Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 14. Juli 2009
Aktenzeichen: 31 Wx 121/06

(OLG München: Beschluss v. 14.07.2009, Az.: 31 Wx 121/06)

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. November 2006 (Ziffer 2 des Tenors) dahin abgeändert, dass die angemessene Barabfindung auf 12,61 Euro je auf den Inhaber lautender Stückaktie festgesetzt wird.

II. Im Übrigen werden die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerden zurückgewiesen.

III. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens findet nicht statt.

IV. Der Geschäftswert für das Verfahren beider Instanzen wird auf 2.026.745 Euro festgesetzt; der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. November 2006 (Ziffer 4 des Tenors) wird insoweit abgeändert.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die angemessene Barabfindung aufgrund des am 14.11.2002 beschlossenen Ausschlusses der Minderheitsaktionäre.

Die Antragsteller waren Aktionäre der C. AG, deren Geschäftstätigkeit vor allem die Vermittlung von Kapitalanlageprodukten über das Internet in Deutschland, Frankreich und Spanien umfasste. Das Grundkapital von 47.587.641 Euro war in ebenso viele auf den Inhaber lautende nennwertlose Stückaktien eingeteilt, die ab 26.4.1999 im Börsensegment "Neuer Markt" und ab 16.9.2002 am Geregelten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse notiert waren. Die Antragsgegnerin erwarb mit Kaufvertrag vom 29.4.2002 zunächst 66,43 % der Anteile von der damaligen Hauptaktionärin zum Preis von 9,08 Euro pro Aktie und kaufte weitere Aktien im Rahmen eines bis 1.8.2002 geltenden Übernahmeangebotes zum Preis von 12,40 Euro je Aktie, das von 84,8 % der angesprochenen Aktionäre angenommen wurde. Mit weiteren Käufen am Kapitalmarkt erreichte sie eine Beteiligung von 95,05 % und kündigte am 17.9.2002 den geplanten Ausschluss der Minderheitsaktionäre an. Am 14.11.2002 beschloss die Hauptversammlung, die Aktien der Minderheitsaktionäre gegen eine Barabfindung von 11,75 Euro auf die Hauptaktionärin zu übertragen. Der Beschluss wurde am 19.12.2002 in das Handelsregister eingetragen. In den letzten drei Monaten vor der Hauptversammlung lag der Börsenkurs zwischen 9,62 Euro und 11,68 Euro je Stückaktie. Der gewichtete Durchschnittskurs in den drei Monaten vor Bekanntgabe des geplanten Ausschlusses der Minderheitsaktionäre am 17.9.2002 betrug 11,54 Euro je Stückaktie.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13.9.2002 die W. K. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als sachverständigen Prüfer bestellt. Sie hat die angebotene Barabfindung als angemessen bewertet unter Hinweis darauf, dass die Unsicherheit der Planung als hoch einzuschätzen sei, jedoch zu angemessenen Ergebnissen führe, weil die Unsicherheit entsprechend hoch im (mit 9,3 % angesetzten) Risikozuschlag erfasst worden sei.

Die Antragsteller haben beantragt, als angemessen eine höhere Abfindung festzusetzen. Das Landgericht hat eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des sachverständigen Prüfers eingeholt und diesen in der mündlichen Verhandlung vom 2.12.2004 zur Bewertung angehört. Mit Beschluss vom 21.11.2006 hat das Landgericht die angemessene Barabfindung auf 18,23 Euro je Stückaktie festgesetzt. Dabei ging es abweichend von der Bewertung durch Hauptaktionärin und sachverständigen Prüfer von einem Risikozuschlag von 4 % (statt von 9,3 %) zum Basiszinssatz von 5,5 % aus, was zu einer Herabsetzung des Kapitalisierungszinssatzes von 9,62 % (Phase I) bzw. 8,62 % (Phase II) auf 6,17 % bzw. 5,17 % führte. Weiteren Beanstandungen folgte das Landgericht nicht.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts haben die Antragsgegnerin sowie die Antragsteller zu 5 und 6 sofortige Beschwerde und die Antragsteller zu 9, 16, 17, 18, 21, 22, 23 und 24 Anschlussbeschwerde eingelegt. Die Beschwerde führenden Antragsteller rügen im Wesentlichen, dass ein zu hoher Basiszinssatz angesetzt worden sei und die Planungsrechnungen der Gesellschaft zu pessimistisch seien. Die Antragsgegnerin hält vor allem den Risikozuschlag von 4 % für viel zu niedrig. Die Planung der Gesellschaft für die Phase I sei übermäßig optimistisch; die geplanten Geschäftszahlen seien nicht erreicht worden. Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten zum Unternehmenswert eingeholt und den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 23.6.2009 angehört.

