.die monatlichen Leistungen an den Kläger aus der Versorgungsregelung der Beklagten ab dem 1. Januar 2010 um einen vom Gericht nach billigem Ermessen festzusetzenden Anpassungsbetrag, mindestens jedoch um 10,68 % zu erhöhen;2.an den Kläger EUR 8.958,96 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Januar 2013 zu zahlen.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist weiter der Auffassung, die Beklagte werde auch bei Klagen ehemaliger Organmitgliedern nicht durch die Geschäftsführung vertreten. Im Übrigen missverstehe der Kläger den Wortlaut der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, der objektiv mehrdeutig sei. Auch in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte und in der Literatur sei die von dem Kläger behauptete Änderung der höchstrichterlichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Versorgungsrecht nicht nachvollzogen worden. Sie weist darauf hin, dass parallel gelagerte Klagen von Arbeitnehmern der Beklagten vor den Arbeitsgerichten auf Anpassung ihrer Betriebsrenten in erster und zweiter Instanz jeweils erfolglos geblieben seien. Hierbei beruft sie sich insbesondere auf die Entscheidung des Hessischen LAG vom 26. Februar 2014 (6 Sa 901/13, €). Nur bei mißbräuchlicher Ausübung der Leitungsmacht im Vertragskonzern, der die Ertragskraft des beherrschten Unternehmens nachhaltig beeinträchtige, könne auf die Leistungsfähigkeit des herrschenden Unternehmens bei der Betriebsrentenanpassung abgestellt werden. Es könne nicht eine tatsächliche Beeinträchtigungsvermutung ohne empirische Grundlage aufgestellt werden. Im Übrigen sei an dem im Gesellschaftsrecht bestehenden Trennungsprinzip von konzerngebundenen Unternehmen festzuhalten, unabhängig davon, ob die Konzernbindung auf faktischen Verhältnissen oder auf Beherrschungs- und /oder Gewinnabführungsvertrag beruhe.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
I.
Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517 ff. ZPO). Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt.
Die Klage richtet sich auch gegen die richtige Partei. § 42 Nr. 8 GmbHG findet keine analoge Anwendung auf ausgeschiedene Vorstandsmitglieder einer AG, wie dies die Beklagte ausgeführt hat. Es besteht schon kein Bedarf an einer analogen Anwendung der Norm, da es insofern bereits an einer Gesetzeslücke fehlt. Im Übrigen ist die Interessenlage nicht vergleichbar, da grundlegende Unterschiede in der Rechtsstellung des Vorstands einer AG und des Geschäftsführers einer GmbH bestehen. Zu Recht führt hierzu das Landgericht außerdem aus, dass auch in der Sache nicht die Gefahr einer zu großen Nähe des damaligen Vorstands zu den heutigen Geschäftsführern der Beklagten besteht.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht, im Ansatz zutreffend und mit guter Begründung abgewiesen.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Anpassung seiner Versorgungsbezüge zum 1. Januar 2010 nach § 5 Abs. 4 des Versorgungsvertrages vom 20. Juli 1988 i.V.m. § 16 BetrAVG zu. Nach diesen Vorschriften hat der Arbeitgeber, die Beklagte, alle drei Jahre - für den Kläger zum 1. Januar 2007 und zum 1. Januar 2010 (Anpassungsstichtag) - eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 16 Abs. 1 1. Halbsatz BetrAVG). Bei der Anpassungsprüfung sind die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen (§ 16 Abs. 1, 2. Halbsatz BetrAVG). Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers ist dabei eine zukunftsbezogene Größe. Entscheidend ist die künftige Belastbarkeit des Unternehmens in den nächsten drei Jahren nach dem Anpassungsstichtag (Höfer, Kommentar zum Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 15. Aufl. 2013, § 16 Rz 5291 mwN; BAG vom 18.02.3003 - 3 AZR 172/02). Die Anpassung muss nicht aus der Unternehmenssubstanz finanziert werden. Es ist dabei z.B. eine angemessene Eigenkapitalverzinsung der Gesellschaft und der bestehende Investitionsbedarf zum Erhalt des Betriebes zu berücksichtigen (Höfer, aaO, Rz 5253). Diese Kriterien gelten nicht nur für werbende Gesellschaften, sondern auch für Unternehmen, deren einziger Geschäftszweck wie hier bei der Beklagten die Abwicklung der Versorgungsverpflichtungen ist (Höfer aaO, Rz 5335.4; BAG vom 26. Oktober 2010 - 3 AZR 502/08).
