Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 26. Januar 2010
Aktenzeichen: 13 B 1742/09

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 26.01.2010, Az.: 13 B 1742/09)

Zur Befugnis der Bundesnetzagentur, bei Geschäftsmodellen einzuschreiten, die darauf abzielen, den Anwendungsbereich der besonderen telekommunikationsrechtlichen Schutzvorschriften zu umgehen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 165.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Zuteilungsnehmerin von Rufnummern, über die sie Dienstleistungen anbietet. Bei der Beigeladenen, die ein Verbindungsnetz betreibt, sind 33 Rufnummern der Antragstellerin geschaltet. Die Antragstellerin bewirbt im Internet und im Fernsehen Telefon-Erotikdienste mit Angaben von Kosten von 3 bis 4 Cent pro Minute. Nach Anruf der beworbenen Rufnummern erfolgt, wenn der Teilnehmer nicht in einem Teilnehmerverzeichnis aufgeführt ist, ein Rückruf durch die Antragstellerin und sie erfragt die Adresse des Anschlussinhabers. Wenn der Antragstellerin die Adresse des Anrufinhabers bekannt geworden ist, versendet sie eine Rechnung über Gesamtbeträge von 56,- oder 72,-- Euro für die "Bestellung einer Telefonchat-Pauschale für 30 Tage". Das Entgelt für die Verbindung zur angewählten Ortsnetz- oder zur (0)180er-Rufnummer wird auf der Telefonrechnung in Rechnung gestellt.

Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) ordnete mit an die Beigeladene gerichteten Bescheid vom 2. Oktober 2009 die Abschaltung von 33 Rufnummern spätestens bis zum 9. Oktober 2009 an (Ziff. 1 des Bescheidtenors), forderte die Beigeladene auf, sie über die Abschaltung bis zum 12. Oktober 2009 zu unterrichten (Ziff. 2), untersagte die Portierung der Rufnummern zu einem anderen Netzbetreiber zum Zwecke der Schaltung für den bisherigen Inhaber (Ziff. 3) und drohte für den Fall des Verstoßes gegen die Anordnungen ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro an (Ziff. 4). Gegen die Ordnungsverfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. Ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschaltung der 33 Rufnummern lägen vor, auch wenn die Antragstellerin mit ihrem Geschäftsmodell keinen "Premium-Dienst" im Sinne von § 3 Nr. 17 a TKG anbiete. Es fänden nach § 66 l TKG die Vorschriften der §§ 66 a bis 66 k TKG auf die Dienstleistungen der Antragstellerin Anwendung, weil sie mit der konkreten Ausgestaltung ihrer Dienstleistungen die Kunden schützenden Vorschriften umgehe.

Mit ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend: Die Eingriffsvoraussetzungen lägen nicht vor. Das Umgehungsverbot des § 66 l TKG sei nicht in der gebotenen Art und Weise angewendet worden. Die Abschaltanordnung sei unverhältnismäßig. Insbesondere würden die (0)1805er-Nummern nicht mehr für das beanstandete Tarifmodell verwendet.

II.

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

Ob die Antragstellerin in diesem Verfahren antragsbefugt ist, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Zweifel bestehen deshalb, weil die Antragstellerin nicht Adressatin der behördlichen Maßnahme ist, sondern dies die Beigeladene ist, der gegenüber der Bescheid vom 2. Oktober 2009 aber längst in Bestandskraft erwachsen ist. Nach § 42 Abs. 2 VwGO (in entsprechender Anwendung) ist ein Rechtsbehelf nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung, er sehe sich in seinen Rechten verletzt, genügt für die Begründung der Antragsbefugnis nicht. Vielmehr müssen die von ihm dargelegten Tatsachen eine derartige Verletzung nicht ausgeschlossen erscheinen lassen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. September 2008 13 B 1331/08 -, NVwZ-RR 2009, 159.

Die Ordnungsverfügung der Bundesnetzagentur beseitigt nicht Nutzungsrechte der Antragstellerin aufgrund der Zuteilung von Rufnummern, die sie von der Bundesnetzagentur erhalten hat. Aus der - gegenüber der Beigeladenen als Verbindungsnetzbetreiberin verfügten - Abschaltung der Rufnummern folgen unmittelbar keine Gebote oder Verbote für die Antragstellerin, die sie zu beachten hätte. Andererseits ist es ihr aufgrund der Ordnungsverfügung nicht mehr möglich, von ihren Zuteilungsrechten Gebrauch zu machen, so dass sie ihr Geschäftsmodell nicht mehr verfolgen kann. Diese Fragen hat der Senat allerdings in diesem Verfahren nicht zu klären, weil das Aussetzungsbegehren der Antragstellerin aus anderen Gründen keinen Erfolg hat. Sie wären indes weitgehend nicht relevant, wenn die Bundesnetzagentur unmittelbar an den Zuteilungsnehmer eine Ordnungsverfügung richten und (etwa) die erteilte Rufnummer nach § 67 Abs. 1 Satz 4 TKG entziehen oder sonstige Maßnahmen nach § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG ihm gegenüber erlassen würde. In einem solchen Verfahren wäre der Bescheidadressat ohne Weiteres antragsbefugt.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur abschließenden Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der möglichst schnellen Durchsetzung der Verfügung fällt zum Nachteil der Antragstellerin aus. Das Verwaltungsgericht hat daher den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung der Bundesnetzagentur zu Recht abgelehnt. Ihr Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen.

