Kammergericht:
Beschluss vom 23. Dezember 2008
Aktenzeichen: 1 Ws 1/07
(KG: Beschluss v. 23.12.2008, Az.: 1 Ws 1/07)
Zum Ansatz fiktiver Sachverständigenkosten für Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft als Kosten des Verfahrens
Tenor
Die weitere Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. September 2006 wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerdeführerin ist durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. August 2005 wegen Untreue in sieben Fällen, Insolvenzverschleppung in elf Fällen und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in vier Fällen zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einer Gesamtgeldstrafe von 220 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt worden. Zugleich sind ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Der Strafbefehl - einschließlich der Kostenentscheidung - ist seit dem 4. Oktober 2005 rechtskräftig.
Das dem Strafbefehl zugrunde liegende Ermittlungsverfahren, ein außerordentlich umfangreiches und komplexes Wirtschaftsstrafverfahren, ist ursprünglich gegen die Beschwerdeführerin und sechs weitere Beschuldigte geführt worden. Nachdem in dem Ursprungsverfahren zahlreiche Unterlagen sichergestellt worden waren, hatte die Staatsanwaltschaft am 13. September 2000 zwei Bilanzbuchhalterinnen, die bei der Staatsanwaltschaft als Wirtschaftsreferentinnen tätig sind, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Gegenstand des Gutachtens war die Auswertung der Unterlagen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, wobei die Beweisthemen konkret benannt wurden, so z.B. das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Konzerns im Sinne des § 18 AktG, der Zustand der Buchführung, das Vorliegen und der Zeitpunkt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, Anhaltspunkte für inkongruente Befriedigungen von Gläubigern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, Verbleib von Mietkautionsgeldern und ähnliches. Das Gutachten, das 286 Seiten umfasst und für das die Wirtschaftsreferentinnen einen Arbeitsaufwand von insgesamt 3073 Stunden berechnet haben, ist am 20. März 2002 fertig gestellt worden. Da die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geständig war, ist das Ermittlungsverfahren gegen sie am 19. August 2005 abgetrennt und durch den eingangs genannten Strafbefehl abgeschlossen worden.
Mit Kostenrechnung vom 1. Februar 2006 hat die Staatsanwaltschaft die Verurteilte zur Zahlung der für die Erstellung des Gutachtens der Wirtschaftsreferentinnen angesetzten Kosten in Höhe von 135.212,00 EUR (3073 Stunden zu je 44,00 EUR) aufgefordert. Ihre dagegen gerichtete Erinnerung hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Das Landgericht hat auf die Beschwerde der Verurteilten die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben. Es hat eine Verteilung der Kosten nach Kopfteilen als angemessen angesehen und dementsprechend - mit Blick auf die insgesamt sieben Beschuldigten im Ursprungsverfahren - gegen die Verurteilte ein Siebentel der Gesamtkosten, somit einen Betrag von 19.316,00 EUR angesetzt. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Verurteilten, die das Landgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Frage nach dem Ansatz und der Aufteilung fiktiver Sachverständigenkosten zugelassen hat (§ 66 Abs. 4 GKG).
Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin (§ 66 Abs. 4 Satz 2 GKG).
Grundlage für die Kostentragungspflicht der Verurteilten ist die Kostenentscheidung in dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 25. August 2005, durch die ihr die Verfahrenskosten ohne Einschränkungen auferlegt worden sind. § 465 StPO, der die Kostentragungspflicht eines verurteilten Angeklagten regelt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE 18, 302; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 465 Rdn. 1 m.w.N.). Ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung oder gegen €das Resozialisierungsgebot€, wie die Beschwerdeführerin meint, liegt nicht vor.
Verfahrenskosten sind neben den Gebühren die Auslagen der Staatskasse (§ 464a Abs. 1 Satz 1 StPO). Darunter fallen auch die durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten (§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO). Das sind alle Auslagen, die zur Aufklärung der Tatbeteiligung des Angeklagten aufgewendet worden sind, darunter auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 127; Meyer-Goßner aaO, § 464a Rdn. 2). Sie sind nach Nr. 9015 i.V.m. Nr. 9005 KV GKG in voller Höhe zu erheben, soweit die Beträge nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (JVEG) bzw. € wie hier gemäß der Übergangsbestimmung des § 25 Satz 1 JVEG € nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) zu zahlen sind. Das ist bei den verfahrensgegenständlichen Auslagen der Fall.
