Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 19. November 2008
Aktenzeichen: 2 Ws 463/08
(OLG Köln: Beschluss v. 19.11.2008, Az.: 2 Ws 463/08)
Eine nach § 88 S.2 in Verb. mit § 11 BRAGO in Betracht kommende Gebührenerhöhung für die Tätigkeit des anwaltlichen Beistands eines Verfallsbeteiligten muß zu den Gebühren des Wahlverteidigers des Angeklagten in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Tenor
1. Der Beschwerdeführerin werden - unter Verwerfung der sofortigen Beschwerde im übrigen - über die in dem angefochtenen Beschluss festgesetzten Beträge hinaus notwendige Auslagen iHv weiteren 17.560 € (i. W. siebzehntausendfünfhundertsechzig) nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 14.12.2004 aus der Staatskasse erstattet.
2. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf 4/5 ermäßigt.
Die der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden zu 1/5 der Staatskasse auferlegt, während sie im übrigen von ihr selbst zu tragen sind.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 92.470,75 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerdeführerin war am sog. Kölner MVA-Verfahren als Verfallsbeteiligte beteiligt. Das Landgericht Köln hat im rechtskräftig gewordenen Urteil vom 13.5.2004 den Verfall zu Lasten der Verfallsbeteiligten nicht angeordnet und deren notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Nach dem Urteil des BGH vom 2.12.2005 sind auch die der Verfallsbeteiligten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen von der Staatskasse zu tragen. Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin hat der Senat den Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren hinsichtlich der Verfallsbeteiligten mit Beschluss vom 01.06.2007 - 2 Ws 173-175/07 - auf 15.000.000 € festgesetzt. Für das Revisionsverfahren hat der BGH den Gegenstandswert mit Beschluss vom 14.12.2006 auf 11.777.955 € festgesetzt. Auf beide Entscheidungen wird wegen der Begründung ergänzend verwiesen.
Die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin haben mit Schriftsatz vom 17.9.2007 notwendige Auslagen und Kosten iHv 47.791,60 € für das erstinstanzliche Verfahren und in Höhe von 50.087,75 € für das Revisionsverfahren zur Festsetzung angemeldet, die sich u.a. aus den jeweiligen Höchstgebühren nach §§ 83, 86 BRAGO in Höhe von 780 € bzw. 1.300 € für die Teilnahme an Hauptverhandlungsterminen in beiden Instanzen nebst Auslagenpauschalen, Reisekosten sowie Tagesund Abwesenheitsgeldern zusammensetzen. Außerdem wird für beide Instanzen eine Gebührenerhöhung nach § 88 BRAGO geltendgemacht, die unter Zugrundelegung der festgesetzten Gegenstandswerte für das erstinstanzliche Verfahren auf 46.496 € und für das Revisionsverfahren auf 50.087,75 € beziffert wird; das entspricht jeweils der vollen Gebühr nach § 11 BRAGO. Zur Begründung ist u.a. auf das enorme wirtschaftliche Interesse der Verfallsbeteiligten, die Schwierigkeit der Sachund Rechtslage und auf das unkalkulierbare Haftungsrisiko und den mit 1.000 Stunden angegebenen Arbeitsaufwand des anwaltlichen Vertreters hingewiesen worden.
Durch den angefochtenen Beschluss hat der Rechtspfleger nach Anhörung des Bezirksrevisors die notwendigen Auslagen für das erstinstanzliche Verfahren mit 3.190,30 € und für das Revisionsverfahren - insoweit nach teilweiser Abhilfe im Vorlagebeschluss an den Senat vom 10.9.2008 - mit 1.776 € ermittelt und insgesamt 4.966,30 € festgesetzt. Die Absetzungen beruhen im wesentlichen darauf, dass der Rechtspfleger als Gebührenerhöhung nach § 88 BRAGO für das erstinstanzliche Verfahren nur die 3-fache Höchstgebühr und für das Revisionsverfahren überhaupt keine Gebührenerhöhung für berechtigt gehalten hat.
Auf die dagegen von den Rechtsanwälten der Verfallsbeteiligten eingelegte
sofortige Beschwerde, mit der die Auslagenfestsetzung in einer Höhe von noch 97.437,05 € erstrebt wird, hat der Rechtspfleger die Sache mit Beschluss vom 10.9.2008 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten, insbesondere der Zusammensetzung der geltend gemachten sowie der festgesetzten Beträge und der Begründung für die teilweise Ablehnung des Antrags wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 17.09.2007, die Beschlüsse des Rechtspflegers vom 26.6. und 10.9.2008 sowie auf den Beschwerdeschriftsatz vom 14.7.2008 verwiesen.
II.
