Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. April 2005
Aktenzeichen: 29 W (pat) 190/03
(BPatG: Beschluss v. 27.04.2005, Az.: 29 W (pat) 190/03)
Tenor
I. Der Beschluss der Markenstelle Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Mai 2003 wird aufgehoben, soweit der Widerspruch hinsichtlich der Dienstleistungen "Anfertigen von betriebswirtschaftlichen Analysen; Organisationsberatung; betriebswirtschaftliche Beratung; Telekommunikation; Beratung, Planung, Vertrieb, Einrichtung, Betrieb und Vermietung von Rufnummern, Anschlüssen, Anlagen und Systemen im Bereich der Telekommunikation und Telekommunikationsmehrwertdienste (Faxabruf-, Daten- und Audiotextdienste, Callcenter, Servicerufnummern Service 0130, 0180, 0190, 0800, 0900 etc., Internetdienste), Service-Providing; Planung, Einrichtung, Betrieb und Vermietung von Call-Centern; Anbieten und Mitteilen von auch auf Datenbanken gespeicherten Informationen und Daten, die insbesondere Informationen von allgemeinem Interesse enthalten, im Wege eines automatischen oder computergesteuerten Ansage-, Fax- oder Datenabrufdienstes, auch in Verbindung mit dem Internet; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" zurückgewiesen worden ist.
II. Das Deutsche Patent- und Markenamt wird angewiesen, insoweit die Löschung der Marke 300 10 074 anzuordnen.
III. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegen die am 23.5.2001 veröffentlichte Eintragung der Wort-/ Bildmarke 300 10 074 Grafik der Marke 30010074.4 für die Dienstleistungen Klasse 35: Werbung; Büroarbeiten; Beschaffen, Sammeln, Aktualisieren, Auswerten, Zusammenstellen und Liefern von Wirtschaftsinformationen und geschäftlichen Informationen, auch unter Verwendung von Datenbanken; Anfertigen von betriebswirtschaftlichen Analysen, Marketing, Marktforschung und Marktanalyse; Unternehmensberatung; Organisationsberatung; betriebswirtschaftliche Beratung;
Klasse 38: Telekommunikation; Beratung, Planung, Vertrieb, Einrichtung, Betrieb und Vermietung von Rufnummern, Anschlüssen, Anlagen und Systemen im Bereich der Telekommunikation und Telekommunikationsmehrwertdienste (Faxabruf-, Daten- und Audiotextdienste, Callcenter, Servicerufnummern Service 0130, 0180, 0190, 0800, 0900 etc., Internetdienste), Service-Providing; Planung, Einrichtung, Betrieb und Vermietung von Call-Centern; Anbieten und Mitteilen von auch auf Datenbanken gespeicherten Informationen und Daten, die insbesondere Informationen von allgemeinem Interesse enthalten, im Wege eines automatischen oder computergesteuerten Ansage-, Fax- oder Datenabrufdienstes, auch in Verbindung mit dem Internet;
Klasse 42: Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitungist Widerspruch eingelegt worden aus der prioritätsälteren Gemeinschaftswortmarke 1249341 VERSATEL eingetragen am 4.1.2001 für die Waren und Dienstleistungen Klasse 9: Telekommunikationsausrüstungen; Computersoftware-Programme;
Klasse 38: Telekommunikationsdienste;
Klasse 42: Beratung, Forschung und Auskünfte auf dem Gebiet der Telekommunikation.
Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 27. Mai 2003 zurückgewiesen. Die beiderseitigen Marken seien zwar für hochgradig ähnliche Dienstleistungen bestimmt, den überdurchschnittlichen Anforderungen an den Markenabstand würden die Zeichen aber dennoch gerecht werden. Die graphische Ausgestaltung der jüngeren Marke finde in der Wortmarke der Widerspruchsmarke keine Entsprechung und rufe daher eine deutlich andere Gesamtwirkung hervor. In klanglicher Hinsicht sei der Wortanfang durch "V" bzw. "S" entscheidend anders. Wortanfänge würden im übrigen mehr beachtet als Wortenden, wobei sich vorliegend nur "Serva-" und "Versa-" gegenüberstünden, da "-tel" als geläufige Abkürzung für "Telefon, Telekommunikation" kennzeichnungsschwach sei. Auch die begrifflichen Anklänge einerseits an "Service" und andererseits an "Vers" bzw. "versus" wirkten sich verwechslungsmindernd aus.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden vom 11. Juli 2003 (Bl. 5 d.A.). Sie hat im Widerspruchsverfahren vorgetragen, zwischen den für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren und Dienstleistungen und den Dienstleistungen der jüngeren Marke bestünde Identität bzw. Ähnlichkeit. Der Abstand zwischen den Zeichen sei nicht ausreichend, da diese klanglich von der gleichen Vokalfolge "e - a - e" geprägt würden und damit ein identisches Klanggerüst aufwiesen. Die Zeichen würden darüber hinaus exakt aus den gleichen Konsonanten, allerdings in vertauschter Stellung, bestehen. Bei flüchtiger Betrachtung nehme der Verkehr dies allerdings nicht war. Mangels eines konkreten Begriffsinhalts sehe das Publikum in beiden Markenworten einen Phantasiebegriff.
