Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Urteil vom 7. Oktober 1997
Aktenzeichen: 9 S 1128/96

(VGH Baden-Württemberg: Urteil v. 07.10.1997, Az.: 9 S 1128/96)

1. Den Bestimmungen der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg ist nicht zu entnehmen, daß eine Überversicherung der Mitglieder mißbilligt wird. Es ist deshalb grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn Mitglieder aufgrund wirksam erteilter sog Umzulassungen an mehreren gesetzlichen Versorgungseinrichtungen teilnehmen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Mitgliedschaft des Klägers beim beklagten Versorgungswerk.

Dem am 15.12.1948 geborenen Kläger wurde am 09.03.1981 durch den Präsidenten des Amtsgerichts Frankfurt/Main eine uneingeschränkte Erlaubnis im Sinne des Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz - RBerG - zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erteilt (sogenannte Vollerlaubnis). Nach Mitteilung der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes vom 15.09.1993 wurde er aufgrund seines Antrags mit Wirkung vom 04.05.1993 Mitglied der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes und war seit dem 01.06.1993 Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte des Saarlandes.

Auf den Antrag des Klägers vom 11.05.1993 änderte das Justizministerium Baden-Württemberg mit Bescheid vom 20.07.1993 die nach Art. 1 § 1 RBerG ausgestellte Erlaubnis dahingehend, daß der Geschäftssitz (Ort der Niederlassung) nunmehr Mannheim ist (Umzulassung gemäß § 209 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -). In dem Bescheid wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß er mit der Änderung Mitglied der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe geworden und gleichzeitig seine Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes erloschen sei.

Am 16.08.1993 stellte der Kläger beim Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen einen Antrag nach § 209 Abs. 3 BRAO auf Änderung des Orts der Niederlassung (Geschäftssitz nunmehr Bonn). Der Präsident des Oberlandesgerichts Köln erteilte ihm daraufhin mit Bescheid vom 21.09.1993 eine Umzulassung gemäß § 209 Abs. 3 BRAO und wies den Kläger darauf hin, daß er jetzt Mitglied der Rechtsanwaltskammer Köln und die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe erloschen sei.

Mit Bescheid vom 04.10.1993 stellte der Beklagte gegenüber dem Kläger fest, daß er nicht Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg geworden sei, da davon auszugehen sei, daß er mit der jeweils nur kurzfristigen Niederlassung in den einzelnen Bundesländern lediglich Rechtsvorteile durch eine überdimensionale Absicherung für Berufsunfähigkeit und Alter angestrebt habe. Dies sei ein Mißbrauch, der schon nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nicht beachtet werden müsse. Darüber hinaus sei dieser Grundsatz in § 42 Abgabenordnung - AO - festgelegt, der entsprechend anwendbar sei. Eine Mitgliedschaft im Versorgungswerk sei zudem gegenstandslos, da Beiträge nicht festgesetzt werden könnten, weil gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 der Satzung an gesetzliche Versorgungseinrichtungen insgesamt nur höchstens 13 Zehntel des Regelpflichtbeitrags bezahlt werden könnten. Den vom Kläger hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 31.05.1994 zurück; dem Kläger sei es nicht um eine auf Dauer angelegte Berufstätigkeit an seinen wechselnden Niederlassungsorten gegangen, sondern - noch dazu kurz vor Vollendung seines 45. Lebensjahres - ausschließlich um die Begründung von Mitgliedschaften bei verschiedenen berufsständischen Versorgungswerken und den Erwerb mehrfacher und hoher Versorgungsanwartschaften durch Zahlung von Höchstbeiträgen an mehrere berufsständische Versorgungswerke. Über den vom Kläger am 30.12.1993 gestellten Antrag auf Fortsetzung der Mitgliedschaft beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg hat der Beklagte bisher nicht entschieden.

