Landgericht Hamburg:
Urteil vom 19. April 2006
Aktenzeichen: 308 O 92/06
(LG Hamburg: Urteil v. 19.04.2006, Az.: 308 O 92/06)
Tenor
I. Die einstweilige Verfu€gung vom 17.02.2006 wird bestätigt.
II. Der Antragsgegner hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist ein Unterlassungsbegehren der Antragstellerin gegen den Antragsgegner wegen der Öffentlichen Zugänglichmachung von Musikaufnahmen durch die Tochter des Antragsgegners in einem Filesharingsystem u€ber einen vom
Antragsgegner zur Verfu€gung gestellten Internetanschluss.
Die Antragstellerin ist Inhaberin der Tonträgerherstellerrechte bezüglich der Musikaufnahmen ..., ..., ... und ... der Künstlergruppe ....
Am 19.08.2005 wurde festgestellt, dass unter der IP-Adresse 84.148.xxx.xxx insgesamt 1227 komprimierte Audiodateien u€ber das Peer-tc-Peer (P2P)-Netzwerk Gnutella und unter Verwendung der Sofware Bearshare zum Kopieren und Hören vorgehalten wurden, darunter Dateien mit den vier vorgenannten Musikaufnahmen. Die Antragstellerin hat eine solche Nutzung ihrer Aufnahmen nicht gestattet.
Am 13.12.2005 erhielt die Antragstellerin Kenntnis davon, dass die IP-Adresse dem Internetanschluss des Antragsgegners zugeordnet war. Eine Abmahnung vom 13.12.2005 kam zuru€ck, weil die mitgeteilte Anschrift nicht stimmte. Aufgrund einer Meldeamtsanfrage erhielt die Antragstellerin am 05.01.2006 Kenntnis von der aktuellen Anschrift des Antragsgegners. Mit Schreiben vom 05.01.2006 wurde der Antragsgegner erneut abgemahnt. Mit Schreiben vom 17.01.2006 antwortete der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners und verwies darauf, eine Rechtsverletzung des Antragsgegners liege nicht vor, weil dessen minderjährige Tochter ausschließlich zum eigenen Gebrauch Musik aus dem Internet herunter geladen hätte. Mit Schreiben vom 19. und 27.01.2006 antwortete die Antragstellerin und legte eine anderen Rechtsstandpunkt dar. Mit Schreiben vom 02.02.2006 lehnte der Antragsgegner durch seinen Prozessbevotlmächtigten die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab und ließ auch eine Nachfrist zum 13.02.2006 verstreichen.
Auf Antrag der Antragstellerin vom 15.02.2006, bei Gericht eingegangen am 17.02.2006, erließ die Kammer durch Beschluss vom 17.02.2006 eine einstweilige Verfu€gung, mit der dem Antragsgegner zur Meidung der Ordnungsmittel des § 890 ZPO verboten wurde, die vier oben genannten Musikaufnahmen auf einem Computer zum Abruf durch andere Teilnehmer von Filesharing-8ystemen bereitzustellen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Weiter wurden dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufgelegt.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seinem Widerspruch.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, weder Täter noch Teilnehmer der Rechtsverletzung seiner Tochter zu sein und sich die Verletzung auch nicht als Störer zurechnen lassen zu mu€ssen. Es fehle bereits an dem erforderlichen willentlichen Tatbeitrag.
Er macht geltend. seine Tochter u€ber die Gefahren des Internets aufgeklärt zu haben, insbesondere u€ber die Gefahren des Virenbefalls, Zugang zu pornografischen Schriften, Verabredungen in chatrooms ete. Dass seine Tochter Zugang zu illegalen Tauschbörsen hatte bzw. auf deren Computer ein derartiges Programm existierte, sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe damit auch nicht rechnen mu€ssen, weil die Tochter nicht auffällig gewesen sei. Er habe nicht gewusst, was seine Tochter im Internet eigentlich mache und dass die Nutzung von offebar leicht zu installierenden Tauschbörsenprogrammen illegal ist. Er sei auch technisch gar nicht in der Lage gewesen, zu pru€fen, was das Kind mit dem Computer eigentlich treibt. Er habe sofort nach Aufforderung die Löschung des Programms und sämtlicher Musikdateien veranlasst, was die Wiederholungsgefahr entfallen lasse. Ein höheres Maß an Pflichten habe nicht bestanden. Musikdateien sei auch nicht anzusehen, wer Rechtsinhaber ist und ob dieser der Nutzung möglicherweise zugestimmt hat oder nicht. Möglicherweise habe sich das Verbreitungsrecht der Dateien sogar erschöpft. Überzogene Pflichten wu€rden faktisch zu einer Zustandshaftung fu€hren.