II.

Die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerden sind zulässig (§ 12 Abs. 1 und 2, § 17 Abs. 2 SpruchG). Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin führt zur Herabsetzung der vom Landgericht festgesetzten Barabfindung auf 12,61 Euro je Stückaktie der C. AG. Im Übrigen haben die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerden keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat zu Recht die Anträge als zulässig erachtet. Alle Antragsteller haben den Nachweis geführt, dass sie zum maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem der Übertragung der Aktien auf die Hauptaktionärin (vgl. Simon/Leuering SpruchG § 3 Rn. 27 zum Spruchverfahrensgesetz) Inhaber von Anteilen waren. Auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile kommt es nicht an.

2. Nach § 327 a Abs. 1 Satz 1 AktG kann die Hauptversammlung einer Gesellschaft die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen. Dabei muss die vom Hauptaktionär festgelegte Barabfindung die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen (§ 327 b Abs. 1 Satz 1 AktG). Angemessen ist eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist, die also dem vollen Wert seiner Beteiligung entspricht (BVerfGE 14, 263/284; 100, 289/304 f.; BGH AG 2003, 627/628; BayObLG NJW-RR 1996, 1125/1126; Hüffer AktG 8. Aufl. § 327 b Rn. 4; MünchKommAktG/Bilda 2. Aufl. § 305 Rn. 59). Zu ermitteln ist der Grenzpreis, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (BGHZ 138, 136/140). Der Börsenwert bildet regelmäßig die Untergrenze der Abfindung, es sei denn, dass mangels Liquidität der Aktie der Börsenkurs nicht aussagekräftig ist (MünchKommAktG/Grunewald § 327 b Rn. 9).

Der gerichtliche Sachverständige hat, ebenso wie die Hauptaktionärin und der sachverständige Prüfer, bei der Ermittlung des Unternehmenswerts in nicht zu beanstandender Weise die Ertragswertmethode angewendet (vgl. BGH AG 2003, 627/628; BayObLGZ 1998, 231/235; OLG Düsseldorf AG 2001, 189/190 m. w. N.), wobei der so ermittelte Anteilswert gegebenenfalls einer Korrektur anhand des Börsenkurses bedarf (vgl. BVerfGE 100, 289/307). Nach dieser Methode werden die zukünftigen Erträge des Unternehmens geschätzt und auf den maßgeblichen Stichtag mit dem Kapitalisierungszinssatz diskontiert. Das nicht betriebsnotwendige (neutrale) Vermögen wird gesondert bewertet und regelmäßig mit dem Liquidationswert angesetzt (BayObLGZ 1998, 231/235).

Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung der vorliegenden Gutachten allerdings, dass sie nach ihren zugrunde liegenden Erkenntnismöglichkeiten nicht in der Lage sein können, mathematisch einen exakten oder "wahren" Unternehmenswert am Stichtag festzustellen. Dem Gericht kommt somit die Aufgabe zu, unter Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden den Unternehmenswert, der Grundlage für die Abfindung ist, im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu bestimmen (st. Rspr., vgl. BGH ZIP 2001,734/736; BayObLG AG 2006, 41; OLG München OLGR 2008, 446 m. w. N.).

3. Hinsichtlich der Ertragsprognosen sieht der Senat die vom Sachverständigen auf ihre Plausibilität überprüften und teilweise korrigierten Ansätze als taugliche Grundlage für die Schätzung des Unternehmenswertes an. Soweit von Antragstellern der pauschale Vorwurf mangelnder Neutralität des Sachverständigen erhoben wird, liegt das angesichts seines ausführlich und sorgfältig begründeten schriftlichen Gutachtens und seiner langjährigen beruflichen Erfahrung mit der Prüfung und Bewertung von Banken neben der Sache.