Nach dem Wortlaut des § 16 BetrVG ist auf die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers, also der Beklagten abzustellen. Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte zum Stichtag die vorgenannten Kriterien nicht erfüllt hat. Diese Feststellungen sind mit der Berufung nicht angegriffen worden. Der Senat ist daran nach § 529 ZPO gebunden.
Auch die weitergehenden Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht in ergänzender Auslegung des § 16 BetrAVG in gefestigter Rechtsprechung bei Bestehen einer verdichteten Konzernverbindung zwischen dem Träger der Versorgungslasten und dem herrschenden Unternehmen im Vertragskonzern entwickelt hat, hat das Landgericht zu Recht als hier nicht vorliegend angesehen. Nach dieser Rechtsprechung (BAG vom 4.10.1994, Az. 3 AZR 910/93; BAG v. 14.12.1993 - 3 AZR 519/93, zitiert nach juris Rz. 23 ff.) kann bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages i.S. des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG auf die wirtschaftliche Lage einer ausreichend finanzkräftigen Muttergesellschaft zugunsten der Versorgungsempfänger abgestellt werden, wenn sich die in einem Konzern bestehenden typischen Gefahren tatsächlich nachteilig zu Lasten des beherrschten Unternehmen ausgewirkt haben. Ein Berechnungsdurchgriff auf das beherrschende Unternehmen ist nach dieser Rechtsprechung dann zulässig, wenn der Versorgungsempfänger darlegt und beweist, dass eine verdichtete Konzernbindung zwischen herrschendem und Versorgungsschuldner besteht, weil entweder ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag besteht oder ein Unternehmen die Geschäfte tatsächlich umfassend und nachhaltig führt (qualifiziert faktischer Konzern) und die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausgeübt worden ist, die auf die Belange des abhängigen Tochterunternehmens keine angemessene Rücksicht genommen hat und so die mangelnde Leistungsfähigkeit des Versorgungsschuldners verursacht hat (BAG vom 4.10.1994, Az. 3 AZR 910/93; BAG v. 14.12.1993 - 3 AZR 519/93, zitiert nach juris Rz.23 ff.; BAG vom 18.02.2003 - 3 AZR 172/02). Dogmatisch abgeleitet ist diese über viele Jahre gefestigte Rechtsprechung aus den §§ 308, 302 AktG, wonach das herrschende Unternehmen aufgrund der ihm übertragenen Leitungsmacht (§ 308 AktG) befugt ist Weisungen zu erteilen und so die wirtschaftlichen Verhältnisse der beherrschten Unternehmen entscheidend zu prägen in der Lage ist. Dieser Leitungsmacht entspricht die Verpflichtung zur Verlustausgleich nach § 302 AktG.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat die B € AG der Beklagten keine derartig nachteiligen Weisungen erteilt und nicht die schlechte wirtschaftliche Lage der Beklagten verursacht. Mit der im Rahmen des Berufungsverfahrens erstmals im Schriftsatz vom 24. August 2014 vom Kläger vorgetragenen - und auch nicht weiter substantiierten Behauptung - die Beklagte sei weiter erfolgreich am Markt tätig gewesen, wenn nicht die B € AG die Entscheidung getroffen hätte, die Beklagte zu einer reinen Abwicklungsgesellschaft zu machen, kann der Kläger im Berufungsverfahren nicht gehört werden. Denn dieser Vortrag ist nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen. Im Verfahren vor dem Landgericht war es zwischen den Parteien unstreitig, dass gegenüber der Beklagten die Konzernleitungsmacht nicht nachteilig für ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ausgeübt worden ist. Die im Urteil des Landgerichts insoweit getroffenen Feststellungen hat der Kläger auch mit der Berufung nicht angegriffen. In der Berufungsbegründung vom 5. Juni 2014 wird die Berufung ausdrücklich auf die Überprüfung von Rechtsfehlern des Landgerichts beschränkt.
