Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 10. August 2009
Aktenzeichen: AnwZ (B) 40/08
(BGH: Beschluss v. 10.08.2009, Az.: AnwZ (B) 40/08)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 20. März 2008 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist seit dem 4. Juli 1985 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom 30. Mai 2007 widerrief die Antragsgegnerin ihre Zulassung wegen Vermögensverfalls. Ihren Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diesen Bescheid hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen lebt, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 26. November 2002, AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577). Wird der Rechtsanwalt in das von dem Vollstreckungsgericht nach § 915 ZPO zu führende Schuldnerverzeichnis eingetragen, wird der Vermögensverfall gesetzlich vermutet.
2. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.
a) Zu diesem Zeitpunkt wurden gegen die Antragstellerin folgende Klage- und Vollstreckungsverfahren betrieben:
1. Zwangsvollstreckung der W. GmbH & Co. KG über 4.533,84 €
2. Zwangsvollstreckung der Rechtsanwaltsversorgung N. wegen 14.500,00 €
3. Zwangsvollstreckung des B. C. wegen 853,21 €
4. Zwangsvollstreckung durch die Antragsgegnerin wegen Zwangsgelds von 500,00 €
5. Steuerrückstände bei dem Finanzamt R. in nicht benannter Höhe 6. Versäumnisurteil zugunsten von A. S. wegen 1.541,68 €
7. Zwangsvollstreckung der D. GmbH wegen 2.432,21 €
8. Strafbefehl über 1.600,00 €
9. Zwangsvollstreckung durch Landesamt für Bezüge und Versorgungwegen 286,75 €
10. Steuerrückstände bei dem Finanzamt Br. über 7.230,11 €
Die Vermögensverhältnisse der Antragstellerin waren so beengt, dass sie diese Forderungen - darunter auch geringfügige - nicht begleichen und den Gläubigern nur einzelne Ratenzahlungen, aber keine geordnete Rückführung der Schulden anbieten konnte. Vermögensverfall wurde bei ihr zudem gesetzlich vermutet, weil gegen sie in dem Zwangsvollstreckungsverfahren zu 1 Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erlassen und sie deshalb in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden war.
b) Die Antragstellerin hat die Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt. Die hierzu erforderliche umfassende Übersicht über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083; Beschl. v. 29. September 2003, AnwZ (B) 65/02, unveröff.; Beschl. v. 12. Januar 2004, AnwZ (B) 26/03, unveröff.; Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 8/07, BRAK-Mitt 2008, 221 [Ls]) hat die Antragstellerin bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufsbescheids nicht vorgelegt.
c) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren, lagen bei Erlass der Widerrufsverfügung nicht vor. Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 unter II 2 a).
3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens zweifelsfrei entfallen.
a) Im gerichtlichen Verfahren gegen Entscheidungen über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen, ob der Grund für den Widerruf nachträglich entfallen ist (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Rechtsanwalt andernfalls nach Bestätigung des Widerrufs sogleich wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müsste. Erfolgt der Widerruf wegen Vermögensverfalls, besteht ein Anspruch auf Wiederzulassung aber nur, wenn geordnete Verhältnisse zweifelsfrei wiederhergestellt sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm gelungen ist, den Vermögensverfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2007, AnwZ (B) 1/07, BRAK-Mitt. 2008, 73 Tz. 8; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 14 Rdn. 60). Deshalb kann ein nachträglicher Wegfall des Vermögensverfalls auch bei der gerichtlichen Überprüfung des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur berücksichtigt werden, wenn er zweifelsfrei nachgewiesen wird. Hierfür ist erforderlich, dass der betroffene Rechtsanwalt seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegt; insbesondere muss er eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobener Forderungen vorlegen und im Einzelnen darlegen, ob diese Forderungen inzwischen erfüllt sind, oder in welcher Weise er sie zu erfüllen gedenkt (BGH, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083). Eine vollständige Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist auch deshalb unerlässlich, weil nur auf dieser Grundlage beurteilt werden kann, ob dem Rechtsanwalt künftig ein geordnetes Wirtschaften möglich sein wird, oder ob er alte Verbindlichkeiten etwa nur tilgen kann, indem er neue auflaufen lässt (BGH, Beschl. v. 14. November 2005, AnwZ (B) 93/04 Tz. 6). Der Rechtsanwalt ist nach § 36a Abs. 2 BRAO zu einer entsprechenden Mitwirkung im Verfahren verpflichtet.
b) Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin einen nachträglichen Wegfall des Vermögensverfalls nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Sie hat die dazu erforderliche umfassende Übersicht über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse bis heute nicht vorgelegt. Ohne eine solche Aufstellung lässt sich eine Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht feststellen. Dies geht zu ihren Lasten.