12a) Die Planungsrechnungen der Gesellschaft sind im Spruchverfahren nur eingeschränkt nachprüfbar, denn sie sind das Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung der Gesellschaft verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Genügt die Planung diesen Anforderungen, darf sie nicht durch andere € letztlich ebenfalls nur vertretbare € Annahmen des Gerichts ersetzt werden (vgl. OLG Stuttgart AG 2008, 510/513 m. w. N.). Vorhandene Planungsrechnungen sind deshalb auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Fehlen Planungsrechnungen oder sind sie nicht plausibel, so sind sachgerechte Prognosen zu treffen oder Anpassungen vorzunehmen (OLG Düsseldorf AG 2008, 498/500; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung 5. Aufl. Rn. 330).

b) Die vom Sachverständigen vorgenommen Korrekturen sind nach diesen Grundsätzen nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für die Eigenkapitalplanung, die in der Planung der Gesellschaft nicht enthalten war und vom Sachverständigen ergänzt wurde. Es steht außer Frage, dass gesetzliche Vorgaben zu beachten sind und die nach aufsichtsrechtlichen Anforderungen bei einer Bank notwendige Ausstattung mit haftenden Eigenmitteln bei der Planung berücksichtigt werden muss. Die Ausführungen des Sachverständigen zur Höhe des von ihm ermittelten Eigenkapitalbedarfs und den daraus folgenden Anpassungen der Planungsrechnung im schriftlichen Gutachten (dort S. 45 f.) sind nachvollziehbar und überzeugend; zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat darauf Bezug.

Auch hinsichtlich der Cost-Income-Ratio (Kosten-Erlös-Relation) folgt der Senat den ausführlichen und schlüssigen Darlegungen des Sachverständigen. Dieser hat die Annahmen der Gesellschaft sowohl anhand der von ihr selbst in der Vergangenheit erreichten Werte als auch anhand von Branchenkennzahlen überprüft und für nicht plausibel erachtet. Insbesondere waren die angestrebten Werte von der Gesellschaft auch in den besten Zeiten während der Boomjahre 1999/2000 nicht erreicht worden. Zudem sah die Planung eine Ausweitung der Produktpalette und Anpassungen der Vertriebsstrategie vor, die mit einem höheren Beratungsansatz und demzufolge mit höheren Verwaltungskosten verbunden waren. Der vom Sachverständigen vorgenommene angesetzte Wert von 75 % ab 2005 (statt 72,5 % für C., 42,9 % für C. F. und 50,0 % für C. S.) ist nicht zu beanstanden. Wie er in der mündlichen Verhandlung nochmals erläutert hat, liegt dieser Wert unter der in den ertragsstarken Jahren 1999 und 2000 von der Gesellschaft erzielten Wert von 77,6 % und im unteren Bereich der Annahmen der Wettbewerber.

Die Auswirkungen dieser Anpassungen sind im schriftlichen Gutachten ausführlich und schlüssig dargestellt. Das Ergebnis vor Steuern vermindert sich für die ewige Rente (2006 ff.) für C. von 71.871 TEuro auf 69.745 TEuro, für C. F. von 7.002 TEuro auf 3.067 TEuro und für C. S. von 8.154 TEuro auf 3.659 TEuro. Diese Unterschiede in der Auswirkung sind darauf zurückzuführen, dass für C. F. und C. S. erhebliche Synergien aus der Zusammenführung mit Tochtergesellschaften der Hauptaktionärin bei der Planung berücksichtigt wurden. Die positiven Effekte aus den erwarteten Synergien, die die mittelfristige Erreichung der Profitabilitätsschwelle erst ermöglichen, äußern sich in einer außergewöhnlich niedrigen geplanten Cost-Income-Ratio ab 2005. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen kann diese Quote jedoch nicht auf Dauer erreicht werden, weil die positiven Effekte aus der Erzielung von Skaleneffekten im Rahmen der Zusammenführung begrenzt sind auf das Erreichen einer marktüblichen Cost-Income-Ratio. Auch die übrigen Anpassungen sind nicht zu beanstanden.

Im Übrigen hat der Sachverständige die Ertragsplanung für optimistisch bzw. ambitioniert, aber aus der Sicht des Jahres 2002 für noch vertretbar erachtet.