Für den Rechtsstreit ist es aus Sicht des Senats im Ergebnis unerheblich, ob die vom Kläger zur Stütze seiner Klage herangezogene Entscheidung des BAG vom 26. Mai 2009 als Aufgabe der ständigen höchstrichterlichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu werten ist, wie dies von einer großen Anzahl von Autoren in der arbeitsrechtlichen Literatur vertreten und zugleich kritisiert wird (Höfer aaO, Rz 5329 ff.; Schipp, Abschied vom Berechnungsdurchgriff, Der Betrieb 2010, S. 112 ff., Forst/Granetzny - Der Konzern 2011, S. 1-11; Blomeyer-Rolfs, Kommentar zum BetrAVG, § 16 Rn 2016; Rolfs/Heikel, NZA 2014, S. 1161 ff.). Entscheidend ist vielmehr, ob der vom Kläger der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entnommene Rechtssatz von einer betriebsrentenrechtlichen Anspruchsgrundlage gedeckt ist und durch Auslegung dieser Vorschriften im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung gewonnen werden kann. Das Bundesarbeitsgericht selbst hat sich weder in der Entscheidung aus dem Jahr 2009 noch in späteren Entscheidungen (BAG vom 17. Juni 2014 - 3 AZR 298/13 zitiert nach juris; BAG vom 15.01.2013 - 3 AZR 638/10, Rn 31 und 33 zitiert nach juris; BAG vom 18.03.204 - 3 AZR 899/11, Rz 45 ff. zitiert nach juris; BAG vom 29.09.2010 - 3 AZR 427/08 Rz 31 ff.)) bisher vertieft dogmatisch mit dieser Frage auseinandergesetzt, ob und aus welchen Erwägungen die Anforderungen für den Berechnungsdurchgriff im Vertragskonzern allein wegen des Bestehens eines Beherrschungsvertrages dahingehend erleichtert werden sollen, dass - über den Wortlaut des § 16 BetrAVG hinaus - bei der Anpassungsprüfung von Betriebsrenten ohne zusätzliche weitere Voraussetzung automatisch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Muttergesellschaft abzustellen ist. Zur Begründung wird dabei allgemein nur auf das Erfordernis des Gleichlaufes von Zurechnung und Innenhaftung im Sinne einer Einstandspflicht/Haftung des anderen Konzernunternehmens gegenüber dem Konzernschuldner verwiesen, ohne dies näher zu erläutern (BAG vom 29.09.2010 - 3 AZR 427/08, Rn 32). Dieser Ansatz überzeugt den Senat nicht.
Nach der Konzeption der den Gerichten im Rahmen des Grundgesetzes übertragenen Aufgaben ist es zwar grundsätzlich möglich und erforderlich, Rechtsnormen im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung erweiternd auszulegen, hierbei sind den Gerichten aber durch den Grundsatz der Gesetzesbindung (Art 20 Abs. 3 GG) Grenzen gesetzt (BVerfG vom 19.10.1983 - 2 BvR 485/80 und 2 BvR 486/80, zitiert nach juris, Rz 31 ff), die sich im vorliegenden Fall aus den bestehenden aktienrechtlichen Regelungen ergeben. Für eine solche Auslegung sieht der Senat keine Stütze im Gesetz.
Aus dem § 16 BetrAVG ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte. Zweck der Norm ist es, die laufenden Leistungen von Empfängern betrieblicher Altersversorgungen an die Geldentwertung anzupassen und dabei die Belange des Versorgungsempfängers und des Arbeitgebers zu beachten (Höfer, aaO § 16 Rz 5100 und 5103 f.). Anpassungsmaßstab ist dabei die Kaufkraftentwicklung von Betriebsrenten, begrenzt auf die Nettolohnentwicklung. Es findet keine automatische Teilhabe der Vorsorgeempfänger an der allgemeinen Lohnentwicklung statt (Höfer, aaO und Rz 5115 mwN). Übergeordnete, durch die Einbindung des Arbeitgebers in eine Konzernstruktur sich ergebende Fragen, könnten sich insofern allenfalls aus dem Gesamtkontext der aktienrechtlichen Regelungen, in deren Lichte die Norm ggf. ergänzend ausgelegt werden kann, ergeben. Auch dieser Normenzusammenhang ergibt aus Sicht des Senats keine belastbare dogmatische Begründung für eine ergänzende Auslegung des § 16 BetrAVG.