Das nach § 464 b S.3 StPO, §§ 104 Abs. 3 S.1, 567 ZPO, §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG zulässige Rechtsmittel, bei dem es sich um eine sofortige Beschwerde handelt, ist hinsichtlich der Erhöhungsgebühr gemäß § 88 S.2 in Verb. mit § 11 BRAGO für das erstinstanzliche Verfahren zum Teil begründet, im übrigen nicht.
1. Für das erstinstanzliche Verfahren ist der Rechtspfleger- in Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor - im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Gebührenrahmen der §§ 83 ff BRAGO nicht ausreicht, die Tätigkeit des anwaltlichen Vertreters der Verfallsbeteiligten angemessen zu honorieren, der gem. § 95 BRAGO wie ein Verteidiger zu honorieren ist.
Danach war eine angemessene Gebührenerhöhung nach § 88 S.2 in Verb. mit § 11 BRAGO vorzunehmen.
a) Die Bestimmung enthält keinen selbständigen Gebührentatbestand, sondern erlaubt bei den in § 88 BRAGO genannten Tätigkeiten die Überschreitung der Höchstgebühr. Sie kommt nur in Betracht, wenn bereits die übrige (d.h. nicht auf die Einziehung oder verwandte Maßnahmen gerichtete) Tätigkeit bereits den Ansatz der Höchstgebühr oder nahe der Höchstgebühr rechtfertigt. Reicht schon eine innerhalb des Gebührenrahmens liegende Gebühr aus, die gesamte Tätigkeit des Verteidigers angemessen zu entgelten, ist eine Überschreitung des Gebührenrahmens nicht zulässig. Sie wird in der Regel nur bei besonders hohen Gegenstandswerten - bei denen auch ein entsprechend hohes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts besteht - in Betracht kommen. Dabei braucht die in § 88 BRAGO vorgesehene Grenze des § 11 BRAGO allerdings nicht in jedem Fall erreicht zu werden, sondern kann auch unterschritten werden, worauf sowohl der BGH als auch der Senat in den Entscheidungen zur Festsetzung des Gegenstandswertes bereits hingewiesen haben (BGH Beschluß vom 14.12.2006 - 5 StR 119/05 -; Senat 1.6.2007 - 2 Ws 173-175/07 -, ebenso schon früher Senat 10.09.2004 - 2 Ws 370/04 -; -; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 15. A., § 88 Rn 6; Fraunholz in Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. A., § 88 Rn 10; Hartmann, Kostengesetze, 33. A., § 88 Rn 11 ).
b) Der im angefochtenen Beschluss mit dem 3-fachen der Höchstgebühr nach § 83 BRAGO angesetzte Betrag ist aus Sicht des Senats unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles nicht angemessen. Er trägt zum einen dem sehr hohen Gegenstandswert, in dem die wirtschaftliche Bedeutung der Sache ihren Niederschlag gefunden hat, und den weit überdurchschnittlichen rechtlichen Schwierigkeiten der Sache nicht ausreichend Rechnung, die dem Senat aus dem Beschwerdeverfahren 2 Ws 433/03 (SenE vom 08.08.2003) bekannt sind. Zum anderen ist auch der außergewöhnliche Umfang der Sache nicht ausreichend berücksichtigt worden.
c) Eine Gebührenerhöhung bis zu der in § 88 S.2 BRAGO vorgesehenen Grenze dürfte hiernach aber noch nicht in Betracht kommt. Das geltend gemachter Haftungsrisiko erscheint bei den hier in Rede stehenden richterlichen Entscheidungen eher begrenzt. Der vom anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin mit 1.000 Stunden geschätzte Zeitaufwand (wovon 900 Stunden auf die Tätigkeit in I. Instanz angefallen sein sollen) für die Bearbeitung der Sache ist nicht nachvollziehbar; er würde einen vollständigen Arbeitseinsatz über einen Zeitraum von etwa 5 Monaten bedeuten. Davon kann der Senat aufgrund eigener Befassung mit dem Fall nicht ausgehen.
Allerdings fallen die vorgenannten Umstände - der sehr hohe Gegenstandswert und die rechtlichen Schwierigkeiten - erheblich ins Gewicht und lassen eine Bemessung der Gebührenerhöhung mit einem Mehrfachen der Höchstgebühr nach § 83 BRAGO nicht zu.
Aus Sicht des Senats muss sich die angemessene Honorierung des anwaltlichen Vertreters der Verfallsbeteiligten vielmehr an den Gebühren des Wahlverteidigers orientieren. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des BGH im Beschluss vom 14.12.2006, der es für unverständlich hält, wenn die Gebühren des Vertreters des Verfallsbeteiligten das Vielfache einer normalen Gebühr für die umfassende Verteidigung betragen würde. Diese Ausführungen beziehen sich zwar auf das Revisionsverfahren. Sie enthalten aber den allgemein gültigen Gedanken, dass die Honorierung des anwaltlichen Beistands eines Verfallsbeteiligten einerseits und des Verteidigers des bzw. der Angeklagten andererseits in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen.