4. Den Kapitalisierungszinssatz schätzt der Senat (§ 287 Abs. 2 ZPO) für die Phase I auf 7,48 % und für die Phase II auf 6,48 %. Dieser Kapitalisierungszinssatz setzt sich zusammen aus Basiszinssatz von 5,5 % und Risikozuschlag von 6 % abzüglich der typisierten persönlichen Ertragssteuer von 35 %. Insoweit folgt der Senat dem Sachverständigen nicht in vollem Umfang, der einen Basiszinssatz von 5,25 % und einen Risikozuschlag von 8 % (ermittelt aus einer Marktrisikoprämie von 5 % und einem Adjusted-Beta einer Peer Group von 1,6 %) herangezogen hat. Für die Phase II berücksichtigt der Senat wie der Sachverständige einen Wachstumsabschlag von 1 %.

a) Der Basiszinssatz bildet eine gegenüber der Investition in das zu bewertende Unternehmen risikolose und laufzeitadäquate Anlagemöglichkeit am Kapitalmarkt ab. Zur Konkretisierung wird regelmäßig auf Staatsanleihen abgestellt, die als "quasisicher" zu qualifizieren sind (vgl. Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung 4. Aufl. S. 361 ff; Ballwieser Unternehmensbewertung 2. Aufl. S. 83 ff; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2009, Rn. 564 ff.). Der vom Landgericht in Übereinstimmung mit dem sachverständigen Prüfer angenommene Basiszinssatz von 5,5 % ist nicht zu beanstanden. Diesen Zinssatz hat auch der Senat bereits für einen Stichtag Ende Oktober 2002 unter Berücksichtigung der Zinsstrukturkurve und der zum 1.1.2003 auf 5,5 % zurückgenommenen IDW € Empfehlung als geeignet erachtet (vgl. OLG München OLGR 2008, 446/447 für Stichtag 30.10.2002). Für den 14.11.2002 weist die Zinsstrukturkurve nach der Nelson/Siegel/Svensson-Methode einen Wert von 5,37 % aus. Der Sachverständige gelangt aufgrund eines Drei-Monats-Durchschnittswertes der Zinsstrukturdaten zu einem Basiszinssatz von 5,25 %, was ebenfalls vertretbar sein mag. Der Senat hält es jedoch aus den oben genannten Gründen nicht für vorzugswürdig, diesen Wert anzusetzen, zumal sich aufgrund der Zinsstrukturdaten gerade Ende Oktober/Anfang November nach einem Absinken im August/September wieder höhere Werte ergaben.

19b) Für die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes wird der Basiszinssatz um einen Risikozuschlag erhöht. Dadurch wird berücksichtigt, dass sich der Basiszinssatz auf für sicher gehaltene festverzinsliche Anleihen ohne Liquidationsrisiko bezieht, der Markt aber demgegenüber für die Investition in Unternehmensbeteiligungen, die in ihrer Wertentwicklung unsicher sind, einen Zusatznutzen (Prämie, Zuschlag) erwartet, der dieses Risiko ausgleicht (vgl. OLG Stuttgart AG 2007, 128/133 m. w. N.; BayObLG AG 2006, 41/43). Nach der Konzeption des IDW S 1 wird nicht mehr (wie nach dem früheren Standard HFA 2/1983) zwischen unternehmensspeziellen und allgemeinen Risiken unterschieden, sondern das gesamte Unternehmerrisiko ausschließlich im Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt. Der unternehmensspezifische Risikozuschlag soll sowohl das operative Risiko aus der betrieblichen Tätigkeit als auch das vom Verschuldungsgrad beeinflusste Finanzierungsrisiko abdecken (vgl. IDW S 1 i. d. F. v. 28.6.2000 Ziffer 6.2; WP-Handbuch 2002 A Rn. 209).