Am 04.07.1994 hat der Kläger - rechtzeitig - beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und zuletzt beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 04.10.1993 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 21.05.1994 aufzuheben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Verwaltungsakt, durch den die seine per Gesetz eintretende Mitgliedschaft in Abrede gestellt werde, sei nicht durch eine Eingriffsermächtigung gedeckt. § 42 AO sei nicht einschlägig, da die Bestimmungen der Abgabenordnung nur auf die Beiträge zum Versorgungswerk sinngemäß anzuwenden seien. Im Streit sei jedoch nicht der Beitrag, sondern die Mitgliedschaft im Versorgungswerk. Ein allgemeiner verwaltungsrechtlicher Mißbrauchstatbestand sei zu unbestimmt, um eine Eingriffsermächtigung zu gewähren. Zudem liege kein Mißbrauch vor. Der Satzungsgeber selbst habe ausdrücklich mehrfache Mitgliedschaften zugelassen. Er habe für jeden Wechsel seiner Niederlassung berufliche oder persönliche Gründe gehabt. Hätte ein Mißbrauch vorgelegen, hätte das Justizministerium Baden-Württemberg seinem Umzulassungsantrag auch sicher nicht entsprochen.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und zur Begründung ausgeführt, aus der Satzung gehe hervor, daß keinem Mitglied gestattet werden solle, mehr als insgesamt 13 Zehntel des gesetzlichen Höchstbeitrages an alle gesetzlichen Versorgungseinrichtungen zusammen zu zahlen. Damit solle die soziale Gleichbehandlung aller Mitglieder sichergestellt und ungünstige Auswirkungen auf die Duldung der berufsständischen Versorgungswerke durch Gesetzgeber, Regierung und die gesetzliche Rentenversicherung sowie die Anrechnung von Leistungen verschiedener Versorgungseinrichtungen zu Lasten überversorgter Mitglieder und versicherungsmathematisch sich ergebende überproportional höhere Versorgungsleistungen zu Lasten anderer Mitglieder vermieden werden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26.01.1996 den Bescheid des Beklagten vom 04.10.1993 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21.05.1994 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Da der Kläger durch bestandskräftigen Bescheid des Justizministeriums vom 20.07.1993 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe geworden sei, sei er kraft Gesetzes Mitglied beim Beklagten geworden. Weder das Gesetz noch die Satzung enthielten einen Mißbrauchstatbestand der Überversorgung. Die im Kommunalabgabengesetz genannten Bestimmungen der Abgabenordnung seien sinngemäß nur auf den Beitrag zum Versorgungswerk anzuwenden. In § 42 AO sei zudem ein ganz anderer Sachverhalt geregelt. Mit dieser Bestimmung solle verhindert werden, daß durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz umgangen werden könne. Der Kläger wolle aber nichts ersparen, sondern durch möglicherweise übermäßige Leistungen eine hohe Altersversorgung erwirtschaften. § 14 Abs. 1 Satz 2und 3 der Satzung treffe eine Regelung nur für die Zahlung von zusätzlichen Beiträgen, mit ihm könne dem Kläger die Entrichtung des Regelpflichtbeitrages nicht verweigert werden.

Gegen dieses ihm am 23.02.1996 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 22.03.1996 Berufung eingelegt und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.01.1996 - 4 K *4 2873/94 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, nur Rechtsanwälte seien kraft Gesetzes Mitglied der Rechtsanwaltskammer und deshalb auch kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerks. Rechtsbeistände nach altem Recht, die nur auf Antrag in die Rechtsanwaltskammer aufgenommen werden würden, könnten nur aufgrund eines Antrags nach erfolgter Zulassung als Kammerrechtsbeistand Mitglied des Versorgungswerkes werden. Dies gelte auch bei einer Umzulassung. Ein solcher, innerhalb einer Ausschlußfrist zu stellender Antrag, liege nicht vor. Selbst wenn man eine gesetzliche Mitgliedschaft annehme, seien die Vorschriften der Satzung nicht unmittelbar auf die Kammerrechtsbeistände anzuwenden, denn die Satzung differenziere ausdrücklich zwischen Rechtsanwälten, die kraft Gesetzes Mitglied der Rechtsanwaltskammern seien und sonstigen Mitgliedern (Notare und Patentanwälte). Die Mitgliedschaft des Klägers entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Satzung, denn er habe sie nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg, sondern nur wegen wirtschaftlicher Vorteile angestrebt. Der Kläger sei - jeweils mit Zahlung von Höchstbeiträgen - fortgesetztes Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Hessen, Bayern, Saarland, Nordrhein-Westfalen und außerdem Mitglied der BfA. Der Kläger habe zu keiner Zeit in Baden-Württemberg eine geschäftliche Niederlassung gehabt, sondern in Mannheim lediglich eineBriefkastenfirma unterhalten. Damit habe er seine Mitgliedschaft beim Versorgungswerk nur zum Schein begründet und müsse deren Nichtigkeit (§ 117 BGB analog) gegen sich gelten lassen. § 42 AO sei Ausdruck des allgemeinen, auch das öffentliche Recht beherrschenden Prinzips, daß niemand durch Ausnutzung formaler Gestaltungsmöglichkeiten Vorteile erlangen dürfe, die vom materiellen Recht mißbilligt würden und die andere Rechtsgenossen nicht hätten, insbesondere wenn dies zu Lasten der anderen Rechtsgenossen geschehe. Zahler von Höchstbeiträgen würden gegenüber Zahlern geringerer Beiträge unverhältnismäßig höhere Rentenanwartschaften zu Lasten der übrigen Mitglieder erwerben.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Akten des Beklagten und die Prozeßakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Wegen der Einzelheiten wird auf sie sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger ist (mit Wirkung zum 20.07.1993) Mitglied des beklagten Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg geworden. Der negative Feststellungsbescheid des Beklagten vom 04.10.1993 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 31.05.1994 (nicht: 21.05.1994) sind deshalb rechtswidrig und somit aufzuheben.