Der Antragsgegner beantragt,
die einstweilige Verfu€gung vom 17.02.2006 aufzuheben und den ihrem Erlass zugrunde liegenden Antrag abzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die einstweilige Verfu€gung vom 17.02.2006 zu bestätigen.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, der Antragsgegner hafte als Störer.
Gründe
Die einstweilige Verfu€gung ist zu bestätigen. Denn Verfu€gungsanspruch und
Verfu€gungsgrund sind auch nach mu€ndlicher Verhandlung u€ber den Widerspruch
gegeben.
I.
Das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG
folgenden Verfu€gungs-Unterlassungsanspruchs ergibt sich aus dem unstreitigen
Sachverhalt.
1. Die Antragstellerin ist Inhaberin der Tonträgerherstellerrechte aus § 85 Abs. 1 UrhG. Ihr steht danach unter anderem das aus schließliche Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung der Aufnahmen zu.
2. Dieses Recht ist widerrechtlich verletzt worden, indem die Aufnahmen u€ber den
Internetanschluss des Antragsgegners u€ber ein Filesharing-System im Internet zum
Kopieren und Anhören bereitgestellt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden waren, ohne dass dazu eine Rechtseinräumung durch die Antragstellerin vorlag. Weder lag darin eine erlaubte Nutzung zum privaten Gebrauch noch greift der Erschöpfungseinwand. Eine erlaubte Nutzung kommt unabhängig von anderen Voraussetzungen nur bei einer Vervielfältigung in Betracht, die Erschöpfung nur bei einer Vebreitung; beides nicht bei einem öffentlichen Zugänglichmachen.
3. Der Antragsgegner hat fu€r diese Rechtsverletzung nach den Grundsätzen der
Störerhaftung einzustehen.
a) Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs haftet in entsprechender Anwendung des
§ 1004 BGB jeder als Störer fu€r eine Schutzrechtsverletzung, der - ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Um eine solche Haftung nicht u€ber Gebu€hr auf Dritte zu erstrecken, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Pru€fungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Pru€fung zuzumuten ist (BGH GRUR 2004, S. 860 ff. (S. 864) - Störerhaftung des Internetauktionshauses bei Fremdversteigerungen - m. w. N.), wobei sich die Art und der Umfang der gebotenen Pru€f- und Kontrollmaßnahmen nach Treu und Glauben bestimmen (von Wolf in Wandtke/Bullinger, a.a.O., § 97 Rn. 15). So hat sich auch die Verpflichtung, geeignete Vorkehrungen zu treffen, durch welche die Rechtsverletzungen soweit wie möglich verhindert werden, im Rahmen des Zumutbaren und Erforderlichen zu halten (BGH GRUR 1984. S. 54/55 - Kopierläden).
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze haftet der Antragsgegner als Störer.
Wenn der Antragsgegner Dritten in seinem Haushalt den Internetzugang ermöglicht hat, dann ist dies adäquat kausal fu€r die SChutzrechtrechtsverletzung gewesen. Adäquat ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der fraglichen Art herbeizufu€hren (BGH NJW 2005, S. 1420 ff. (S. 1421 m.w.N.)). Davon ausgehend ist eine Adäquanz hier zu bejahen. Zunächst haben Rechtsverletzungen u€ber das Internet allgemein zugenommen durch das Herunterladen und öffentliche Zugänglichmachen insbesondere urheberrechtlich, geschmacksmusterrechtlich und markenrechtlich geschu€tzter Leistungen. Darunter fallen auch die Aneignung und das Bereitstellen von Musikaufnahmen im Internet u€ber Peer-to-Peer-Dienste und mit Hilfe von Filesharing-Software, verharmlosend "Tauschbörsen" genannt. Jedenfalls seit dem Auftreten der Filesharing-Software "Napster" im Herbst 1999 ist derartiges auch nicht mehr ungewöhnlich, sondern wird gerade von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vielfältig in Anspruch genommen.