20aa) Der Senat hält daran fest, dass die marktorientierte Ermittlung des Risikozuschlags unter Anwendung des (Tax)CAPM (Capital Asset Pricing Model) der pauschalen Festlegung aufgrund von Erfahrungswerten nicht überlegen ist. Denn auch hier hängt das Ergebnis in hohem Maße von der subjektiven Einschätzung des Bewerters ab, die nur nicht unmittelbar durch die Schätzung des Risikozuschlags selbst ausgeübt wird, sondern mittelbar durch die Auswahl der Parameter für die Berechnung von Marktrisikoprämie und Beta-Faktor (vgl. dazu auch Hachmeister/Wiese WPg 2009, 54/58). Die rechnerische Herleitung des Risikozuschlags täuscht darüber hinweg, dass aufgrund der Vielzahl von Annahmen, die für die Berechnung getroffen werden müssen, nur eine scheinbare Genauigkeit erreicht wird und nicht etwa eine mathematisch exakte Bemessung des für die Investition in das konkrete Unternehmen angemessenen Risikozuschlags (vgl. ausführlich OLG München OLGR 2008, 446/447). Schon die zu treffende Prognose, inwieweit die Daten aus der Vergangenheit auch für die künftige Entwicklung aussagekräftig sind, unterliegt subjektiver Wertung, desgleichen die Auswahl der Parameter, die sowohl Marktrisikoprämie als auch Beta-Faktor entscheidend beeinflussen. Der Sachverständige hat die dem Modell zugrunde liegenden Annahmen dargestellt und auf die Schwächen hingewiesen, es aber trotz der in Bezug auf die konkrete Ermittlung einzelner Parameter vom Bewerter zu treffenden Annahmen als am besten geeignet angesehen, subjektives Ermessen zu begrenzen.

21(1) Der Sachverständige hat eine Marktrisikoprämie von 5 % als "gut begründbar" angesehen, was zutreffen mag, aber nicht ausschließt, dass auch andere Werte gut begründbar sind, denn die zahlreich vorliegenden Studien ergeben ein "vielfältiges Bild" und eine beträchtliche Streubreite der ermittelten Marktrisikoprämien (vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. S. 254 € 7 Studien, MRP 2,66% bis 8,2 %; Ballwieser S. 97 € 12 Studien, MRP 1,2 % bis 10,4 %). Der Arbeitskreis Unternehmensbewertung des IDW (AKU) hat zunächst eine Marktrisikoprämie von 4 % bis 6 % (vor Steuern) empfohlen, dann eine Marktrisikoprämie vor Steuern von 4 % bis 5 %, die für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2004 herangezogen werden soll (vgl. Druckarczyk/Schüler S. 257; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel Wpg 2006, 1005/1019); Ballwieser/Kruschwitz/Löffler Wpg 2007, 765/768). § 203 Abs. 1 BewG legt für das vereinfachte Ertragswertverfahren fest, dass sich der anzuwendende Kapitalisierungszinssatz aus einem aus Zinsstrukturdaten abzuleitenden Basiszins und einem Zuschlag von 4,5 % zusammensetzt.

(2) Auch im vorliegenden Fall zeigt sich, dass der Beta-Faktor erheblich durch die Wahl der Messperiode, des Intervalls zur Bestimmung der Rendite und des Vergleichsindex beeinflusst wird (vgl. Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung S. 377; Dörschell/Franken/Schulte/Brütting WPg 2008, 1152/1155 ff). Das (raw) Beta von C. etwa beträgt für dieselbe Messperiode (4/2000 bis 3/2002) bei gleichen Intervallen (Wochenrenditen) mit dem CDAX als Bezugsgröße 2,19, mit dem DAX als Bezugsgröße 1,74. Allein die Wahl des Vergleichsindex führt also zu einer Abweichung von 0,45, und zwar für einen Zeitraum, der vor dem Übernahmeangebot der Antragsgegnerin liegt.

Wird auf das Beta einer "Peer Group" zurückgegriffen, muss zusätzlich durch den Bewerter eine Einschätzung vorgenommen werden, welche Unternehmen vergleichbar sind. Darüber hinaus ergibt sich ein anderer Wert, wenn nicht das Raw-Beta herangezogen wird, sondern € wie vom Sachverständigen im Hinblick auf die zukunftsorientierte Risikoeinschätzung bevorzugt € das Adjusted-Beta, bei dem unterstellt wird, dass sich das Beta des Unternehmens im Zeitablauf an das durchschnittliche Markt-Beta von 1 annähert. Das Adjusted-Beta wird gebildet, indem zwei Drittel des Raw-Beta und ein Drittel des Markt-Beta zusammengezählt werden. Durch diese Vorgehensweise wird ein über dem durchschnittlichen Markt-Beta liegendes Beta nach unten korrigiert, ein unter dem Markt-Beta liegendes nach oben. So reduziert sich etwa das von der Antragsgegnerin bei der Bewertung zugrunde gelegte (raw) Beta von 1,86 auf ein Adjusted-Beta von 1,57.