Nach § 1 Abs. 1 ZSEG wird ein Gutachter für seine gutachterliche Tätigkeit entschädigt, wenn er vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft zu Beweiszwecken herangezogen worden ist. Mit Recht hat das Landgericht hierzu in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt: €Die hier als Sachverständige tätig gewordenen Wirtschaftsreferentinnen sind allerdings in die Behördenstruktur der Staatsanwaltschaft Berlin eingegliedert und dort im Rahmen von Anstellungsverhältnissen in unterschiedlichen Aufgabenbereichen tätig. Durchaus zu Recht weist der Verteidiger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bloße innerbetriebliche Kosten der Strafverfolgungsbehörde nicht ohne weiteres auf den Angeklagten überbürdet werden dürfen. Der Einsatz eines Wirtschaftsreferenten kann nicht zwangsläufig zu einer für die Justizkasse bequemen Kostenverlagerung von der Staatsanwaltschaft auf den Bürger führen (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze 36. Aufl., JVEG § 1 Rdn. 30). Maßgebend für den Auslagentatbestand der Nr. 9005 KV GKG ist, ob der Wirtschaftsreferent als bloßer Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft oder unabhängig und eigenverantwortlich tätig wurde, ob er mithin tatsächlich im Einzelfall als Sachverständiger eingesetzt wurde. Einer solchen Tätigkeit steht eine Zugehörigkeit zur Staatsanwaltschaft in den bei ihr anhängigen Strafsachen nicht grundsätzlich entgegen. Ein Wirtschaftsreferent kann als Sachverständiger beauftragt und tätig werden, wenn er persönlich und losgelöst von der eigentlichen Ermittlungstätigkeit sein Gutachten eigenverantwortlich und frei von jeder Beeinflussung zu einem bestimmten Beweisthema erstatten kann (BGHSt 28, 381; BGH NStZ 1984, 215).€
Das Landgericht hat die von den beauftragten Wirtschaftsreferentinnen erbrachten Leistungen zutreffend als gutachterliche Tätigkeit gewertet. Ihre Aufgabe lag nicht in der bloßen Sichtung der sichergestellten Unterlagen oder dem Geben von Hinweisen für die weitere Ermittlungstätigkeit. Sie hatten vielmehr den Auftrag erhalten, selbständig und eigenverantwortlich eine gutachterliche Stellungnahme zu genau umschriebenen Beweisthemen abzugeben, für die es der in den §§ 73 ff StPO vorausgesetzten Sachkunde bedurfte.
Mit dem Einwand, dass die Ergebnisse des Gutachtens auch mit anderen €kostengünstigeren€ Ermittlungen, wie etwa der Zeugenvernehmung von Mitarbeitern der betroffenen Unternehmen, hätten erreicht werden können, kann die Beschwerdeführerin nicht gehört werden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine bloße Behauptung handelt, für die die Verurteilte eine substantiierte Begründung schuldig bleibt, kann die Notwendigkeit und/oder die Zweckmäßigkeit von Auslagen im Erinnerungsverfahren grundsätzlich nicht nachgeprüft werden (vgl. OLG Koblenz wistra 1986, 121; Meyer, GKG 10. Aufl., § 66 Rdn. 15 m.w.N.).
Unerheblich ist auch der Einwand der Beschwerdeführerin, dass ihr €Tatbeitrag und die diversen entlastenden Umstände hinsichtlich ihrer Person€ berücksichtigt werden müssten, die sich aus dem Gutachten ergeben hätten. Es kann dahinstehen, ob im Rahmen des Gutachtens tatsächlich durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden sind, die zu ihren Gunsten ausgegangen sind (§ 465 Abs. 2 StPO). Denn selbst wenn es sich so verhalten hätte, wäre dies unbeachtlich, weil die Kostengrundentscheidung im Strafbefehl, in der eine entsprechende Auslagenteilung zwischen der Verurteilten und der Landeskasse nach § 465 Abs. 2 StPO unterblieben ist, von ihr nicht angefochten und damit rechtskräftig geworden ist. Eine nachträgliche Korrektur im Kostenansatzverfahren ist ausgeschlossen (vgl. OLG Koblenz NStZ 1995, 563; LR-Hilger, StPO 25. Aufl., § 465 Rdn. 25 m.w.N.).