Zunächst ist im Aktienrecht grundsätzlich auch bei Bestehen einer engen Konzernverbindung von dem Grundsatz auszugehen, dass Vermögensmassen der verschiedenen Gesellschaften getrennt bleiben und die konzernangehörigen Unternehmen im Hinblick auf Kapital und Vertragsbeziehungen rechtlich selbständig bleiben (Trennungsprinzip). Dies gilt auch für Arbeits- und Versorgungsverträge (Bloymeyer-Rolfs, Kommentar zum BetrAVG, § 16 Rz 206). Nach § 302 AktG trifft im Vertragskonzern das herrschende Unternehmen die Pflicht zur Ausgleichung des Jahresfehlbetrages unabhängig davon, ob die Leitungsmacht nachteilig gegenüber dem beherrschten Unternehmen ausgeübt worden ist. Dabei handelt es sich aber um eine reine Innenhaftung zwischen den konzerngebundenen Unternehmen. Der Anspruch auf Verlustausgleichung kann - anders als bei anderen aktiengesetzlichen Vorschriften, die dies ausdrücklich regeln (§§ 93 Abs. 5 S.1, 117 Abs. 5 S.1, 309 Abs. 4 S.3, 317 Abs. 4 AktG) nicht unmittelbar durch Gläubiger der Gesellschaft geltend gemacht werden (Hopt/Wiedemann - Hirte, Kommentar zum AktG, § 392 Rz 5 mwN aaO, Rz 6, 37 und 59). Es besteht insbesondere kein unmittelbarer Anspruch von Gläubigern gegen das herrschende Unternehmen auf Liquiditätszufuhr (Hirte, aaO, Rz 62). Dieses klare aktienrechtlich vorgeprägte Konzept würde mit der Zurechnung der Ertragslage des herrschenden Unternehmens allein unter der Maßgabe, dass ein Unternehmensvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG besteht, umgangen. Denn allein im Abschluss eines Beherrschungsvertrages realisiert sich keine aus der Konzernverbindung erwachsende Gefahr (Rolfs/Heike, NZA 2014, S. 1161 (1166)).
Bei aktienrechtlichen Beherrschungs- und Unternehmensverträgen handelt es sich auch nicht um Verträge mit Schutzwirkung für gegenwärtige und künftige Versorgungsempfänger, da diese mangels Leistungsnähe nicht in den Schutzbereich des Unternehmensvertrages, der die Rechtsbeziehungen der Konzerngesellschaften untereinander regelt, einbezogen sind (Forst/ Granetzny Der Konzern 2011, S. 1 (7 f).
Im Übrigen erscheint die Aufgabe des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips nur zugunsten konzernangehöriger Arbeitnehmer auch sachlich nicht gerechtfertigt. Wenn es Zweck des § 16 BetrAVG ist, den Kaufkraftausgleich sicherzustellen, ist es nicht nachvollziehbar, dass den Versorgungsempfängern des beherrschten Unternehmens - selbst bei im beherrschten Unternehmen selbstverursachter schlechter Ertragslage - die Erfolge der aktiven Mitarbeiter des herrschenden Unternehmens zu Gute kommen, die dann ohne gesetzliche Rechtfertigung ihre eigenen Ansprüche (Gehalt/Renten) gefährden können (Höfer, aaO Rz 5324; Preu/Novara NZA 2011, S. 1263 (1264)). Es kommt auch allein durch Abschuss eines Beherrschungsvertrages gesellschaftsrechtlich nicht, wie der Kläger für seine Berufung vorträgt, automatisch zu einer Art €Fusion auf Zeit€. Dies hängt gerade von der Ausgestaltung der Verträge und der Art und Weise der Wahrnehmung der Leitungsbefugnisse ab. Mit dem vom Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2009 und 17. Juni 2014 aufgestellten abstrakten Rechtssatz wird das Kausalitätsprinzip zwischen schlechter Ertragslage des beherrschten Unternehmen und der Ausübung der Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens aufgegeben. Es begünstigt Mitarbeiter im Vertragskonzern ohne sachlichen Grund gegenüber Mitarbeitern im qualifiziert faktischen Konzern (Höfer aaO; Preu/Novara NZA 2011, S. 1263 (1264).
