Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. Januar 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 47/00
(BPatG: Urteil v. 24.01.2002, Az.: 3 Ni 47/00)
Tenor
Das Patent 198 13 633 wird insoweit für nichtig erklärt, als es über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:
" 1. Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammakarzinom und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung, dadurch gekennzeichnet, daß der Gehalt an BSP (Bone Sialoprotein) und OPN (Osteopontin) oder nur an OPN perioperativ im Serum bestimmt wird und daß der Gehalt an BSP und OPN oder nur an OPN postoperativ im Serum überwacht wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Gehalt an BSP und OPN oder nur an OPN immunologisch mit Hilfe von polyklonalen oder monoklonalen Antikörpern bestimmt wird."
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 19.000,- € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 27. März 1998 angemeldeten Patents 198 13 633, das ein Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammokarzinom betrifft und in der erteilten Fassung 3 Patentansprüche umfaßt. Patentanspruch 1 lautet:
" Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammakarzinom und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt an BSP (Bone Sialoprotein) und/oder OPN (Osteopontin) perioperativ im Serum bestimmt wird."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, die angegriffenen Gegenstände des Streitpatents seien nicht patentfähig, weil sie nicht neu seien und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Zur Begründung bezieht sie sich im wesentlichen auf die Dokumente E 2 A. Bellahcène et al: " Bone sialoprotein expression in primary human breast cancer is associated with bone metastases development", J. Bone Miner. Res., Vol. 11, Nr. 5, 1996, S. 665 bis 670, E 6 Ina-Alexandra Meier: "Entwicklung eines Radioimmunoassays zur Bestimmung von Bone Sialoprotein (BSP)", Diplomarbeit Fachhochschule Darmstadt 1996, FB Chemische Technologie, E 7 A. Bellahcène et al: "Expression of Bone Sialoprotein in primary Human Breast Cancer is associated with poor survival", Int.J.Cancer (Pred.Oncol.): 69, S. 350-353, 1996, E 8 Markus Karmatschek: "Isolierung von Bone Sialoprotein aus humanem Knochen, Aufbau eines Radioimmunoassays zu dessen Messung im Serum", Dissertation Technische Hochschule Darmstadt 1996, Fachbereich Biologie, E 16 A. Bellahcène et al: "Expression of bone matrix proteins in human breast cancer: Potential roles in microcalcification formation and in the genesis of bone metastases", Bull. Cancer 1997, 84 (1), S. 17 - 24.
Darüber hinaus beruft sich die Klägerin auf offenkundige Vorbenutzung und benennt hierfür Zeugen unter Hinweis auf die Entgegenhaltungen E 11 Schreiben der Fa. Immundiagnostik GmbH vom 23. Juli 1997 an Herrn Dr. Diel, E 11 A Kopien von Rechnungen vom 6. März. 26. Mai, 16. Juli und 22. August 1997, E 11 B Fax von Herrn Dr. Diel an die Fa. Immundiagnostik GmbH vom 21. April 1997, E 11 C Verwendung der BSP-Messungen der Fa. Immundiagnostik GmbH aus dem Jahr 1997 in der Veröffentlichung in Clinical Cancer Research (1999), Band 5, S. 3914 bis 3419.
Die Klägerin beantragt, das Patent 198 13 633 für nichtig zu erklären, soweit die Patentansprüche Verfahren zur Bestimmung des Gehalts allein an BSP (Bone Sialoprotein) im Serum betreffen.
In der mündlichen Verhandlung legt die Beklagte neue Patentansprüche 1 und 2 vor und erklärt, daß sie das Streitpatent nur noch in diesem Umfang verteidige.
Die nunmehr geltenden Patentansprüche haben folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammakarzinom und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt an BSP (Bone Sialoprotein) und/oder OPN (Osteopontin) perioperativ im Serum bestimmt wird und dass der Gehalt an BSP und/oder OPN postoperativ im Serum überwacht wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt an BSP und/oder OPN immunologisch mit Hilfe von polyklonalen oder monoklonalen Antikörpern bestimmt wird."
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der verteidigten Fassung richtet.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent im verteidigten Umfang für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents im angegriffenen Umfang, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 1 PatG. I.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammakarzinom und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung.