Das Klagebegehren ist - richtig ausgelegt und wie vom Kläger auch ursprünglich formuliert -, nicht wie vom Verwaltungsgericht angenommen, nur als isolierte Anfechtungsklage, sondern als Verpflichtungsklage, gerichtet auf den Erlaß eines positiven Feststellungsbescheides, aufzufassen. Da zwischen den Beteiligten gerade streitig ist, ob der Kläger kraft Gesetzes Mitglied beim Beklagten geworden ist, hat der Kläger nicht nur ein berechtigtes Interesse an der Aufhebung des negativen Feststellungsbescheides, sondern darüber hinaus auch daran, daß das streitige Rechtsverhältnis geklärt und seine vom Beklagten bestrittene Mitgliedschaft positiv festgestellt wird. Seine Rechte kann der Kläger dabei durch Verpflichtungsklage verfolgen, nachdem der Beklagte das streitige Rechtsverhältnis bereits durch Erlaß eines Verwaltungsaktes, den negativen Feststellungsbescheid, konkretisiert hat. Die Berufung des Beklagten war deshalb mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Beklagte verpflichtet wird, festzustellen, daß der Kläger mit Wirkung zum 20.07.1993 Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg geworden ist.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 5 Abs. 2 der Satzung des Beklagten nach dem Stand vom 29.11.1991 (Die Justiz 1992, 48) - RAVwS -, der seine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in § 5 Abs. 2 Rechtsanwaltsversorgungsgesetz vom 10.12.1984 (GBl. S. 671) - RAVG - hat. Nach dieser Vorschrift, die die Mitgliedschaft kraft Gesetzes regelt, wird Mitglied des Versorgungswerks, wer nach dem 01.01.1985 Mitglied einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg wird und zu diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Diese Voraussetzungen waren beim Kläger am 20.07.1993 erfüllt.

Dem Kläger ist 1981 nach altem Recht eine Vollerlaubnis im Sinne des Art. 1 § 1 RBerG zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erteilt worden. Er hat von der mit der Neuregelung des Berufsrechts (Art. 2 und 3 des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 18.08.1980 - BGBl. I S. 1503 - ) geschaffenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, als Rechtsbeistand mit einer Vollerlaubnis auf Antrag Mitglied der Rechtsanwaltskammer und damit sogenannter Kammerrechtsbeistand zu werden (§ 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.d.F. des Art. 2 Abs. 5 des Änderungsgesetzes). Mit der mit Bescheid des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 20.07.1993 erteilten Umzulassung, mit der nur der in der Erlaubnis bestimmte Ort der Niederlassung geändert worden ist (siehe § 209 Abs. 3 Satz 1 BRAO), ist der Kläger kraft Gesetzes Mitglied der nunmehr zuständigen Rechtsanwaltskammer Karlsruhe geworden (§ 209 Abs. 3 Satz 3 BRAO), ohne daß es eines Antrags des Klägers bedurfte. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 209 Abs. 3 Satz 3 BRAO, wonach der Erlaubnisinhaber mit der vom Justizministerium verfügten Änderung (siehe § 209 Abs. 3 Satz 2 BRAO) Mitglied der nunmehr zuständigen Rechtsanwaltskammer wird. Damit ist der Kläger, der zu dieser Zeit das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, kraft Gesetzes automatisch auch Mitglied beim beklagten Versorgungswerk geworden, ohne daß es eines Antrags bedurfte (vgl. hierzu auch die Begründung zum Entwurf des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes, LT-Ds. 9/495, S. 1, wo ausdrücklich ausgeführt wird, daß das Gesetz eine Pflichtmitgliedschaft kraft Gesetzes für Kammerrechtsbeistände vorsieht, die bei der Berufsaufnahme in Baden-Württemberg das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben).

Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich auch nichts anderes aus § 6 RAVG. Aus dieser Vorschrift, die völlig andere Sachverhalte regelt, kann nicht gefolgert werden, daß das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz und die Satzung des Beklagten auf Kammerrechtsbeistände nicht unmittelbar zur Anwendung kommen. § 6 Abs. 1 RAVG sah für die bei Inkrafttreten des Gesetzes zwischen 45. und 60 Jahre alten Mitglieder der Rechtsanwaltskammern sowie für die freiberuflichen Notare und Patentanwälte die Möglichkeit vor, innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Jahren dem Versorgungswerk beizutreten. Die erst nach Inkrafttreten dieser Frist ernannten bzw. zugelassenen Notare zur hauptberuflichen Amtsausübung und Patentanwälte, die ihren beruflichen Sitz in Baden-Württemberg haben, können gemäß § 6 Abs. 2 RAVG auch später noch bis zur Vollendung ihres 45. Lebensjahres ihren Beitritt zum Versorgungswerk erklären. Aus diesen Regelungen, die für einen ganz bestimmten Personenkreis, der entweder nicht Mitglied der Rechtsanwaltskammer ist (Notare und Patentanwälte) oder bei Inkrafttreten des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes das 45. Lebensjahr bereits überschritten hatte, eine Pflichtmitgliedschaft auf Antrag vorsehen, können keine Schlüsse auf die Rechtsstellung des Klägers, der kraft Gesetzes Mitglied der Beklagten geworden ist, gezogen werden.

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens kann auch nicht geprüft werden, ob tatsächlich ein Wechsel des Ortes der Niederlassung stattgefunden und das Justizministerium dem Kläger die Umzulassung gemäß § 209 Abs. 3 BRAO zu Recht erteilt hat, die automatisch die Mitgliedschaft des Klägers beim Beklagten zur Folge hatte. Nachdem das Justizministerium, dem als Rechtsaufsicht über den Beklagten (§ 18 Abs. 1 RAVG) der vorliegende Streit bekannt sein dürfte, seinen Bescheid vom 20.07.1993 nicht zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben hat, ist dieser wirksam, auch wenn er rechtswidrig erteilt worden sein sollte (siehe § 43 Abs. 2 LVwVfG). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Bescheid vom 20.07.1993 nichtig wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Von einem schweren und offenkundigen Fehler (siehe § 44 Abs. 1 LVwVfG) ist schon deshalb nicht auszugehen, weil zur Klärung der Frage, ob der Kläger tatsächlich den Ort seiner Niederlassung nach Mannheim verlegt hat, umfangreich Beweis erhoben werden müßte, wovon auch der Beklagte ausgeht. Die in § 44 Abs. 2 LVwVfG genannten Nichtigkeitsgründe liegen offensichtlich nicht vor. § 117 Abs. 1 BGB, auf den sich der Beklagte in diesem Zusammenhang noch beruft, kommt schon deshalb nicht zur Anwendung, weil der Antrag des Klägers auf Umzulassung nicht mit Einverständnis des Justizministeriums nur zum Schein abgegeben worden ist.

Der Beklagte kann sich weiter auch nicht darauf berufen, daß der Kläger seine Mitgliedschaft beim Versorgungswerk nur zum Schein begründet hat. Auch eine nur analoge Anwendung des § 117 Abs. 1 BGB kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht; der Kläger wollte zum einen tatsächlich und nicht nur zum Schein Mitglied beim beklagten Versorgungswerk werden und zum anderen ist die Mitgliedschaft kraft Gesetzes begründet worden, ohne daß es eines Antrags bedurfte.