Die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsverfügung vom 2. Oktober 2009 gemäß § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG liegen vor. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Antragstellerin mit der konkreten Ausgestaltung ihrer Dienstleistungen die aufgrund des Umgehungsverbots gemäß § 66 l TKG für Premium-Dienste gleichwohl anwendbaren Schutzvorschriften der §§ 66 a bis 66 k TKG nicht erfüllt. Premium-Dienste sind nach § 3 Nr. 17 a TKG Dienste, insbesondere der Rufnummernbereiche (0)190 und (0)900, bei denen über die Telekommunikationsdienstleistung hinaus eine weitere Dienstleistung erbracht wird, die gegenüber dem Anrufer gemeinsam mit der Telekommunikationsdienstleistung abgerechnet wird und die nicht einer anderen Nummernart zuzurechnen ist. Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 17 a TKG liegen hier nicht vor, weil die Antragstellerin gegenüber dem Anrufer keine Dienstleistung erbringt, die ihm gegenüber gemeinsam mit der Telekommunikationsdienstleistung abgerechnet wird. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 66 a ff. TKG, die das Vorliegen von Premium-Diensten voraussetzen, scheidet demnach aus. Nach § 66 l TKG finden diese Vorschriften jedoch ebenfalls Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. So liegt es hier.

Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift geschaffen, um dem gewünschten Verbraucherschutz besonderen Nachdruck zu verleihen. § 66 l TKG soll seine Wirkung entfalten, wenn eine Normauslegung der §§ 66 a ff. TKG ausscheidet, obgleich der Normzweck ihre Anwendung an sich rechtfertigen würde. Diese Regelung will erreichen, dass der Gesetzgeber die bestehenden Schutzbestimmungen nicht ständig den sich neu ergebenden Missbrauchsszenarien anpassen muss (BT-Drucks. 15/5213, S. 27).

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2008 13 B 668/08 , DVBl. 2008, 1129, m. w. N.

Die Rüge der Antragstellerin, die Anwendung von § 66 l TKG durch die Bundesnetzagentur und das Verwaltungsgericht seien nicht frei von rechtlichen Bedenken, führt die Beschwerde indessen nicht zum Erfolg.

Ausgehend von der Beschwerdebegründung der Antragstellerin geht es nicht um die Frage, ob der Gesetzgeber selbst detaillierte Normen gegen die vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten bei der Verwendung von Rufnummern zu erlassen hat oder ob ein gesetzliches Umgehungsverbot zur Schließung von Lücken im Telekommunikationsgesetz ausreichend ist. Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet den Gesetzgeber allerdings, Normen zu schaffen, die in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit genügen. Gesetzliche Regelungen müssen danach so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag, wobei es ausreichend ist, wenn der Rechtsunterworfene im Wege der Auslegung in zumutbarer Weise erkennen kann, ob eine Norm anwendbar ist.

Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, siehe z. B. Beschlüsse vom 2. Juni 2008 - 1 BvR 349/04 und 1 BvR 378/04 , NVwZ 2008, 1229, und vom 9. April 2003 1 BvL 1/01 und 1 BvR 1749/01 , BVerfGE 108, 52, jeweils m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 27. Mai 2009 13 A 228/08 , PharmR 2009, 460; zum Vorbehalt des Gesetzes im Bereich der Eingriffsverwaltung vgl. auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 44 RdNr. 46 ff., m. w. N.

Die Antragstellerin hat solch ein rechtsstaatliches Defizit des § 66 l TKG nicht aufgezeigt. Abgesehen hiervon geht der Senat bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Gesetzgeber den rechtsstaatlichen Grundsätzen mit der Schaffung des Umgehungsverbots des § 66 l TKG als Eingriffsermächtigung ausreichend Genüge getan hat und Zuteilungsnehmer von Rufnummern die Anwendbarkeit der §§ 66 a TKG hinreichend erkennen können.

Die Anwendung des § 66 l TKG begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.

