Landgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 2. Februar 2006
Aktenzeichen: 19 T 330/05

(LG Düsseldorf: Beschluss v. 02.02.2006, Az.: 19 T 330/05)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Neuss vom 05.12.2005 in Gestalt des Beschlusses vom 15.12.2005 - 72 II 50/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem An-tragsgegner auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

In dem dem Kostenfestsetzungsverfahren vorausgegangenen Wohnungseigentumsverfahren hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner Hausgeldansprüche geltend gemacht. Das Amtsgericht hat in der verfahrenseinleitenden Verfügung vom 21.04.2005 darauf hingewiesen, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle. Durch Beschluss vom 26.09.2005, dem keine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist, ist der Antragsgegner zur Zahlung rückständigen Hausgeldes und zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin verpflichtet worden.

In dem anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat die Antragstellerin ihr entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.071,40 angemeldet. Die Kostenrechnung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin enthält neben anderem eine 1,2 Terminsgebühr gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i. V. mit Nr. 3104 VV RVG in Höhe von € 405,60.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.12.2005 die zu erstattenden Kosten - wie beantragt - unter Berücksichtigung der Terminsgebühr festgesetzt. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsgegner sofortige Beschwerde ein.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.12.2005 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung vom 15.12.2005 hat in der Sache keinen Erfolg.

Denn auch nach Inkrafttreten des RVG entsteht in Wohnungseigentumsverfahren ohne mündliche Verhandlung eine Terminsgebühr (A. A. etwa LG Düsseldorf, 25. Zivilkammer, Beschluss vom 14.10.2005, Az. 25 T 356/05; AG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2005, Az. 291 II 230/04, NZM 2005, 954; wohl auch Müller/Rabe, in: Gerold u. a., RVG, 16. Aufl. 2004, VV 3104 Rn. 32. Wie hier - jedenfalls im Ergebnis - etwa LG Itzehoe, Beschluss vom 08.03.2005, Az. 1 T 264/04; LG Potsdam, Beschluss vom 28.09.2005, Az. 3 T 65/05, NZM 2005, 953 f.; Jungjohann, NJW 2005, 3102 ff.).

Im Einzelnen:

Zwar ist in dem dem Kostenfestsetzungsverfahren vorausgegangenen Wohnungseigentumsverfahren der Beschluss vom 26.09.2005 im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung erlassen worden. Das Amtsgericht hat jedoch zu Recht eine Terminsgebühr gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i. V. mit Nr. 3104 VV RVG als erstattungsfähig festgesetzt.

Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr u. a. auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.

Diese Regelung gilt ausweislich der Überschrift des 3. Teils des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) unmittelbar auch für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mithin auch für Wohnungseigentumsverfahren (§ 43 Abs. 1 WEG).

Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG setzt ein Verfahren voraus, "für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist". Deshalb findet die genannte Vorschrift für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich keine Anwendung, weil hier die mündliche Verhandlung in Ermangelung einer entgegenstehenden gesetzlichen Regelung - wie etwa in § 128 Abs.1 ZPO - regelmäßig in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133).

Anders liegt der Fall jedoch in Wohnungseigentumsverfahren; für diese gilt eine abweichende Bestimmung (so ausdrücklich BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133, ohne dass es insoweit darauf ankommt, dass sich dessen Entscheidung auf § 35 BRAGO bezieht): nach § 44 Abs. 1 WEG "soll" der Richter mit den Beteiligten "in der Regel mündlich verhandeln". Zwar handelt es sich dabei lediglich um eine "Soll"-Vorschrift. Jedoch folgt hieraus für die Tatsacheninstanzen regelmäßig die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133; Merle, in: Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, § 44 Rn. 21 f., jeweils m. w. Nachw.). Nur wenn die Verwirklichung der - auf diese Weise vorrangig verfolgten - Ziele einer gütlichen Einigung und einer (weiteren) Sachaufklärung nicht zu erwarten und die Gewährung rechtlichen Gehörs auf andere Weise sichergestellt ist, kann auf eine mündliche Verhandlung ausnahmsweise verzichtet werden; widrigenfalls liegt ein Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache führen kann (BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133, m. w. Nachw.).

Danach eröffnet § 44 Abs. 1 WEG zwar ein richterliches Ermessen; dieses ist indes in der dargestellten Weise - jedenfalls durch ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung - soweit eingeschränkt bzw. reduziert, dass es gerechtfertigt ist, eine mündliche Verhandlung in Wohnungseigentumsverfahren als "vorgeschrieben" im Sinne der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG zu werten.