Die Widersprechende beantragt (Bl. 27 d.A.), den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Mai 2003 aufzuheben und die Löschung der Marke 300 10 074 anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt (Bl. 27 d.A.), die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke keine Identität oder Ähnlichkeit zu denen der prioritätsjüngeren Marke aufwiesen. Die im Dienstleistungsverzeichnis der jüngeren Marke aufgeführten Mehrwertdienste seien nicht identisch mit den Telekommunikationsdiensten der Widersprechenden. Die Endgeräte der Klasse 9 der Beschwerdeführerin könnten mit den Dienstleistungen der Markeninhaberin insgesamt nicht verglichen werden. Da auch sonst keine Ähnlichkeit bestehe, könne kein großer Abstand zwischen den Marken verlangt werden. Im übrigen bestünden weder klanglich noch schriftbildlich oder begrifflich Ähnlichkeiten. Klanglich bestehe ein Unterschied wegen der verschiedenen stimmhaften Anfangskonsonanten, die auch schriftbildlich als völlig verschiedene Buchstaben wahrgenommen würden. Entscheidend sei auch der erkennbare Sinnunterschied der Marken. Bei der jüngeren Marke verstehe der Verkehr "serve" im Sinne von "servieren" oder "Server" (Computer, der Dienste zur Verfügung stellt), wohingegen die Widerspruchsmarke keine erkennbare Bedeutung habe und als Phantasiebegriff wahrgenommen werde.
II.
Die gem. § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Soweit die Waren und Dienstleistungen identisch bzw. hochgradig ähnlich sind, besteht nach Auffassung des Senats bei den sich gegenüberstehenden Marken die Gefahr von Verwechslungen gem. §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Im übrigen verbleibt es bei der Entscheidung der Markenstelle, mit der Folge, dass die Beschwerde insoweit zurückzuweisen war.
1. Ob Verwechslungsgefahr besteht, hängt gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG von der Identität oder Ähnlichkeit der Marken einerseits und von der Identität und Ähnlichkeit der durch diese Marken erfassten Waren bzw. Dienstleistungen andererseits ab. Daneben sind alle Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Verwechslungsgefahr auswirken können, vor allem die Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke (vgl. EuGH GRUR 1998, 387 - Sabèl/Puma; GRUR Int. 1998, 875, 876 f. - Canon; GRUR Int. 2000, 899 - Adidas/Marca Moda; BGH GRUR 1996, 198 - Springende Raubkatze; GRUR 1996, 200 - Innovadiclophlont; GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHE/TISSERAND; GRUR 2002, 167 - Bit/Bud m.w.N; GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder).
2. Der Einwand der Nichtbenutzung wurde nicht erhoben, weshalb von der Registerlage auszugehen ist. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs die Umstände zu berücksichtigen, die das Verhältnis der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen kennzeichnen. Zu den maßgeblichen Kriterien gehören insbesondere die Art, der Verwendungszweck und die Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. Eine die Verwechslungsgefahr begründende Ähnlichkeit liegt dann vor, wenn das Publikum aufgrund der Branchenübung im maßgeblichen Waren- und Dienstleistungssektor annimmt, dass die Waren oder Dienstleistungen aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen (st. Rsp; vgl. EuGH GRUR 1998, 922 Rn. 23 - Canon; BGH WRP 2004, 357, 359 - GeDIOS; GRUR 1999, 731, 732 - Canon II; GRUR 1999, 586, 587 - White Lion).