Dem Bewerter steht also eine Fülle von unterschiedlichen Daten zur Verfügung, aus denen er eine Auswahl trifft, die signifikante Unterschiede im Ergebnis bewirken kann. Hier hat der Sachverständige zunächst das Beta des zu bewertenden Unternehmens herangezogen, das im Zeitraum zwischen April 1999 und April 2002 bei 1,73 gelegen hat, wobei ein Anstieg von 2001 auf 2002 zu beobachten war. Die am Markt beobachtbaren (niedrigeren) Betafaktoren im Zeitraum nach Ankündigung der Übernahme des 66,43 % € Pakets durch die Antragsgegnerin bis zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre erfüllen nach seiner Ansicht nicht die Anforderungen an die statistische Signifikanz, weil sich der Aktienkurs im Gegensatz zu den Kursen am Markt nur unwesentlich bewegt habe. Zur Plausibilisierung hat er ferner das Beta als Durchschnitt aus den Betafaktoren einer Gruppe von Vergleichsunternehmen mit 1,61, gerundet 1,60 ermittelt. Die von ihm für die Ermittlung der Betafaktoren der jeweiligen Unternehmen getroffenen Annahmen € Durchschnitt aus (soweit vorhanden) fünf Werten für jeweils ein Jahr bei Wochenrenditen und dem CDAX als Vergleich € hat der Sachverständige ausführlich begründet, ebenso seine Auswahl der Vergleichsunternehmen. Er hat ferner in der ergänzenden Stellungnahme vom 4.5.2009 die in die Durchschnittsbildung eingeflossenen Einzelwerte dargestellt. Diese Übersicht zeigt, dass die meisten Werte deutlich über 1, teilweise über 2 liegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Sachverständige Adjusted-Betas verwendet hat, die am Markt beobachteten Werte also noch darüber liegen. Einzelne Werte (aus 2000 für Comdirect, aus 2002 für Bourse Direct) bleiben allerdings unter 1. Für die deutschen Vergleichsunternehmen liegt das Adjusted-Beta im Mittel bei 1,43 bzw. 1,62. Insgesamt zeigt sich eine erhebliche Spannbreite bei den einzelnen Werten.

bb) Der Senat hält eine empirische Schätzung des Risikozuschlags für vorzugswürdig, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der konkreten Situation des zu bewertenden Unternehmens Rechnung trägt. Dabei können auch € bei der gebotenen kritischen Überprüfung € die unter Anwendung des CAPM gewonnenen Daten als eines der Elemente für die Schätzung des Risikozuschlags herangezogen werden.

Der Senat folgt dem Sachverständigen insoweit, als dieser das Risiko des zu bewertenden Unternehmens deutlich höher als das des Gesamtmarktes einschätzt. Der Sachverständige hat sich bei dieser Einschätzung nicht nur auf die von ihm ermittelten Kapitalmarktdaten bezogen, sondern auch auf weitere Umstände. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich das überdurchschnittliche Risiko des zu bewertenden Unternehmens zum einen aus dem Geschäftsmodell, das sich auf Online-Brokerage konzentriert, zum anderen aus der verminderten Prognosesicherheit in der Start-Up-Phase.

