Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. November 2005
Aktenzeichen: 17 W (pat) 87/03
(BPatG: Beschluss v. 24.11.2005, Az.: 17 W (pat) 87/03)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Erteilung des Patents 198 60 471 (nachfolgend Streitpatent genannt) mit der Bezeichnung
"Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks"
wurde am 7. Dezember 2000 veröffentlicht.
Gegen das Streitpatent wurde Einspruch erhoben und geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents keine patentwürdige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG darstelle.
Zur Stützung ihres Vorbringens hat die Einsprechende im Einspruchsschriftsatz u. a. Bezug genommen auf D1) Firmendruckschrift "Zerstörungsfreie Materialprüfung in der Fertigung durch akustische Resonanzanalyse" Teil 1, Einführung, Stand: 15. April 1998, RTE GmbH, S. 1-16 und D2) Heldmann: "Klanganalyse", Sonderdruck 3/97 aus der Fachzeitschrift "Kontrolle".
Die Patentabteilung 51 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat das Streitpatent mit Beschluss vom 14. August 2003 mangels erfinderischer Tätigkeit widerrufen.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Patentinhaberin gerichtet. Sie verteidigt ihr Patent mit neuen, in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2005 überreichten Patentansprüchen 1 bis 7.
Patentanspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks, bei welchem das Werkstück zu einer Schwingung angeregt, wenigstens ein Parameter der Schwingung gemessen und das Werkstück für gut befunden wird, wenn der Parameter innerhalb eines vorgegebenen Rahmens liegt, wobei jeweils die Abklingzeit der Schwingung und/oder von Spektralkomponenten der Schwingung als Parameter dient und das Werkstück für gut befunden wird, wenn die Abklingzeit in einem vorgegebenen Intervall liegt, dadurch gekennzeichnet, dass die Schwingung interferometrisch gemessen wird."
Nach Ansicht der Patentinhaberin ist der beanspruchte Gegenstand hinsichtlich des im Verfahren befindlichen Standes der Technik patentfähig.
Sie beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den neuen Ansprüchen 1 bis 7, mit daran angepasster Beschreibung und den Fig. 1 bis 5 gemäß Streitpatentschrift aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende trägt vor, dass das beanspruchte Verfahren nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, da es durch den im Einspruchsschriftsatz aufgezeigten Stand der Technik und den in der Streitpatentschrift erwähnten Aufsatz "Opicalfiber vibration sensor using step interferometry" in "APPLIED OPTICS", Vol. 35, Nr. 28, 1. Oktober 1996, nahe gelegt sei.
Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist auch sonst zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg, da keine patentfähige Erfindung vorliegt, §§ 1, 4, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG.
1. Das Streitpatent bezieht sich auf ein Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks.
Mit diesem Verfahren soll nach den in der Streitpatentschrift angegebenen "Vorteilen der Erfindung" eine schnelle und unaufwendige Qualitätsprüfung von Werkstücken aus beliebigen festen Werkstoffen mit geringem, von der Gestalt des Werkstücks unabhängigem, Aufwand bei der Verarbeitung der Messsignale ermöglicht werden.
Die hierzu nach Anspruch 1 vorgesehene technische Lehre lautet (mit hinzugefügter Gliederung) wie folgt:
"Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks, a) bei welchem das Werkstück zu einer Schwingung angeregt, b) wenigstens ein Parameter der Schwingung gemessenb1) und das Werkstück für gut befunden wird, wenn der Parameter innerhalb eines vorgegebenen Rahmens liegt, c) wobei jeweils die Abklingzeit der Schwingung und/oder von Spektralkomponenten der Schwingung als Parameter dientc1) und das Werkstück für gut befunden wird, wenn die Abklingzeit in einem vorgegebenen Intervall liegt.
dadurch gekennzeichnet, d) dass die Schwingung interferometrisch gemessen wird."
Die Lehre des Anspruchs 1 ist für den Fachmann, einen FH-Physikingenieur mit mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung, verständlich. Nach Anregung des der Qualitätsprüfung zu unterziehenden Werkstücks zu einer Schwingung wird die Abklingzeit der Schwingung und / oder von Spektralkomponenten der Schwingung interferometrisch gemessen. Liegt die ermittelte Abklingzeit in einem vorgegebenen Intervall, so wird das betreffende Werkstück für gut befunden.
2. Die Einsprechende bezieht sich in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen, wie eingangs bereits erwähnt, auf die Firmendruckschrift "Zerstörungsfreie Materialprüfung in der Fertigung durch akustische Resonanzanalyse" Teil 1, Einführung, Stand: 15. April 1998, RTE GmbH, S. 1-16 (D1)
und auf die Druckschrift Heldmann: "Klanganalyse", Sonderdruck 3/97 aus der Fachzeitschrift "Kontrolle" (D2).