Aus dem Stand der Technik (StrP S. 1 Z 21 - 50) ist bekannt, dass bei bereits vorhandenen Knochenmetastasen die Serum- und Urinkonzentrationen bekannter und neuartiger Knochenumsatzmarker erhöht sind. Bei Patienten, die noch keine Metastasen entwickelt haben, gibt es bislang kein zuverlässiges Verfahren, das eine Vorhersage über die Wahrscheinlichkeit einer späteren Metastasierung erlaubt. Bekannt geworden ist allerdings, daß der immunohistochemische Nachweis von Bone Sialoprotein im Primärtumor von Mammakarzinom-Patientinnen retrospektiv mit einer Metastasierung des Tumors in den Knochen assoziiert ist (vgl StrP S. 1 Z 60 - 65).
2. Aufgabe des Streitpatents ist es (StrP S. 1 Z 57 - 59), ein Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen bei Patienten mit primärem Mammakarzinom und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung zu entwickeln.
3. Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung 1. ein Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretensvon Knochenmetastasen 2. bei Patienten mit primärem Mammakarzinom, 3. und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer vorbeugenden Behandlung 4. durch perioperative Bestimmung und 5. postoperative Überwachung 6. des Gehalts an BSP (Bone Sialoprotein)
und/oder 7. an OPN (Osteopontin)
8. im Serum.
II.
Ob ein solches Verfahren mit den Merkmalen (1) bis (6) und (8) im Hinblick auf die Dokumente E 6 Diplomarbeit, Ina-Alexandra Meier: "Entwicklung eines Radioimmunoassays zur Bestimmung von Bone Sialoprotein (BSP)", 1996, und E 11b Proceedings of ASCO Volume 17, 1998, S 122a, Abstract 467 nicht mehr neu ist, wie die Klägerin geltend macht, bedarf keiner abschließenden Überprüfung. Denn die Klägerin hat den Senat davon überzeugen können, daß das Verfahren gemäß den verteidigten Patentansprüchen, soweit es die Bestimmung des Gehalts an BSP betrifft, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Aus der Literaturstelle E 16 "Bull. Cancer 1997, 84 (1), S 17 bis 24" und der dort referierten und zitierten Literaturstelle E 2 "Journal of Bone and Mineral Research Vol 11, Nr 5, 1996, S 665 bis 700" war es bekannt, daß zwischen einer erhöhten Expression von BSP, einem bestimmten Glykoprotein im Primärtumor von Mammakarzinom-Patienten einerseits und der Entwicklung von Knochenmetastasen bzw einer ungünstigen Prognose für diese Patienten andererseits ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht (vgl E 16, S 22 liSp der letzte Abs bis einschl S 23 und E 2 insbes S 669 "Discussion").
Diese Druckschriften vermitteln bereits den wesentlichen Grundgedanken der patentgemäßen Lehre, nämlich durch eine BSP-Bestimmung bei Mammakarzinom- Patienten, die zum Zeitpunkt der Diagnose noch keine Knochenmetastasen entwickelt haben, Vorhersagen darüber zu machen, ob im Verlauf der Krankheit dieses Ereignis eintreten wird (vgl die Merkmale (1), (2), (4) und (6) des strittigen Verfahrens).
Im einzelnen wurde die BSP-Expression der Krebszellen anhand von Brustkrebs-Gewebeschnitten, die von Patienten stammen, die zum Zeitpunkt der Operation keine diagnostizierbaren Knochenmetastasen aufwiesen, mit Hilfe von Immunoperoxidase und polyklonalen Antikörpern auf immunohistochemischen Wege über die Intensität der Anfärbung der Krebszellen bestimmt. Bei der Untersuchung des weiteren Krankheitsverlaufs dieser Patienten innerhalb von 3 Jahren ergab die statistische Auswertung, daß eine signifikante Korrelation zwischen der Höhe des ermittelten Gehalts an BSP und dem späteren Auftreten von Knochenmetastasen bestand (vgl E 2 insbes die Abschn "Abstract", "Tumorsamples", "Immunohistochemistry" und "Discussion"). Gemäß den Angaben in dieser Druckschrift wird mit dieser BSP-Bestimmung erstmalig ein Indikator zur Verfügung gestellt, der Vorhersagen über die Fähigkeit der Brustkrebszellen erlaubt, im späteren Krankheitsverlauf Knochenmetastasen zu entwickeln. Da das Tumorgewebe bei der Operation entfernt und histologisch untersucht wurde, erfolgt auch dort die hier maßgebliche Probenahme für die BSP-Bestimmung perioperativ (Merkmal 4). Darüberhinaus ist der Literaturstelle E 16 zu entnehmen, daß anhand der BSP-Bestimmung als prognostischem Faktor für das metastatische Potential der Erkrankung diejenigen Brustkrebs-Patienten ohne Lymphknotenbefall, aber mit erhöhtem Risiko, ausgewählt werden können, die von einer speziellen adjuvanten Behandlung am wahrscheinlichsten profitieren (vgl S 22 reSp Abs 2 Mitte). Damit wird auch die Möglichkeit einer gegebenenfalls vorbeugenden Behandlung gemäß vorstehendem Merkmal (3) erwähnt.