Im Ergebnis liefe die von dem Kläger vorgebrachte Rechtsansicht darauf hinaus, dass allein bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages eine unwiderlegliche Vermutung dafür begründet wird, dass das Weisungsrecht nachteilig zu Lasten der beherrschten Unternehmen ausgeübt wird (so: Dr. Schlewing, RdA 2010, 364 (367)). Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Denn die Begründung einer unwiderleglichen Vermutung bedürfte gesetzlicher Kodifizierung und kann nicht durch Richterrecht geschaffen werden (arg. e. § 292 ZPO). Dies wäre aber der Fall, da sich der Arbeitgeberunternehmer nicht darauf berufen können soll, wirtschaftlich unbeeinflusst von der Konzernobergesellschaft gehandelt zu haben (so: Der Schlewing, aaO; Vogt, NZA 2013, 1250 (1252)).
Eine solche ergänzende Auslegung des § 16 BetrAVG dahingehend, dass bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages ohne weitere Voraussetzung auf die Ertragslage der herrschenden Gesellschaft abzustellen ist, steht auch nicht im Einklang mit der Entwicklung der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesarbeitsgericht im sog. qualifizierten faktischen Konzern (BGH € vom 16.07.2007 - II ZR 3/04; BAG vom 15.01.2013 - 3 AZR 638/10, Rn 35 zitiert nach juris)). In diesem Haftungskonzept ist es für den Durchgriff auf die Konzernmutter erforderlich, dass eine missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens durch diese erfolgt ist. Dieser als €Existenzvernichtungshaftung€ bezeichneter Vorgang wird dabei als Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung in § 826 BGB verortet (BGH - € - vom 16.07.2007 - II ZR 3/04 Rz 17,22, 23) und bedeutet eine erhebliche Verschärfung der Haftungsanforderungen. Vor diesem Hintergrund ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, warum im Vertragskonzern andere Voraussetzungen für eine Haftung der Konzernmutter gelten sollen, da der Umfang des Weisungsrechts der Konzernmutter identisch ist.
Die Landesarbeitsgerichte, insbesondere das Hess. LAG, haben sich der genannten Entscheidung bei Bestehen von Beherrschungsverträgen im Konzern ganz überwiegend bisher nicht angeschlossen. (Hess LAG vom 19.11.200 - 8 Sa 1944/07; und vom 10.05.2011 - 6 Sa 1720/10; 1721/10; 1722/19 und vom 26.02.2014, 6 Sa 901/13, Rz 31 ff.; LAG Köln, vom 10.10.2013 - 6 Sa 841/11; offengelassen: LAG Düsseldorf vom 16.08.2012 - 13 Sa 1467/11.) Das hessische LAG hat dabei ausgeführt, dass die in Bezug genommen Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2009 nur als Fortsetzung der Rechtsprechung zur Ausstattungspflicht von Rentnergesellschaften bei Ausgliederung einzustufen sei. Danach dürfe die Leistungsfähigkeit des Versorgungschuldners nicht zu Lasten des Betriebsrentners durch gesellschaftsvertragliche Veränderung wie z.B. die Beendigung eines Beherrschungsvertrages beeinträchtigt werden (Hess. LAG aaO, Rz 33). In diesen Kontext gehöre der Fall, dass die gesellschaftsrechtliche Rechtslage unverändert fortbestand und sich lediglich die Ertragskraft des Versorgungsschuldners ohne Beitrag der Konzernmutter verschlechtere, nicht. Diese Erwägungen treffen auch nach Ansicht des Senats zu.
Nach alledem ist eine Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Anpassung seiner Versorgungsbezüge nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nach § 543 Abs. 1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erforderlich erscheinen lässt (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Denn die höchstrichterliche Klärung der Frage, welche Anforderungen an den Berechnungsdurchgriff im Vertragskonzern bei der Anpassungsprüfung im Rahmen des § 16 BetrAVG zu stellen sind, hat grundsätzliche Bedeutung und ist durch den Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Ihre Klärung liegt im Hinblick auf die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Allgemeininteresse.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 26.01.2015
Az: 16 U 56/14
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