Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 5. Februar 1991
Aktenzeichen: A 16 S 20/91

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 05.02.1991, Az.: A 16 S 20/91)

1. Erkenntnisse, die in einem anhängigen Asylverbundklageverfahren unter Rückgriff auf beigezogenes Material aus anderen Verfahren (Asyldokumentation) gewonnen werden, stellen in der Regel dann keine bei dem Gericht offenkundigen Tatsachen dar, wenn es sich um gutachterliche Äußerungen nicht amtlicher Stellen oder Personen handelt.

2. Ihre Verwertung und Würdigung im Verfahren ist daher in der Regel Beweisaufnahme im gebührenrechtlichen Sinn (wie VGH Bad-Württ,Beschluß vom 1987-10-05, VBlBW 1988, S 221 und Beschluß vom 1989-06-01 - A 14 S 405/89 - aA Beschluß vom 1989-12-06, VBlBW 1990, S 180f mN).

Gründe

Die Beschwerde ist gemäß §§ 146, 147 VwGO zulässig; der Beschwerdewert (§ 146 Abs. 3 VwGO) ist erreicht.

Die Beschwerde ist auch begründet. Als gegenüber der Beklagten zu 2 obsiegende Partei hat der Kläger gemäß § 164 VwGO Anspruch auf Festsetzung seiner erstattungsfähigen Aufwendungen, zu denen auch die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren gehören (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Dieser Anspruch umfaßt hier auch die (anteilige) Beweisgebühr.

Zwar hat das Verwaltungsgericht keinen förmlichen Beweisbeschluß erlassen (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO). Der Anspruch des Rechtsanwalts auf die Beweisgebühr ergibt sich hier jedoch aus § 34 Abs. 2 BRAGO, da das Verwaltungsgericht Auskünfte und Gutachten und hier insbesondere die Auskunft von amnesty international vom 2.6.1989 und die Äußerung von Prof. H vom 8.6.1988 erkennbar zum Zwecke des Beweises herangezogen und auch als Beweis verwertet hat. Dies erhellt daraus, daß das Gericht diese Materialien ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung zum Gegenstand derselben gemacht und sie anschließend in den Entscheidungsgründen zu Beweiszwecken benutzt hat, wobei es sich inhaltlich damit auseinandersetzt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 5.10.1987, VBlBW 88, 221/222). Die Beweisabsicht des Gerichts ist dadurch ausreichend nach außen in Erscheinung getreten (vgl. zu diesem Erfordernis Hartmann, Kostengesetze, 23. Auflage 1989, 3 C zu § 34 BRAGO). So beschäftigt sich das Gericht auf S. 6 der Entscheidungsgründe mit der Auskunft von amnesty international vom 2.6.1989 und prüft sie auf ihre asylrechtliche Erheblichkeit im Falle des Klägers. Des weiteren zeigen die Ausführungen auf S. 9 der Entscheidungsgründe, daß das Verwaltungsgericht sich aus den verwerteten Quellen ein Bild über die innenpolitische Lage in Syrien gemacht hat, welches mit dem Vortrag der Kläger selbst in Verbindung gebracht und bei der Entscheidung verwertet wird. Soweit die dabei verwerteten Quellen keine bloße Wiedergabe von Fakten, sondern Sachverständigenäußerungen enthalten, ist dies materiell Beweiserhebung und Beweiswürdigung. Das trifft jedenfalls für die bereits genannten beiden nicht amtlichen Erkenntnisquellen zu.

Die Tatsache, daß die benutzten Erkenntnisquellen dem Gericht ohnehin (also unabhängig vom Verfahren des Klägers) zur Verfügung standen, ändert an dieser Einschätzung nichts. Beweismittel sind vielmehr alle Erkenntnismittel, die geeignet sind oder sein können, das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache oder Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines anderen Umstandes zu überzeugen, unabhängig davon, ob es sich um eines der in der Zivilprozeßordnung aufgezählten Beweismittel handelt oder nicht (VGH Bad.-Württ. a.a.O.). Das bedeutet aber, daß auch vorhandene Auskünfte Beweismittel sein können, die im Wege des Urkundsbeweises herangezogen und gewürdigt werden (OVG Lüneburg, Beschluß vom 22.1.1988, InfAuslR 1988, S. 239/240). Die verwerteten Quellen dienten der Überprüfung, ob die Angaben des Klägers zutreffen, daß ihm wegen seiner Aktivitäten im Libanon bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen drohen. Damit dienen sie Beweiszwecken (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 1.6.1989 -- A 14 S 405/89 -- m.N.).