c) Dafür, dass der Vermögensverfall fortbesteht, streitet im Übrigen weiterhin die gesetzliche Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Die Antragstellerin ist nach wie vor wegen der Forderung zu 1 ins Schuldnerverzeichnis eingetragen. Nach Erlass des Widerrufsbescheids sind weitere Eintragungen hinzugekommen. In den Forderungsangelegenheiten zu 2, 5 und 6 sind am 27. Dezember 2007, 12. März 2008 und 11. Dezember 2007 Haftbefehle ergangen. Am 24. April 2008 hat die Antragstellerin vor dem Finanzamt R. die eidesstattliche Versicherung abgegeben.
d) Die Regulierung jedenfalls der den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegenden Verbindlichkeiten zu 1, 5 und 6 hat die Antragstellerin nicht nachgewiesen. Ihre bekannt gewordenen Verbindlichkeiten stellen sich nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen wie folgt dar:
1. Zwangsvollstreckung der W. GmbH & Co. KG 2.293,31 €
2. Zwangsvollstreckung der Rechtsanwaltsversorgung N. 5.210,53 €
3. Zwangsvollstreckung des B. C. 294,27 €
4. Zwangsvollstreckung durch die Antragsgegnerin wegen Zwangsgelds 31,90 €
5. Steuerrückstände bei dem Finanzamt R. 17.902,62 €
6. Versäumnisurteil zugunsten von A. S. 1.541,68 €
7. Zwangsvollstreckung der D. erledigt 8. Strafbefehl erledigt 9. Zwangsvollstreckung durch Landesamt für Bezüge und Versorgung 638,50 €
10. Steuerrückstände bei dem Finanzamt Br. : identisch mit 5.
11. Antragsgegnerin wegen Kammerbeiträgen 180,00 €
12. J. GmbH erledigt 13. T. 175,00 €
14. Stadtwerke R. 329,46 €
aa) Die mit der Gläubigerin der Forderung zu 1 angestrebte Ratenzahlungsvereinbarung ist bisher nicht zustande gekommen. Die Gläubigerin hat auf Nachfrage der Antragsgegnerin mitgeteilt, ihr liege ein entsprechendes Angebot nicht vor. Nach den eigenen Angaben der Antragstellerin hat die Gläubigerin das behauptete Angebot jedenfalls nicht angenommen. Bei dieser Sachlage sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine Regelung jetzt zustande kommen könnte, zumal ein erster Verzichtsvergleich an der verspäteten Teilzahlung der Antragstellerin gescheitert ist.
bb) Die Steuerforderungen gegen die Antragstellerin sind durch eine Mitteilung der Oberfinanzdirektion H. vom 27. März 2009 und einen Steuerbescheid des zuständigen Finanzamts vom 26. März 2009 belegt. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Antragstellerin, wie die Oberfinanzdirektion mit Schreiben vom 20. Mai 2009 eingeräumt hat, ein Steuerguthaben von 4.207,08 € zusteht, mit dem diese aufrechnen kann, bleibt es bei einer Restverbindlichkeit von 13.695,54 €. Anhaltspunkte dafür, dass auch diese Verbindlichkeit nicht besteht oder unberechtigt gewesen ist, ergeben die von der Antragstellerin vorgelegten ungeordneten und unvollständigen Unterlagen nicht. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
cc) Die Forderung der Gläubigerin zu 6 besteht weiterhin, weil ein Verzichtsvergleich an der verspäteten Zahlung der Antragstellerin gescheitert ist. Das hat die Gläubigerin der Antragsgegnerin mitgeteilt. Dass der Antragstellerin keine Nachricht darüber vorliegt, ist unerheblich. Es liegt bei der Antragstellerin, den pünktlichen Eingang der Zahlung nachzuweisen, von dem der Forderungsverzicht dieser Gläubigerin abhängig gemacht wurde.
dd) Da eine Wiederherstellung geordneter Verhältnisse somit insgesamt nicht gelungen ist, kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin, wie sie in ihrem Telefax vom 14. Mai 2009 ohne geeignete Nachweise behauptet hat, die Verbindlichkeiten zu 3 und 14 erfüllt, mit der Gläubigerin der Forderung zu 2 eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und mit der Gläubigerin der Forderung zu 13 einen Teilverzicht vereinbart hat.
e) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind, liegen weiterhin nicht vor. Ob die Antragstellerin, wie die Antragsgegnerin unter Vorlage eines Ermittlungsvorgangs der Generalstaatsanwaltschaft Ce. dargelegt hat, Fremdgelder unberechtigt einbehalten hat, kann deshalb offen bleiben.
III.
Der Senat hat in dieser Sache mündlich verhandelt. Einer Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bedarf es nicht, weil sich die Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben.
Tolksdorf Schmidt-Räntsch Schaal Roggenbuck Kappelhoff Quaas Braeuer Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 20.03.2008 - AGH 17/07 -
BGH:
Beschluss v. 10.08.2009
Az: AnwZ (B) 40/08
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