Die Überlegungen der Antragstellerin zur Übertragbarkeit der Auslegung von § 42 der Abgabenordnung (AO) durch den Bundesfinanzhof führen die Beschwerde nicht zum Erfolg. Diese Vorschrift weist, wie bereits ihr Wortlaut zeigt, eine gänzlich andere Regelungsstruktur auf. Deren zentrales Merkmal des "Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten" kennt § 66 l TKG nicht. Allerdings ist der vom Bundesfinanzhof bejahte Gestaltungsmissbrauch i. S. v. § 42 AO, der (auch) von der Wahl einer gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessenen rechtlichen Gestaltung abhängt,

vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - IX R 77/06 , BFHE 221, 231 = DStR 2008, 1586,

Ausdruck eines allgemein tragfähigen Gedankens, der bei Anwendung der Generalklausel des § 66 l TKG zu berücksichtigen ist. Danach liegt eine rechtlich beachtliche Umgehung i. S. d. § 66 l TKG vor. Die Antragstellerin versucht, eine unangemessene vertragliche Gestaltung zu verwirklichen, ohne den nach dem Willen des Gesetzgebers wesentlichen Verbraucherschutz sicherzustellen. Es soll allein die Anwahl einer Rufnummer ausreichen, um einen Vertrag über eine kostenpflichtige weitere Dienstleistung abzuschließen; ein Schutz der Verbraucher, wie er von den §§ 66 a TKG gewährleistet wird, ist bei Erreichung des wirtschaftlichen Ziels der Antragstellerin nicht vorgesehen. Die Antragstellerin bildet durch die vertragliche Ausgestaltung ihres Dienstes daher genau die Gefahrensituation nach, die der Gesetzgeber mit den besonderen Schutzvorschriften des Telekommunikationsgesetzes belegt hat. Der Dienst der Antragstellerin unterscheidet sich von einem Premium-Dienst nur insoweit, als es an dem Merkmal einer gemeinsamen Abrechnung auf der Telefonrechnung fehlt. Es spricht angesichts dieser Umstände Vieles dafür, dass der Gesetzgeber, falls er anstelle eines Umgehungsverbots eine weitere Einzelfallregelung hätte schaffen wollen und diese Art der Ausgestaltung des Dienstes gekannt hätte, diese Praxis gleichfalls ausdrücklich verboten hätte.

Auch die von der Antragstellerin vorgebrachten weiteren Gründe vermögen die Richtigkeit dieser Bewertung nicht in Zweifel zu ziehen. Unzutreffend ist bereits die Annahme, das Verwaltungsgericht meine, ein sog. Telefonchat dürfe ausschließlich durch (0)900er Nummern angeboten und abgerechnet werden. Derartige Überlegungen hat das Verwaltungsgericht aber nicht angestellt. Auch die Ausführungen der Antragstellerin zum Tarifmodell, dass das Telekommunikationsgesetz eine monatliche Pauschale für die Benutzung eines Chats nicht kenne, geht an der Sache vorbei, weil allein eine kostenpflichtige weitere Dienstleistung in Rede steht. Im Übrigen legt das Telekommunikationsgesetz sich nicht auf bestimmte Tarifmodelle fest, sondern bestimmt das Schutzniveau für Verbraucher (vgl. § 66 d Abs. 3 TKG).

Die Ausführungen der Antragstellerin zur Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme verhelfen der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Liegen die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG vor, soll die Abschaltung der Rufnummer angeordnet werden. Mit Blick auf die ratio legis von § 67 Abs. 1 TKG, Verstöße bei der Nummernnutzung wegen des Verbraucher- und Kundenschutzes effektiv verfolgen zu können, hat der Gesetzgeber das Ermessen der Bundesnetzagentur durch eine Sollvorschrift bestimmt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. September 2008 - 13 B 1331/08 , a. a. O.

Dies bedeutet, dass die Behörde im Regelfall die Abschaltung anzuordnen hat. Ein Abweichen von diesem Grundsatz ist ihr daher nur in einem atypischen Fall gestattet, der hier bei summarischer Prüfung nicht erkennbar ist. Auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist ein Absehen von der Regel, dass die Abschaltung der Rufnummer zu erfolgen hat, nicht geboten. Die Abschaltungsverfügung ist zur Beseitigung des Verstoßes gegen § 66 a Satz 1, § 66 b Abs. 1 und § 66 d Abs. 1 TKG

nicht nur geeignet, sondern im Hinblick auf die (0)1805er-Nummern - auch erforderlich. Die Antragstellerin hat zwar vorgetragen, dass sie diese Nummern nicht mehr für das beanstandete Tarifmodell verwende. Bei summarischer Prüfung ist aber nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die Benutzung dieser Rufnummern auf Dauer unterlassen wird.

Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der Verfügung hält der Senat für überzeugend; er schließt sich ihnen an, wobei offen bleiben kann, ob Ziff. 2 und 4 des Bescheidtenors der Antragstellerin gegenüber überhaupt Wirkung entfalten kann.

Es bestehen schließlich keine rechtlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Ziff. 2 bis 4 des Bescheidtenors.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 26.01.2010
Az: 13 B 1742/09


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