Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Mai 2010
Aktenzeichen: 25 W (pat) 113/09
(BPatG: Beschluss v. 20.05.2010, Az.: 25 W (pat) 113/09)
Tenor
Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.
BPatG 154
Gründe
I.
Die Bezeichnung Naturgenussist als Wortmarke für die folgenden Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 30 und 32 angemeldet worden:
"Tee und teeähnliche Erzeugnisse (Kräutertees und Früchtetees) für medizinische Zwecke, auch vitaminisiert und/oder aromatisiert und/oder instantisiert und/oder mineralisiert; vitaminisierte Zuckerwaren; pharmazeutische Produkte aus oder unter Verwendung von Traubenzucker hergestellt; Traubenzucker oder diätetische Nährmittel für medizinische Zwecke in gepresster, flüssiger, pulverisierter oder dragierter Form, auch vitaminisiert und/oder mineralisiert, auch als Bestandteil für Nahrungsmittel und/oder nichtalkoholische Getränke; Tee und teeähnliche Erzeugnisse (Kräuterund Früchtetees) für Genusszwecke, auch vitaminisiert und/oder aromatisiert und/oder instantisiert und/oder mineralisiert; Tee-Extrakte; Zubereitungen überwiegend bestehend aus Tee-Extrakten und/oder Extrakten aus teeähnlichen Erzeugnissen in pulverisierter und/oder granulierter und/oder instantisierter Form; Getränkepulver und Fertiggetränke (soweit in Klasse 30 enthalten); Eistee; Getränke mit oder auf der Basis von Tee/Kräutertee/Früchtetee (auch in trinkfertiger Form und/oder Beimischung von Fruchtgetränken und/oder Fruchtsäften); Kakao; Kakaoextrakte für Nahrungsund Genusszwecke; Kakao-Erzeugnisse; Schokoladenpulver (auch in Mischung mit Milchpulver), insbesondere als Trinkschokoladenpulver; Zuckerwaren, insbesondere Traubenzucker und Traubenzucker-Komprimate für Nahrungszwecke, auch vitaminisiert und/oder mineralisiert; Traubenzucker für Nahrungszwecke in gepresster, flüssiger, pulverisierter oder dragierter Form (nicht für den medizinischen Gebrauch), auch als Bestandteil für Nahrungsmittel und/oder nichtalkoholische Getränke; feine backund Konditorwaren; Schokoladenwaren; alkoholfreie Getränke, insbesondere Fruchtgetränke und/oder Fruchtsäfte unter Beimischung von Tee/Kräutertee/Früchtetee; Energie-Getränke (Energy-Drinks); Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Mineralwasser und andere kohlensäurehaltigen Wässer; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken; Instantgetränkepulver zur Herstellung alkoholfreier Getränke; Extrakte und Essenzen zur Herstellung alkoholfreier Getränke".
Die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patentund Markenamts hat die Anmeldung mit zwei Beschlüssen vom 16. Juli 2007 und vom 28. November 2008, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, zurückgewiesen.
