Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 9. April 2015
Aktenzeichen: 6 U 168/14

(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 09.04.2015, Az.: 6 U 168/14)

1. Der Umstand, dass sich das Landgericht im Patentverletzungsurteil nicht mit der abweichenden Auffassung einer anderen Kammer in einem Parallelverfahren auseinandergesetzt hat, rechtfertigt für sich genommen nicht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO.

2. Zu den Anforderungen an die Annahme einer greifbaren Unrichtigkeit des ange-fochtenen Urteils als Voraussetzung für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Tenor

Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10.10.2014 (Az. 7 O 514/11) gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine italienische Technologie- und Patentverwertungsgesellschaft, nimmt die Beklagten wegen mittelbarer Verletzung des Europäischen Patents 0 595 790 B1 (nachstehend: Klagepatent) in Anspruch. Die Klägerin ist nach den nicht erheblich angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (LGU S. 16) ausschließliche Lizenznehmerin am Klagepatent; die Ansprüche auf Schadensersatz und Rechnungslegung wurden ihr durch die Patentinhaber abgetreten. Das Klagepatent wurde in der hier geltend gemachten Fassung vom Bundepatentgericht mit - nicht rechtskräftigem - Urteil vom 3.7.2013 (Az. 5 Ni 19/12 (EP)) beschränkt aufrechterhalten. Die Beklagte hat ihre Berufung gegen dieses Urteil nach der unwidersprochenen Darstellung der Klägerin zurückgenommen; die Klägerin erstrebt im Nichtigkeitsberufungsverfahren weiterhin die Aufrechterhaltung in der ursprünglich erteilten Form.

Das Klagepatent befasst sich mit technischen Problemstellungen, die sich aus dem Nebeneinander verschiedener Bildformate bei der analogen Fernsehübertragung ergeben. Das herkömmliche Fernsehbild, das durch die zeilenweise Abtastung zweidimensionaler Bilder und die zeilenweise Wiedergabe der so gewonnenen Helligkeits- und Farbinformationen für jeden Bildpunkt entsteht, hat ein Seitenverhältnis von 4:3 (Breite: Höhe). In den 1990er Jahren kam das Breitbildformat mit dem Seitenverhältnis 16:9 hinzu. Auf Fernsehgeräten, deren Bildschirm noch das Seitenverhältnis von 4:3 hat, werden Sendungen im 16:9-Seitenverhältnis zur Vermeidung von Verzerrungen im sog. €Letterbox-Format€ dargestellt, bei dem oberhalb und unterhalb des Bildes ein schwarzer Balken zu sehen ist. Für die aktiven Bildzeilen, die das Fernsehbild wiedergeben, werden (senderseitig) jeweils vier aufeinanderfolgende Zeilen durch Interpolation auf drei Zeilen reduziert (Sp. 1 Z. 9-16). Dagegen sollen die neueren Empfangsgeräte, deren Bildschirm bereits das 16:9-Seitenverhältnis hat, die Fernsehbilder rahmenfüllend, also ohne schwarze Balken, darstellen. Damit ein Breitbildempfänger aus dem empfangenen Letterbox-Signal das ursprüngliche (nicht durch Interpolation reduzierte) Farbfernsehsignal wiedergewinnen kann, müssen für ihn digitale Zusatzinformationen in den Letterbox-Streifen übertragen werden, welche sich auf den ursprünglichen Bildinhalt beziehen.

Da zumindest in einer Übergangszeit auf vorhandenen Fernsehkanälen sowohl herkömmliche als auch Letterbox-Signale übertragen werden, muss jede Signalart durch eine geeignete Kennung identifizierbar sein. Weitere Kennungen betreffen die Herkunft des Quellensignals (Videokamera oder Filmabtaster) sowie eine Aussage über das Vorhandensein von Bewegungen im Bildinhalt. Entsprechende Kennsignale (Statusbits) müssen als Signalart-Zusatzinformation übertragen werden (Sp. 1 Z. 30-44).