Das Überlassen eines Internetzuganges an einen Dritten birgt danach die keinesfalls unwahrscheinliche Möglichkeit, dass von dem Dritten solche Rechtsverletzungen begangen werden. Das löst Pru€f- und gegebenenfalls Handlungspflichten aus, um der Möglichkeit solcher Rechtsverletzungen vorzubeugen. Das gilt im Zweifel bei einer Überlassung an jeden Dritten. Das gilt aber umso mehr, wenn die Überlassung an einen Jugendlichen oder ein Kind erfolgt, bei denen sich möglicherweise das Unrechtsbewusstsein fu€r solche Verletzungen noch nicht in gebotenem Maße entwickelt hat.
Rechtlich und tatsächlich ist der Antragsgegner in die Lage versetzt gewesen, wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der streitgegenständlichen Rechtsverletzung zu treffen. Es ist zwar richtig, dass Kinder und Jugendliche nicht permanent kontrolliert werden können. Hier hat sich der Antragsgegner aber nach eigenem Eingeständnis u€berhaupt nicht darum geku€mmert, was seine Tochter im Internet macht, danach fehlte ihm auch jedes technische Verständnis dafu€r. Weder das fehlende technische Verständnis noch die eigene Unkenntnis von der Möglichkeit der illegalen Musiknutzung u€ber leicht zu installierende Tauschbörsenprogramme entlasten ihn. Es hätte ihm oblegen, sich zu informieren, welche Möglichkeiten auch fu€r Rechtsverletzungen er seiner Tochter mit dem Internetzugang zur Verfu€gung stellt und wie er solchen Verletzungen hätte vorbeugen können. Zudem hätte er technische Möglichkeiten in Anspruch nehmen können, um die streitgegenständliche Rechtsverletzung zu verhindern. Er hätte z.B. verschiedene sog. Benutzerkonten einrichten können, bei denen jeder Benutzer eine eigene "Login"-Kennung samt Passwort erhält. Fu€r die verschiedenen Nutzerkonten können die individuellen Nutzungsbefugnisse festgelegt und etwa ein Herunterladen der Filesharing-Software verhindert werden. Des Weiteren wäre auch die Einrichtung einer sog. "firewall" möglich und zumutbar gewesen, durch die die Nutzung einer Filesharing-Software verhindert werden kann. Derartige ihm mögliche Maßnahmen hat der Antragsgegner jedoch offenbar nicht ergriffen, sondern seiner Tochter den Internetzugang ohne Belehrung im Hinblick auf solche Rechtsverletzungen und "ungeschu€tzt" zur Verfu€gung gestellt.
Die Durchfu€hrung der vorbeschriebenen Maßnahmen ist zumutbar. Das gilt auch fu€r den Fall, dass der Antragsgegner selbst nicht in der Lage sein sollte, Benutzerkonten mit solchen Nutzungsbeschränkungen oder eine geeignete "firewall" einzurichten und er sich dazu entgeltlicher fachkundiger Hilfe bedienen mu€sste. Den dadurch bedingten Geldaufwand erachtet die Kammer als durchaus noch verhältnismäßig.
c) Die danach dem Antragsgegner zurechenbare widerrechtliche Nutzung begru€ndet
die Vermutung einer Wiederholungsgefahr. Zur Ausräumung dieser Vermutung wäre
neben einer Einstellung der Nutzung die Abgabe einer emsthaften, unbefristeten,
vorbehaltlosen und hinreichend strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung erforderlich gewesen (vgl. Möhring/Nicolini/Lu€tje, UrhG, 2. Aufl., § 97 Rn. 120, 125; Schricker/Wild, Urheberrecht, 2. Aufl., § 97 Rn. 42; Schulze/Dreier, UrhG, 2. Aufl., § 97 Rn. 41 , 42; v. Wolff in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 97 Rn. 34, 35), wie sie erfolglos verlangt worden ist. Allein das Entfernen der Filesharing-Software und der Musikdateien reicht nicht aus.
III.
Es hat auch ein Verfu€gungsgrund bestanden. Dieser folgt grundsätzlich bereits aus der Wiederholungsgefahr, zu deren Beseitigung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung der Antragsgegner sich zunächst nicht veranlasst gesehen hat. Im Übrigen hat die Antragstellerin die Sache selbst geboten zu€gig behandelt, wie aus dem im Tatbestand (auf Seite 2 im vorletzten Absatz) dargestellten Handlungsablauf folgt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 91 Abs. 1 ZPO.
LG Hamburg:
Urteil v. 19.04.2006
Az: 308 O 92/06
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