Dem Kläger kann die Mitgliedschaft beim beklagten Versorgungswerk auch nicht unter Hinweis auf § 42 AO verwehrt werden. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich zwar bei dem Beitrag zum Versorgungswerk um eine sonstige öffentlich-rechtliche Abgabe im Sinne von § 12 Kommunalabgabengesetz - KAG -, auf die die in § 3 KAG genannten Bestimmungen der AO (u.a. auch § 42 AO) sinngemäß anwendbar sind (siehe Beschluß des Senats vom 02.04.1992 - 9 S 99/92 -). Im Streit ist vorliegend aber nicht der Beitrag, sondern der Erwerb der Mitgliedschaft. § 42 AO, der verhindern will, daß durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts die Steuerpflicht umgangen oder gemindert wird, regelt zudem einen ganz anderen Sachverhalt; er ist deshalb auch nicht sinngemäß anwendbar.

Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, daß er die Mitgliedschaft beim Beklagten rechtsmißbräuchlich erworben hat und ihrer Ausnutzung deshalb der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensteht (BGH, Urteil vom 10.01.1980, MDR 80, 561). Es ist Mitgliedern des beklagten Versorgungswerks grundsätzlich nicht verwehrt, zugleich auch Mitglieder in anderen berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen oder der gesetzlichen Rentenversicherung zu sein. Dies ergibt sich aus mehreren Bestimmungen der Satzung. § 6 Nr. 1 RAVwS sieht für Mitglieder anderer Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen eine Befreiung von der Mitgliedschaft beim Beklagten nur auf Antrag vor und läßt den Mitgliedern damit die freie Wahl, ob sie an mehreren Versorgungen teilnehmen oder nicht. Desgleichen können gemäß § 10 Abs. 2 RAVwS aus der Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg ausgeschiedene Mitglieder ihre Mitgliedschaft beim beklagten Versorgungswerk mit allen Rechten und Pflichten aufrechterhalten, wenn sie dies innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten beantragen. Auch insoweit wird Mitgliedern bei einem Wechsel ihrer beruflichen Tätigkeit an einen Ort außerhalb des Landes Baden-Württemberg die Möglichkeit geboten, trotz des Eintritts in eine andere Versorgungseinrichtung die bisherige Mitgliedschaft unverändert weiterzuführen. Auch Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach dem 01.01.1985 als Rechtsanwälte zugelassen worden sind, sind kraft Gesetzes Mitglied beim beklagten Versorgungswerk, und zwar ohne daß eine Befreiungsmöglichkeit von der Mitgliedschaft beim Beklagten besteht (siehe § 6 Nr. 5 RAVwS).

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist aus den Satzungsbestimmungen auch nicht zu entnehmen, daß diese eine Überversicherung mißbilligt. Die Höhe des von einem Mitglied an sämtliche gesetzlichen Versorgungseinrichtungen, denen er angehört, insgesamt zu zahlenden Beiträge ist keineswegs gemäß § 14 Abs. 1 RAVwS auf grundsätzlich 13 Zehntel des Regelpflichtbeitrages (gemäß § 11 Abs. 1 RAVwS der Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung) beschränkt. § 14 RaVwS regelt nur die Zahlung von freiwilligen zusätzlichen Beiträgen, d.h. eine freiwillige Erhöhung des Regelpflichtbeitrags. Nur diese dürfen zusammen mit allen anderen Beiträgen zu gesetzlichen Versorgungseinrichtungen 13 Zehntel des Regelpflichtbeitrags nicht überschreiten. Dies führt bei Mitgliedern, die Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, im Ergebnis allerdings dazu, daß diese zu beiden Einrichtungen insgesamt nur einen Höchstbeitrag von zusammen 13 Zehntel entrichten dürfen, aber nur deswegen, weil ihr Pflichtbeitrag an den Beklagten gemäß § 13 Abs. 1 RAVwS nur drei Zehntel des Regelpflichtbeitrages beträgt. Mitglieder von mehreren berufsständischen Versorgungseinrichtungen können dagegen jedoch an mehreren Vollversorgungen teilnehmen, denn die Satzung enthält insoweit keine vergleichbare Regelung über die Ermäßigung des Regelpflichtbeitrags.