Die im Wesentlichen aus dem Broker-Geschäft erzielten Erträge sind von den Handelsaktivitäten der Kunden abhängig, die wiederum stark auf Schwankungen am Kapitalmarkt reagieren. So hat sich der Rückgang der Aktienkurse ab Mitte 2000 in massiven Rückgängen der Handelsaktivitäten und damit der Erträge geäußert. Die Umsätze, die sich von 1999 auf 2000 verdoppelt hatten, halbierten sich 2001 wieder und gingen 2002 noch weiter zurück. Das Ergebnis vor Steuern betrug 1999 rund 16.000 TEuro und 2000 rund 32.000 TEuro, während 2001 ein Verlust von fast 120.000 TEuro zu verzeichnen war. Neben der Abhängigkeit von der Entwicklung an den Kapitalmärkten und vom Vertrauen der Marktteilnehmer in den Aktienhandel ist das Geschäftsmodell des Online-Brokers davon gekennzeichnet, dass keine Stetigkeit der Erträge oder eine stabile Marge gewährleistet ist. Anders als etwa bei einer Geschäftsbank werden die Erträge nicht aus mittel- oder langfristigen Verträgen mit Kunden generiert, sondern aus Handelsaktivitäten der Kunden, die von subjektiven Einschätzungen und Entscheidungen abhängen und jederzeit ausgeübt oder auch unterlassen werden können. Das führt zu einer hohen Schwankungsbreite bei den Erträgen. Hier liegen auch wesentliche Unterschiede zu dem ebenfalls im Bereich Online-Brokerage, aber zugleich auch im Bereich klassischer Bankgeschäfte tätigen Unternehmen, dessen Bewertung Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 10.5.2007 war (31 Wx 119/06).

Hinzu kommt, dass Prognosen über die künftige Entwicklung bei einem noch relativ jungen Unternehmen in einem sich noch entwickelnden Marktumfeld mit größerer Unsicherheit belastet sind als bei etablierten Unternehmen. So liegen aus der Vergangenheit für C. keine Daten vor, die die prognostizierten Ergebnisse widerspiegeln; das für 2005 und für die "ewige Rente" geplante Ergebnis vor Steuern beträgt mit rund 70.000 TEuro mehr als das Doppelte dessen, was als bestes Ergebnis der Vergangenheit zu verzeichnen ist (rund 32.000 TEuro im Jahr 2000). Hinzu kommt, dass diese Steigerung des Ergebnisses sprunghaft verläuft, nämlich von erheblichen Verlusten noch im Jahr 2002 über geringere Verluste im Jahr 2003 auf ein bereits leicht über dem historisch besten liegendes Ergebnis 2004, auf das die Verdoppelung 2005 folgt.

Das unternehmensspezifische Risiko ist deshalb hier € im Gegensatz zu den bisher vom Senat entschiedenen Fällen € deutlich über dem des gesamten Marktes anzusiedeln. Für die Schätzung des Risikozuschlags kann der in § 203 Abs. 1 BewG vom Gesetzgeber festgelegte Zuschlag von 4,5 % zum Basiszinssatz einen Anhaltspunkt bieten. Auch wenn diese Vorschrift nur im vereinfachten Ertragswertverfahren zur Anwendung kommt, kann die darin zum Ausdruck gebrachte Wertung des Gesetzgebers nicht völlig unberücksichtigt bleiben, der für dieses vereinfachte Bewertungsverfahren einen solchen Zuschlag für die Wertermittlung im Regelfall als geeignet erachtet hat. Der Senat sieht unter Abwägung aller in Betracht zu ziehenden Umstände einen Risikozuschlag von 6 % als angemessen an; der vom Sachverständigen angesetzten Risikozuschlag von 8 % erscheint zu hoch. Ein Risikozuschlag von 6 % liegt im Übrigen auch in der Bandbreite, die sich aus den nach dem CAPM ermittelten Daten ergibt; der Ansatz einer Marktrisikoprämie von 4 % und eines Beta von 1,5 (etwa als Durchschnitt der deutschen Vergleichsunternehmen) führt zum gleichen Ergebnis.

c) Der Sachverständige hat ferner einen Abschlag beim Kapitalisierungszinssatz für die Jahre 2006 (Phase II) vorgenommen im Hinblick auf die in ihm enthaltene zukünftige Geldentwertungsrate, mit dem unterstellt wird, dass die Unternehmensgewinne tatsächlich nach Maßgabe dieses Geldentwertungsabschlags wachsen werden. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden; sie entspricht der Bewertungspraxis und wird auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. OLG München BB 2007, 2395/2397; OLG Stuttgart AG 2007, 209/214; Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz S. 438 f; Großfeld Rn. 930 f. m. w. N.). Wie der Sachverständige hält der Senat einen Wachstumsabschlag von 1 % für die Phase II für geeignet zur Festlegung des Kapitalisierungszinssatzes; damit ist der Chance eines inflations- bzw. volumeninduzierten Ergebniswachstums angesichts des Marktumfelds und der erwarteten niedrigen Inflationsrate hinreichend Rechnung getragen. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung der Ausführungen mehrerer Antragsteller im Schriftsatz vom 25.6.2009 keine durchgreifenden Gründe, einen höheren Wachstumsabschlag vorzunehmen.