Zwar wird der BSP-Gehalt des Tumorgewebes und nicht des Serums der Patienten untersucht. Daß eine quantitative BSP-Bestimmung im Serum der Patienten für eine klinische Erfassung mit Hilfe von Radioimmunoassays (RIA) oder eines Enzymimmunoassays (ELISA) anzustreben ist, geht jedoch ebenfalls bereits aus dem Dokument E 16 hervor (vgl S 22, reSp, Z 1 bis 3 von unten bis S 23, liSp, Z 1 bis 3).
Ein solcher Radioimmunoassay (RIA), bei dem der BSP-Gehalt im Serum ua auch von Mammkarzinom-Patienten immunologisch mit Hilfe eines Huhnanti-BSP-Antikörpers in vergleichsweise einfacher Weise quantitativ bestimmt werden kann, wird durch die Diplomarbeit E 6 zur Verfügung gestellt (vgl Merkmal (8) des angegriffenen Verfahrens und geltender Patentanspruch 2).
Die bekannten Vorteile eines solchen Immunoassays sind die hohe Genauigkeit, geringe Probevolumina und Einfachheit der Durchführung. Er ist darüber hinaus zur Messung großer Serien geeignet (vgl zB E 6 S 4). Auch mit diesem Test findet man bei Mammkarzinom-Patienten erhöhte und normale BSP-Werte, so daß auch in dieser Druckschrift auf die Möglichkeit hingewiesen wird, diesen BSP-RIA zur Erkennung von vorhandenen oder entstehenden Knochenmetastasen bei Mammakarzinom-Patienten einzusetzen. Gemäß E 6 müssen hierzu allerdings noch umfangreiche klinische Studien vorgenommen werden (vgl S 67).
Die Erfinder des Streitpatents haben nun diesen vom Stand der Technik vorgegebenen Weg beschritten und untersucht, ob sich, wie bereits in der Druckschrift E 6 vermutet, die BSP-Gehaltsbestimmung im Serum in Analogie zur Aussage der genannten Literaturstellen als Indikator für das spätere Auftreten von Knochenmetastasen eignet oder anders ausgedrückt, ob sich die in dieser Literatur geäußerten Erwartungen mit dem aus der Diplomarbeit E 6 bekannten BSP-RIA bestätigen lassen.
Das hierzu erforderliche Sammeln und statistische Auswerten von Patientendaten mag zwar aufwendig sein. Ein solches Vorgehen gehört jedoch zu den Standardverfahren medizinischer Forschung und erfordert für den hier zuständigen Fachmann, einen in der Klinik tätigen und forschenden Mediziner, der mit der Diagnose und Behandlung von Brustkrebs befaßt und vertraut ist, keine Überlegungen von erfinderischer Qualität.
Krebspatienten bedürfen nach der Erstdiagnose und Behandlung in der Regel einer zunächst engmaschigen Nachkontrolle. Damit ist es selbstverständlich, die Bestimmung eines als aussagekräftig erachteten Tumormarkers, wie hier BSP, auch zur postoperativen Überwachung einzusetzen (vgl Merkmal 5).
Die Verwendung des aus der Diplomarbeit E 6 bekannten BSP-RIA zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Auftretens von Knochenmetastasen entsprechend der patentgemäßen Lehre bot sich damit, wenn nicht schon in Kenntnis dieser Druckschrift, so jedenfalls in Verbindung mit den Literaturstellen E 2 und E 16 für den Fachmann zwanglos an.
Der Gegenstand der verteidigten Patentansprüche 1 und 2 beruht somit, soweit er die angegriffene Bestimmung allein von BSP betrifft, auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentfähigkeit der nicht angegriffenen Ausführungsformen der verteidigten Patentansprüche 1 und 2 war im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens nicht zu überprüfen (Schulte PatG 6 Aufl § 81 Rdn 102).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 2 ZPO. Ungeachtet der Beschränkung des Streitpatents durch die Beklagte ist dem Antrag der Klägerin stattgegeben worden. Die Beschränkung des Streitpatents wirkt sich demgegenüber so geringfügig aus, daß der Beklagten die gesamten Kosten aufzuerlegen waren.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Hellebrand Dr. Niklas Dr. Jordan Sredl Dr. Egerer Pr
BPatG:
Urteil v. 24.01.2002
Az: 3 Ni 47/00
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