Der - hier nach der Übergangsbestimmung des § 71 Abs. 2 GKG anwendbare - § 1 Abs. 2 Satz 2 JVEG steht dem Ansatz der Sachverständigenkosten nicht entgegen. Diese Regelung schließt lediglich den persönlichen Vergütungsanspruch des behördenangehörigen Sachverständigen aus, stellt die Erstellung des Gutachtens jedoch nicht insgesamt gebührenfrei. Die Vergütung steht der Anstellungsbehörde des herangezogenen Sachverständigen zu. Gemäß Nr. 9005 Abs. 2 Satz 1 KV GKG werden die entsprechenden Beträge als fiktive Kosten auch dann erhoben, wenn aus Gründen der Gegenseitigkeit, der Verwaltungsvereinfachung oder aus vergleichbaren Gründen keine Zahlungen zu leisten sind; ist € wie hier € aufgrund des § 1 Abs. 2 Satz 2 JVEG keine Vergütung zu zahlen, ist der Betrag zu erheben, der ohne diese Vorschrift zu zahlen wäre (Nr. 9005 Abs. 2 Satz 2 KV GKG). Diese vom Gesetzgeber nunmehr eindeutig festgelegte Rechtslage entspricht der herrschenden Meinung zum Ansatz fiktiver Kosten bei der Heranziehung von Wirtschaftsreferenten als Sachverständige, wie sie bereits zu der im Regelungsgehalt des § 1 Abs. 2 Satz 2 JVEG identischen Norm des § 1 Abs. 3 ZSEG vertreten worden ist (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 127; OLG Stuttgart Rpfleger 1987, 389; Volpert in Burhoff, RVG 2. Aufl., Teil B Gerichtskosten Rdn. 35).
Die Höhe der Gesamtkosten des verfahrensgegenständlichen Gutachtens ist nicht zu beanstanden. Der erforderlich gewesene Zeitaufwand ergibt sich aus den Angaben der Wirtschaftsreferentinnen, auch ist der geltend gemachte Stundensatz von 44,00 EUR nach Maßgabe der §§ 3 Abs. 2 ZSEG, 25 Satz 1 JVEG nicht unangemessen.
Die vom Landgericht in Abweichung vom Kostenansatz der Staatsanwaltschaft vorgenommene Verteilung der Gutachterkosten nach Kopfteilen begünstigt die Beschwerdeführerin, da sie nach dem Grundsatz des § 465 StPO € gegebenenfalls gesamtschuldnerisch mit den übrigen Beschuldigten - für die Sachverständigenkosten im vollen Umfang hätte aufkommen müssen. Das Landgericht hat sich ersichtlich aus Gründen der Kostengerechtigkeit zu der Herabsetzung des ursprünglichen Kostenansatzes entschlossen. Ob sich dieses Ergebnis, wie das Landgericht meint, auf die hier nach § 71 Abs. 2 GKG anwendbare (amtliche) Vorbemerkung 9 Abs. 2 KV GKG stützen lässt, ist nicht zweifelsfrei. Denn die Sachverständigenkosten waren, wie das Landgericht selbst zutreffend festgestellt hat, vollständig in dem Ursprungsverfahren vor der Abtrennung angefallen. €Mehrere Rechtssachen€, wie in der Vorbemerkung 9 Abs. 2 KV GKG vorausgesetzt, liegen damit nicht vor. Der Senat braucht dies jedoch nicht zu entscheiden. Eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin käme jedenfalls wegen des Verschlechterungsverbots im Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren nach dem GKG (vgl. BFH NV 2006, 960 m.N.) nicht in Betracht.
Ob die Forderung aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin niedergeschlagen werden kann, hat der Senat nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.
KG:
Beschluss v. 23.12.2008
Az: 1 Ws 1/07
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