Es handelt sich bei den Auskünften und Gutachten entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO, die keines Beweises bedurften. Dazu zählen zwar neben den allgemeinkundigen auch die gerichtskundigen Tatsachen, von denen die zur Entscheidung berufenen Richter anderweitig Kenntnis erlangt haben. Der Zuordnung zu letzteren steht jedoch entgegen, daß sich jedenfalls die im vorliegenden Fall herangezogenen Äußerungen von amnesty international und Prof. H gerade nicht in der Mitteilung bloßer Fakten erschöpfen. Ihrem Inhalt nach handelt es sich hierbei um gutachterliche Stellungnahmen. Bei dem Gutachten von Prof. H am 8.6.1988 steht dies außer Zweifel; es trifft aber auch auf die Auskunft von amnesty international vom 2.6.1989 zu, da auch sie eine gezielte typische gutachterliche Frage zum Gegenstand hatte und sich deshalb in ihrer Antwort auch nicht auf die bloße Wiedergabe von Fakten beschränkte. Dies hatte zur Folge, daß das Gericht in dem Urteil nicht einfach auf die gutachterlichen Äußerungen Bezug nehmen konnte, sondern sich mit ihnen im Rahmen einer Gesamtwürdigung auseinandersetzen mußte, wie dies aus den Entscheidungsgründen des Urteils vom 16.1.1990 ersichtlich ist. Das schließt aber aus, die so herangezogenen, gewürdigten und verwerteten Erkenntnisse als offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO anzusehen, auch wenn anzuerkennen ist, daß Gerichtskundigkeit einen weiteren Komplex von Sachverhalten umfaßt als die Allgemeinkundigkeit (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 5.10.1987 a.a.O.; Bay. VGH, Beschluß vom 27.10.1986, InfAuslR 1987, S. 201; OVG Lüneburg, Beschluß vom 22.1.1988, InfAuslR 1988, S. 239).

Daß diese Auffassung richtig ist, ergibt sich auch aus der Überlegung, daß die Kenntnis des Gerichtes sich bezüglich solcher gutachterlicher Äußerungen selbst auf der Grundlage von Beweisaufnahmen (Verwertung als Urkundsbeweis; Einholung eines Sachverständigengutachtens oder ähnliches) gebildet hat und gerade nicht auf unmittelbarer Wahrnehmung durch das Gericht in amtlicher Eigenschaft beruht. Dann gebietet es aber der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 96 VwGO, 355 ZPO), daß die so gewonnenen Erkenntnisse im jeweiligen Rechtsstreit als Beweis eingeführt und verwertet werden (OVG Hamburg, Beschluß vom 27.10.1987, InfAuslR 1988, S. 304).

Der abweichenden Auffassung, daß die Verwertung von Auskünften im Asylverfahren grundsätzlich keine Beweisaufnahme im kostenrechtlichen Sinne darstellt, die vom 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in ständiger Rechtsprechung vertreten wird (vgl. Beschlüsse vom 12.6.1986 -- A 12 S 819/82 -- m.N., Beschluß vom 17.10.1986 -- A 12 S 641/86 -- und Beschluß vom 6.12.1989, VBlBW 1990, S. 180 f. m.N.) schließt sich der Senat nicht an.

Nach dem oben Gesagten kann offen bleiben, ob im vorliegenden Fall auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Beweisgebühr hätte entstehen lassen (vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluß vom 24.9.1985, EZAR 613 Nr. 15).

Die von der Beklagten zu 2 dem Kläger zu erstattenden Auslagen berechnen sich danach wie folgt:

3 Gebühren aus dem Streitwert von 9.000,-- DM (487 x 3 = 1.461,-- DM) zuzüglich 40,-- DM Auslagenpauschale und 210,14 DM Mehrwertsteuer (14 % aus dem Betrag von 1.501,-- DM) ergeben einen Gesamtbetrag von 1.711,14 DM. Hiervon hat die Beklagte zu 2 auf der Grundlage des rechtskräftigen Urteils vom 16.1.1990 1/3 zu erstatten, also den Betrag von 570,38 DM.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 05.02.1991
Az: A 16 S 20/91


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