2.1. Im Bereich der Klasse 38 besteht Identität, da einmal "Telekommunikation" und im einzelnen aufgeschlüsselte weitere Telekommunikationsdienstleistungen, im anderen Fall "Telekommunikationsdienste" eingetragen sind. In Klasse 42 besteht eine hohe Ähnlichkeit zwischen dem "Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" der jüngeren und "Forschung auf dem Gebiet der Telekommunikation" der älteren Marke, da "Forschung" auch das Erstellen von neuen Programmen sein kann, und das Gebiet der Telekommunikation allgemein auch die Datenverarbeitung umfasst. Ähnlichkeit besteht ebenfalls zwischen den "Computersoftware-Programmen" in Klasse 9 der Widerspruchsmarke und dem "Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" der jüngeren Marke, da eine Ähnlichkeit zwischen Ware und Dienstleistung dann möglich ist, wenn der Verkehr der Fehlvorstellung unterliegt, der Hersteller der Ware trete auch als Anbieter der Dienstleistung auf oder umgekehrt (BGH GRUR 2004, 241, 242 - GeDIOS), was in diesem Segment der Fall ist. Eine Ähnlichkeit besteht ebenfalls zwischen den Dienstleistungen "Anfertigen von betriebswirtschaftlichen Analysen; Organisationsberatung; betriebswirtschaftliche Beratung" der jüngeren und "Beratung und Auskunft auf dem Gebiet der Telekommunikation" der älteren Marke, da auch technische Belange bei der betriebswirtschaftlichen Beratung eine maßgebliche Rolle spielen können. Soweit Identität bzw. Ähnlichkeit der Dienstleistungen festgestellt wurde, ist damit ein großer Abstand erforderlich.
2.2. Nicht identisch oder ähnlich zu Waren oder Dienstleistungen der Widersprechenden sind die von der prioritätsjüngeren Marke beanspruchten Dienstleistungen "Werbung; Büroarbeiten; Beschaffen, Sammeln, Aktualisieren, Auswerten, Zusammenstellen und Liefern von Wirtschaftsinformationen und geschäftlichen Informationen, auch unter Verwendung von Datenbanken; Marketing, Marktforschung und Marktanalyse; Unternehmensberatung" in Klasse 35. Eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen besteht für diese Dienstleistungen daher nicht.
3. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist normal. Für eine Schwächung oder Stärkung liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Der zwischen den Marken einzuhaltende Abstand verändert sich dadurch nicht.
4. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es darauf an, wie die Marke vom angesprochenen potentiellen Kunden, der nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet, als Ganzes wahrgenommen wird (vgl. EuGH GRUR Int. 2004, 843 Rn. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 1999, 241, 243 - Lions; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX). Auszugehen ist außerdem von dem Grundsatz, dass sich der Verkehr bei einer aus Wortbestandteilen und grafischen Elementen zusammengesetzten Marke in der Regel an den Wortelementen als der einfachsten Form der Benennung orientiert (vgl. BGH GRUR 2002, 167, 169 - Bit/Bud). Die Ähnlichkeit ist sodann anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks, sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr in der Regel genügt, wenn die Zeichen in einer Hinsicht ähnlich sind (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBAFLEX; WRP 2003, 1436, 1438 - Kelly mwN).
4.1. Die Vergleichszeichen sind in klanglicher Hinsicht verwechselbar. Beide Zeichen weisen denselben Lautbestand und die gleiche Vokalfolge "e - a - e" auf. Sie sind außerdem hinsichtlich Silbenanzahl und -gliederung, Sprechrhythmus und Betonung identisch. Das Buchstabengefüge "-eratel" der Vergleichszeichen weicht lediglich im ersten und vierten Buchstaben voneinander ab, indem die beiden Buchstaben "S" und "V" miteinander vertauscht sind. Dass die vorhandenen Unterschiede nicht zu einer signifikanten Veränderung des Klangbilds beitragen, die zur Verneinung der Verwechslungsgefahr in rechtserheblichem Ausmaß führen könnte, ergibt sich aus folgendem:
4.1.1. Eine Ähnlichkeit zweier nicht identischer Wörter durch die bloße Vertauschung von Silben oder einzelnen Buchstaben wird im Markenrecht fachsprachlich als "anagrammatische Klangrotation" bezeichnet. Das Vorliegen derselben führt in ständiger Rechtsprechung zur Annahme einer Verwechslungsgefahr. Dabei handelt es sich um einen juristischen Fachbegriff ohne linguistische Entsprechung. Der Begriff wird nämlich weder in der Phonetik noch in der Linguistik verwendet, weil in den Sprachwissenschaften der Begriff "Klang" ungebräuchlich ist. Es wird vielmehr von Phonen, das sind die kleinsten Elemente einer sprachlichen Äußerung, bzw. von Lauten und Phonemen, das sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten eines Sprachsystems bzw. einer Sprache, gesprochen (www.wikipedia.de). Die Phonetik untersucht dabei den Zusammenhang zwischen sprachlicher Lautbildung und Sprachwahrnehmung, da es in der Linguistik um die Beziehung zwischen den Lauten, die geäußert werden, und dem, was damit gemeint ist, geht, bzw. dem, was aus diesen Lauten entnommen werden kann, wenn das Gemeinte zu verstehen ist (H. Tillmann/ Ph. Mansell, Phonetik, 1980, S. 124). Von besonderer Bedeutung sind dabei Phoneme, da die Kognitionstheorie davon ausgeht, dass Menschen Wörter lediglich anhand von Phonemen erkennen können (http://www.psych.unigoettingen.de/fachgruppe/scripte/docs/allgzwei_kognition.
