Landgericht Köln:
Urteil vom 21. Oktober 2010
Aktenzeichen: 31 O 304/06
(LG Köln: Urteil v. 21.10.2010, Az.: 31 O 304/06)
Tenor
Die Beklagte wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an der Geschäftsführerin der Beklagten, verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Produkt „M9Sporenpulver“ als Mittel zur Nahrungsergänzung anzubieten und/oder zu vertreiben.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu einem Sechstel, die Beklagte zu fünf Sechsteln.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung. Die Höhe der vom Kläger zu leistenden Sicherheit beträgt für die Vollstreckung aus dem Tenor zu 1. 30.000 €, im Übrigen 110% des zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist als branchenübergreifend und überregional tätiger Verband, der sich die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs zur Aufgabe gemacht hat, anerkannt. Die Beklagte vertreibt im Internet u.a. ein Produkt „M9Sporenpulver“ als Nahrungsergänzungsmittel. Auf den Ausdruck der Internetseite der Beklagten (Bl. 49 d. A.) wird Bezug genommen.
Der Kläger ist der Auffassung, der Vertrieb von „M9Sporenpulver“ verstoße gegen die Novel-Food-Verordnung (NFV) und behauptet, das Pulver des Ling Zhi Pilzes - in Deutschland unstreitig bekannt als Glänzender Lackporling, botanische Bezeichnung „Ganoderma lucidum“, auch Reishi genannt - sei vor Inkrafttreten der NFV in der Europäischen Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Pilz ungenießbar und für die menschliche Ernährung ungeeignet sei.
Nachdem er einen auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 € gerichteten Antrag in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, beantragt der Kläger,
- wie erkannt -.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, M9-Pulver sei auch vor dem 15.05.1997 schon in nennenswertem Umfang in der Europäischen Gemeinschaft für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Diesen Vortrag stützt sie auf eine Vielzahl von Umständen, namentlich den Vertrieb von M9-Produkten durch verschiedene Unternehmen, die Verwendung des Pilzes als Zutat in Likören, verschiedene amtliche Auskünfte, Gutachten verschiedener Sachverständiger, Markenanmeldungen, Gerichtsentscheidungen sowie die Einordnung der EU-Kommission auf deren Internetseiten zum Thema „Food and Safety“. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten wird auf Bl. 80-82, 88-94, 150-160, 171-194, 329-338 sowie 391-532 d. A. Bezug genommen.
Darüber hinaus erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung mit der Begründung, dem Kläger sei seit 2005 bekannt, dass sie M9-Pulver als Nahrungsergänzungsmittel vertreibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Parteien wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
I. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. den Vorschriften der NFV.
Da die NFV eine markregulierende Vorschrift iSv § 4 Nr. 11 UWG ist (BGH, Urteil vom 22.11.2007 - I ZR 77/05 - „Fruchtextrakt“) und die Beklagte eine Genehmigung für den Vertrieb des streitgegenständlichen Pilzpulvers nach der NFV unstreitig nicht besitzt, hängt das Bestehen des Unterlassungsanspruchs allein davon ab, ob die NFV auf das Produkt anzuwenden ist.
1. Unproblematisch ist die Einordnung des „M9Sporenpulvers“ in der konkret angegriffenen Form als Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel, welche die Beklagte selbst etwa im Rahmen ihres Vortrags zur Verjährung etwaiger Unterlassungsansprüche zugesteht. Sie ergibt sich im Übrigen zwanglos daraus, dass es sich um ein zur Einnahme durch Menschen bestimmtes Produkt handelt und Werbeaussagen, die auf einen Vertrieb als Arzneimittel hindeuten könnten, nicht getätigt werden.
Das streitgegenständliche Pilzpulver fällt auch ohne Weiteres unter Art. 1 Abs. 2 d) NFV. Ob der Verordnungsgeber „höhere Pilze“ ursprünglich nicht unter die Verordnung fassen wollte, wie die Beklagte meint, ist ohne Belang. Nach dem Wortlaut der Vorschrift, der jede Auslegung begrenzt, erfasst sie alle Arten von Pilzen.