Im Stand der Technik (WO-A-9014732) war es bekannt, eine Signalart-Zusatzinformation (ebenso wie die auf den ursprünglichen Bildinhalt bezogene digitale Zusatzinformation) in den schwarzen Rändern eines Letterbox-Signals mittels einer Schwarzwertanhebung entsprechender Zeilen zu übertragen (Sp. 1 Z. 9-20), was aber voraussetzt, dass ein Letterbox-Signal mit schwarzen Rändern übertragen wird, so dass bei einer reinen 4:3-Übertragung auf diese Weise keine Signalart-Zusatzinformation übertragen werden kann. In Betracht käme auch, für die Übertragung der Signalart-Zusatzinformation die so genannte vertikale Austastlücke zu nutzen, die sich daraus ergibt, dass das analoge Fernsehbild in Halbbildern übertragen wird und der Elektrodenstrahl beim Wechsel zwischen Halbbildern wieder von der letzten Zeile des vorangehenden Halbbildes zur ersten Zeile des folgenden Halbbildes geführt werden muss. Nach dem vom Klagepatent als bekannt vorausgesetzten PAL-Standard stehen in der vertikalen Austastlücke aber keine freien Zeilen zur Verfügung, weil die entsprechenden Zeilen schon mit anderweitigen Informationen belegt sind (Sp. 1 Z. 48 ff.). Da die Signalart-Zusatzinformationen aber auf den jeweils aktuellen Bildinhalt bezogen sind, müssen sie zusammen mit dem Bildsignal übertragen werden (Sp. 1 Z. 45-48). Als Aufgabe formuliert die Beschreibung des Klagepatents, eine Möglichkeit zur Übertragung von Signalart-Zusatzinformationen anzugeben, ohne die bisherige Belegung der vertikalen Austastlücke zu verändern oder zu beeinträchtigen. Zur Lösung wird ein Verfahren nach Anspruch 1 angegeben, dessen Merkmale sich in der nunmehr geltend gemachten eingeschränkten Fassung wie folgt gliedern lassen:

1.Verfahren zum kompatiblen Übertragen einer Signalart-Zusatzinformation in nicht zum vertikalen Rücklauf gehörenden Zeilen eines Fernsehsignals;

2.die Signalart-Zusatzinformation ist in verbesserten 16:9-Empfängern auswertbar;

3.als Signalart-Zusatzinformation wird in der von Bildsignalen freien Hälfte der ersten oder letzten aktiven Bildzeile von Fernsehbildern ein Datenpaket übertragen;

4.das Datenpaket enthält Einlauf-, Start- und Nutzinformationsdaten;

5.die Einlaufinformationsdaten dienen empfangsseitig für die phasenrichtige Rückgewinnung des Datentaktes der Nutzinformationsdaten;

6.die Startinformationsdaten dienen zur Adressierung der Nutzinformationsdaten sowie zur selektiven Erfassung des Beginns der Nutzinformationsdaten;

7.die Signalart-Zusatzinformation umfasst mindestens zwei der folgenden Fernseh-Signalarten:

a)Standard-Signal, das kein Letterbox-Signal ist und keine Bild-Zusatzinformationen enthält;

b)Letterbox-Signal ohne Bild-Zusatzinformationen;

c)Letterbox-Signal von Film-Quelle mit Bild-Zusatzinformationen;

d)Letterbox-Signal von Kamera-Quelle mit Bild-Zusatzinformationen, insbesondere mit einer Unterscheidung zwischen als statisch und als bewegt geltendem Bildinhalt der Halb- oder Vollbilder,

8.und dass den Einlaufinformationsdaten ein Impuls der Dauer T2 vorangestellt ist,

a)dessen Pegel der maximalen Amplitude Umax der Daten entspricht und

b)dessen Breite ein Mehrfaches der Taktperiode der Daten umfasst.