doc). Das bedeutet, dass das menschliche Gehirn darauf trainiert ist, Phoneme möglichst genau zu erkennen, um den Bedeutungsinhalt einer sprachlichen Äußerung zu erfassen. Phone spielen in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle, da eine sprachliche Äußerung mit identischer phonemischer aber unterschiedlicher phonologischer Zusammensetzung in der Regel richtig verstanden wird. Linguistisch ist daher genauer zu differenzieren, ob eine phonemische oder lediglich eine phonologische Ähnlichkeit vorliegt. Auf den markenrechtlichen Begriff der anagrammatischen Klangrotation hat diese linguistische Differenzierung allerdings in rechtlicher Hinsicht keine Auswirkung, da es nicht ausschließlich um das Erkennen phonologischer oder phonemischer Fehlleistungen geht, sondern als zweite Komponente das undeutliche Erinnerungsbild des Verkehrs einzustellen ist. Die Umstellung einzelner Silben oder Buchstaben, selbst bei eindeutiger phonemischer Zuordnung, schließt die Verwechslungsgefahr gerade deshalb nicht aus, weil das Erinnerungsbild an das Gehörte undeutlich ist, da die Zeichen nicht nebeneinander, sondern mit zeitlichem Abstand vernommen werden. Deshalb wird eine Vertauschung vermutet und eine Korrektur vorgenommen (F. Albrecht, Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse im markenrechtlichen Registerverfahren, 1999, S. 73). Selbst wenn der Verkehr daher grundsätzlich einen Unterschied zwischen den Vergleichszeichen hört, verwischt sich dieser durch Zeitablauf im Erinnerungsbild (BGH GRUR 1993, 972, 974 - Sana/Schosana). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist deshalb den übereinstimmenden Merkmalen eine deutlichere Aufmerksamkeit als den Unterschieden zuzuwenden, so dass es mehr auf die Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede ankommt (BGH GRUR 1995, 50, 52 - Indorektal/Indohexal; GRUR 2004, 783, 785 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
Mit "servatel" und "versatel" stehen sich damit zwei Buchstabenfolgen gegenüber, bei denen lediglich zwei Frikative miteinander vertauscht sind. Infolge dieser "Klangrotation" sind beide Zeichen hinsichtlich ihres komplexen Gesamteindrucks zwar phonetisch grundsätzlich unterscheidbar, aber dennoch sehr ähnlich.
4.1.2. Die Gefahr einer klanglichen Verwechslung wird - trotz der Klangrotation - auch nicht durch einen abweichenden Sinngehalt ausgeschlossen, wobei eine Aufspaltung in einzelne Markenelemente ebenso wenig erfolgen kann wie sonst beim Vergleich der Marken (BGH BlPMZ 2005, 200, 201 - il Padrone/il Portone; BPatGE 36, 123 ff. - babalu/BALUBA; PAVIS PROMA CD-Rom BPatG 25 W (pat) 85/98 - COLDARIN/Cordalin; 25 W (pat) 211/99 - elano/Aleno; 28 W (pat) 66/00 - VEGIMAX/Vegamix). Würde bereits ein Verhören dadurch vermieden, dass beiden Begriffen im entsprechenden Kontext spontan ein Sinngehalt zugeordnet werden könnte, käme es gar nicht zu einer Korrektur einer vermuteten Vertauschung, und somit nicht zu einer Verwechslungsgefahr. Dafür wäre allerdings erforderlich, dass sich der jeweilige begriffliche Inhalt der Wortbestandteile jedermann sofort und ohne jeden Denkvorgang erschlösse, so dass bei den Verkehrskreisen infolge der spontanen Assoziation konkreter Bilder die Gefahr eines klanglichen "Verhörens" ausgeschlossen wird (BGH GRUR 1992, 130 - BALL/Bally; GRUR 1995, 50 - Indorektal/Indohexal; MarkenR 2000, 130 - comptes/ComTel). Dies ist hier aber nicht der Fall. Selbst wenn die Zeichen einer analysierenden Betrachtung unterzogen werden, kann kein unmittelbarer begrifflicher Bedeutungsgehalt festgestellt werden. Ist die jeweils letzte Silbe "TEL" als gängige Abkürzung für "Telefon" oder "Telekommunikation" anzusehen, so stehen sich die Zeichenbestandteile "versa" einerseits und "serva" andererseits