2. M9-Pulver bzw. pulverisierter Glänzender Lackporling wurde auch bisher in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet, Art. 1 Abs. 2 NFV.
a) Bezugszeitpunkt der Vorschrift ist, wie der EuGH zwischenzeitlich klargestellt hat, der Tag des Inkrafttretens, also der 15.05.1997 (EuGH, Urteil vom 09.06.2005 - C 211/03 - „HLH Warenvertrieb und Orthica“, Tz. 87 f.).
b) Der EuGH hat auch definiert, was unter Verzehr in nennenswertem Umfang zu verstehen ist. Entgegen der älteren Literatur zur NFV, nach der es ausreichen sollte, dass ein Lebensmittel nicht nur zu Versuchszwecken in den Verkehr gebracht wurde (etwa Zipfel/Rathke, EL 120, C 150, Art. 1, Rn. 20), fordert der EuGH einen Verzehr in erheblicher Menge, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (EuGH aaO., Tz. 83 ff.). Was unter einer „erheblichen Menge“ zu verstehen ist, hat der EuGH indes bislang nicht näher erläutert.
Allerdings hat die Rechtsprechung des BGH die Formel des EuGH dahin konkretisiert, dass es darauf ankommt, ob das betreffende Lebensmittel in einem derartigen Umfang verzehrt worden ist, dass durch sein Inverkehrbringen ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung auszuschließen sind, so dass es zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht mehr erforderlich erscheint, das Inverkehrbringen erst nach einer Sicherheitsprüfung gemäß der NFV zuzulassen (BGH, Urteil vom 22.11.2007 - I ZR 77/05 - „Fruchtextrakt“, Juris-Tz. 22). Der Umfang des Verzehrs bzw. die zum Verzehr in den Verkehr gebrachten Menge muss mithin den Schluss rechtfertigen, dass das Lebensmittel mangels bekannt gewordener Berichte über negative gesundheitliche Folgen gesundheitlich unbedenklich ist.
Heranzuziehen für diese Beurteilung sind sämtliche Umstände des Einzelfalls. D.h. neben der absoluten Menge, die in den Verkehr gebracht worden ist, kann auch die Zahl der Händler kombiniert mit der räumlichen Verbreitung eine Rolle spielen, wobei der BGH zum Ausdruck gebracht hat, dass allein die Benennung von Händlern für den Vortrag eines Verzehrs in nennenswertem Umfang ebenfalls nicht ausreicht (BGH „Fruchtextrakt“, Juris-Tz. 20 ff.). Es ist indes nicht zu verkennen, dass konkreter Vortrag zum Umfang des Vertriebs eines Produkts durch Dritte, insbesondere durch ausländische Unternehmen, vor 15 Jahren und mehr vom Anspruchsgegner nur beschränkt geleistet werden kann. Wenn eine Vielzahl von Händlern in einem größeren räumlichen Gebiet ein Lebensmittel tatsächlich vertrieben haben, kann das unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten jedenfalls für eine entsprechende Nachfrage sprechen, die wiederum den Schluss zulässt, dass das betreffende Lebensmittel auch in einem gewissen Umfang verzehrt worden ist.
Zu beachten ist bei der Beurteilung indes, dass nur das betreffende Lebensmittel selbst berücksichtigt werden darf, also Identität zwischen dem streitgegenständlichen und den vor dem 15.05.1997 zum Verzehr vertriebenen Produkten bestehen muss. Auf ähnliche oder vergleichbare Produkte, auch nicht wenn diese aus denselben Zutaten hergestellt oder aus denselben Pflanzen, Pilzen o.ä. gewonnen werden, kommt es nicht an (EuGH aaO., Tz. 86; BGH „Fruchtextrakt“, Juris-Tz. 16, 20 ff.).
c) Durch die Rechtsprechung des BGH geklärt ist auch die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.
Grundsätzlich beweispflichtig für die die negative Tatsache, dass ein Lebensmittel in der Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, ist der Anspruchsteller. Für einen schlüssigen Vortrag genügt indes schon die bloße Behauptung dieser Tatsache, ohne das nähere Umstände, welche die Behauptung konkretisieren, dargelegt werden müssen (BGH „Fruchtextrakt“, Juris-Tz. 18 f.; BGH, Urteil vom 04.12.2008 - I ZR 100/06 - „Erfokol-Kapseln“, Juris-Tz. 27 f.).