Wegen des weiteren Inhalts der Patentschrift wird auf Anlage K 1 Bezug genommen.

Die Beklagte, die deutsche Vertriebs- und Tochtergesellschaft der A. Corp., vertreibt in Deutschland 16:9-Breitbild-Fernsehempfänger (angegriffene Ausführungsformen), bspw. die Modelle €X€ und €Y€ (vgl. Anlagen K7, K8, K11 und K12), die über eine automatische Format-Einstellung verfügen, so dass, wenn das Fernsehgerät ein Signal in einem echten Breitbildformat (sog. WSS-Standard, ETSI EN 300 294) empfängt und die Einstellung Autoformat aktiviert ist, die Sendung unabhängig von der aktuellen Bildformateinstellung des Fernsehgeräts automatisch im Breitbildformat angezeigt wird.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte in Ziffer III. des Tenors zur Rechnungslegung über den Umfang der seit dem 01.01.1999 begangenen Verletzungshandlungen verurteilt.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Zwangsvollstreckung sei nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO einstweilen einzustellen. Schon bei summarischer Prüfung sei zu erkennen, dass die Verurteilung keinen Bestand haben werde. Zudem spreche die anzustellende Interessenabwägung für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Die Klägerin tritt dem Antrag entgegen und verteidigt die angefochtene Verurteilung.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.II.

Der zulässige Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung allenfalls in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann. Zu dieser allgemeinen Erwägung tritt im Bereich des Patentrechts noch die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (vgl. BGH, GRUR 2000, 862 - Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2010, 122 - prepaid telephone calls; Senat InstGE 11, 124 - UMTS-Standard I; InstGE 13, 256 - UMTS-Standard II; GRUR-RR 2015, 50 juris-Rn. 10 - Leiterbahnstrukturen).

Es ist anerkannt, dass die Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht kommt, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (OLG Düsseldorf a.a.O. juris-Rn. 2 m.w.N.; Senat GRUR-RR 2015, 50 juris-Rn. 11 - Leiterbahnstrukturen).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das angefochtene Urteil ist nicht greifbar (d.h. schon bei summarischer Prüfung feststellbar) unrichtig. Auch die gebotene Abwägung der Interessen im Einzelfall führt nicht dazu, dass vom Grundsatz des Vorrangs der Gläubigerinteressen abzuweichen ist.

2. Die Beklagte beanstandet zunächst, das Landgericht habe sich im angefochtenen Urteil nicht mit der abweichenden Auffassung der Parallelkammer beim Landgericht Mannheim in einem mittlerweile beim Senat anhängigen, ebenfalls das Klagepatent betreffenden, einvernehmlich ausgesetzten Patentverletzungsverfahren auseinandergesetzt. Hierauf kann eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung indessen nicht gestützt werden. Das Landgericht hat die Gründe, aus denen es eine mittelbare Patentverletzung bejaht hat, in der angefochtenen Entscheidung angegeben. Maßgeblich ist, ob bei der in diesem Verfahrensstadium allein möglichen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das Urteil mit diesen Erwägungen voraussichtlich keinen Bestand haben wird, wobei selbstverständlich auch Erwägungen aus parallelen Verfahren einbezogen werden können. Der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung die abweichende Beurteilung im Parallelverfahren nicht erwähnt, ist aber für sich genommen neutral.