Die Markenstelle ist der Auffassung, dass die angemeldete Marke keine Unterscheidungskraft habe (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Der Markenbestandteil "Natur" stelle auf vielen Warengebieten eine zentrale und äußerst wichtige Beschaffenheitsangabe dar und finde in Alleinstellung oder mit weiteren Wortbestandteilen als besonderes Eigenschaftsund Wertversprechen Verwendung, um wesentliche Eigenschaften der jeweiligen Waren als "natürlich, naturbelassen, nicht künstlich, nicht synthetisch" zu beschreiben. Das Markenelement "Genuss" bedeute "das Genießen bzw. Freude, Annehmlichkeit, die jemand beim Genießen von etwas empfinde". Beide Begriffe seien in der angemeldeten Marke schlagwortartig zu einer Gesamtaussage im Sinne von "Natur genießen" bzw. "Genuss durch Natur" verbunden, die sich dem Verkehr ohne analysierende Schritte unmittelbar erschließe. Die angemeldete Marke enthalte in Bezug auf die beanspruchten Waren ausschließlich eine werbeübliche Aussage, mit der die Beschaffenheit und Bestimmung der so gekennzeichneten Waren als Naturprodukte bzw. Produkte, die auf natürlicher Basis oder mit natürlichen Zusatzstoffen hergestellt seien, beschrieben werde. Dies sei auch keine unübliche Angabe, wie die Verwendung des Begriffs "Naturgenuss" im Zusammenhang mit Lebensmitteln zeige. Der Verkehr werde die angemeldete Marke somit nicht als betrieblichen Herkunftshinweis auffassen. Auf Voreintragungen könne sich die Anmelderin nicht berufen, zumal von der Anmelderin genannte Beispiele entweder keinen eindeutig beschreibenden Sinngehalt hinsichtlich der beanspruchten Waren aufwiesen oder schutzbegründende Bildbestandteile enthielten. Dem stehe auch eine umfängliche Rechtsprechung des Bundespatentgerichts zum rein beschreibenden Sinngehalt des Wortes "Natur" in Alleinstellung oder mit weiteren sachbezogenen Wortelementen gegenüber (28 W (pat) 54/99 - Ein schönes Stück Natur; 26 W (pat) 155/02 - nature; 28 W (pat) 200/96 - Natur; 24 W (pat) 106/04 - Frische der Natur; 28 W (pat) 138/97 - Natur Küche). Ferner könne dahingestellt bleiben, ob auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG erfüllt sei.
Dagegen richtet sich die von der Anmelderin erhobene Beschwerde.
Die Anmelderin beantragt, die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patentund Markenamts vom 16. Juli 2007 und vom 28. November 2008 aufzuheben.
Sie ist der Auffassung, die angemeldete Wortmarke sei keine unmittelbar beschreibende Angabe für die beanspruchten Waren, ferner keine werbeübliche Sachaussage und damit unterscheidungskräftig. Beide Wortelemente hätten für sich gesehen und in ihrer Kombination viele Bedeutungen, die nicht in den Bereich der Beschreibung der beanspruchten Waren fielen. Der Begriff "Natur" habe zahlreiche unterschiedliche Bedeutungen, zum einen für alles, was nicht vom Menschen geschaffen sei, zum anderen als Antonym zum Begriff "Kultur" in der Philosophie, für Ressourcen in der Ökologie, jedoch nicht mit dem von der Markenstelle zugrundegelegten Verständnis. Auch der Begriff "Genuss" habe viele Bedeutungen, nicht nur im Zusammenhang mit dem Konsum von Nahrungsmitteln sondern auch hinsichtlich geistiger Genüsse (Musik, Literatur), wobei dieser Begriff in welcher Form auch immer rein subjektiv definiert werde. Auch die Wortkombination "Naturgenuss" sei vage und unbestimmt, da es sich um eine Wortkreation handele, die viele Interpretationsmöglichkeiten offen lasse. Dabei fehle aber ein Bezug zu den angemeldeten Waren. Die angemeldete Marke beschreibe nicht die Qualität, Herkunft, Verarbeitungsart, Verwendungszweck, Inhaltsstoffe, Geschmacksrichtung, Wirkung und Bestandteile der beanspruchten waren, bei denen es sich im Wesentlichen um Lebensmittel handele. Komplexe Aussagen wie "auf natürlicher Basis hergestellt" oder "mit natürlichen Zusatzstoffen" könnten der angemeldeten Wortmarke nicht entnommen werden. Die Entscheidung 28 W (pat) 218/03 - Frühstücksgenuss könne nicht herangezogen werden, da dort ein eindeutiger Bezug zu den beanspruchten Lebensmitteln gegeben sei. Die weiteren Belege der Markenstelle seien nicht aussagekräftig. Da die angemeldete Marke kurz, prägnant und originell sei, Interpretationsmöglichkeiten offenlasse und einen suggestiven, jedoch nicht beschreibenden Anklang habe, handele es sich nicht um eine rein werbliche Anpreisung, sondern ermögliche die Identifizierung der betrieblichen Herkunft der beanspruchten Waren. Die von der Markenstelle zitierte Rechtsprechung zur Bedeutung des Wortes "Natur" sei für den vorliegenden Fall nicht aussagekräftig. Da der angemeldeten Marke kein beschreibender Aussagegehalt zukomme, sei auch kein Freihaltebedürfnis im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG gegeben.