Den Anspruchsgegner trifft dann eine sekundäre Darlegungslast zur Frage des Verzehrs in nennenswertem Umfang. Erst auf substanziierten Vortrag des Anspruchsgegners muss der Anspruchsteller seine Behauptung ebenfalls substanziieren und unter Beweis stellen (BGH „Fruchtextrakt“, Juris- Tz. 19).
e) Gemessen an diesen Grundsätzen gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
aa) Der Kläger hat mit seiner Behauptung, vor dem 15.05.1997 sei M9-Pulver in der Europäischen Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang verzehrt worden, seiner primären Darlegungspflicht genügt. Auf die Frage, ob seine Argumentation, dies ergebe sich bereits daraus, dass der Glänzende Lackporling zum Verzehr ungeeignet sei, schlüssig ist, kommt es nicht an.
bb) Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast hat die Beklagte dagegen nicht hinreichend substanziiert Umstände dargelegt, aus denen auf einen Verzehr des Pilzpulvers in der Gemeinschaft vor dem 15.05.1997 in nennenswertem Umfang geschlossen werden kann. Im Einzelnen:
(1) Der Erwerb von M9-Tee 1995 in Amsterdam durch den Zeugen T2 ist ein Indiz, das für einen Verzehr von Pilzpulver sprechen kann, wobei die Beklagte nicht dargetan hat, ob es sich tatsächlich um Tee in Pulverform, auf den es nach den oben dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung zur Produktidentität alleine ankommt, handelte. Auch Vortrag zum Umfang des Vertriebs fehlt. Ohne Belang ist dagegen der Erwerb von geschnittenen Pilzen als Würzmittel.
(2) Der Vertrieb von flüssigem M9-Extrakt in Reformhäusern und Bioläden sowie von Pilzbrut zum Züchten des Pilzes ist mangels Produktidentität ohne Belang, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob die Angaben „lange vor 1997“ und „in Deutschland“ für einen substanziierten Vortrag auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs ausreichen.
(3) Gleiches gilt für die Verwendung des Pilzes als Zutat in Likören und für Getränke mit Pilzbruchstücken, auf die der Parteisachverständige Dr. W2 in seinem Gutachten vom 21.02.2006 (Bl. 88 ff. d. A.) hinweist.
(4) Auch die Mitteilung einer Frau B vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 01.03.2006 (Bl. 171 d. A.), dass der Pilz nach Informationen der zuständigen Arbeitsgruppe der EU-Kommission, in einigen Mitgliedsstaaten als Lebensmittel verwendet worden sei, führt nicht weiter. Sie lässt offen, ob Pilzpulver betroffen ist, und ist als bloße Information vom Hörensagen ohne Angabe von Ort und Zeitpunkt bzw. -raum der Verwendung nicht belastbar.
(5) Dies gilt in gleicher Weise für die Mitteilung des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen vom 21.02.2006 (Bl. 172).
(6) Hinsichtlich des Vertriebs des Glänzenden Lackporling durch eine Fa. Chinesische Heilkräuter ab Mitte der 1990er Jahre in einem Umfang von mindestens 100 Bestellungen jährlich hat die Beklagte die erforderliche Produktidentität nicht dargetan. Im Übrigen spricht insoweit schon der Name des vertreibenden Unternehmens dafür, dass M9-Produkte hier - wie ursprünglich auch durch die Beklagte - als Arzneimittel vertrieben worden sind.
(7) Vortrag zur Produktidentität fehlt auch, was den Vertrieb durch die Firmen N7, MRL N8 Research Laboratories Ltd., N9 Produktions- und Vertriebsgesellschaft mbH, N GmbH und Tee-Tempel angeht, wobei die Beklagte insoweit zudem jegliche Hinweise auf den Umfang des Vertriebs vermissen lässt. Der Katalog der Fa. D4Group BV (Bl. 173 ff. d. A.), für die im Übrigen das Gleiche gilt, ist von 2005/2006 und hat daher für die Frage eines Vertriebs vor dem 15.05.1997 keinerlei Aussagekraft. Außerdem betrifft er „TCM Products“, also Produkte für die traditionelle chinesische Medizin, was für einen Vertrieb als Arzneimittel und damit gegen eine Verwendung als Lebensmittel zum Verzehr spricht.
(8) Hinsichtlich des Angebots der Fa. M9für Gesundheit fehlt es ebenfalls an Vortrag zur Produktidentität. Selbst wenn man angesichts der vorgelegten Preisliste vom 15.10.1996 (Bl. 178 d. A.), nach welcher der Pilz in Beuteln angeboten wird, wohlwollend unterstellt, dass es sich um Beutel mit Pilzpulver gehandelt haben mag, ist das Angebot durch diese Firma, über dessen Umfang nichts bekannt ist, nur ein äußerst schwaches Indiz. Es handelt sich nämlich um eine Preisliste für Wiederverkäufer, aus der sich nicht zwingend ergibt, dass das Produkt an Verbraucher verkauft worden ist, was allein für einen Verzehr sprechen könnte.