3. Die Beklagten sind weiter der Auffassung, die angegriffenen Fernsehgeräte stellten keine Mittel im Sinne des § 10 PatG dar, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezögen und zur (unmittelbaren) Benutzung des geschützten Verfahrens objektiv geeignet seien, weil die Erfindung allein die Senderseite betreffe und mit der Ausstrahlung des patentgemäß strukturierten Signals abgeschlossen sei, so dass die Empfänger außerhalb der geschützten technischen Lehre lägen. Indessen kann im vorliegenden Verfahrensstadium nicht festgestellt werden, dass die Auffassung des Landgerichts greifbar unrichtig sei. Es handelt sich, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, um eine Frage der Bestimmung des Schutzbereichs im Wege der Patentauslegung, die das Landgericht jedenfalls vertretbar vorgenommen hat. Nach dem primär maßgeblichen Anspruchswortlaut dient das geschützte Verfahren zum €kompatiblen Übertragen€ einer Signalart-Zusatzinformation; die Merkmale 5 und 6, wonach die Einlaufinformationsdaten empfangsseitig zur phasenrichtigen Rückgewinnung des Datentaktes der Nutzinformationsdaten und die Startinformationsdaten zur Adressierung der Nutzinformationsdaten und zur selektiven Erfassung ihres Beginns dienen, nehmen explizit die technische Funktion der übertragenen Teile des Datenpakets im Empfänger in den Blick. Die Einbeziehung des Empfangs in das geschützte Verfahren kann nach vorläufiger Auffassung des Senats zudem der auf Anspruch 1 rückbezogene Unteranspruch 3 nahelegen; das gilt unbeschadet der Formulierung, dass die Nutzinformationsdaten €derart gesendet werden, dass€ die weiteren, überwiegend empfangsseitigen Verfahrensschritte durchgeführt €werden€.

4. Ob der Umstand, dass die Übertragung der Signalart-Zusatzinformation nach dem WSS-Standard erst nach etwas mehr als 50 Prozent der Dauer der Bildzeile 23 endet, die Verwirklichung des Merkmals 3 (€in der von Bildsignalen freien Hälfte der ersten oder letzten aktiven Bildzeile€) ausschließt, wird im Berufungsverfahren zu klären sein. Im derzeitigen Verfahrensstadium kommt jedenfalls in Betracht, dass es sich beim Teilmerkmal der €von Bildsignalen freien Hälfte€ der ersten oder letzten aktiven Bildzeile nicht um eine Zahl- oder Maßangabe handelt und dass es ausreichend sein könnte, dass in dem Teil der Zeile, in dem die Information übertragen wird, keine Bildinformation enthalten ist.

5. Das Landgericht hat auch die Verwirklichung der Merkmale 5 und 6 durch die angegriffenen Ausführungsformen bejaht. Es hat sich aufgrund des von ihm erhobenen Sachverständigengutachtens davon überzeugt, dass die angegriffenen Ausführungsformen zumindest alternativ den Run-in-Code (Einlaufinformationsdaten, Merkmal 5) oder den Startcode (Startinformationsdaten, Merkmal 6) des WSS-Standards auswerten. Dies sei für die Verwirklichung der Merkmale 5 und 6 ausreichend, die nur verlangten, dass die jeweiligen Signale den jeweils angegebenen Zwecken €dienten€ (LGU S. 20 f.).

Das Landgericht hat somit nicht verkannt, dass die Einlauf- und die Startinformationsdaten im Empfänger jeweils spezifischen, in den Merkmalen 5 und 6 genannten Zwecken €dienen€ müssen. Es hat aber als ausreichend erachtet, wenn das sichere Auslesen der Nutzinformationsdaten (Mitteilung der jeweiligen Signalart nach Merkmalsgruppe 7) - wie es der Sachverständige festgestellt hat - bereits durch eine der beiden Signalisierungen ermöglicht wird, so dass die andere Signalart ohne Nachteil €abgeschaltet€ werden kann, z.B. indem die entsprechenden Bits auf Null gesetzt werden.

Die dem zugrundeliegende Patentauslegung ist angesichts des Anspruchswortlauts wiederum zumindest vertretbar. Dass der Patentanspruch 1 voraussetzte, dass der Empfänger die Einlauf- und die Startinformationsdaten ausnahmslos kumulativ auswertet, kann im derzeitigen Verfahrensstadium nicht mit der für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu fordernden Gewissheit angenommen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es ausreichend ist, wenn der Empfänger aufgrund seiner technischen Ausgestaltung dazu geeignet ist, die jeweiligen Signalarten - wenn notwendig - zu den im Anspruch genannten Zwecken auszuwerten.