In der mündlichen Verhandlung hat sie noch auf den in der Streitpatentschrift erwähnten Aufsatz "Opticalfiber vibration sensor using step interferometry" in "Applied Optics", Vol. 35, Nr. 28, 1. Oct. 1996, S. 5667 - 5569 (D3) Bezug genommen.
Der dem Verfahren zur Qualitätsprüfung nach Anspruch 1 des Streitpatents nächstkommende Stand der Technik geht aus D1 hervor. Diese Druckschrift ist nach den überzeugenden Ausführungen der Einsprechenden nicht als wissenschaftlicher Artikel, sondern als Informationsschrift für potentielle Kunden von Materialprüfsystemen, die auf akustischen Resonanz-Prüfmethoden basieren, gestaltet und diesbezüglich als Firmenprospekt anzusehen. Bei einem solchen Prospekt ist nach der Rechtsprechung des BPatG (vgl. BPatGE 38, 206 m. w. N.) von seiner alsbaldigen Verteilung an interessierte Kunden auszugehen, sofern nicht entgegenstehende Anhaltspunkte (z. B. eine überraschende Einstellung der Produktion oder wesentliche Veränderungen des Produkts, vgl. BPatG, BlfPMZ 1991, 349, insbes. S. 351, li. Sp., 2. Abs.) einen vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang der Geschehnisse nahelegen. D1 ist mit "Copyright"-Vermerk und dem weiteren Vermerk "Stand: 15. April 1998" gedruckt worden. Es ist somit davon auszugehen, dass Druck und beginnende Verteilung in enger zeitlicher Nachbarschaft zu dem letztgenannten Datum erfolgt sind. Der weitere Vortrag der Einsprechenden bezüglich des Kongresses "Werkstoffwoche" im November 1998 und der Informationsveranstaltungen der RTE GmbH im Juni 1998 belegt, dassdie Einsprechende auf dem Gebiet der akustischen Resonanzanalyse auch nach dem 15. April 1998 weiterhin aktiv war, so dass vom gewöhnlichen Verlauf in Verbindung mit der Erstellung und Verteilung von Firmenprospekten auszugehen ist, d. h. im konkreten Fall, dass D1 vor dem 28. Dezember 1998, nämlich dem Anmeldetag des Streitpatents, der Öffentlichkeit ohne Einschränkung zugänglich war.
D1 beschäftigt sich mit der zerstörungsfreien Prüfung von Werkstücken auf Materialfehler. In Kapitel 4 (S. 9-11) wird hierzu die "Klangprüfung mit dem Computer" beschrieben, bei der der beispielsweise durch "Anschlagen" (4.1. Tabelle "Anregungsart") angeregte Ist-Schwingungszustand mit einem Soll-Schwingungszustand verglichen wird (Merkmale a, b, b1). Dieser Vergleich kann nach S. 11 beispielsweise anhand der Abklingzeit der Gesamtschwingung (Diagramm zu "Amplitudenabnahme" mit Abszisse "Zeit" und Ordinate "Amplitude") oder anhand des "Abklingverhaltens einzelner Frequenzen" (zugehöriges Diagramm mit Abszisse "Zeit" und Ordinate "Pegelverlust") durchgeführt werden (Merkmal c). Die Feststellung, ob ein gutes Werkstück vorliegt, erfolgt nach S. 11, Text zum unteren Diagramm "Abklingverhalten einzelner Frequenzen" und nach S. 10, Textblock "Schnelle Prüfung" anhand der Überprüfung der Abklingintervalle (Merkmal c1). Demnach geht aus D1 ein Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 hervor.
Hierbei wird die Schwingungsmessung mittels Mikrophon, d. h. durch Aufnahme des Körperschalls, vorgenommen (S. 9, le. Abs.). Diese Methode wird in D1, S. 8, Abschnitt 3.1, 2. Abs. für den Fall als nachteilig bezeichnet, wenn es darauf ankommt, den genauen Fehlerort zu bestimmen. Eine diesbezüglich ortsgenaue, interferometrische Messmethode für mechanische Schwingungen eines Körpers ist dem Fachmann beispielsweise aus D3 (vgl. insbes. Fig. 2 mit zugehöriger Beschreibung) bekannt. Es liegt für den Fachmann folglich bei entsprechenden Anforderungen aus der Praxis nahe, die Körperschallaufnahme mittels Mikrophon zu verlassen und statt dessen die aus D3 bekannte, interferometrische Messmethode bei dem aus D1 bekannten Verfahren zur Qualitätsprüfung eines Werkstücks einzusetzen. Auf diese Weise gelangt der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zu einem Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents. Dieser Anspruch ist folglich nicht rechtsbeständig.
Da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann, sind auch die auf den Anspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 nicht rechtsbeständig.
Dr. Fritsch Prasch Schuster Fink Pü
BPatG:
Beschluss v. 24.11.2005
Az: 17 W (pat) 87/03
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