Mit der Terminsladung sind der Anmelderin zahlreiche Belege aus einer Internet-Recherche zur Verwendung des Begriffs "Naturgenuss" im Bereich von Lebensmitteln und Getränken übermittelt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle, die Schriftsätze der Anmelderin und den weiteren Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die angemeldete Marke weist entgegen der Auffassung der Anmelderin keine hinreichende Unterscheidungskraft auf (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), so dass die Markenstelle die Anmeldung zu Recht zurückgewiesen hat (§ 37 Abs. 1 MarkenG).
Unterscheidungskraft ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion einer Marke liegt darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 [Tz. 30, 31] -Henkel; BGH GRUR 2006, 850 [Tz. 17] -FUSSBALL WM 2006). Keine Unterscheidungskraft besitzen insbesondere Bezeichnungen, denen der Verkehr im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnet (vgl. BGH 2006, 850 [Tz. 19] -FUSSBALL WM 2006; EuGH GRUR 2004, 674 [Tz. 86] -Postkantoor). Darüber hinaus fehlt die Unterscheidungskraft u. a. aber auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar nicht unmittelbar beschreiben, mit denen aber ein enger beschreibender Bezug zu dem betreffenden Produkt hergestellt wird (BGH -FUSSBALL WM 2006 a. a. O.). Dabei ist maßgeblich auf die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise abzustellen, wobei dies alle Kreise sind, in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann, wobei es auf die Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Bereich der einschlägigen Waren und Dienstleistungen ankommt (vgl. EuGH GRUR 2004, 943 [Tz. 24] -SAT.2; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 8, Rdnr. 83 m. w. N.).
Das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft ist im Lichte des Allgemeininteresses auszulegen, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (vgl. EuGH GRUR 2003, 604 [Tz. 60] -Libertel). Dementsprechend hat der EuGH mehrfach eine strenge und vollständige, nicht auf ein Mindestmaß beschränkte Prüfung von absoluten Schutzhindernissen angemahnt, um eine ungerechtfertigte Eintragung von Marken zu verhindern (EuGH GRUR 2003, 606 [Tz. 59] -Libertel; GRUR 2004, 674 [Tz. 45] -Postkantoor; GRUR 2004, 1027 [Tz. 45] -Das Prinzip der Bequemlichkeit). Auch der BGH hat klargestellt, dass nicht nur eine summarische Prüfung erfolgen darf; vielmehr sind die Gesichtspunkte umfassend zu würdigen, wobei im Rahmen der strengen und umfassenden Prüfung zu berücksichtigen ist, dass auch eine geringe Unterscheidungskraft ausreicht, um das Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2009, 949 [Tz. 11] -My World).
Hiervon ausgehend weist die angemeldete Marke in Bezug auf die beanspruchten Waren keine Unterscheidungskraft auf.
Zwar ist der (Gesamt-)Begriff "Naturgenuss" lexikalisch nicht nachweisbar. Allerdings sind die beiden Wortbestandteile bzw. Begriffe "Natur" und "Genuss" sind -wie im Beschluss der Markenstelle vom 28. November 2008 zutreffend ausgeführt -in der angemeldeten Marke in schlagwortartiger Weise zu einer Gesamtaussage im Sinne von "Natur genießen" bzw. "Genuss durch Natur" oder "Genuss aus der Natur" verbunden. Diese Aussage erschließt sich auch dem Verkehr sofort, unmittelbar und ohne analysierende Schritte. In der für die Beurteilung maßgeblichen Verbindung mit den beanspruchten Waren, die im wesentlichen aus Tee, Früchtetee, Kräutertee, (Trauben-)Zucker und daraus oder damit hergestellten Nahrungsmitteln, Getränken, Getränkepulvern, Fertiggetränken, Mineralwässer und Fruchtgetränken bestehen, enthält die angemeldete Wortkombination lediglich eine werbeübliche Aussage, mit der die Beschaffenheit und Bestimmung dieser Produkte dahingehend beschrieben werden, dass es sich um Naturprodukte bzw. um solche Produkte handelt, die auf natürlicher Basis hergestellt worden sind oder natürliche Zusatzstoffe enthalten und die aus diesem Grund dem Genuss des Verbrauchers dienen sollen. Dieser Sinngehalt der erschließt sich dem Verkehr im Hinblick auf alle beanspruchten Waren ohne weiteres, da es sich bei sämtlichen Waren um entsprechende Naturprodukte handeln kann, die dazu geeignet und bestimmt sind, dem Genuss des Konsumenten zu dienen. Ausgehend davon erscheint es ausgeschlossen, dass die angemeldete Bezeichnung im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werden kann.