5. Der Wert des operativen Kerngeschäfts ergibt sich aus folgender Tabelle:

Hinzu kommt der Wert der steuerlichen Verlustvorträge bei den Gesellschaften des Kerngeschäfts in Höhe von 52.258 TEuro; die Erhöhung gegenüber dem vom Sachverständigen berücksichtigten Betrag folgt aus der Anpassung des Kapitalisierungszinssatzes.

6. Den Sonderwert des Nicht-Kerngeschäfts hat der Sachverständige hinsichtlich der Beteiligungen an der B. (Anteil von 53 %) und der CC. (Anteil von 82,86 %) auf der Grundlage des Ertragswertes dieser Gesellschaften ermittelt, wobei der Wert der steuerlichen Verlustvorträge und der nicht betriebsnotwendigen Beteiligungen dieser Gesellschaften hinzugerechnet wurde.

a) Der Wert der Beteiligung an B. errechnet sich wie folgt:

Der Wert der Verlustvorträge beträgt 11.355 TEuro, der Sonderwert für die Beteiligungen 6.912 TEuro, so dass sich ein Gesamtwert von 245.754 TEuro ergibt. Der Wert der 53-%-Beteiligung der Gesellschaft beläuft sich folglich auf 130.250 TEuro.

b) Für die Beteiligung an CC. ergibt sich folgender Wert:

Hinzu kommt der Wert der Verlustvorträge in Höhe von 6.152 TEuro; abzuziehen ist der Sonderwert für die Schließung in Höhe von 9.979 TEuro, was einen Gesamtwert von 12.263 TEuro ergibt. Die Beteiligung in Höhe von 82,86 % ist somit mit 10.161 TEuro anzusetzen. Im Übrigen nimmt der Senat auf die nicht zu beanstandenden Ausführungen des Sachverständigen (S. 80-84 des Gutachtens) Bezug.

c) Auch die Bewertung der übrigen Beteiligungen ist nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für den Ansatz der Buchwerte der nicht betriebsnotwendigen Beteiligungen der B. mit 6,9 Mio. Euro, den (werterhöhenden) Ansatz des Veräußerungspreises für O., den Ansatz des anteiligen Eigenkapitals bei I. und den Ansatz stichtagsbezogener Buchwerte für zwei weitere Beteiligungen. Soweit die Antragstellerin zu 5 beanstandet, der Sachverständige habe Beteiligungen nicht berücksichtigt, die die Hauptaktionärin mit 132.357 TEuro angesetzt habe, verkennt sie, dass diese Summe alle Beteiligungen € einschließlich derjenigen an B. und C. € umfasst (vgl. S. 51 des Übertragungsberichts), die der Sachverständige mit insgesamt 122.720 TEuro bewertet hat.

7. Der gesamte Unternehmenswert ergibt sicht somit wie folgt:

Der Wert je Aktie beträgt damit 12,61 Euro. Auf den Börsenkurs kommt es hier nicht an; schon das Angebot der Antragsgegnerin liegt darüber, unabhängig davon, welchen Zeitraum man für die Ermittlung zugrunde legt.

8. Die Verzinsung der Barabfindung folgt aus dem Gesetz (327 b Abs. 2 AktG).

III.

1. Die Antragsgegnerin hat kraft Gesetzes die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG); Gründe für eine hiervon abweichende Billigkeitsentscheidung sind nicht gegeben. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller hält der Senat die Anordnung einer Kostenerstattung nicht für veranlasst (§ 15 Abs 4 SpruchG). Das Beschwerdeverfahren hat zu einer Herabsetzung der vom Landgericht festgesetzten Barabfindung geführt. Für das Verfahren erster Instanz hat es mit der vom Landgericht getroffenen Kostenentscheidung sein Bewenden.

2. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG. Für die Festsetzung des Geschäftswerts ist maßgeblich die Differenz zwischen der angebotenen und der vom Gericht festgesetzten Kompensationsleistung je Aktie, multipliziert mit der Gesamtzahl der außenstehenden Aktien.






OLG München:
Beschluss v. 14.07.2009
Az: 31 Wx 121/06


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