Die Beklagte beanstandet weiter, dass die Feststellungen des Landgerichts zu den Zwecken der jeweiligen Signalauswertung nicht ausreichend seien. Der in Merkmal 6 genannte Zweck (Adressierung und selektive Erfassung des Beginns der Nutzinformationsdaten) setze voraus, dass die Startinformationsdaten variable Parameter enthielten, was nach dem WSS-Standard nicht der Fall sei. Auch fehle es bei den angegriffenen Ausführungsformen an der von Merkmal 5 verlangten phasenrichtigen Rückgewinnung des Datentaktes.

Dem angefochtenen Urteil liegt demgegenüber erkennbar die Annahme zugrunde, dass auch eine Auswertung der bloßen (im WSS-Standard konstanten) Dauer der Startinformationsdaten unter Merkmal 6 fällt. Diese Annahme dürfte durch die Beschreibung gestützt werden: Nach Sp. 3 Z. 38 ff. detektiert der 16:9-Empfänger das Auftreten einer festgelegten Kennung, welche durch die Startinformationsdaten repräsentiert wird; sobald der Empfänger die gesuchte Kennung im Empfangssignal feststellt, kann er die nachfolgenden Nutzinformationsdaten phasenrichtig aufnehmen und verarbeiten. Dies spricht gegen die Auffassung der Beklagten, dass Merkmal 6 die Übertragung variabler Parameter in den Startinformationsdaten voraussetzt. Weiter liegt danach nahe, dass es der Verwirklichung des Merkmals nicht entgegensteht, wenn die festgelegte Kennung anhand der Dauer ihrer Übertragung erkannt werden kann.

Aus ähnlichen Gründen ist auch die Bejahung des Merkmals 5 (€für die phasenrichtige Rückgewinnung des Datentaktes€) jedenfalls nicht greifbar unrichtig. Eine Beschränkung auf die in der Beschreibung (Sp. 3 Z. 23 ff.) genannte Synchronisierung einer PLL-(Phase Locked Loop-)Schaltung ist dem maßgeblichen Patentanspruch nicht zu entnehmen; welche Anforderungen an die phasenrichtige Rückgewinnung des Datentaktes zu stellen sind, ist im Berufungsverfahren zu klären. Dass die Datendetektion unter Verwendung eines internen Taktgebers und einer Zeitmessung, die nach dem eigenen Vortrag der Beklagten von den angegriffenen Ausführungsformen durchgeführt wird, von der technischen Lehre des Merkmals 5 keinen Gebrauch macht, kann derzeit nicht mit der zu fordernden Deutlichkeit festgestellt werden.

6. Die Beklagte meint, Merkmalsgruppe 7 setze voraus, dass der Empfänger zwischen Letterbox-Signalen ohne (Merkmal 7b) und Letterbox-Signalen mit Bild-Zusatzinformationen (Merkmale 7c, 7d) unterscheiden könne. Das ist nach dem maßgeblichen Anspruchswortlaut unrichtig. Merkmalsgruppe 7 verlangt lediglich, dass die Signalart-Zusatzinformation mindestens zwei (beliebige) in Merkmalen 7a-7d genannte Fernsehsignalarten €umfasst€. Das Landgericht hat festgestellt, dass eine Unterscheidung der Signalarten nach den Merkmalen 7a und 7b anhand der übertragenen Nutzinformationsdaten möglich ist, und zwar unabhängig von dem sog. €Helper-Bit€ b6. Bei vorläufiger Würdigung teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass dies unter die Merkmalsgruppe 7 fällt.