Dabei bedarf es keiner analogen Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG auf die hier streitigen Fälle des Wohnungseigentumsverfahrens ohne mündliche Verhandlung. Vielmehr rechtfertigt bereits die am Gesetzeszweck orientierte Auslegung das hier gefundene Ergebnis. Denn der Begriff "vorgeschrieben" kann nicht in einem rein formalen Sinne einer ausdrücklichen, "geschriebenen" Anordnung der mündlichen Verhandlung verstanden werden. Entscheidend ist vielmehr, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in das freie bzw. billige Ermessen des Richters gestellt ist (dann kein Fall des "vorgeschrieben"), oder ob sie den Regelfall darstellen soll und auf sie lediglich in Ausnahmefällen verzichtet werden darf, ein etwaiges Ermessen entsprechend eingeschränkt ist (dann ist die mündliche Verhandlung "vorgeschrieben"). Letzteres trifft - wie oben dargelegt - für Wohnungseigentumsverfahren zu.

Durch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG soll - wie durch den vormaligen § 35 BRAGO - dem Rechtsanwalt eine zusätzliche Vergütung für die besonders gründliche und umfassende schriftliche Vorarbeit zugebilligt werden, die regelmäßig erwartet werden darf, wenn auf Grund einer Ausnahmevorschrift im Einzelfall ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Diese Erwägungen gelten auch für das erst- und zweitinstanzliche Wohnungseigentumsverfahren. Da die mündliche Verhandlung auch hier - neben anderem - der Sachaufklärung dient, darf von ihr nicht abgesehen werden, wenn der Sachverhalt nicht bereits durch die anwaltlichen Schriftsätze soweit geklärt ist, dass zusätzliche Erkenntnisse im Verhandlungstermin nicht zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 10.09.1998, Az. V ZB 11/98, NJW 1998, 3713 f.; BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133). Nicht anders als im Zivilprozess ist es also nach dem Gesetzeszweck - sowohl des vormaligen § 35 BRAGO als auch der aktuellen Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG - gerechtfertigt, dem Rechtsanwalt auch in Wohnungseigentumsverfahren eine Vergütung für die größere Mühe zuzubilligen, die mit der entscheidungsreifen Darstellung des Sachverhaltes verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133, m. w. Nachw.)

Entgegen anderer Auffassung gelten die zitierten Erwägungen des BGH (Beschluss vom 24.07.2003, Az. V ZB 12/03, NJW 2003, 3133) zum vormaligen § 35 BRAGO auch für die - soweit hier relevant - wortgleiche Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG.

Zwar fand § 35 BRAGO nicht unmittelbar Anwendung auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; vielmehr bedurfte es des Rückgriffs auf die Vorschrift des § 63 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO, wonach die Regelungen der §§ 31 ff. BRAGO für Verfahren nach § 43 WEG sinngemäß galten. Eine dem § 63 BRAGO vergleichbare Regelung enthält das RVG nicht. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG gilt - wie oben ausgeführt - unmittelbar auch für FGG-/WEG-Verfahren. Entscheidend war für den BGH jedoch nicht der Umstand, dass § 35 BRAGO lediglich nur eine "sinngemäße" Anwendung erfahren muss, sondern die Gestaltung des Wohnungseigentumsverfahrens (nämlich die grundsätzliche Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung) sowie der Gesetzeszweck des § 35 BRAGO; der BGH hat also unmittelbar nach Sinn und Zweck des § 35 BRAGO entschieden; diese entsprechen der heutigen Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG (so zu Recht Jungjohann, NJW 2005, 3102, 3103).

Dass die Beteiligten im vorausgegangenen Wohnungseigentumsverfahren ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich erklärt haben, ist unerheblich. Von einem Einverständnis ist jedenfalls auf Grund eines stillschweigenden Rügeverzichtes auszugehen (vgl. dazu Gebauer/Wahlen, in: Gebauer/Schneider, AnwaltKommentar RVG, 2 Aufl. 2004, VV 3104 Rn. 14, m. w. Nachw.).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist mit Blick auf die Vielzahl der Wohnungseigentumsverfahren ohne mündliche Verhandlung und angesichts der uneinheitlichen gerichtlichen Entscheidungen und Auffassungen in der Literatur zum Anfall der Terminsgebühr in den genannten Verfahren gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zuzulassen.

Wert für das Beschwerdeverfahren: € 405,60.






LG Düsseldorf:
Beschluss v. 02.02.2006
Az: 19 T 330/05


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