Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Januar 2001
Aktenzeichen: 7 W (pat) 1/00

(BPatG: Beschluss v. 31.01.2001, Az.: 7 W (pat) 1/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. November 1999 aufgehoben und das Patent widerrufen.

Gründe

I Die Beschwerde der Einsprechenden ist gegen den Beschluß der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. November 1999 gerichtet, mit dem das am 31. August 1992 angemeldete und am 30. Mai 1996 veröffentlichte Patent 42 29 054 auf der Grundlage des am 7. Februar 1997 eingereichten Patentanspruchs 1 sowie der erteilten Patentansprüche 2 und 3 beschränkt aufrechterhalten worden ist.

Die Einsprechende macht in der mündlichen Verhandlung geltend, der Gegenstand des angefochtenen Patents beruhe gegenüber dem Stand der Technik ua nach der EP 0 493 972 A2 (im weiteren als D5 bezeichnet) und dem Prospekt "Pneumatik Funktionsverschraubungen" der Firma Legris, Ausgabe 4/84 (D13) nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin legt in der mündlichen Verhandlung einen neuen Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und einen neuen Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 vor und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 bzw nach Hilfsantrag 2, im übrigen nach Hauptantrag.

Sie widerspricht der Einsprechenden in allen Punkten und macht geltend, daß der Patentgegenstand dem Fachmann nicht durch die insgesamt aufgezeigten Entgegenhaltungen nahegelegt werde. Im übrigen bestreitet sie die Zugehörigkeit der entgegengehaltenen Firmen-Prospekte zum Stand der Technik.

Der dem angefochtenen Beschluß zugrundeliegende Patentanspruch 1 lautet:

Funktionsbaustein, insbesondere für pneumatische Medien, für die Mehrfachanordnung mit jeweils einer Grundplatte, in der Leitungsanschlüsse für Arbeitsleitungen, Druckleitungen und Entlüftungsleitungen vorhanden sind, mit jeweils auf einer oberen Grundplatten-Seitenfläche angeordnetem Magnetventil oder pneumatisch betätigtem Ventil, wobei in der Grundplatte entweder von einer der hinteren Grundplatten-Stirnflächen gegenüberliegenden vorderen Grundplatten-Stirnfläche oder von der Unterseite her oder von der hinteren Grundplatten-Stirnfläche her Arbeitsleitungen zur oberen Grundplatten-Seitenfläche geführt sind, wobei in die Arbeitsleitungen der Grundplatte dichtende Einsatzbuchsen eingesetzt sind, dadurch gekennzeichnet, daß in diese Arbeitsleitungen an der vorderen Grundplatten-Stirnfläche oder an der Unterseite oder an der hinteren Grundplatten-Stirnfläche Einzelbausteine einsteckbar sind, deren Breite nicht größer als die Dicke der Grundplatte ist, wobei die Einzelbausteine mit Steckschäften versehen sind, die in die Einsatzbuchsen druckdicht passen und von denen außerdem Leitungen zu den jeweiligen Aktuatoren führen.

Im Wortlaut der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen ist gegenüber der aufrechterhaltenen Fassung der Begriff "Einzelbausteine" durch die Wortfolge "Drosselrückschlagventile oder Druckindikatoren oder Schnellentlüftungsventile", im letzten Merkmal des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 zusätzlich noch die Wortfolge "von denen" durch die Wortfolge "auf der dem Steckschaft gegenüberliegenden Seite der" ersetzt worden.

Dem Patentanspruch 1 nachgeordnet und auf ihn rückbezogen sind weitere Patentansprüche 2 und 3.

Für weitere Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch Erfolg. Der angefochtene Patentgegenstand stellt keine patentfähige Erfindung iSd § 1 bis § 5 PatG dar.

1. Bei dem Prospekt "Pneumatik Funktionsverschraubungen" der Legris GmbH (D13) handelt es sich um eine Druckschrift, die vor dem Anmeldetag des angefochtenen Patents einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich war. Sein Inhalt gehört daher zum Stand der Technik iSd § 3 Abs 1 PatG.

Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung ein Original des genannten Prospektes vorgelegt. Der Prospekt trägt auf der letzten Seite den Aufdruck "Bestell-Nr. 9906 Ausgabe 4/84" sowie den Hinweis "Unser LEGRIS Fachberater in Ihrer Nähe...Nehmen Sie bitte Kontakt mit ihm auf". Auf der Seite davor sind die Vertriebsstandorte in der Bundesrepublik Deutschland aufgelistet. Aus diesen Angaben ergibt sich, daß der Prospekt einen auf 1984 bezogenen Produktkatalog darstellt, der zur Information einer unbestimmten Zahl von Interessenten über Pneumatik-Funktionsverschraubungen der Firma Legris bestimmt war und der daher nach der Lebenserfahrung im Laufe des Jahres 1984 an kaufinteressierte Fachkreise verteilt worden ist. Da die Anmeldung des angefochtenen Patents erst mehr als sechs Jahre später erfolgte und im übrigen die Patentinhaberin keine Beweisanzeichen für eine andere Deutung der dem Prospekt entnehmbaren Ausgabedaten vorgetragen hat, ist davon auszugehen, daß der besagte Prospekt vor dem Anmeldetag des Patents der Öffentlichkeit zugänglich war (ebenso BPatG, Beschluß vom 15.2.91, in GRUR 1991, 821).

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der D5 ist ein Funktionsbaustein bekannt, der sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 aufweist. Der bekannte Funktionsbaustein (vgl Fig 4 u. 6 bis 8 iVm Patentschrift Sp 4 Z 29 bis 43 u. Sp 6 Z 24 bis 54) besteht aus einer Grundplatte (manifold base bzw subsoleplate 31) mit Leitungsanschlüssen (37 bis 39b) für Arbeits-, Druck- und Entlüftungsleitungen und mit auf der oberen Grundplatten-Seitenfläche (31a) angeordnetem, pneumatisch betätigbarem Ventil (21). Von der oberen Grundplatten-Seitenfläche führen Arbeitsleitungen innerhalb der Grundplatte zu deren vorderer Stirnfläche (front end surface 31c). In die Auslässe (43a,b) dieser Arbeitsleitungen sind dichtende Einsatzbuchsen (onetouch pipe joints 44) eingesetzt, mittels welchen - wie der Fachmann, hier ein auf dem Gebiet der Hydraulik und Pneumatik erfahrener Maschinenbauingenieur, gedanklich mitliest - Rohrleitungen von und zu nicht näher dargestellten Arbeitszylindern anschließbar sind. Mehrere dieser Funktionsbausteine sind zu einer parallelen Mehrfachanordnung verbindbar (Fig 8).

Der Patentgegenstand nach Anspruch 1 unterscheidet sich von dem bekannten Funktionsbaustein durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen Merkmale, dh im wesentlichen dadurch, daß in die Leitungen zu den Aktuatoren bzw Arbeitszylindern Einzelbausteine angeordnet sind, wobei die Einzelbausteine mittels Steckschäften unmittelbar in die entsprechenden Anschlußöffnungen der Grundplatte einsteckbar sind und die Breite der Einzelbausteine nicht größer als die Dicke der Grundplatte ist. Als Einzelbausteine sind in der Patentschrift Drosselrückschlagventile, Schnellentlüftungsventile und Druckindikatoren genannt (Sp 2 Z 18 bis 25 u Z 61 bis 63).

Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung sinngemäß ausgeführt, daß durch die gegenüber D5 verbleibenden Unterschiedsmerkmale ein Baukastenprinzip verwirklicht werde, durch das die Funktionalität des patentgemäßen Funktionsbausteins nach Belieben und mit geringem Montageaufwand änderbar sei, wobei durch das unmittelbare Einstecken des Einzelbausteins in die Grundplatte allein schon eine befriedigend stabile Befestigung des Einzelbausteins erreicht werde.

In der D13 ist schon aufgezeigt, Mehrwegeventile mit pneumatischen Einzelbausteinen, die zusätzliche Funktionen ermöglichen, hier sog Drosselrückschlag-Verschraubungen, Energiespar- bzw Druckreduzier-Verschraubungen oder Signal-Verschraubungen (Seiten C1, C2), baulich zu kombinieren (ua Seite C4 unten u. Seite C6 oben). Dazu sind die Einzelbausteine in die Rohrleitungen jeweils zwischen einem Mehrwegeventil und einem Arbeitszylinder bzw Aktuator angeordnet und ua unmittelbar am Wegeventil befestigbar, hier idR mittels eines Gewindezapfens. Zwangsläufig gehen danach in patentgemäßer Weise die Leitungen zu den Aktuatoren von den Einzelbausteinen aus. Damit war bereits vor dem Anmeldetag des Patents das geltend gemachte Baukastenprinzip der einschlägigen Fachwelt bekannt.