7. Ferner wendet sich die Beklagte gegen die Annahme des Landgerichts, nach dem WSS-Standard sei den Einlaufinformationsdaten ein Impuls mit den Merkmalen der (aufgrund des Urteils des Bundespatentgerichts zusätzlich in den Anspruch aufgenommenen) Merkmalsgruppe 8 vorangestellt. Sie ist der Auffassung, die fünf Bits mit dem Wert €1€, die das Landgericht als patentgemäßen Impuls angesehen hat, seien Teil der Einlaufinformationen und diesen deshalb nicht vorangestellt. Ob die Unterscheidung zwischen einem Impuls, der den Einlaufinformationen vorangestellt ist, und einem Impuls, der den Beginn der Einlaufinformationsdaten bildet, plausibel ist, wird Gegenstand des Berufungsverfahrens sein. Die von der Beklagten postulierte Unterscheidung erscheint aber keinesfalls in der Weise gesichert, die für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung erforderlich ist.

Was das Merkmal 8b angeht (Impuls, dessen Breite ein Mehrfaches der Taktperiode der Daten umfasst), hat das Landgericht auf die Taktfrequenz von 5 MHz nach dem WSS-Standard abgestellt, aus der sich eine Taktperiode von 200 ns ergibt; damit habe der Impuls von 5 Bits eine Breite von 1.000 ns, also ein Vielfaches von 200 ns. Ob dies dem technischen Gehalt des Merkmals, das auf die Taktperiode der Daten abstellt, gerecht wird, erscheint nicht zweifelsfrei. Damit würde in einem taktgesteuerten System, von dem auch das Klagepatent ausgeht, praktisch jeder Impuls, der länger ist als eine Systemtaktperiode, von diesem Merkmal Gebrauch machen, weil eine kleinere Zeiteinheit als eine sich aus dem Systemtakt ergebende Taktperiode kaum in Betracht kommen dürfte. Auch insoweit gilt aber, dass es nicht Aufgabe des Verfahrens nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ist, diese Frage vorab zu entscheiden. Sie ist angesichts der Knappheit der Patentschrift schwierig zu beurteilen und möglicherweise auch von tatsächlichen Umständen (Verständnis des angesprochenen Durchschnittsfachmanns) mitgeprägt. Da ein Fall greifbarer Unrichtigkeit nicht vorliegt, ist diese Entscheidung in dem aufgrund mündlicher Verhandlung zu fällenden Berufungsurteil zu treffen.

8. Soweit die Beklagte geltend macht, das Landgericht habe die erhobene Verjährungseinrede unrichtig beurteilt, kann auch dies eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht rechtfertigen. Der Vortrag, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin von der Funktionalität einer automatischen Formatumschaltung bereits kurz nach Markteinführung der entsprechenden von der Beklagten vertriebenen Endgeräte informiert gewesen sei, ist erkennbar spekulativ; der Hinweis darauf, dass die Klägerin als Verwertungsgesellschaft den Markt aufmerksam beobachte, reicht als Konkretisierung jedenfalls nach dem hier anzuwendenden Maßstab nicht aus.

9. Bei der gebotenen Abwägung der Parteiinteressen ist zu sehen, dass die Beklagte - anders als im typischen Fall der Verurteilung wegen Patentverletzung - mangels Unterlassungsverurteilung an der Vermarktung ihrer Produkte nicht gehindert wird. Dass sie von der Verurteilung zur Rechnungslegung in einem über gewöhnliche Vollstreckungsnachteile hinausgehenden Maße betroffen wäre, macht sie nicht mit Substanz geltend. Auf die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gegenüber der Klägerin, die keine Mitbewerberin ist, kann insoweit nicht mit Erfolg verwiesen werden. Auf der anderen Seite hat die Klägerin auch als reiner Patentverwerter ein berechtigtes Interesse an einer zeitnahen Erteilung der ausgeurteilten Rechnungslegung.






OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 09.04.2015
Az: 6 U 168/14


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