Die vom Beschwerdeführer angestrebte Ausschöpfung der Höchstgrenze des § 88 S. 2 in Verb. mit § 11 BRAGO würde die Gebühren einer umfassenden Verteidigung um mehr als das Doppelte übersteigen. Das ist nach Auffassung des Senats unverhältnismäßig.
Der Senat hatte nämlich zu bedenken, dass der Prozessstoff, mit dem sich der Beschwerdeführer zu befassen hatte, sich hauptsächlich auf die Frage des Verfalls beschränkt hat. Das bleibt hinter dem Verteidigungsaufwand, den die Verteidiger der Angeklagten zu leisten hatten, deutlich zurück, wie sich allein daraus ergibt, dass der Beschwerdeführer nur an einem von 42 Verhandlungstagen teilgenommen hat. Zwar hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin in den von ihm angestrengten Beschwerdeverfahren zum Teil umfangreiche Schriftsätze erarbeitet. Das gilt für die Verteidiger der Angeklagten aber ebenfalls.
Für angemessen hält der Senat im vorliegenden Fall eine Gebührenerhöhung, die sich an den Wahlverteidigerhöchstgebühren orientiert. Diese belaufen sich bei 42 Verhandlungstagen unter Einschluss der Mehrwertsteuer auf rund 19.900 €. Dieser Betrag steht nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Falles in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Verteidigergebühren.
Davon sind im angefochtenen Beschluss - für das erstinstanzliche Verfahren - 2.340 € bereits berücksichtigt worden, so dass noch weitere 17.560 € festzusetzen waren.
d) Die im angefochtenen Beschluss abgesetzte Gebühr nach § 83 Abs. 2 S.2 BRAGO für den Verhandlungstag am 11.03.2004 und die aus Anlaß dieses Termins zur Festsetzung angemeldeten Fahrtkosten sowie Tage- und Abwesenheitsgeld hat die Beschwerdeführerin mit dem Rechtsmittel nicht mehr weiterverfolgt.
2. Für das Revisionsverfahren ist antragsgemäß die Höchstgebühr gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 BRAGO iHv 1.300 € festgesetzt worden. Der damit voll ausgeschöpfte Gebührenrahmen reicht zur angemessenen Honorierung der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren aus. Eine Erhöhungsgebühr kommt hierfür nicht in Betracht. Der Senat schließt sich dem BGH an, der im Beschluss zur Festsetzung des Gegenstandswert vom 14.12.2006 folgendes ausgeführt hat :
" … der Senat ist der Auffassung, dass angesichts der vergleichsweise
geringen Tätigkeit des Vertreters der Verfallsbeteiligten vorliegend schon der
übliche Gebührenrahmen für das Revisionsverfahren nach § 95 BRAGO in
Verb. mit §§ 12,86 BRAGO ausreicht, um die gesamte Tätigkeit für die
Verfallsbeteiligte in der Revisionsinstanz angemessen zu entgelten. Weil in
jeder Instanz die Notwendigkeit einer etwaigen Gebührenerhöhung gesondert
zu prüfen ist, können die Einwände des Vertreters der Verfallsbeteiligten zu
seiner Tätigkeit in der Tatsacheninstanz (betr. den Aktenumfang etc.) nicht
verfangen. Der Stoff des Revisionsverfahrens war insoweit eng begrenzt. Es
liegt auch kein erhebliches, eine Überschreitung des Gebührenrahmens
rechtfertigendes Haftungsrisiko … vor."
Dem ist aus Sicht des Senats nichts hinzuzufügen.
3. Auch höhere Fahrtkosten aus Anlass der Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung in M. am 01.12.2005 kann der Vertreter der Verfallsbeteiligten nicht beanspruchen. Das Landgericht hat an Reisekosten 230 € als gerechtfertigt anerkannt und festgesetzt. Der Senat entnimmt den Akten, dass die Verteidiger eines der Angeklagten für einen am 15.07.2005 gebuchten Hin- und Rückflug L.-C./ M. für 2 Personen 136,04 € zu zahlen hatten. Der Senat geht davon aus, dass der Vertreter der Verfallsbeteiligten, der seinen Flug erst am 29.11.2005 zu einem Preis von knapp 600 € gebucht hat, bei rechtzeitiger Buchung für einen Flug jedenfalls nicht mehr als die zu seinen Gunsten festgesetzten 230 € hätte aufwenden müssen. Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob eine Bahnfahrt unzumutbar gewesen sei, stellt sich mithin nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 S. 1 StPO.
OLG Köln:
Beschluss v. 19.11.2008
Az: 2 Ws 463/08
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