(9) Auch hinsichtlich des Imports von M9-Tee durch die Fa. T9Trading B.V. bleibt offen, ob der Tee aus Pilzpulver hergestellt ist. Jedenfalls aber ist konkret vorgetragen lediglich ein Vertrieb „lange“ vor 2000, was den Anforderungen an einen substanziierten Vortrag eines Vertriebs vor dem 15.05.1997 nicht einmal ansatzweise genügt.
(10) Der Vortrag zum Angebot durch ein Reformhaus X9 in Graz, der ohnehin nicht auf belastbare Beweismittel, sondern auf esoterische Literatur gestützt ist, lässt abermals Ausführungen zur Produktidentität vermissen, zumal es auf einen Vertrieb zum Zeitpunkt des Erscheinens des angeführten Buchs im Jahr 2005 nicht ankommt.
(11) Der Verweis auf vier weitere Kulturzüchter und Substrathersteller, die „definitiv“ vor 1997 Glänzenden Lackporling hergestellt und als Nahrungsmittel vertrieben haben sollen, ist in dieser Form gänzlich unsubstanziiert.
(12) Aus Markenanmeldungen, die Schutz für M9-Produkte beanspruchen, ergibt sich zum Vertrieb solcher Produkte, insbesondere von M9-Pulver, nichts. Das Nahrungsergänzungsmittel China-Gold enthält ausweislich des Flyers (Bl. 187 d. A.), der im Übrigen einen Hinweis auf den Zeitpunkt des Erscheinens vermissen lässt, lediglich Aromastoffe des Pilzes, nicht Pilzpulver.
(13) Was die Zeugin Dr. F aus eigner Sachkunde erklären kann, hätte die Beklagte im Einzelnen vortragen müssen. Der pauschale Verweis auf den Inhalt einer möglichen Zeugenaussage kann substanziierten Vortrag nicht ersetzen.
(14) Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M3 (Bl. 188 ff. d. A.) stellt einen Verzehr von Pilzpulver zwar in den Raum, bleibt geeignete Belege hierfür indes schuldig. Die Literaturangaben am Ende des 3. Absatzes auf S. 3 des Gutachtens sind entweder im Quellennachweis auf S. 5 nicht aufgelistet (Jones, 1992) oder betreffen ausweislich des Titels landwirtschaftliche Fragestellungen (Poppe, 2000).
(15) Der von der Beklagten angeführte Beschluss des OVG Niedersachsen vom 08.07.2004 (11 ME 12/04, Bl. 391 ff. d. A.) enthält keinerlei Ausführungen zum Verzehr in der Gemeinschaft vor dem 15.05.1997. Gleiches gilt für den Beschluss des VG Lüneburg vom 22.12.2003 (6 B 216/03, Bl. 424 ff. d. A.). Auch aus dem angeblich zwischen der Lebensmittelüberwachung Rheinland-Pfalz und einem Vertreiber am 03.05.2006 vor dem Verwaltungsgericht Koblenz geschlossenen Vergleich (Bl. 434 ff. d. A.) ergibt sich für die streitentscheidende Frage nichts.
(16) Der von der Beklagten vorgelegte Beschluss des LG N2 I vom 05.09.2006 (33 O 14495/06, Bl. 438 ff. d. A.) ist durch die dort noch nicht berücksichtigte jüngere Rechtsprechung des BGH überholt.
(17) Aus der zum Strafverfahren AG N2 1123 Ds 363 Js 33506/04 vorgelegten Anklageschrift vom 25.01.2005 (Bl. 445 ff. d. A.) lässt sich nicht entnehmen, dass M9-Pulver Gegenstand des Verfahrens waren, zumal eine Einstellung nach § 153a StPO, wie sie ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts N2 vom 16.05.2006 offenbar erfolgt ist, nicht den Schluss auf eine bestimmte Rechtsauffassung des Gerichts zur rechtlichen Einordung solcher Produkte nach der NFV zulässt.
(18) Die mit Bericht vom 25.11.2003 geäußerte Auffassung des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes NRW (Bl. 456 f. d. A.), dass Pilze, die in Europa vorkommen und nicht giftig sind, keine neuartigen Lebensmittel seien, mag von politischem Interesse sein, ist aber mit der maßgeblichen Rechtsprechung von EuGH und BGH nicht in Einklang zu bringen.
(19) Der Vermerk einer Frau K, der nach dem Vortrag der Beklagten vom Regierungspräsidium Darmstadt stammen soll (Bl. 458 f. d. A.), lässt nicht erkennen, dass er sich auf M9-Pulver bezieht, zumal Aussagen zur Frage des Verzehrs vor dem 15.05.1997 fehlen.