Daß die Teilnahme an mehreren Vollversorgungen - jedenfalls grundsätzlich - zulässig ist, läßt sich auch aus § 6 Nr. 1 RAVwS entnehmen. Nach dieser Vorschrift kann nämlich ein Antrag auf Befreiung von der Mitgliedschaft beim beklagten Versorgungswerk nur unter der Voraussetzung gestellt werden, daß an die andere berufsständische Versorgungseinrichtung Beiträge entsprechend § 11 RAVwS entrichtet werden, d.h. der Betroffene dort an einer Vollversorgung teilnimmt (siehe Beschluß des Senats vom 22.12.1994 - 9 S 1347/92 -). Da es dem betroffenen Mitglied völlig freigestellt ist, ob er diesen Antrag stellt und die Satzung des Beklagten keine Beitragsermäßigung vorsieht, wenn er von der Befreiungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht, hat der Satzungsgeber offensichtlich die Möglichkeit mehrerer Vollversorgungen einräumen wollen.

Der Senat vermag auch nicht festzustellen, daß die Teilnahme des Klägers an möglicherweise einer Vielzahl von Versorgungseinrichtungen grundsätzlich rechtsmißbräuchlich ist. Selbst wenn der Kläger die Umzulassung auf unredliche Weise erworben haben sollte, ist nicht erkennbar, daß dem Beklagten dadurch ein Schaden entstanden ist. Ein rechtswidriges Verhalten allein, das keinen Schaden verursacht, führt grundsätzlich nicht zum Verlust eines Anspruchs (BGH, a.a.O.). Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang vorträgt, der Kläger erwerbe als Zahler von Höchstbeiträgen unverhältnismäßig höhere Rentenanwartschaften zu Lasten der übrigen Mitglieder, ist dies nicht nachvollziehbar. Zahler von höheren Beiträgen erwerben naturgemäß höhere Rentenanwartschaften, da die Höhe der Rente von der Beitragshöhe abhängt (siehe § 22 Abs. 4 RAVwS). Es ist jedoch nicht erkennbar, weshalb diese Rentenanwartschaften zu Lasten der übrigen Mitglieder unverhältnismäßig höher sein sollen. Die Leistungsfähigkeit einer kollektiven Versorgung ist nach dem Versicherungsprinzip desGesetzes der großen Zahl (vgl. hierzu die Begründung zum Entwurf des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes, a.a.O., S. 13) um so höher, je mehr Mitglieder ihr angehören (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, z.B. BVerfGE 44, 70; siehe auch Beschluß des Senats vom 22.12.1994, a.a.O., m.w.N.). Wie bereits in der Begründung zum Entwurf des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes ausgeführt, ermöglicht deshalb nur die Pflichtmitgliedschaft die Anwendung risikogünstiger versicherungsmathematischer Kalkulationsgrundlagen (a.a.O., S. 13). Zur Sicherung dieses Prinzips hat der Satzungsgeber auch die Befreiungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Mitgliedschaft trotz anderweitiger Vollversorgung zugelassen. Nach diesem Prinzip wirkt sich auch die Zahlung hoher Beiträge günstig für die Versichertengemeinschaft aus. Warum die Zahlung hoher Beiträge zu unverhältnismäßig höheren Rentenanwartschaften führen soll, wird vom Beklagten nicht erläutert und ist auch sonst nicht erkennbar.

Ein Schaden der Versichertengemeinschaft wäre nur dann anzunehmen, wenn der Kläger bei Begründung der Mitgliedschaft ein sog. schlechtes Versicherungsrisiko gewesen wäre, weil etwa wegen seines Gesundheitszustandes in naher Zukunft die große Gefahr des Eintritts einer vorzeitigen Berufsunfähigkeit bestanden hätte. Hierfür sind jedoch keine Anhaltspunkte vorhanden.

Der Beklagte ist deshalb verpflichtet, festzustellen, daß der Kläger mit Wirkung zum 20.07.1993 Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg geworden ist. An diesem Tag ist der Kläger mit dem Erlaß der Umzulassung Mitglied der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe geworden und damit sind die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft beim Beklagten eingetreten, so daß die Mitgliedschaft mit diesem Tag begann (siehe § 10 Abs. 1 RAVwS).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.






VGH Baden-Württemberg:
Urteil v. 07.10.1997
Az: 9 S 1128/96


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