gegenüber. Beide Begriffe verfügen aber über keinen - unmittelbar auf den ersten Blick erkennbaren - Begriffsgehalt. "Serva" könnte als Begriff lateinischen Ursprungs aufgefasst werden (etwa zu "servare": behüten, beschützen oder zu "servire": dienen), der dem deutschen Verbraucher beispielsweise aus den Wörtern "Servus", "servieren" oder "Serviette" sowie aus englischen Lehnwörtern wie "Service" (Bedienung, Kundendienst) bekannt ist, in technischen Zusammenhängen auch aus Zusammensetzungen wie "Servomotor" oder "Servo(lenkung)" sowie dem englischen Lehnwort "Server" (Zentralrechner). Für den Bestandteil "Versa" könnte seitens des Verkehrs in gleicher Weise ein lateinischer Ursprung (zu "versare" bzw. "vertere": drehen, wenden) vermutet werden, der diesem etwa aus den Begriffen "Version" und "versiert" (erfahren, bewandert, gewitzt) oder den Fremdwörtern "versatil" (beweglich, gewandt, wandlungsfähig) oder "vice versa" (umkehrt, wechselseitig) bekannt ist.
Der Verkehr erkennt in Wörtern toter Sprachen wie etwa Latein oder Altgriechisch, aber auch in anderen Fremdsprachen wie Italienisch keinen Sinngehalt, es sei denn, dass dieser Begriff als Ganzes oder in seinem Wortstamm in den allgemeinen deutschen Sprachschatz übergegangen ist oder auf dem entsprechenden Gebiet als Fachsprache verwendet wird (BGH GRUR 1995, 825, 827 - TORRES; BlPMZ 2005, 200, 201 - il Padrone/il Portone; Ströbele/Hacker, a.a.O., § 8 Rn. 377). Lediglich für englischsprachige Begriffe wird dies in der Regel anders beurteilt. Die Begriffe "serva" und "versa" sind nicht in den allgemeinen deutschen Sprachschatz übergegangen, sondern weisen allenfalls Anklänge an bekannte Wörter auf. Aufgrund des Vokals "-a" am Ende liegt es bei "serva" auch nicht nahe, an die Aussprache [s:v] des englischen Wortes "Server" zu denken, selbst wenn es Fundstellen in Chatrooms gibt, wonach Internetuser dieses Wort - orthografisch falsch - "Serva" schreiben.
Ein eindeutiger Bedeutungsgehalt wird demzufolge von den zu berücksichtigenden Verkehrskreisen im Zusammenhang mit den jeweils beanspruchten Dienstleistungen nicht unmittelbar erkannt.
4.2. Die klangliche Verwechslungsgefahr tritt auch aufgrund der heute vorherrschenden visuell orientierten Produktvermarktung nicht in den Hintergrund. (Ingerl/Rohnke, a.a.O., § 14, Rn. 539). Das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen der jüngeren Marke umfasst im wesentlichen Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Telekommunikation und Datenverarbeitung. Die Vergleichszeichen treten dem Verkehr daher auch schriftbildlich gegenüber. An der Bedeutung der klanglichen Ähnlichkeit ist jedoch festzuhalten, da nach wie vor auch eine telefonische oder mündliche Übermittlung in Betracht kommt und das Außerachtlassen der Klangähnlichkeit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr dem Markeninhaber einen Bereich des der Marke zukommenden Schutzumfangs ungerechtfertigt entziehen würde (BGH GRUR 1999, 241, 244 - Lions). Da die hinreichende Übereinstimmung der Marken in klanglicher Hinsicht für die Annahme der Verwechslungsgefahr ausreicht, kann dahingestellt bleiben, inwieweit es schriftbildlich oder begrifflich ebenfalls zu Überdeckungen kommt.
5. Unter Abwägung der einzelnen eine rechtserhebliche Verwechslungsgefahr begründenden Faktoren ergibt sich daher, dass bei den identischen und ähnlichen Waren und Dienstleistungen unter Zugrundelegung einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke der Abstand zwischen den Vergleichszeichen nicht mehr ausreichend ist.
6. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG).
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BPatG:
Beschluss v. 27.04.2005
Az: 29 W (pat) 190/03
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