Greift der Fachmann das durch D13 angeregte Baukastenprinzip nun auf, um es zur Nutzung seiner bekannten Vorteile (Funktionenwechsel oder Funktionergänzung ohne Änderung des Wegeventils bzw des zentralen Funktionsbausteins selbst) in Verbindung mit dem bekannten Funktionsbaustein für Mehrfachanordnung nach D5 anzuwenden, verbleibt noch die Aufgabe, die Verbindung zwischen Einzelbaustein und Grundplatte sowie deren Breitenmaße aufeinander abzustimmen. Letzteres bietet sich bei Mehrfachanordnung von Funktionsbausteinen zwecks Erreichung möglichst geringer Abmaße von selbst an. Nachdem am Funktionsbaustein nach D5 die Anschlüsse für die Arbeitsleitungen bereits als Steckanschlüsse ausgebildet sind und die damit verbundenen Montagevorteile unter den beengten baulichen Verhältnissen bei Mehrfachanordnung der Funktionsbausteine für den Fachmann auf der Hand liegen, hat er nach Überzeugung des Senats Veranlassung gehabt, die Einzelbausteine mit Steckschäften auszurüsten. Damit gelangte er aber ohne erfinderische Überlegungen zur Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag.

Der von der Patentinhaberin vorgetragenen Auffassung, nach der der Fachmann in die Anschlußbohrungen der Grundplatte vorrangig Gewinde eingeschnitten hätte, um die aus D13 bekannten Einzelbausteine mit Schraubanschlüssen unverändert übernehmen zu können, vermochte sich der Senat nicht anzuschließen, da es dem Fachmann im Hinblick auf eine funktionale Ergänzung der Funktionsbausteine in Mehrfachanordnung vorrangig auf eine einfache Montage, weniger dagegen auf die zunächst vorzunehmenden Anpassungen der Anschlüsse (Änderungen der Gewindeanschlüsse in Steckanschlüsse oder umgekehrt), die wohl für beide Alternativen etwa gleichgroße Aufwendungen erfordern, ankommen dürfte und im übrigen keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die ein Außerachtlassen der durch die Steckanschlüsse bedingten und bekannten Montagevorteile in den Überlegungen des Fachmannes hätten begründen können. Daß Steckverbindungen, deren Bekanntsein die Patentinhaberin nicht grundsätzlich bestritten hat, die genannten Vorteile aufweisen, kommt überdies in D13 (Seite C23) durch die Bezeichnung "Blitzanschluß" für die Steckanschlüsse bei einer sog Sparverschraubung und bei Einsteckmanometern (Druckindikatoren) zum Ausdruck. Diese Beispiele belegen auch, daß - entgegen der Ansicht der Patentinhaberin - pneumatische Einzelbausteine mit Steckanschlüssen bereits zum Stand der Technik gehörten.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat somit keinen Bestand.

3. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist nach Vorstehendem ebenfalls nicht patentfähig, weil Einzelbausteine in Gestalt von Drosselrückschlagventilen bereits in der D13 aufgezeigt sind und auch die alternativ beanspruchten Funktionen von Einzelbausteinen im Griffbereich des auf dem Gebiet der Hydraulik und Pneumatik tätigen Fachmannes liegen.

4. Dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2, der den Patentgegenstand gemäß Hilfsantrag 1 weiter dadurch beschränkt, daß die Leitungen zu den Aktuatoren von der den Steckschäften gegenüberliegenden Seite des Einzelbausteins abgehen, kann eine erfinderische Bedeutung nicht zuerkannt werden, da der Fachmann im Rahmen seiner fachlichen Routine die Wahl des Ortes der Ab- oder Zuleitung des Strömungsmediums am Einzelbaustein, stets den Erfordernissen und örtlichen Gegebenheiten angepasst, treffen wird. Im übrigen gibt zu diesem Merkmal schon die D13 Anregung (Seite C10 unten).

5. Die auf den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag rückbezogenen Patentansprüche 2 und 3, deren Merkmale in den Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen aufgenommen sind, können nach obigen Ausführungen ebenfalls keinen Bestand mehr haben.

Dr. Schnegg Eberhard Dr. Pösentrup Frühauf Hu






BPatG:
Beschluss v. 31.01.2001
Az: 7 W (pat) 1/00


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