(20) Ohne jede Aussagekraft ist die Stellungnahme des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 31.01.2007 (Bl. 460 ff. d. A.), das schon eingangs der Stellungnahme auf seine fehlende Sachkompetenz hinweist. Im Übrigen ist in der - angesichts mangelnder Sachkompetenz überraschend ausführlichen - Stellungnahme nur allgemein von Lebensmitteln die Rede, die den M9enthielten, so dass die Produktidentität offen ist. Das Bundesamt stützt sich zudem lediglich auf „Hinweise“, was nicht belastbar ist.
(21) Ob die Einordnung auf den Internetseiten der EU-Kommission (Bl. 463 d. A.) sich auf Pilzpulver bezieht, ist dem vorgelegten Ausdruck nicht zu entnehmen. Die Internetseite der EU-Kommission, welche die Kammer aufgerufen hat, enthält hierzu auch keine weiterführenden Hinweise.
(22) Ohne jede Bedeutung für die rechtliche Beurteilung nach der NFV ist die Einordnung von M9-Produkten in der Schweiz.
(23) Der Bestätigung des österreichischen Bundeskanzleramts vom 15.11.1999 (Bl. 468 d. A.), die sich ohnehin nur auf Kapseln, nicht auf Pulver bezieht, ist lediglich zu entnehmen, dass eine Untersagungsfrist abgelaufen ist, nicht aber, dass das Produkt vor dem 15.05.1997 vertrieben worden ist.
(24) Die in ungarischer Sprache vorgelegten Dokumente (Bl. 469 ff. d. A.) waren mangels Übersetzungen nicht verwertbar.
(25) Die Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S und Dr. U vom 16.01.2009 (Bl. 481 ff. d. A.) zitiert zur streitentscheidenden Frage lediglich die Mitteilung des BVL vom 31.01.2007 (s. Nr. 20). Die darüber hinaus vorgelegten Gutachten der Sachverständigen Dr. U und Dr. L vom 17. und 27.02.2006 (Bl. 514 ff. d. A.) sowie die „Gedanken“ von Prof. Dr. H2 vom 01.02.2004 enthalten zur streitentscheidenden Frage keine Ausführungen
(26) Der vorgetragene Vertrieb durch eine Fa. N10 N.V. ist allenfalls ein schwaches Indiz. Er bezieht sich zwar auf Pilzpulver, schon der Name der Firma weist indes auf einen Vertrieb als Arzneimittel hin. Außerdem handelt es sich ausweislich der Preisliste 1988 (Bl. 526 ff. d. A.) um ein Großhandelsunternehmen, so dass der Verkauf an Verbraucher hierdurch nicht sicher belegt werden kann. Näherer Vortrag zum Umfang des Vertriebs fehlt. Letzteres gilt ebenso für den Vertrieb durch eine Fa. T8 BVBA, bei welcher der Name ebenfalls auf einen Vertrieb als Arzneimittel hindeutet. Auch der Firmenname C8 begründet Zweifel an einem Vertrieb als Lebensmittel, zumal die Klägerin hier nur den Vertrieb von Pilzprodukten im Allgemeinen (und ohne nähere Angaben zum Umfang), nicht aber von M9-Pulver behauptet. Der Firmenname S9 schließlich deutet ebenfalls auf einen Vertrieb in welchem Umfang auch immer als Arzneimittel hin.
(27) Die ohnehin erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auskunft einer ungarischen Behörde vom 21.05.2010 (Bl. 598 ff. d. A.) nimmt lediglich Bezug auf die Einordnung auf den Internet-Seiten der EU-Kommission und führt nicht weiter.
Letztlich bleiben als ansatzweise taugliche Indizien nur die unter (1), (8) und (26) erörterten Umstände, die allesamt den Vertrieb von M9-Pulver betreffen. Bei allen fehlt es indes an näheren Angaben zum Umfang des Vertriebs, zumal teilweise die Produktidentität und der Vertrieb als Lebensmittel zweifelhaft sind. Den vom BGH aufgestellten hohen Anforderungen an den Vortrag des Anspruchsgegners im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast genügt die Beklagte hiermit nicht.
3. Die Einrede der Verjährung greift nicht. Die Beklagte vertreibt M9-Pulver unstreitig bis heute, so dass eine Verjährung dieses Dauerdelikts schon vom Ansatz her nicht in Betracht kommt.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
Streitwert: bis zur Teilrücknahme: 30.000 €
LG Köln:
Urteil v. 21.10.2010
Az: 31 O 304/06
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