Im Übrigen wird der Begriff "Naturgenuss" in der vorstehend dargelegten Bedeutung auch rein tatsächlich in einer großen Anzahl von Fällen im Zusammenhang mit verschiedensten Lebensmitteln und Lebensmittelangeboten (z. B. Käse, Brotaufstriche, Brot bzw. Backwaren, Fleisch, Wildschinken und Wildspezialitäten, Gourmetküche, zum Verzehr bestimmte Wildpflanzen, Kräuterbitter, Wein, Tee, Milch) und von verschiedenen Anbietern verwendet. Insoweit wird auf die der Anmelderin mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten Belege Bezug genommen.
Soweit die Anmelderin vor der Markenstelle auf aus ihrer Sicht vergleichbare Voreintragungen verwiesen hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Bestehende Eintragungen sind zwar zu berücksichtigen, vermögen aber keine für den zu entscheidenden Fall rechtlich bindende Wirkung zu entfalten. Dies hat der EuGH mehrfach und zuletzt auf ein dahingehend gerichtetes Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich nochmals bestätigt (vgl. EuGH GRUR 2009, 667 -Bild.T-Onlineu. ZVS unter Hinweis u. a. auf die Entscheidungen EuGH GRUR 2008, 229 (Nr. 47 -51) -BioID; GRUR 2004, 674 (Nr. 42 -44) -Postkantoor; GRUR 2004, 428 (Nr. 63) -Henkel). Dies entspricht auch der ständiger Rechtsprechung des Bundespatentgerichts und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 2008, 1093 (Nr. 18) -Marlene-Dietrich-Bildnis; BPatG GRUR 2007, 333 -Papaya mit ausführlicher Begründung und mit zahlreichen Literaturund Rechtsprechungsnachweisen). Mehrere Senate des BPatG, u. a. auch der erkennende Senat, haben sich zur Frage der Voreintragungen erst in jüngster Zeit intensiv auseinandergesetzt (vgl. dazu GRUR 2009, 1175 -Burg Lissingen; MarkenR 2010, 139 -VOLKSFLAT und MarkenR 2010, 145 -Linuxwerkstatt), wobei in diesen Entscheidungen teilweise darauf hingewiesen wird, dass sich auch Äußerungen zur Schutzfähigkeit von im Register eingetragenen Marken verbieten, weil diese Marken durch ihre Nennung nicht verfahrensgegenständlich werden und deren Inhaber nach den markenrechtlichen Verfahrensbestimmungen auch nicht am Verfahren beteiligt werden können. Die Frage der Schutzfähigkeit einer angemeldeten Marke ist keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Entscheidung, die allein auf der Grundlage des Gesetzes und nicht auf der Grundlage einer vorherigen Entscheidungspraxis zu beurteilen ist. Aus dem Gebot rechtmäßigen Handelns folgt, dass sich niemand auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen kann, um eine identische Entscheidung zu erlangen.
Da somit der angemeldeten Marke bereits jegliche Unterscheidungskraft fehlt (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), kommt es auf das Vorliegen eines Freihaltebedürfnisses im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht an. Die Beschwerde war nach alledem zurückzuweisen.
Knoll Richter Merzbach ist urlaubsbe-Metternich dingt abwesend und deshalb verhindert zu unterschreiben.
Knoll Hu
BPatG:
Beschluss v. 20.05.2010
Az: 25 W (pat) 113/09
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